Massenproteste gegen Regierung in Prag

Unmittelbar vor dem 30. Jahrestag der sogenannten „Samtenen Revolution“ haben in der tschechischen Hauptstadt Prag am Samstag erneut Hunderttausende gegen die rechte, korrupte Regierung von Premierminister Andrej Babiš demonstriert. Den Veranstaltern und der Polizei zufolge beteiligten sich rund 250.000 Menschen.

Bereits im Juni hatten 300.000 Menschen gegen die Regierung demonstriert, und in den Wochen zuvor war es wöchentlich zu Protesten mit jeweils weit über 100.000 Teilnehmern gekommen. Vordergründig richten sich die Proteste gegen Babiš, dem Missbrauch seiner politischen Macht für private und wirtschaftliche Zwecke vorgeworfen wird. Laut dem Magazin Forbes wird das Vermögen des tschechischen Premiers auf umgerechnet 3,3 Milliarden Euro geschätzt. Damit gilt Babiš als zweitreichster Mann des Landes. Gegen ihn gib es mehrere Verdachtsfälle wegen Korruption.

Die Proteste am Samstag fanden einen Tag vor dem 17. November statt. An diesem Tag im Jahr 1989 war es zu den Protesten gekommen, die zum Zusammenbruch der stalinistischen Herrschaft in der Tschechoslowakei führten. Wenige Tage später, am 26. November 1989, trafen sich der damalige stalinistische Staatschef Ladislav Adamec und Vaclav Havel am runden Tisch. Ende Dezember wurde Havel Staatspräsident.

Die anhaltenden Proteste machen deutlich, dass die Wiedereinführung kapitalistischer Verhältnisse in Tschechien und Osteuropa nicht zu Wohlstand und Demokratie geführt haben, sondern zu krasser sozialer Ungleichheit und zum Aufstieg einer korrupten, autoritären Elite.

Babiš ist die Personifizierung dieser Entwicklung. Er hatte enge Beziehungen zur stalinistischen Elite. Mehrere Untersuchungen haben seine Tätigkeit für den Geheimdienst StB bestätigt. Nach der Wende 1989 nutzte er seine Kontakte zum Aufbau seines Wirtschaftsimperiums. Anfangs machte er sein Geld mit einem Konzern in der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion. Inzwischen kontrolliert Agrofert auch wichtige Medien des Landes.

Wie zahlreiche stalinistische Funktionäre in der Tschechoslowakei und anderen osteuropäischen Staaten wandelte sich Babiš zum glühenden Verfechter kapitalistischer Verhältnisse. In den Parteien, die Babiš neben seiner eigenen Bewegung ANO stützen – der sozialdemokratischen CSSD und der poststalinistischen KSCM – finden sich eine Reihe ehemaliger stalinistischer Kader, die sich an der Privatisierung öffentlicher Betriebe bereichert haben.

Gerade in der Tschechoslowakei fand der Ausverkauf der öffentlichen Unternehmen Anfang der 1990er Jahre sehr schnell statt. Die Demokratische Bürgerpartei (ODS) und die Sozialdemokraten (CSSD) regierten in verschiedenen Varianten und mit verschiedenen Koalitionspartnern. Dabei war die Politik immer dieselbe. Im Interesse der tschechischen und europäischen Elite wurde ein Sparpaket nach dem anderen aufgelegt, die Militarisierung vorangetrieben und abstoßende Hetze gegen Flüchtlinge und Ausländer betrieben.

Die großen Parteien erlebten einen rasanten Absturz. Die ODS errang bei der letzten Wahl 2017 nur noch elf, die CSSD nur noch sieben Prozent. Davon konnte Babiš profitieren, der sich als Alternative zu den etablierten Parteien darstellte. ANO gewann 2017 mit über 30 Prozent der Stimmen. Heute ist das rechte Lager zersplittert, und die CSSD ist in sich heftig bekämpfende Lager gespalten. Sie leidet unter einem starken Mitgliederschwund und könnte bei den nächsten Wahlen den Einzug ins Parlament verpassen.

Die Proteste gegen Babiš sind ein Ausdruck der Wut gegen das gesamte politische Establishment, das in den letzten 30 Jahren das Land führte. Entgegen den Darstellungen, Tschechien sei von niedriger Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum gekennzeichnet, sieht die Realität für die einfache Bevölkerung anders aus. Eine jüngst veröffentlichte Umfrage kommt zu dem Ergebnis, dass 38 Prozent der über 40-Jährigen denken, dass ihr Leben vor 1989 besser war. Bei einfachen Arbeitern sind es sogar 52 Prozent.

Die Organisatoren der Proteste haben mit der breiten Masse der Bevölkerung nichts gemein. Angesichts der Massenproteste in zahlreichen anderen Ländern und der Wut gegen sämtliche Parteien, versuchen sie die Proteste zu kanalisieren und in reaktionäre Bahnen zu lenken. In den letzten Monaten war es gerade in Osteuropa immer wieder zu Streiks und Protesten gekommen, die den Unmut breiter Bevölkerungsschichten deutlich machten – so in Polen, Serbien und Albanien,

Die Hauptinitiatoren der Bewegung „Eine Millionen Momente für Demokratie“ stehen liberalen und konservativen pro-EU-Kräften nahe und wollen die Regierung zu einer stärker proeuropäischen Politik zwingen. „Wir machen keine weitere Revolution oder so etwas – wir versuchen tatsächlich, das zu bewahren, was 1989 erreicht wurde“, erklärte beispielsweise einer der Initiatoren, Benjamin Roll. Aus ihrer Sicht läuft die Korruption der gegenwärtigen Regierung den Interessen der EU zuwider.

Angeführt wird die Bewegung von dem Theologiestudenten Mikuláš Minář. Erklärtes Ziel ist es, sich so gut als möglich von den Parteien zu distanzieren. Das dies nur Augenwischerei ist, machte jedoch ein Treffen zwischen Vertretern der Bewegung und führenden Politikern der rechten Oppositionsparteien deutlich, von dem die Frankfurter Allgemeine berichtete.

Während einige rechte und liberale Parteien die Proteste unterstützen, stehen Gewerkschaften, Sozialdemokraten und Stalinisten ihnen feindlich gegenüber. Besonders die KSCM knüpft an die Tradition der stalinistischen Staatspartei an, die jede Regung der Bevölkerung unterdrückt hat. Nach den Protesten im Sommer hatte das Zentralkomitee der Partei eine Erklärung verabschiedet, die ausdrücklich Babiš‘ ANO unterstützte und deren rechte Agenda lobte. Proteste gegen die Regierung bezeichnete sie als „Destabilisierung der Tschechischen Republik“ und warnte vor dem Einfluss von „ausländischen Machtzirkeln“ und einem möglichen „Staatsstreich im Interesse rechter Machteliten“.

Dies macht deutlich, dass Arbeiter und Jugendlich in Tschechien und ganz Osteuropa mit grundsätzlichen Fragen konfrontiert sind. Drei Jahrzehnte kapitalistischer Herrschaft haben nicht zu Demokratie und einem besseren Lebensstandard der Arbeiterklasse geführt, wie es ihnen von den Verteidigern den kapitalistische Restauration versprochen wurde.

Tatsächlich war die Folge eine soziale Katastrophe und der Aufstieg parasitärer, rechter Elemente wie Babiš. Die sich entwickelnde Bewegung der Arbeiterklasse muss ihnen mit einer sozialistischen und internationalen Perspektive entgegentreten. Das erfordert den Aufbau von Sektionen des IKVI in Tschechien und Osteuropa, um den beginnenden Kämpfen eine sozialistische Führung zu geben.

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