Angesichts der intensiven Bemühungen der Regierungen, Schülerinnen und Schüler inmitten eines beispiellosen Massensterbens zurück in den Präsenzunterricht zu schicken, organisieren zahlreiche Schülerinitiativen im ganzen Bundesgebiet Schulstreiks und bereiten weitere Aktionen vor.
Im Saarland trafen die Pläne, fast 10.000 Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen zurück in die Schulen zu schicken, auf breite Opposition unter Jugendlichen sowie Lehrern und Eltern. Für Schüler, die die Prüfung zur Allgemeinen Hochschulreife ablegen, begann Präsenzunterricht offiziell bereits Anfang letzter Woche. Am Montag folgten dann die Schüler der Hauptschul- und Mittleren Bildungsabschlussklassen.
Wie die Saarbrücker Zeitung berichtete, blieben am Montag vergangener Woche die Abiturjahrgänge von vier Gemeinschaftsschulen der Region geschlossen zuhause, ebenso wie die Hälfte des Abiturienten der Gemeinschaftsschule Saarbrücken-Rastbachtal. Am Freitag trat auch der Abiturjahrgang der Paul-Weber-Schule in Homburg in einen „zunächst eintägigen Streik“.
Die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) inzenierte am Mittwoch daraufhin eine choreografierte Online-„Diskussion“, die von den beteiligten Schülervertreterinnen als „nicht zielführend“ bezeichnet wurde.
„Die Fragen und zurecht angebrachten Anregungen der Schülerseite wurden entweder mangelhaft oder gar nicht beantwortet“, zitiert das Nachrichtenmagazin sol.de eine Teilnehmerin. Das Ministerium rede „viel drum herum“ und versuche, von der eigenen lebensgefährlichen Politik abzulenken. Gerade in den Abschluss- und Oberstufen führe der alternierende Präsenzunterricht dazu, dass zwischen 50 und 60 Haushalte miteinander in Kontakt kommen. Man werde „gezwungen, seine Gesundheit in der Hochphase der Pandemie zu gefährden“, so die Schülerinnen und Schüler.
Neben dem ungeschützten Präsenzunterricht in Schulgebäuden verwies Schülervertreterin Selina Birk auch auf die große Ansteckungsgefahr, die allein schon mit dem Schulweg und der Fahrt in voll besetzten und unsicheren Bussen und Bahnen verbunden ist.
Die Ministerin hingegen betonte, wie wichtig es inmitten der Pandemie sei, dass Schülerinnen und Schüler „ihren Abschluss machen“, und beharrte auf der gemeinsamen Linie des Bund-Länder-Gipfels: „Die Schulen schließen als Letztes und öffnen als Erstes.“
Auf Facebook erklärte Selina mit Blick auf das Zusammentreffen mit der Ministerin: „Es gibt für mich kein Argument, das gegen den Schutz der Gesundheit spricht. Wer hier eine politische Debatte verpackt, hat den Ernst der Lage nicht verstanden.“
In einer Petition gegen den Präsenzunterricht, die bereits von fast 5000 Menschen unterzeichnet wurde, fasst Selina die menschenfeindliche Politik der Regierung wie folgt zusammen: „Monatelang wurden Vorbereitungen getroffen, um einen Onlineunterricht im Falle eines Lockdowns zu errichten. Bei den höchsten Infektionszahlen (weit über 20.000 Neuinfektionen und über 1000 Toten) im Laufe der Corona-Krise wird diese Möglichkeit nun verwehrt, indem Schüler, Lehrer und Familien schutzlos dem Risiko ausgesetzt werden.“
Auch die brandenburgische „Schülerinitiative Theodor-Fontane-Gymnasium Strausberg“ fordert eine „Verlagerung des Unterrichts nach Hause“ und ein „Aussetzen der MSA-Prüfungen“, um „weitere Menschenleben zu retten“. Die Petition der Schüler stellt fest: „Seit dem 04.01.2021 werden die Abschlussklassen wieder in den Schulen Brandenburgs unterrichtet. Mit dieser Entscheidung werden tausende Familien in Gefahr gebracht.“
Den Schülern der zehnten Klassen zufolge ist der Fernunterricht im Verlauf der letzten Monate „deutlich leichter und unkomplizierter geworden, sowohl für Lehrer als auch für Schüler“. Doch die jetzige Form des Präsenzunterrichts zwinge Lehrer stattdessen dazu, „innerhalb einer Unterrichtseinheit von einer Hälfte der Klasse zur anderen in einem anderen Unterrichtsraum [zu] wechseln“. Dies wird von Lehrern bestätigt, die in den Sozialen Medien von einer Doppelbelastung durch Hybridunterricht berichten – hervorgerufen durch die Untätigkeit der Bildungsminister.
Unter Berufung auf die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) und auf Studienergebnisse des Charité-Virologen Professor Christian Drosten schlussfolgern die Schüler: „Wir sehen Schulen als Orte der ungebremsten Verbreitung des Covid-19-Virus und seiner Mutationen.“
In Berlin hat eine Petition gegen Präsenzunterricht mittlerweile fast 52.000 Unterschriften erhalten – ähnliche Aufrufe existieren für fast alle Bundesländer. Die Wut richtet sich auch gegen die Gewerkschaften, die die unsichere Rückkehr an die Schulen unterstützen.
„Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßt, dass es am 18.1. wieder weitergehen soll“, stellt die Freiburger Schülerinitiative „Für sichere Schulen 79“ am 6. Januar in einem Instagram-Beitrag fest. Die Schüler fordern unter anderem „ständige Alternativen zum Präsenzunterricht“, „kostenlose Bereitstellung von digitalen Endgeräten“, „infektionssichere Arbeitsplätze für Schülerinnen und Schüler, die nicht zuhause lernen können“ sowie umfassende Unterstützung für Lehrer und Schulleiter. Außerdem müssten Maßnahmen „gegen Druck und Stress“ ergriffen werden, wie etwa eine „weniger strenge Bewertung von Aufgaben und Klausuren“ nebst „Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler über Art und Zeitpunkt der Leistungen“.
Zur Begründung heißt es in einer öffentlichen Erklärung der Schülerinitiative: „Niemand kann uns erzählen, dass für die oben genannten Maßnahmen nicht genügend Geld da sei. Immerhin wurden gerade erst 1,2 Billionen Euro für die Wirtschaftsrettung bereitgestellt, davon 9 Milliarden allein für die Lufthansa und 3 Milliarden für die Autoindustrie. Und auch für die Bundeswehr waren 50 Milliarden da. Es scheint, dass die Dividende von Aktionären und militärische Vorhaben wichtiger sind als unsere Gesundheit und Bildung.“
In Sachsen, wo die Öffnungspolitik der Regierung bereits zu überlasteten Krematorien und mit Leichnamen überfüllten Kühlhallen geführt hat, begann für die Abschlussklassen am Montag ebenfalls offiziell wieder der Präsenzunterricht. Die World Socialist Web Site sprach mit Joshi und Ferdi, zwei Mitgliedern der Initiative „Schulstreik 2021“, über ihren Streikaufruf und den Weg vorwärts im Kampf gegen Covid-19 und die Durchseuchungspolitik der Regierungen.
„Wir haben direkt nach der Veröffentlichung der Pläne der Regierung beschlossen, eine Petition aufzusetzen, Plakate zu entwerfen und einen Twitter-Account zu eröffnen“, berichtet Joshi. „Das wollten wir so früh wie möglich machen. Alle meine Freunde unterstützen diese Initiative, ebenso wie unsere Mütter, die beide ebenfalls Lehrerinnen sind. Mehrere andere Lehrer aus meiner Schule haben ebenfalls unterschrieben.“
Insgesamt haben innerhalb weniger Tage mehr als 2.600 Menschen die Petition unterschrieben, während Unterstützer der Initiative unzählige öffentliche Plakate aufgehängt haben.
In einem ihrer Statements schreiben die Schüler: „Wir haben es satt, dass das Kultusministerium monatelang die Warnungen und Mahnungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ignoriert und das Infektionsgeschehen an Schulen herunterspielt oder leugnet. (…) Es wurde bereits im Herbst sehr deutlich und von Politikern offen ausgesprochen, dass geöffnete Schulen wichtig sind, damit Kinder dort ‚aufbewahrt‘ werden können, um den Eltern das Arbeiten zu ermöglichen.“
Das Bildungsministerium von Christian Piwarz (CDU) hatte sich angesichts dieser Opposition kurzfristig gezwungen gesehen, Schülern am Montag eine freiwillige Testmöglichkeit zu gestatten – allerdings lediglich an 100 festgelegten Testschulen, zu denen die Anreise eigenständig erfolgen musste. „Obwohl insgesamt nur jeder Vierte Schüler getestet wurde, hat man daraufhin allein in einer Klasse drei Infizierte festgestellt“, berichtet Joshi. Trotzdem soll der Präsenzunterricht weiter unverändert stattfinden.
„Schülerinnen und Schüler werden unter einen enormen psychischen Druck gesetzt“, schlussfolgert Joshi. „Viele von uns tragen den Konflikt in sich, entweder Corona zu bekommen und damit ihre Eltern zu infizieren – oder möglichst zuhause zu bleiben und ihren Abschluss zu versemmeln. Ich selbst werde spätestens in ein paar Tagen ebenfalls zurückkehren müssen, weil ich sonst meine Prüfungen nicht schaffen werde. Dieser Druck muss unbedingt weggenommen werden – deshalb fordern wir eine Anpassung der Lehrpläne und Prüfungen und alternative Regelungen für die Abschlüsse. Für Schülerinnen und Schüler, die aufgrund der Pandemie Nachteile hatten, sollte es zusätzliche Nachhilfeangebote und Nachholtermine geben.“
Die Brutalität und Vehemenz, mit der die Öffnungspolitik in jedem Bundesland betrieben wird, macht deutlich, dass sich Schülerinnen und Schüler selbstständig in Aktionskomitees organisieren müssen, die unabhängig von den Gewerkschaften und Parteien sind. Wie in unzähligen Ländern in ganz Europa und weltweit hat die herrschende Klasse auch in Deutschland der Gesellschaft den Krieg erklärt. Die wichtigsten und stärksten Unterstützer des Kampfs für sichere Bildung werden die Schüler unter Lehrerinnen und Lehrern finden, sowie unter Arbeitern in den Betrieben, wo Massenausbrüche ebenfalls systematisch vertuscht werden.
Um diese gewaltige soziale Kraft zu mobilisieren, ist es nötig, für ein sozialistisches Programm zu kämpfen, das die Lebensinteressen der breiten Mehrheit der Bevölkerung höher stellt als die Profitinteressen der kapitalistischen „Wirtschaft“. Gemeinsam mit den Schulen und Kitas müssen auch Fabriken und Büros bei voller Lohnfortzahlung geschlossen werden, bis die Pandemie eingedämmt und vollständig unter Kontrolle gebracht wurde. Nehmt noch heute mit uns Kontakt auf, um die nächsten Schritte in diesem Kampf zu besprechen.