In der vergangenen Woche schrieben wir, dass die Linkspartei ihren Parteitag nutzen werde, um „die Weichen noch stärker als bisher in Richtung Regierungsbeteiligung und Krieg" zu stellen. Diese Einschätzung hat sich mit der Wahl von Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow als neue Vorsitzende und ihrem seitherigen öffentlichen Auftreten voll bestätigt.
Bereits auf ihrer ersten gemeinsamen Pressekonferenz am Montag stellten die beiden klar, was sich hinter dem neuen Partei-Motto „Aufbruch in einer neuen Zeit“ verbirgt: Ein Regierungsbündnis mit den Hartz-IV- und Kriegsparteien SPD und Grüne auch auf Bundesebene. „Wir werden, wenn wir es vernünftig verhandeln können, bereit sein für die Übernahme von Verantwortung“, erklärte Hennig-Wellsow. „Grundsätzlich“ sei man „dazu gefordert im hier und jetzt Politik für Menschen zu verändern“.
Wissler machte sich ebenfalls für eine Regierungsbeteiligung stark. „Ich will nur darauf hinweisen, dass auch Die Linke in Hessen 2008 eine Tolerierungsvereinbarung ausgehandelt hatte mit SPD und Grünen.“ Das sei „dann bekanntlich gescheitert, aber nicht an der Linken“. Man habe „auch 2013 mit SPD und Grünen in Hessen sondiert“. Sie selbst sei „in beiden Malen daran beteiligt gewesen“ und auch jetzt „kompromissbereit“. Im Fall einer „Mehrheit für SPD, Linkspartei und Grüne nach den Bundestagswahlen“ seien „natürlich alle drei Parteien in der Verantwortung, darüber zu reden, ob man aus dieser Mehrheit einen Politikwechsel machen kann“.
Tatsächlich würde eine rot-rot-grüne Koalition allen Behauptungen der neuen Parteiführung zum Trotz kein „progressives Bündnis“ für einen „Politikwechsel“ darstellen, sondern den reaktionären Kurs der Großen Koalition fortsetzen. Dafür genügt ein Blick nach Bremen, Thüringen und Berlin. Überall, wo Die Linke bereits jetzt mit SPD und Grünen regiert, kürzt sie bei Bildung und Gesundheit, schiebt ab, rüstet den Staatsapparat auf und verfolgt eine mörderische Durchseuchungspolitik in der Pandemie.
Gegen Ende der Pressekonferenz gab Hennig-Wellsow freimütig zu Protokoll, dass die Linke notfalls auch bereitsteht, ihre arbeiterfeindliche Politik mit den nominell rechten Parteien durchzusetzen. Auf die Frage, ob es mit Blick auf Regierungsbündnisse nicht „etwas mehr Pragmatismus“ brauche, erklärte sie: „Wir werden in Thüringen als rot-rot-grüne Minderheitsregierung von der CDU toleriert.“ Auf Grund der spezifischen Verhältnisse vor Ort sei die Zusammenarbeit „ein Muss“.
Es folgte die Bankrotterklärung einer Partei, die zu allem fähig ist. Gegenwärtig erlebe man, „dass die CDU in Thüringen einen Haushalt zusammenstreicht, was möglicherweise zur Folge hat, dass […] wir im nächsten Jahr durch die Haushalte durchstreichen müssen. Das heißt Sozialleistungen zu kürzen“. Für Die Linke nicht etwa ein Grund, die Zusammenarbeit mit der CDU zu beenden, sondern die Kürzungen durchzusetzen. „In Thüringen ist das möglich. Wir kriegen das menschlich auf die Kette, aber politisch haben wir sehr, sehr große Unterschiede,“ erklärte Hennig-Wellsow.
In einem weiteren zynischen Versuch, sich von ihrem de facto Regierungspartner zu distanzieren, sagte sie, der CDU sei nicht zu „vertrauen, wenn es darum geht mit der AfD möglicherweise an bestimmten Punkten zusammenzuarbeiten und dafür zu sorgen, dass sie möglicherweise auch mit Stimmen der AfD in bestimmte Ämter kommt“. Tatsächlich arbeitet Die Linke in Thüringen selbst mit der rechtsextremen AfD zusammen und hievt die Faschisten in wichtige Ämter. So machte der „linke“ Ministerpräsident Bodo Ramelow den AfD-Mann Michael Kaufmann höchstpersönlich mit seiner Stimme zum Vizepräsidenten des thüringischen Landtags.
Die offene Unterstützung für die extreme Rechte in Thüringen war kein Ausrutscher. In der Linkspartei existiert ein ganzer Flügel um die frühere Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht, der in AfD-Manier Nationalismus schürt, gegen Flüchtlinge hetzt und in der Pandemie gegen die bestehenden Schutzmaßnahmen mobilisiert.
Die neue Parteispitze unterstützt diesen Kurs. Wagenknecht werde „in dieser Partei immer eine herausgehobene Rolle spielen“, betonte Hennig-Wellsow. Auch Wissler bekräftigte, dass sie „mit allen Teilen der Partei gut zusammenarbeiten“ wolle. Sahra Wagenknecht sei jemand, die „die Botschaft der Linken und die Kritik am politischen Gegner sehr pointiert rüberbringen kann. Und natürlich wäre es sehr gut, wenn sie auch im Bundestagswahlkampf diese Rolle spielen würde.“
Angesichts der tiefsten Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren und der wachsenden Radikalisierung der Arbeiterklasse schließen alle Strömungen innerhalb der Linkspartei die Reihen. Wissler und Hennig-Wellsow personifizieren dabei den rechten bürgerlichen Charakter der Partei und die scharfe Rechtswende des gesamten gewerkschaftlich-pseudolinken Milieus seit der Auflösung der DDR und der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie vor 30 Jahren.
Hennig-Wellsow (geb. 1977) stammt aus einer Familie von Staatsbürokraten, die zunächst im Polizeiapparat der DDR und später der Bundesrepublik Karriere machten. Laut Hennig-Wellsows offiziellem Steckbrief auf der Parteiseite arbeitete ihr Vater zunächst als „Kriminalist bei der Volkspolizei“ und „nach der Wende… bei der Thüringer Polizei“. Ihre Mutter war „ab Mitte der 1990er [im] Thüringer Innenministerium“ angestellt. Sie selbst trat als Studentin in die PDS ein und ist seit 2004 Mitglied des Thüringer Landtags. Seit 2014 spielt sie als Landes- und Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in Thüringen eine Schlüsselrolle in der rechten Ramelow-Regierung.
Wissler (geb. 1981) kommt ebenfalls aus einem stalinistischen Elternhaus. Ihre Mutter war ihren eigenen Angaben zufolge in den 1970er Jahren Mitglied der DKP und sympathisierte später mit den Grünen. Ihr Vater war Gewerkschafter. Da Wissler der Gruppierung Marx 21 entstammt, wird sie in den Medien regelmäßig als „linker“ oder gar marxistisch-trotzkistischer Gegenpol zu Hennig-Wellsow dargestellt. Das ist offensichtlich absurd. Als langjährige hessische Landesvorsitzende und nun auch Bundesvorsitzende der Linkspartei ist sie eine führende bürgerliche Politikerin, die in allen zentralen Fragen mit Hennig-Wellsow übereinstimmt. Das gilt auch im Bereich Außen- und Verteidigungspolitik.
Wenn sich Wissler anders als ihr Thüringer Pendant öffentlich gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr ausspricht, hat das nichts mit Anti-Militarismus zu tun. Sie fürchtet lediglich, dass eine zu offen militaristische Rhetorik bereits im Wahlkampf die Möglichkeit der Linkspartei unterminiert, die enorme Opposition in der Arbeiterklasse und der Jugend gegen Aufrüstung und Krieg zu kontrollieren.
Tatsächlich spielt Marx 21 seit langem eine Schlüsselrolle bei der Rückkehr des deutschen Militarismus. Mit Christine Buchholz sitzt eine ihrer führenden Vertreterinnen seit nunmehr zwölf Jahren im Verteidigungsausschuss des Bundestags und ist damit direkt in die Kriegspolitik eingebunden. Zusammen mit der Verteidigungsministerin hat sie wiederholt die deutschen Truppen in den Kriegsgebieten besucht. Auch beim Auftrumpfen des deutschen Imperialismus im Nahen Osten und gegen Russland spielt Marx 21 eine zentrale Rolle. Die Gruppierung unterstützt die imperialistische Regimewechsel-Operation in Syrien, pries 2014 den rechten Putsch in der Ukraine als „demokratische Revolution“ und wirbt aggressiv für eine pro-westliche Farbenrevolution in Russland.
Die Rechtswende der Pseudolinken ist nicht auf die „Staatskapitalisten“ von Marx 21 beschränkt. Mitglied des neuen Parteivorstands ist mit Thies Gleiss auch ein Mitglied der Internationalen Sozialistischen Organisation (ISO), der deutschen Sektion des pablistischen Vereinigten Sekretariats. Die Sozialistische Alternative (SAV) bejubelt den neuen Parteivorstand in einem Statement als insgesamt „bewegungsorientierter und potentiell linker“. Dabei stehen an der Spitze des Parteivorstands Figuren wie die frühere Berliner Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher und der ehemalige finanzpolitische Sprecher der Linken Axel Troost, die für ihre Kürzungsorgien (Lompscher) und öffentliche Verteidigung der Schuldenbremse (Troost) berüchtigt sind.
Der sicherheitspolitische Sprecher Mathias Höhn, der wenige Wochen vor dem Parteitag ein Kriegspapier für Aufrüstung und Auslandseinsätze vorgelegt hatte, schaffte es zwar nicht in den Parteivorstand, erhielt aber über 40 Prozent der Delegiertenstimmen. An seiner Stelle wurde erneut Tobias Pflüger gewählt, den die SAV als „konsequenten Antimilitaristen“ bezeichnet. In Wirklichkeit sitzt Pflüger zusammen mit Höhn und Buchholz im Verteidigungsausschuss des Bundestags und unterhält wie diese enge Verbindungen zum Verteidigungsministerium und zur Armee. Auf seiner eigenen Website dokumentiert er regelmäßig seine offiziellen Besuche der deutschen Besatzungstruppen in Afghanistan.