Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht gab letzte Woche dem Manager Magazin ein langes Interview, in dem er massive Kritik am Vorstand übt. Doch er greift nicht drohende Werksschließungen, Stellenabbau und Sparprogramme an. Stattdessen kritisiert Brecht, dass die Angriffe auf die 300.000 Daimler-Beschäftigten nicht weit genug gingen, um den Konkurrenten „Tesla zu schlagen“ und die Rendite zu erhöhen. Gleichzeitig fordert er in AfD-Manier, Daimler vor ausländischen Investoren zu schützen.
Ähnlich wie Volkswagen-Betriebsratschef Bernd Osterloh, der Vorstandschef Herbert Diess mangelnde politische Weitsicht vorwirft, klagt Brecht den Daimler-Vorstand an, den Konzern gegen chinesische Konkurrenten nicht „politisch zu schützen“.
Die IG Metall und ihre Betriebsräte fungieren als treibende Kraft für die „Transformation“ – sprich: die Sicherung der Profite auf Kosten der Beschäftigten. Dabei vertreten sie einen extremen Wirtschaftsnationalismus.
Selbst Vorstandsmitglieder in der Autoindustrie sprechen sich selten so offen für „Deutschland first“ aus, wie dies Brecht im Interview tut. Das Manager Magazin ist von Brechts nationalistischer Stoßrichtung so beeindruckt, dass es das Interview mit den Worten einleitet: „Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht sieht im Erstarken chinesischer Investoren eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Schlüsselbereiche wie die Autoindustrie sollten ‚politisch geschützt werden‘.“
Die Wirtschaftsjournalisten thematisieren im Gespräch mit dem Betriebsrat, dass Daimler mit Li Shufu, dem Haupteigner des chinesischen Autoproduzenten Geely, sowie der Beijing Automotive Group (BAIC), zwei chinesische Großaktionäre habe und zudem das asiatische Land längst größter Einzelmarkt Daimlers sei. „Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?“, fragen sie, und Brecht kontert: „Dass Schlüsselbereiche wie die Autoindustrie politisch geschützt werden sollten, so wie es China und die USA ja auch machen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sieht das ähnlich wie wir.“
Altmaier (CDU) hatte bereits Anfang 2019 ein Konzept für eine „Nationale Industriestrategie 2030“ vorgestellt. Darin wird konstatiert, dass es „in vielen Teilen der Welt […] ganz offenbar Strategien rascher Expansion mit der klaren Zielrichtung, neue Märkte für die eigene Volkswirtschaft zu erobern und – wo immer möglich – zu monopolisieren“, gebe. Die Verteidigung des Wirtschaftsstandorts Deutschland sei daher eine gemeinsame Aufgabe von Unternehmen und Politik.
Die IG Metall sieht das ganz genauso. Sie kritisiert die Autokonzerne von rechts und verlangt, dass sie den Kampf gegen ihre internationalen Rivalen – vor allem die USA und China – intensiver vorantreibt.
In dem Interview bringt Brecht die nationalistische und prokapitalistische Politik auf den Punkt, auf deren Linie die Betriebsratsfürsten und Gewerkschaften „ihre“ Konzerne gegen die Konkurrenzunternehmen verteidigen. Sie nehmen dabei nicht nur in Kauf, dass Zehntausende Arbeitsplätze zerstört werden, sie bieten sich sogar als bessere Manager an und sind bereit, das Arbeitsplatzmassaker gegen jeden Widerstand umzusetzen.
Brechts Antworten auf weitere Fragen der Zeitschrift, bei denen es um Tausende Jobs und damit um die nackten Existenzen von Arbeitern und ihren Familien geht, machen deutlich, worum es ihm geht.
Gegen die Pläne des Konzerns, in Stuttgart-Untertürkheim und Berlin-Marienfelde Tausende von Stellen abzubauen, hatten die IG Metall und die Betriebsräte zur Beruhigung der dortigen Belegschaften Widerstand angekündigt. Das Manager Magazin fragt: „Kämpfen Sie nicht gegen eine Entwicklung, die nicht mehr zu stoppen ist?“
Darauf antwortet Brecht, dass es ihm nicht um die Verteidigung der Arbeitsplätze, sondern um die Verteidigung der Wettbewerbsfähigkeit gehe: „Nein, wir wollen Zukunftstechnologie in diese Werke bringen. Schauen Sie nur auf Tesla, das sollte dem Vorstand Vorbild und Warnung zugleich sein.“ Tesla baue und entwickele viel mehr selbst „als wir“. „Wenn wir unsere Technik nur am Markt einkaufen, müssen wir uns am Ende nicht wundern, wenn Mercedes Tesla nicht schlagen kann.“
Mit anderen Worten: Das Arbeitstempo bei Daimler soll derart erhöht und die Löhne sollen so weit gesenkt werden, dass Daimler auf Zulieferer verzichten kann, besonders wenn sie in China oder in den USA sitzen. Das bedeutet den Abbau Zehntausender Arbeitsplätze und eine unerträgliche Steigerung der Arbeitshetze. Es spaltet die Arbeiter verschiedener Werke und Länder, die alle denselben Konzernen und Aktionären gegenüberstehen und ihre Interessen nur gemeinsam verteidigen können. Zudem sind Wirtschaftsnationalismus und Handelskrieg nur die Vorstufe zum militärischen Krieg, wie die Geschichte immer wieder bewiesen hat.
Die Gelder für diesen Wirtschaftskrieg sollen aus den Arbeitern herausgepresst werden. Der Betriebsrat habe lange für den eine Milliarde Euro großen „Transformationsfonds“ gekämpft, den Daimler-Chef Ola Källenius gerade freigegeben hat, berichtet Brecht.
Bereits im Juni hatten Brecht und sein Stellvertreter Ergun Lümali in einem Rundschreiben an alle Daimler-Beschäftigten den Vorstand zum Handeln aufgefordert und den Abbau von zigtausenden Stellen angemahnt. „Wir müssen den Transformationsprozess, in dem wir uns befinden, konsequent weiter vorantreiben“, schrieben sie. „Dafür brauchen wir Investitionsbedarfe in Milliardenhöhe. Dieses Geld muss verdient werden – trotz Krise.“
Das gilt ausdrücklich nicht nur für die PKW-Sparte Mercedes, sondern auch für den LKW-Bereich. Der dortige neue Chef John O'Leary sei „eigens von der US-Tochter Freightliner als Sanierer in die Zentrale geholt worden“, schreibt das Manager Magazin und fragt: „Was muss er anpacken?“
Brecht ist direkt: „Im Lkw-Geschäft muss gerade in Europa einiges passieren. Wir haben hier selbst in außergewöhnlichen Jahren nur 6 bis 7 Prozent Rendite verdient.“ Das reiche nicht, um die nötigen Zukunftsinvestitionen zu finanzieren. „Wir haben in Europa deutlich Marktanteile verloren; und auch die Kosten sind massiv gestiegen. Solche Schwächen können wir als Betriebsrat nicht einfach ignorieren.“
Sichtlich verwundert hakt das Manager Magazin nach: „Laden Sie den Vorstand gerade ein, Stellen zu streichen?“ Brecht bejaht: „Wir brauchen dringend eine Lösung für die Probleme, und einige Teile davon werden uns nicht gefallen; so wie das Kostensenkungsprogramm Stream 2.“
Wenn Konzern- und Betriebsratsvorsitzende von „Kostensenkungsprogrammen“ sprechen, ist trotz aller Phrasen von „Innovationen“, „Zukunftsorientierung“ und „Standortsicherung“ immer Arbeitsplatzabbau gemeint. „Stream 1“ hatte ein Kostensenkungsvolumen von 400 Millionen Euro und beinhaltete den Abbau von 2000 Stellen. Das neue Programm „Stream 2“, das der Gesamtbetriebsrat mit dem Daimler-Vorstand vereinbart hat, umfasst Einsparungen von 300 Millionen Euro. Auch das wird einen massiven Stellenabbau bedeuten.
Betriebsratschef Brecht beschreibt, wie er diesen verwirklichen will: „Wenn personelle Anpassungen notwendig werden, sorgen wir dafür, dass niemand um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Wir können alles über Fluktuation regeln.“
Daimler-Betriebsratschef Brecht zählt neben VW-Gesamtbetriebsratschef Osterloh zu den mächtigsten sogenannten „Arbeitnehmervertretern“. Die Medien bezeichnen sie gerne als „Arbeiterführer“. Das ist blanker Unsinn. Sie vertreten nicht die Interessen der Arbeiter, sondern die der Investoren. Unter den Bedingungen eines wachsenden weltweiten Wettbewerbs zwischen den größten Industrie- und Handelsnationen schwingen sie sich zu den vehementesten Vertretern „deutscher Interessen“ auf, das heißt den Interessen der deutschen Finanz- und Wirtschaftselite.
Die vollständige Verwandlung der Gewerkschaften in Werkzeuge der Konzerne, in die sie tief integriert sind, findet in jedem Land der Welt statt. Sie ergibt sich aus ihrer Verteidigung des Kapitalismus. In Deutschland ist sie besonders ausgeprägt.
Betriebsratsfürsten vom Schlage eines Brechts beziehen ihre Macht in den Betrieben nicht daraus, dass Arbeiter sie als ihre Interessenvertreter betrachten. Ihre Macht ist im Mitbestimmungssystem verankert, das die Gewerkschaften und die Betriebsfunktionäre in die unternehmerischen Belange einbindet. Autokonzerne wie Daimler und Volkswagen unterhalten Hunderte hochbezahlte Betriebsräte und IGM-Funktionäre. Ihre Gehälter, gut bezahlten Aufsichtsratsposten und sonstigen Privilegien übersteigen einen gewöhnlichen Arbeiterlohn um das Vielfache.
Brecht erhielt etwa im letzten Jahr neben seinem Gehalt, dass sich auf mindestens 200.000 Euro im Jahr beläuft, eine halbe Million Euro für seine Posten als Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei der Daimler AG und der Daimler Trucks AG sowie als einfaches Mitglied des Aufsichtsrats der Mercedes Benz AG.
Aufgrund dieser strukturellen Einbindung der Gewerkschaften, die seit dem Zweiten Weltkrieg in vielen Jahrzehnten geformt wurde, ist die Hürde, vor denen Autoarbeiter stehen, nicht damit überwunden, die korrupten IGM-Betriebsräte aus den Betrieben zu jagen. Vielmehr sind neue Organisationsformen notwendig, die völlig unabhängig von den gewerkschaftlichen und staatlichen Strukturen Arbeitsplätze und soziale Errungenschaften verteidigen.
Das geht nur durch eine vereinte, unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die sich gegen das kapitalistische System richtet. Daimler ist kein Einzelfall. Alle großen Konzerne in der Auto-, Zuliefer-, Stahl-, Maschinenbau-, Chemie und anderen Industrien nutzen die Corona-Krise, um Arbeiter loszuwerden, die Ausbeutung zu verschärfen und sich auf Handelskrieg und Krieg vorzubereiten.
Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) tritt deshalb dafür ein, in den Betrieben und Konzernen unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, die die Verteidigung der Arbeitsplätze in die Hand nehmen und sich bundesweit und international vernetzen. Wir rufen alle Arbeiter, die nicht bereit sind, die Angriffe von Daimler und anderen Konzernen hinzunehmen, auf, eine neue, internationale sozialistische Partei aufzubauen und Mitglied der SGP zu werden.