In den Werkshallen des Daimler-Konzerns gibt es massiven Widerstand gegen die Ausgliederung von Daimler Truck. Das geht aus einem Interview hervor, das Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht der Stuttgarter Zeitung (StZ) am vergangenen Samstag gegeben hat.
Die Arbeiter in den Werkshallen seien schockiert über die überraschende Nachricht, dass Daimler die Produktion von Lastwagen und Bussen von der Pkw-Produktion trennen wolle, schreibt die StZ. Sie hatten aus den Medien von diesem tiefgreifenden Umbau erfahren. Weder die Geschäftsleitung noch die IG Metall oder der Betriebsrat hatten sie im Voraus informiert. In den Nutzfahrzeugwerken in Wörth, Mannheim, Gaggenau und Kassel sorgen sich mehr als 25.000 Beschäftigte um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze.
Daimler-Aufsichtsratsmitglied Brecht und sein Gewerkschaftsapparat haben die Trennung von Daimler Truck und Mercedes Benz in enger Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung hinter dem Rücken der Belegschaft geplant und vollzogen.
Brecht drückt im Interview seine Loyalität gegenüber Investoren und Aktionären mit den Worten aus: „Manche Kollegen fühlen sich natürlich überrumpelt. Wir konnten die Kollegen aber nicht früher informieren, weil die strengen Regeln des Kapitalmarkts dies verbieten.“ Für Brecht ist die Autorität des Kapitalmarktes die Leitlinie seiner Gewerkschaftsarbeit, nicht das bittere Schicksal der Arbeiter, die monatlich ihre Mitgliedsbeiträge an die IG Metall zahlen und von Entlassung bedroht sind.
Das Misstrauen der Arbeiter ist enorm. Brecht war eine ganze Woche lang unentwegt von Werk zu Werk unterwegs, um auf Betriebsratssitzungen die Zukunftspläne zu erläutern. Er habe vor dem Interview ein Telefonat mit 1200 Vertrauensleuten geführt, sagte er der StZ. Seine Botschaft laute: „Daimler Truck ist kein Sanierungsfall!“ – eine Botschaft, die auch mit dem für Daimler Truck zuständigen Vorstand Martin Daum abgesprochen sei.
Tatsache ist, dass die Investoren „Bauchschmerzen“ über die finanzielle Entwicklung von Daimler Truck geäußert haben. Im Daimler-Konzern erwirtschaften 200.000 Beschäftigte mit der Produktion von Pkws und Transportern 80 Prozent des Jahresumsatzes, die 100.000 Beschäftigten im Lkw- und Busbereich tragen 20 Prozent bei. Die Investoren forderten deshalb im November 2019 in London von Daum ein aggressives Sparprogramm.
Die Trennung soll die langjährigen Forderungen der Investoren erfüllen. Dabei geht es vor allem darum, den Aktienwert zu steigern, indem Daimler Truck als eigenständiger Konzern in den Dax aufsteigt. Finanzvorstand Harald Wilhelm sagte das unverblümt: „Die Minderheitsbeteiligung [an Daimler Trucks] ist eine finanzielle, keine strategische Investition.“ Das heißt, der Konzern setzt auf eine hohe Rendite. Das heißt aber auch, dass Daimler als Minderheitsaktionär seine Anteile verkauft, wenn die Renditeerwartungen nicht erfüllt werden.
Brecht versucht in dem Interview weiszumachen, die Trennung werde die Lage der Arbeiter verbessern. Er lobt einmal mehr die 1,5 Milliarden Euro Innovationsmittel, die die Folgen des Umbaus ausgleichen sollen.
Daum beharrt dagegen darauf, dass der Konzern und die IG-Metall bei den Trennungsverhandlungen Entlassungen vereinbart hätten: „Die Beschäftigungssituation ist ein Thema, dem wir uns nicht verschließen können.“ Die Umstellung erfordere Veränderungen in verschiedenen Bereichen wie der Motor- oder Getriebefertigung, so Daum. Daimler werde in Zukunft weniger Arbeitskräfte benötigen.
Brecht hat Daums Ankündigungen weder dementiert noch widersprochen. Er redet ein Kauderwelsch und Manager-Sprech, mit dem er gezielt versucht, die Arbeiter in die Irre zu führen. So sagt er: „Wir werden für die einzelnen Standorte Vorschläge für neue Projekte entwickeln, mit denen zusätzliche Beschäftigung geschaffen und der Wandel hin zu den neuen Antriebstechnologien unterstützt werden kann.“
Die StZ erinnert daran, dass der Konzern bislang allen Arbeitern, deren Arbeitsplatz wegrationalisiert wird, im Gesamtkonzern einen Ersatzarbeitsplatz anbieten muss, also z.B. auch einen Wechsel vom Nutzfahrzeugbereich in die Autoproduktion. Das entfalle ja nun mit der Teilung des Konzerns.
Brecht vertröstet: „Vom Grundsatz her haben Sie recht. Wir sind uns mit dem Vorstand aber einig, dass weiterhin ein einfacher Wechsel zwischen den Gesellschaften möglich sein muss, das müssen wir in den nächsten Wochen mit dem Vorstand regeln.“
Doch mit den ernsten Problemen der Arbeiter hält Brecht sich nicht lange auf. In der Manier eines Managers erläutert er die technischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die der Konzern bei der Innovation und Produktion von batteriebetriebenen Lastwagen zu überwinden hat.
Brecht klagt, „im Nutzfahrzeugbereich sind wir bei der Elektrifizierung des Antriebsstrangs noch nicht sehr weit gekommen“. „Wir“, also der Daimler-Konzern, seien zwar bei der Brennstoffzelle gut unterwegs und hätten auch schon eine elektrifizierte Achse im Markt, „aber so ein richtiges EATS, also ein komplettes elektrifiziertes Antriebssystem, haben wir noch nicht“. Auch um die Leistungselektronik hätten „wir uns“ noch nicht gekümmert. Es gebe auch noch keine eigenen Elektromotoren. „In den nächsten zehn Jahren haben wir an unseren Standorten noch einiges zu tun“, prophezeit Brecht.
Daimler-Arbeiter sollten das als Warnung auffassen. Hauptaufgabe der IG Metall und ihres Betriebsrats unter Leitung von Brecht ist es, die Arbeiter an einem eigenständigen Kampf gegen die Entlassungen, Sparprogramme und Umstrukturierungen zu hindern. In ihrer Funktion als Werkspolizei garantiert die IG Metall dem Management Maßnahmen, die notwendig sind, um die Profitgier der Investoren zu erfüllen.
Der Versuch, die Arbeiter mit falschen Versprechungen in die Irre zu führen, stößt auf zunehmenden Widerstand unter den Beschäftigten. Deshalb war Brecht ständig unterwegs, um die Betriebsräte und Vertrauensleute darauf einzuschwören, die Arbeiter zu beruhigen. Dass der Widerstand wächst, quittiert er mit den Worten: „Es gibt auch sehr kritische Stimmen. Ich spüre, dass die Abspaltung viele Emotionen auslöst.“
Der Ärger ist nicht auf die Arbeiter in den Werken beschränkt, in denen Lkws produziert werden. Arbeiter im gesamten Konzern sind wütend und wehren sich gegen die Machenschaften der IG Metall.
Die StZ versucht, Brecht beizustehen. Das Interview trägt den Titel: „Wir wollen, dass die Kürzungen zurückgenommen werden.“ Diese Aussage von Brecht bezieht sich aber nicht auf die Kürzungen, die er in den letzten zwei Jahren mit Daimler-Chef Ole Källenius in mehreren Spar- und Effizienzprogrammen ausgearbeitet hat und die zur Vernichtung von mindestens 30.000 Arbeitsplätzen sowie von Sozialleistungen geführt haben.
Diese Opfer haben dem Konzern das „überraschende“ Ergebnis von 6,6 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern und Zinsen eingebracht, mehr als 50 Prozent des Betrages von 2019. Die Aktionäre dürfen sich mitten in der Corona-Krise über eine Dividende von 1,35 Euro pro Aktie freuen, 45 Cent mehr als im Vorjahr.
Die „Forderung“ nach Rücknahme der Kürzungen bezieht Brecht auf die mehr als 70.000 Beschäftigten, die immer noch in Kurzarbeit sind und entsprechend weniger Geld bekommen. Brecht druckst herum und sagt, die Auftragsbücher füllten sich wieder, „hier und da machen wir Überstunden“. In diesem Zusammenhang kündigt er dann an, „dass die Kürzungen möglichst bald wieder zurückgenommen werden“ sollen. Man habe dem Vorstand schon gesagt, dass man „schnellstmöglich“ über die Kurzarbeit verhandeln wolle.
Aber selbst das ist verlogen. Denn Brecht hat ursprünglich die Kurzarbeit und die entsprechende Lohnkürzung mit der Einschätzung gerechtfertigt, „Arbeitszeitverkürzung ist ein passendes Instrument“, und als Mittel zur Überwindung der Krise vorgeschlagen.
Die Beschäftigten haben keinen Grund zu glauben, was die IG Metall verspricht. Allein die letzten zwei Jahre entlarven die kriminelle Rolle der Gewerkschaften, die sich mit den Konzernen, den Parteien und dem Staat verbündet haben, um das Profitstreben der Aktionäre und Investoren zu sichern. Die Arbeiter brauchen eine eigene Organisation zur Verteidigung der Arbeitsplätze und der Sozialleistungen. Nehmt Kontakt mit dem „Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze“ auf und baut eigene Aktionskomitees in euren Werken und Betrieben auf.