WISAG am Frankfurter Flughafen: Was das ZDF verschweigt

Am 24. April brachte der ZDF-Länderspiegel ein 5-Minuten-Feature zum Thema „Arbeitslos am Airport“. Darin geht es um die zahlreichen Arbeiter, die in der Pandemie ihren Arbeitsplatz am Rhein-Main-Flughafen verloren haben. „Corona hat den Frankfurter Flughafen schwer getroffen“, so die Aussage des Films.

Allerdings verschweigt der Film mehr, als er zeigt, und seine zentrale Aussage ist eine Lüge: Die Corona-Pandemie, eine Naturkatastrophe, habe das Leben der Beschäftigten zerstört. Das ist nicht richtig. Es ist die Profitgier von Unternehmern und Aktionären, die den Arbeitern alles genommen hat. Und die Feigheit der Verdi-Gewerkschaftsfunktionäre, die dazu Ja und Amen sagen, trägt ihren Teil dazu bei.

Der Film stellt zwei Bodenarbeiter der Dienstleistungsfirma WISAG und einen Lufthansa-Flugbegleiter vor. Die zwei Arbeiter sind: der Disponent der Gepäckabfertigung, Cemaleddin Benli (54), und der Pushback-Fahrer Ilyas Gül (41). Beide sind mit der Darstellung des ZDF höchst unzufrieden. Stundenlang hätten die Dreharbeiten gedauert, bei denen sie ihre Lage genau geschildert hätten, so Benli im Gespräch mit der WSWS. Aber der Film lasse das Wesentliche weg. „Stinksauer“ seien sie darüber.

Lüge Nummer eins: Ursache der Kündigung war die Corona-Pandemie

„Im Film wirkt es so, als hätten wir einfach Pech gehabt“, sagt Kollege Habip, ebenfalls ein entlassener WISAG-Arbeiter. „Man hört einfach nicht darauf, was wir sagen: Das sind eiskalte Entscheidungen. WISAG hat die Krise ausgenutzt, um die Lohnkosten zu senken.“ Tatsächlich hat die Dienstleisterfirma WISAG Aviation Services mit Benli und Gül mindestens 250 Bodenarbeiter entlassen und dafür Leiharbeiter zu Mindestlöhnen eingestellt.

Schon im August 2020 hatte die WISAG-Geschäftsführung in einem Memorandum angekündigt, dass sie langfristig auf jede dritte feste Stelle verzichten werde. Der Konzern wolle, wie es dort heißt, „unsere Kapazitäten dauerhaft auf ca. 60 Prozent unserer Kapazitäten vor der Pandemie zurückfahren“, auch wenn der Flughafenbetrieb wieder laufen werde wie vor der Pandemie. Seither entlässt WISAG systematisch diejenigen Arbeiter, die seit Jahrzehnten am Flughafen tätig sind und Anspruch auf eine relative Arbeits- und Lohnsicherheit haben.

Das Unternehmen nutzt einfach die Gunst der Stunde, um das Lohnniveau massiv und dauerhaft abzusenken und einen höheren Grad an Ausbeutung durchzusetzen. Und Fraport, Lufthansa und all die anderen Unternehmen am Flughafen warten ungeduldig ab, ob WISAG damit durchkommt, um mit ihren Arbeitern dasselbe zu machen.

Oftmals gründet WISAG auch – versteckt oder offen – eine neue GmbH. Zum Geschäftsfeld des Konzerns gehören hunderte neue GmbHs und Tochterfirmen. Wie das läuft, hat sich in Frankfurt am 1. Oktober 2020 gezeigt. WISAG wollte 31 Vorfeld-Busfahrer zwingen, bei einer brandneuen Firma anzufangen, in der sie längerfristig all ihre Errungenschaften verloren hätten. Als sie sich weigerten, wie es ihr gutes Recht war, erhielten sie Hausverbot, ihr Lohn wurde ihnen sechs Monate lang gesperrt, und sie wurden zusammen mit den andern entlassen.

Die Betroffenen sind durchwegs Arbeiter mit zwanzig und noch mehr Dienstjahren am Flughafen, die normalerweise Anspruch auf einen besonderen Kündigungsschutz haben müssten. Stattdessen hat man ihnen alles genommen.

„Das Fiese war: WISAG hat uns die Kündigungen kurz vor Weihnachten zugestellt“, berichtet Cemaleddin Benli. „Zwei Busfahrer mussten sie vom 17. bis zum 19. Dezember überbringen, damit die Leute Schwierigkeiten haben sollten, einen Anwalt oder eine Behörde zu erreichen. Das war ihr Weihnachtsgeschenk.“

Benli sagte, er habe zwei Stunden lang mit dem ZDF-Team gesprochen und das ganze Ausmaß der Katastrophe und die Hintergründe geschildert. Aber im Film wird der Name WISAG nicht einmal genannt, auch nicht die Eigentümerfamilie Wisser. Das kann kein Zufall sein. Firmengründer Claus Wisser ist Millionen-schwerer Oligarch und in Frankfurt bestens vernetztes SPD-Mitglied. Sein Sohn Michael C. Wisser ist heute Vorstandschef und hauptverantwortlicher Manager für die Entlassungen.

Lüge Nummer zwei: Wer arbeiten will …

Bewusst stellt der Film neben die zwei entlassenen Bodenarbeiter einen ehemaligen Lufthansa-Flugbegleiter, der als Zugbegleiter bei der Bahn wieder Arbeit gefunden hat. Der Film endet mit dem Satz: „Vielleicht schaffen es auch Gül und Benli, bei einem Aufschwung am Flughafen wieder neue Jobs zu finden.“ Diesen Satz empfinden die Arbeiter als besonderen Hohn.

Hier werden völlig unterschiedliche Fälle verglichen. Fast alle WISAG-Entlassenen haben ihre Gesundheit am Flughafen eingebüßt. Nicht nur die beiden, auch andere entlassene Bodenarbeiter hatten schwere Arbeitsunfälle und werden nur unter sehr großen Schwierigkeiten neue Arbeit finden, geschweige denn eine vergleichbare Position wie bisher am Flughafen.

Der schwere Arbeitsunfall, den Ilyas Gül erlitten hat, wird im Film erwähnt. Ein Gabelstapler ist ihm über den Fuß gefahren und hat diesen regelrecht zerquetscht. Im Film weist Frau Gül darauf hin: „Er hat jetzt eine Behinderung, und damit eine neue Arbeit zu bekommen ist schwer, sehr schwer.“ Und Ilyas selbst lässt erkennen, wie sehr ihm der Fuß auch heute noch zu schaffen macht, und dass er ständig an Schmerzen leidet.

Auch Cemaleddin Benli hatte einen schweren Arbeitsunfall. Vor zehn Jahren stürzte er von der Tragfläche einer Maschine ab und schlug aus vier Metern Höhe auf der Betonpiste auf. Nur knapp hat er den Unfall überlebt. Auch er leidet bis heute an seinen Verletzungen, kann nachts nicht schlafen, muss täglich Tabletten nehmen. Und so wie diesen beiden geht es zahlreichen jetzt entlassenen WISAG-Arbeitern, von denen einer zum Beispiel eine anerkannte Schwerbehinderung von 50 Prozent aufweist.

Praktisch jeder, der so lange wie sie dabei gewesen sei, habe mal einen Arbeitsunfall gehabt, berichtet Habip, und viele seien für ihr Leben gezeichnet. Einer habe einen Finger verloren, er selbst sei einmal schwer am Auge verletzt worden. „Das passiert einfach. Davon kann fast jeder erzählen, der 20 Jahre oder länger am Flughafen gearbeitet hat.“

Die Arbeiter sind vor das Arbeitsgericht gezogen, um ihre Arbeitsplätze zurückzubekommen. Aber bisher haben nur Gütetermine stattgefunden, bei denen die Arbeiter sich auf erbärmliche Abfindungen einlassen sollten – was sie zu Recht abgelehnt haben. Mehrere Kammertermine sind erst im September geplant. „Das ist keine Rechtsprechung“, sagt Habip. „Das ist Willkür.“

Tatsächlich ist es falsch, dass am Airport zurzeit wegen Corona kein Betrieb laufen würde. Das Cargo-Geschäft am Drehkreuz Frankfurt läuft auf Hochtouren. Hier wird ununterbrochen Personal benötigt, und das war beinahe während der ganzen Pandemie der Fall. Auch leere Passagiermaschinen transportieren die Fracht als „Cabin-Load“, was bedeutet, dass die Kabinen randvoll mit Kisten angefüllt werden. Das ist für Bodenarbeiter eine besondere Herausforderung, da die normalen Förderbänder für die Höhe bis zur Passagierkabine nicht ausreichen.

Wenn das ZDF jetzt so tut, als würde WISAG die zwei Bodenarbeiter wieder einstellen, sobald wieder mehr Arbeit am Flughafen verfügbar sei, ist das schlimmer als Augenwischerei. Es ist Betrug. Diese Arbeiter werden mit ihren Familien gnadenlos in die Arbeitslosigkeit geworfen. Sie verlieren ihre Existenz, nicht wegen Corona, sondern wegen der Profitgier eines Oligarchen namens Wisser, der auch die öffentlich-rechtlichen Medien auf seiner Seite hat.

Lüge Nummer drei: Flughafen-Arbeiter als wehrlose, passive Opfer

Der Film stellt es so dar, als wären die Arbeiter wehrlose, passive Opfer: „Über 80.000 Menschen hatten vor der Krise hier ihren Job“, heißt es im Text. „Nun werden tausende Stellen abgebaut, viele fürchten um ihre Existenz.“ Mitglieder der Familie Gül werden gezeigt, wie sie sich Sorgen machen und begreiflicherweise nicht mehr schlafen können.

Das ist nur die halbe Wahrheit. Verschwiegen wird dabei erstens, dass die WISAG-Arbeiter vor nunmehr vier Monaten einen heldenhaften Kampf um ihre Arbeitsplätze aufgenommen haben, und zweitens, dass sie sich damit bewusst gegen die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gestellt haben, aus der sie ausgetreten sind. Vor der Verdi-Zentrale in Frankfurt haben die Arbeiter einen schwarzen Totenkranz abgelegt, zum Zeichen dass Verdi für sie gestorben ist. Verdi- und andere Gewerkschaftsfunktionäre sitzen mit Wisser Senior zusammen im Aufsichtsrat.

Die Arbeiter sind vor den hessischen Landtag in Wiesbaden gezogen, sie haben am Flughafen, vor der WISAG-Zentrale, vor dem Arbeitsgericht und vor der Privatvilla von Wisser Junior demonstriert. Ab dem 24. Februar haben sie sogar acht Tage lang einen Hungerstreik am Flughafen durchgeführt. Der Film zeigt einen kurzen Ausschnitt einer Demonstration durch den Flughafen, erwähnt aber den Hungerstreik mit keinem Wort.

Die Probleme der Arbeiter am Flughafen hätten lange vor der Corona-Pandemie begonnen, erklärt Habip. Die große Wende sei schon in den 1990er Jahren gekommen. Damals zwang die Europäische Union die Flughäfen zur Deregulierung, und kurz darauf wurde in Deutschland unter der rot-grünen Schröder-Fischer-Koalition mit den Hartz-Gesetzen ein riesiger Billiglohnmarkt geschaffen.

Früher sei die FAG als Staatsbetrieb für das ganze Geschehen am Flughafen verantwortlich gewesen. „Da war man quasi Beamter. Aber dann wurde das Argument ins Feld geführt, das sei ein unzulässiges Monopol. Notwendig sei es, mehr Konkurrenz einzuführen.“ Und unter dem Konkurrenzdruck habe jedes Unternehmen massive Sparmaßnahmen eingeleitet. „Und wo kann man am besten sparen? Natürlich beim Personal, bei den Mitarbeitern.“ Die Schleusen waren geöffnet, die vernünftig bezahlten, sicheren Arbeitsplätze wurden immer weniger, aber dafür gab es immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse.

Die Corona-Pandemie hat die Entwicklung in zweierlei Hinsicht beeinflusst: Sie hat die Zerstörung der sicheren Arbeitsplätze beschleunigt, und sie hat die krasse soziale Polarisierung offen sichtbar gemacht. Und Oligarchen wie Wisser, die ihre nackten Profitinteressen durchsetzen, provozieren damit auf der Gegenseite den Widerstand einer ständig wachsenden Schicht von Arbeitern, zu denen die WISAG-Arbeiter gehören.

„Bereits jetzt haben Arbeiter begonnen, sich zu wehren“, wie es im Aufruf des Internationalen Komitees der Vierten Internationale zum Ersten Mai 2021 heißt. Das gelte „für Autoarbeiter, Beschäftigte im Gesundheitswesen und Lehrer in den USA und Europa, Öl- und Eisenbahnarbeiter in Brasilien bis hin zu den Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr in Indien“. Es ist der Grund, warum das IKVI und die Sozialistische Gleichheitspartei sich entschlossen haben, die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) zu gründen, damit sich die Arbeiterklasse nicht nur zur Wehr setzen, sondern den Kampf auch gewinnen kann.

Es ist auch der Grund, warum öffentlich-rechtliche Sender wie das ZDF die Tatsachen verdrehen und die Aussagen der Arbeiter zensieren, um die Entlassungen, die sozialen Angriffe und die ganze Pandemie als ein Schicksal darzustellen, dem man nicht entrinnen kann.

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