Corona-Pandemie: Das Impfdebakel begünstigt die Ausbreitung neuer Mutanten

Weit über 100 Millionen Menschen haben sich weltweit mit Sars-CoV-2 infiziert, und mehr als 2,2 Millionen sind daran gestorben. In Deutschland sind bisher nahezu 57.000 Patienten dem Virus zum Opfer gefallen. Ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie spitzt sich die Lage weiterhin bedrohlich zu.

Patient auf einer Intensivstation (ICU) [Quelle: Wikimedia Commons]

Das hochgelobte „Licht am Ende des Tunnels“, das Impfen der Bevölkerung, erweist sich als wahres Debakel. Die EU und die deutsche Bundesregierung haben sich nicht darum gekümmert, den Impfstoff in ausreichender Menge für ganz Europa sicher bereitzustellen. Sie haben diese Vorsorge stattdessen Milliarden-schweren privaten Pharmakonzernen übertragen. Die Impfhersteller – BionTech-Pfizer, Moderna, AstraZeneca – haben riesige Liefermengen zugesagt, um die lukrativen Aufträge der EU zu bekommen. Nun können sie sie überhaupt nicht erfüllen.

Das Ergebnis ist ein zunehmend offen geführter, gehässiger Handelskrieg auf europäischer Ebene. Gleichzeitig stehen hunderte Impfzentren seit fast zwei Monaten leer, während sich neue, noch gefährlichere Virus-Mutanten rasch ausbreiten.

Die Sozialistischen Gleichheitsparteien, ihre Jugendorganisation IYSSE und die World Socialist Web Site rufen Arbeiter, Lehrer, Erzieher, Studierende und Schüler dazu auf, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ein europaweiter Generalstreik muss einen koordinierten Shutdown in Europa durchsetzen, der auch die nicht-systemrelevanten Produktions- und Dienstleistungsbetriebe stilllegt und die Schulen und Kitas schließt, bis die Pandemie unter Kontrolle ist. Die IYSSE organisiert am heutigen Montag zu dem Thema eine Online-Versammlung.

Damit wenden sich SGP, IYSSE und WSWS ausdrücklich gegen rechte Politiker, Journalisten und Prominente, die jetzt das chaotische Impfdebakel nutzen, um Nationalismus zu verbreiten und die Öffnung von Wirtschaft und Schulen zu verlangen. Ein Beispiel ist der CDU-Landrat Stephan Pusch aus NRW, der am Freitag auf Facebook forderte: „In zwei Wochen, und das ist ein dringender Appell, müssen Schulen wieder öffnen.“

Landrat Pusch ist als Krisenmanager in Heinsberg, dem ersten stark von Corona betroffenen Landkreis, bekannt geworden und hat dafür von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuz erhalten. Im Interview mit mehreren Medien wiederholte er später, Schulen und Geschäfte müssten endlich wieder geöffnet werden: „Peu à peu muss auch bei der Wirtschaft wieder gelockert werden (…) Da tickt eine Zeitbombe.“

Zum Impfchaos kritisierte Pusch, dass die Bundesregierung den Impfstoff über die EU habe ordern wollen: „Als die Pandemie ausbrach, haben wir erlebt, wie die Nationen rund um den Globus sich wahre Angebotsschlachten um Schutzmasken lieferten. Vor dem Hintergrund zu glauben, beim Impfstoff werde die Staatengemeinschaft schiedlich, friedlich teilen, war naiv“, sagte Pusch, der damit klar für einen noch stärkeren nationalen Alleingang eintrat.

Dabei zeigt gerade die Ausbreitung der neuen Virus-Mutanten aus Großbritannien, Südafrika oder Brasilien die völlige Untauglichkeit und den Bankrott solcher nationalen Alleingänge.

Immer neue Ausbrüche mit der neuen, in Großbritannien entdeckten Mutanten werden bekannt. Mittlerweile gibt es schon hunderte Fälle solcher Virus-Mutanten, und die Dunkelziffer ist sehr hoch, wie selbst das RKI einräumt. 64 Fälle von Infektionen mit solchen Virus-Mutanten sind allein in Köln entdeckt worden, wie Johannes Nießen, Leiter des Gesundheitsamtes Köln, auf WDR berichtete. Sie wurden in vier Kitas, einer Flüchtlingsunterkunft und zwei Krankenhäusern festgestellt.

Vor kurzem warnte der Charité-Virologe Dr. Christian Drosten unmissverständlich: „Wir sind in einer brenzligen Situation, das muss man sich klarmachen.“ Im Corona-Update des NDR erläuterte er, was die Konsequenz einer verfrühten Lockerung unter den Bedingungen einer weiteren Ausbreitung solcher Virus-Mutanten sein könnte: Selbst wenn es gelingen sollte, dass die Alten alle geimpft und geschützt würden (was er nicht für möglich hält), dann „könnten wir in kurzer Zeit extrem viele Infektionen haben. In England gab es täglich um die 60.000 neue Infektionen.“

Es könnte aber noch viel weiter gehen, so Drosten: „Dann hätten wir eine Situation mit 100- bis 120.000 Infektionen am Tag (…) Das sind dann deutlich jüngere Leute, die dann auch schwer erkranken. Denn wir wissen ja, dass auch Leute ohne Risiko schwer erkranken und auf der Intensivstation landen.“

Dieses Phänomen ist tatsächlich schon in mehreren Krankenhäusern und Kitas zu beobachten. Da sich die Mutanten insgesamt leichter ausbreiten, stecken sich zwangsläufig auch mehr Kinder und Jugendliche damit an. Im Ergebnis sind in den letzten Tagen sogar Kinder so schwer erkrankt, dass sie beatmet werden mussten.

„Was sich unschön entwickelt – das muss man wirklich sagen – ist die Situation bei den Kindern“, sagte der Leiter des niedersächsischen Krisenstabs, Heiger Scholz, vor wenigen Tagen. Er berichtete, dass unter den Covid-19-Patienten, die in seinem Bundesland beatmet werden müssten, derzeit auch zwei Kinder seien. Insgesamt seien in Niedersachsen acht Kinder mit Covid-19 im Krankenhaus.

In Hamburg-Altona haben sich in der Kita „Elbpiraten“ nicht weniger als 13 von insgesamt 14 Erziehern mit Corona angesteckt, wobei nicht bekannt ist, mit welchem Virus. Bei den Kindern sind 18 von insgesamt 35 Kindern infiziert, und auch zahlreiche Familienmitglieder sollen bereits betroffen sein.

Auch in Freiburg wurde in einer Kita bei 18 Kindern und Erziehern eine mutierte Variante des Coronavirus nachgewiesen. Dies veranlasste die Landesregierung unter Winfried Kretschmann (Grüne), ihre Pläne zu ändern, nach denen sie – entgegen bundesweit geltenden Regeln – die Schulen schon am heutigen 1. Februar wieder öffnen wollte. Noch wenige Tage zuvor hatte Kretschmann bei Lanz vehement für diese Schulöffnung plädiert: Man solle doch „nicht ewig so tun, als seien Grundschulen und Kindergärten das Problem dieser Pandemie. Das ist einfach nicht der Fall.“

In der TV-Sendung „Anne Will“ warnte der Intensivmediziner Uwe Janssens derweil vor einer „furchtbaren dritten Welle“, falls sich das brasilianische Virus ausbreiten sollte. In den letzten Tagen gab es schon mehrere schreckliche Ausbrüche an Kliniken in verschiedenen Bundesländern.

Am Dienstag, dem 26. Januar musste das Bayreuther Klinikum einen Aufnahmestopp und eine Quarantäne über 3000 Mitarbeiter verhängen, nachdem ein neuer Ausbruch der Virus-Mutante B.1.1.7 mit insgesamt 99 Fällen festgestellt worden war. Nun nimmt das Klinikum nur noch Patienten auf, die einen absoluten Notfall darstellen.

Davor waren schon das Humboldt-Klinikum in Berlin-Reinickendorf und die Medius-Klinik Nürtingen wegen ähnlicher Ausbrüche komplett unter Quarantäne gestellt worden. Während in Berlin ebenfalls die Mutante B.1.1.7 festgestellt wurde, hat man in Nürtingen Coronaviren zweier anderer neuer Mutanten entdeckt. Auch in Niedersachsen und NRW kam es zu neuen Ausbrüchen an den Kliniken.

In diesen völlig abgeriegelten Krankenhäusern unterliegen die Beschäftigten einer so genannten „Pendel-Quarantäne“, und das bedeutet enorme zusätzliche Belastungen für sie. Sie dürfen nur noch zwischen Arbeit und Wohnung „pendeln“, nicht jedoch auf der Straße spazieren, die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, ja nicht einmal einkaufen, den Müll runterbringen oder den Briefkasten leeren.

„Wo ist der Shuttleservice, wo Einkaufsservice, wo Kinderbetreuung?“ fragen Pflegekräfte verzweifelt unter dem Twitter-Hashtag #pendelquarantäne. Eine Nutzerin schreibt: „Das Wort ‚Pendel-Quarantäne‘ ist ein heftiger Euphemismus. Es müsste eher ‚Isolation mit Arbeitsverpflichtung‘ heißen, und das ist noch das am wenigsten drastische, was mir dazu einfällt.“

Auch in den Betrieben wächst die Ansteckungsgefahr. Bei Airbus ist die britische Mutante bei weiteren fünf Corona-positiven Mitarbeitern des Hamburger Werks nachgewiesen worden. Damit haben sich sieben der bisher positiv getesteten 21 Airbus-Beschäftigten mit dieser Variante angesteckt. Die WSWS schrieb darüber: „Der Ausbruch bei Airbus zeigt einmal mehr, dass Arbeiter in Bezug auf die hohen gesundheitlichen Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, völlig auf sich allein gestellt sind. Konzern, Behörden und Betriebsrat fühlen sich den Bankkonten der Aktionäre verpflichtet, anstatt dem Leben und der Gesundheit der Belegschaft.“

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