Vergangene Woche kündigte Daimler-Chef Ola Källenius an, die Daimler AG werde noch in diesem Jahr in zwei eigenständige Konzerne aufgeteilt. Die Daimler Trucks AG soll mit der Produktion von LKWs, Transportern und Bussen ausgegliedert und an die Börse gebracht werden. Der zweite Unternehmensteil soll unter dem Namen Mercedes-Benz PKWs und Vans produzieren. Der bisherige dritte Unternehmensteil, der Bereich Mobility (Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen), soll auf die beiden Sparten aufgeteilt werden.
Daimler hatte sich erst 2019 in eine Holding mit drei Tochter-Aktiengesellschaften aufgespalten. Dies führte zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen. Die jetzige Zweiteilung wird weitere Angriffe auf die Beschäftigten zur Folge haben.
Källenius unterstrich die Bedeutung des „Projekts Fokus“, wie die Zweiteilung der Daimler AG intern genannt wird. „Das ist ein historischer Moment für Daimler und der Anfang für eine tiefgreifende Umgestaltung des Unternehmens.“ Gemeint war damit insbesondere die Entscheidung, den LKW-Bereich an die Börse zu bringen und sich daran nur noch als Minderheitsaktionär zu beteiligen. Die Mehrheit der Aktien der Daimler Truck AG soll an die heutigen Daimler-Aktionäre übertragen werden.
Daimler Truck ist der weltweit führende Hersteller von LKWs und Bussen und beschäftigt derzeit 100.000 Arbeiter an 35 Standorten. Das deutsche Werk in Wörth am Rhein ist das größte Montagewerk der Welt mit 10.300 Beschäftigten und einer durchschnittlichen Produktion von 470.000 Fahrzeugen im Jahr.
Wie schon die Aufspaltung in drei AGs 2019 dient auch die aktuelle Umgestaltung ausschließlich den Interessen der Aktionäre. Dementsprechend stieg die Daimler-Aktie am Tag, an dem Källenius die Aufteilung bekannt gab. Die Anteilscheine von Daimler machten an der Frankfurter Börse einen „Freudensprung“ von 9 Prozent. Die Nachricht aus der Stuttgarter Daimler-Zentrale bescherte der Automobilbranche an den europäischen Aktienmärkten mit einem Plus von 2,7 Prozent den größten Tagesgewinn im Vergleich zu anderen Branchen.
Der Analyst Arndt Ellinghorst von der US-Forschungsgesellschaft Bernstein Research sprach von einem „großen Tag für Daimler“. Dies sei „auch eine starke positive Aussage für die deutsche Unternehmenslandschaft und den deutschen Finanzmarkt“.
Eine Woche zuvor, am 29. Januar, hatte Daimler die Konzernergebnisse für das Geschäftsjahr 2020 veröffentlicht. Das Ergebnis vor Steuern und Zinsen beträgt nach vorläufigen Berechnungen 6,6 Milliarden Euro, im Vergleich zu 2019 ein Plus von 53 Prozent. Källenius beharrte jedoch darauf, dass das Sparprogramm fortgesetzt wird. Weitere Kennzahlen werden am 18. Februar veröffentlicht.
Sicher ist, dass die Umstrukturierung von Daimler massive Angriffe auf die Beschäftigten mit sich bringt. Die Stuttgarter Zeitung (StZ) titelte: „Daimler baut Konzern um: Radikaler Einschnitt.“ Sie lobte Källenius: „Er setzt damit weiter konsequent auf seine Linie, die Effizienz zu steigern und mehr Kapital zu generieren, um den Umbau des Konzerns erfolgreich managen zu können.“
Wie erwartet, begrüßte die IG Metall die Umstrukturierung und versuchte, den Arbeitern mit den üblichen Floskeln Sand in die Augen zu streuen. Der Daimler-Betriebsratsvorsitzende Michael Brecht sagte: „Die Transformation unserer Industrie schreitet schnell voran. Damit wir Schritt halten können, müssen wir mutiger und mit schnelleren Entscheidungen Investitionen in Innovationen tätigen. Dafür werden wir zusätzlich zur aktuellen Finanzplanung einen weiteren Innovationsfonds mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro für Daimler Truck einrichten. Damit können wir in neue Produkte und Technologien investieren, und wir werden aktiv unsere Ideen einbringen. Das bringt zusätzliche Perspektiven für unsere Standorte und sichert Beschäftigung.“
Daimler-Truck-Chef Martin Daum machte deutlich, was von diesem Manager-Geschwafel zu halten ist: „Die Beschäftigungssituation ist ein Thema, dem wir uns nicht verschließen können.“ Die Umstellung erfordere Veränderungen in verschiedenen Bereichen wie der Motor- oder Getriebefertigung, und Daimler werde in Zukunft weniger Arbeitskräfte benötigen. Der von Brecht gelobte 1,5 Milliarden-Euro-Innovationsfonds sei eine Art Bargeldreserve, die es Daimler Truck ermögliche, bei profitablen Investitionsmöglichkeiten schnell zu handeln, „aber nicht, um dauerhaft Beschäftigung zu sichern, wo sie eigentlich nicht gebraucht wird“.
Daum lobte Brecht ausdrücklich, er sei auf der gleichen Wellenlänge wie das Unternehmen: „Wir haben Arbeitnehmervertreter, die verstehen, dass der kurzfristige Erfolg nie die langfristige Perspektive des Unternehmens überschreiten darf.“
Auch Roman Zitzelsberger, IG-Metall-Bezirksleiter im Südwesten und genauso wie Brecht im Daimler-Aufsichtsrat, ließ erkennen, dass die gespielte Euphorie von Brecht nicht der Wahrheit entspricht. Im typischen Gewerkschaftsjargon stimmte er die Belegschaften schon jetzt auf weitere Angriffe ein. Er klagte, die Spaltung des Konzerns sei ein emotionales Thema für die Beschäftigten, daran müsse man denken „und viel erklären und zuhören“. Es gäbe noch viele offene Fragen, die im weiteren Prozess geklärt werden müssten.
Lässt man die Ankündigungen und Maßnahmen der letzten zwei Jahre Revue passieren, wird deutlich, dass die Belegschaft vor einer langen Reihe von Angriffen steht, deren Ende noch lange nicht erreicht ist.
Im Mai 2019 wurde die heutige Struktur mit drei eigenständigen Geschäftsbereichen geschaffen. Sie war der Auftakt zu einem umfangreichen Kahlschlag. Im Dezember 2019 stellte Källenius ein Spar- und Effizienzsteigerungsprogramm vor, das die Geschäftsleitung gemeinsam mit der IG Metall ausgearbeitet hatte. Durch den Abbau von 15.000 Arbeitsplätzen sollten 1,4 Milliarden Euro Personalkosten eingespart werden. Im Juli 2020 wurde die Zahl der abzubauenden Arbeitsplätze dann auf 30.000 erhöht.
Drei Monate später, im Oktober 2020, versprach Källenius den Investoren, die Umsatzrendite bis 2025 zu verdoppeln. Mit voller Unterstützung der IG Metall und unter Inkaufnahme des Risikos, dass sich tausende Arbeiter infizieren, strebte das Unternehmen im Corona-Jahr 2020 eine Umsatzrendite „im mittleren bis hohen einstelligen Prozentbereich“ an. Källenius informierte die Investoren in einer Videokonferenz, dass in den kommenden fünf Jahren die Fixkosten im Vergleich zu 2019 um ein Fünftel gesenkt werden.
Im November 2020 kündigte der Konzern dann an, 80 Prozent der 2500 Arbeitsplätze in Berlin-Marienfelde abzubauen und damit das 1902 gegründeten Werke praktisch zu schließen.
Gleichzeitig kündigte Daimler die Entlassung von 4000 Arbeitern im Stammwerk Untertürkheim, das 1904 gegründet wurde, bis 2025 an. Dort werden Motoren und andere Komponenten für Autos mit Verbrennungsmotoren hergestellt; Komponenten, von denen Daimler glaubt, sie in Zukunft nicht mehr zu benötigen. Die IG Metall fungierte als Berater bei der Ausarbeitung des Stellenabbaus und leitete damit den Abbau des gesamten Werks ein, in dem aktuell noch rund 19.000 Arbeiter beschäftigt sind.
Der Untertürkheimer Betriebsratsvorsitzende Michael Häberle begründete die Entlassungen damit, dass die Standortleitung die Verpflichtung erfüllt habe, den Standort umzubauen, um den Anforderungen der Elektromobilität gerecht zu werden und neue Zukunftsarbeitsplätze zu schaffen.
Källenius reagierte in einem Brief an die Beschäftigten mit der Drohung, das Kompetenzzentrum für Elektromobilität nicht einzurichten, wenn die IG-Metall nicht alle von der Geschäftsführung geforderten Bedingungen akzeptiere. Seitdem führen Management und Betriebsräte geheime Verhandlungen über weitere Entlassungen.
Als Grund für die nicht enden wollenden Opfer, die den Arbeitern abverlangt werden, bemühen Vorstand, Gewerkschaft und Betriebsrat stets die Transformation zur Elektromobilität sowie coronabedingte Einbrüche bei den Verkaufszahlen. In Wirklichkeit erhöhen die Opfer der Arbeiter wie immer die Profite der Investoren und Kapitaleigentümer.
Die Verteidigung der Arbeitsplätze und der Schutz vor Corona sind nur in Opposition zu den Gewerkschaften, ihren Betriebsräten und den Berliner Parteien möglich. Wir rufen die Arbeiterinnen und Arbeiter auf, sich im Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze zusammenzuschließen und in allen Betrieben unabhängige Komitees zu bilden.