Die tschechische Regierung hat den Notstand verlängert, der seit Oktober gilt und ursprünglich am Sonntag enden sollte. Grund dafür ist die dramatische Ausbreitung des Coronavirus. Die Infektions- und Todeszahlen sind ungebrochen hoch, und es breiten sich landesweit gefährliche Mutanten aus.
Seit mittlerweile zwei Wochen herrscht in den Kreisen Sokolov und Cheb an der deutschen Grenze ein Inzidenzwert von mehr als 1100. In den letzten Tagen stiegen die Zahlen landesweit erneut an. Am Freitag wurden die beiden Kreise, wie auch der Kreis Trutnov im Osten Tschechiens, abgeriegelt. Die Gebiete dürfen nur in Ausnahmefällen verlassen oder aufgesucht werden. Laut der EU-Gesundheitsagentur ECDC gab es in ganz Tschechien innerhalb von 14 Tagen rund 915 Infektionen je 100.000 Einwohner.
Die Kliniken in den Grenzgebieten sind völlig überlastet, immer häufiger müssen Patienten von dort in weit entfernte Kliniken des Landes befördert werden, in denen es noch einige wenige freie Intensivbetten gibt. Die Klinik in Nachod, im Nordosten Tschechiens, musste allein vergangenen Dienstag 15 Patienten in Orte verlegen, die mindestens 230 Kilometer entfernt sind. Alle näheren Kliniken waren laut Reuters vollständig belegt. Klinikdirektor Jan Mach erklärte, dass von den 339 Betten der Klinik 120 mit Covid-19-Patienten belegt seien.
Die Versorgung in Altenheimen und Kliniken ist nur noch durch die Hilfe von Freiwilligen und des Militärs möglich. Bisher sind 900 Militärangehörige dort im Einsatz. Das Verteidigungsministerium kündigte an, dass es weiterhin Soldaten bereithalten werde.
Die Lage in der Tschechischen Republik ist dramatisch. Europaweit haben sich, gemessen an der Einwohnerzahl, in den letzten zwei Wochen nur in Portugal noch mehr Menschen infiziert. In Tschechien mit 10,7 Millionen Einwohnern haben sich bisher rund 10 Prozent der Bevölkerung angesteckt. Über 18.000 Menschen sind verstorben. Laut Epidemiologen ist die Dunkelziffer weit höher, und die Tendenz ist steigend. „Wir nehmen kränkere und jüngere Menschen auf, die 1970 und später geboren wurden. Im Herbst gab es das nicht,“ sagte Klinikdirektor Mach.
Die verantwortungslose Politik der Regierung und die ungebremste Zunahme der britischen Virusmutante sind die wesentlichen Gründe für die hohen Zahlen und die schweren Verläufe. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte am Donnerstag, die Mutante habe in den deutschen Landkreisen Hof, Wunsiedel und Tirschenreuth an der Grenze zu Tschechien die Oberhand gewonnen. Mediziner aus dem betroffenen Gebiet gehen davon aus, dass der Anteil der Virusmutanten zwischen 50 und 60 Prozent liegt.
Die Bundesregierung hat Tschechien, wie auch das österreichische Bundesland Tirol, als „Virusvarianten-Risikogebiet“ eingestuft und ab Sonntag Reisebeschränkungen verhängt. Nach Angaben des Berliner Innenministeriums hat die Bundespolizei an den Grenzen zu Tschechien und Österreich bis Montagmorgen rund 10.000 Menschen kontrolliert. Etwa der Hälfte von ihnen wurde die Einreise verweigert.
Am Montag kritisierten mehrere europäische Regierungen die Grenzkontrollen, ebenso wie Wirtschaftsvertreter. Automobilwerke in Bayern und Sachsen fürchten in den nächsten Tagen Produktionsausfälle wegen der Unterbrechung der Lieferketten.
Der Evolutionsbiologe Jaroslav Flegr von der Karls-Universität bestätigt im Spiegel-Interview die Gefahren, die von den Mutanten ausgehen. „Wenn es nicht gelingt, die Verbreitung zu verhindern, werden mehr Menschen infiziert und mehr Menschen werden sterben.“ Bereits jetzt beobachteten Ärzte, „dass immer mehr jüngere Menschen und sogar Kinder schwer erkranken. Das Virus wird immer tödlicher.“
Flegr lässt keinen Zweifel daran, dass die Regierung und ihre Öffnungspolitik daran schuld sind. „Es war schon im Sommer abzusehen, dass die Pandemie sich wieder so aggressiv ausweiten würde“, so der Wissenschaftler.
Die Aufhebung des Notstands hätte unter den jetzigen Bedingungen unweigerlich zu einer Katastrophe geführt. Schulen, Sportanlagen, Restaurants, Geschäfte und touristische Einrichtungen wären wieder geöffnet worden, mit kaum abschätzbaren Folgen.
Trotzdem war das Parlament nicht bereit, den Notstand zu verlängern. Den Regierungsparteien ANO und CSSD (Sozialdemokraten) fehlte dazu die notwendige Mehrheit, nachdem die Kommunistische Partei (KSCM) eine Verlängerung abgelehnt hatte. Die Minderheitsregierung wird von der KSCM toleriert. Sämtliche Oppositionsparteien – mehrere Rechtsparteien und die Piraten – fordern seit Langem ein Ende des Notstands und die Aufhebung sämtlicher Schutzmaßnahmen. Die KSCM, die Nachfolgerin der ehemaligen stalinistischen Staatspartei, tritt vehement für die sofortige Öffnung der Schulen und der Skigebiete ein.
Schließlich beschloss die Regierung ohne Zustimmung des Parlaments, den Notstand zu verlängern, was rechtlich problematisch ist. Sie folgte damit der Bitte der Vertreter aller 14 Verwaltungsregionen. Wer nicht für den Notstand stimme, erklärte Regierungschef Andrej Babis (ANO), „wird direkt für den Tod unserer Mitbürger verantwortlich sein“.
Tatsächlich hat die verantwortungslose Politik von Babis‘ Regierung zu dieser Situation geführt. Nach einem kurzen Lockdown im Frühjahr letzten Jahres, bei dem Schulen und Betriebe geschlossen wurden, waren die Infektionszahlen stark zurückgegangen. Doch dann wurden die Maßnahmen wieder aufgehoben und das Virus breitete sich rasant aus. Im Herbst sah sich die Regierung gezwungen den Notstand auszurufen. Auf Druck der Wirtschaft blieben allerdings die Betriebe offen, und die Maßnahmen zur Eindämmung wurden bestenfalls halbherzig wieder eingeführt. Gerade in Betrieben kam es immer wieder zu Massenausbrüchen. Nun ist das Virus seit Monaten außer Kontrolle.
Die Regierung und alle Parteien vertraten von Anfang an eine skrupellose Politik im Interesse der Wirtschaft. Während großzügige Wirtschaftshilfen an Unternehmen flossen, gab es viel zu wenig Testmöglichkeiten und die maroden Kliniken wurden sich selbst überlassen. Die angekündigte Impfkampagne ist ein reines Fiasko. Das Gesundheitsministerium musste kürzlich eingestehen, dass der Impfstoff von Moderna erst am 22. Februar – eine Woche später als geplant – eintreffen wird, und auch nur die Hälfte der vereinbarten Menge.
Die Situation in Tschechien ist beispielhaft für die kriminelle Politik der europäischen Regierungen, die im Interesse der Wirtschaft eiskalt Menschenleben opfern. Zuletzt hatte Polen massive Lockerungen durchgesetzt. Am Wochenende meldeten die Skigebiete des Landes prompt ausgebuchte Lifte und Hotels. In Österreich, dass zu Monatsbeginn den Lockdown beendete, stiegen die Infektionszahlen bereits wenige Tage später wieder an. In Deutschland wird aktuell die völlige Öffnung der Schulen vorbereitet; im kommenden Monat treten weitere Lockerungen in Kraft.
Ähnlich dramatisch wie in Tschechien entwickelt sich die Lage im Nachbarland Slowakei. Auch hier gilt ab Sonntag, dass Fluggesellschaften sowie Bus- und Bahnunternehmen keine Passagiere mehr nach Deutschland befördern dürfen. Bisher kletterte die Zahl der bestätigten Infektionen in dem 5,5 Millionen-Einwohner-Land auf 274.000. Mehr als 5700 Menschen sind gestorben. Damit gehört die Slowakei mittlerweile zu den am stärksten betroffenen Ländern Europas.
Die Erreger konnten sich aufgrund mangelnder Schutzmaßnahmen derart rasant ausbreiten, dass in der Slowakei die britische Variante des Virus mittlerweile dominierend ist. Die Folge ist der drohende Kollaps des Gesundheitssystems. Intensivstationen sind schon jetzt völlig belegt, Beatmungsgeräte sind durch Covid-19-Patienten derart ausgelastet, dass andere Intensivpatienten nicht mehr adäquat behandelt werden können, warnen Mediziner.
Unter diesen Bedingungen hat die rechte Regierung von Igor Matovic in der vergangenen Woche die Schulen des Landes weitgehend geöffnet und damit einer noch stärkeren Ausbreitung der Infektionen den Weg geebnet.