Daimler-Betriebsrat kündigt weiteren Arbeitsplatzabbau an: Mehrere Zehntausend Jobs in Gefahr

Der Daimler-Betriebsrat vertritt nicht die Interessen der Beschäftigten, sondern der Kapitaleigner und Konzernbosse und schlägt in ihrem Sinne Alarm. Anders kann man den Rundbrief nicht verstehen, den der Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht und sein Stellvertreter Ergun Lümali an die Mitarbeiter an die rund 300.000 Beschäftigten geschrieben haben.

Angesichts von Umsatzeinbrüchen und drohenden Gewinnrückgängen warnt der Betriebsrat vor einem sinkenden Aktienkurs und sieht die Dividenden in Gefahr. Daher seien ein weiteres Schrumpfen der Belegschaft und weitere Kürzungen im Sozialbereich unvermeidbar. Der bislang geplante Abbau von bis zu 15.000 Stellen reiche nicht aus und werde sich absehbar dramatisch erhöhen. Die Gespräche darüber hätten „zwischen Gesamtbetriebsrat und Unternehmensleitung begonnen“, schreiben die beiden Betriebsratsfürsten.

„Wir befinden uns in einer nie da gewesenen Situation“, heißt es in dem Schreiben. Neben der globalen Pandemie mit weltweit Millionen Erkrankten und vielen Toten, „befinden wir uns in einer globalen Wirtschaftskrise“. Wie lange dieser Zustand andauern werde, sei unklar. „Das heißt auch, Corona bleibt Job-Risiko Nummer eins.“

Wort für Wort wiederholen die Betriebsräte die Argumente des Vorstands und der Analysten. Die Autobranche habe noch Anfang des Jahres mit einem Verkauf von weltweit 90 Millionen Pkws und leichten Nutzfahrzeugen für 2020 gerechnet. Jetzt, gegen Ende des ersten Halbjahres, rechnen die meisten Fahrzeughersteller und Zulieferer mit maximal 70 Millionen verkauften Fahrzeugen bis zum Jahresende.

Die Unternehmensberatung Alix Partners erwartet einen knallharten Verdrängungswettbewerb. „Nur die finanz- und innovationsstarken Hersteller und Zulieferer überstehen die bevorstehende Marktbereinigung“, schreiben sie. Die Autobranche insgesamt „wird dieses Jahr wohl keine Gewinne erwirtschaften“, zitiert das Handelsblatt Elmar Kades, den Leiter der Autosparte bei Alix Partners. Der Absatz dürfte insbesondere in Europa erst in fünf Jahren wieder das Vorkrisenniveau erreichen.

Die Wirtschaftsberater Ernst & Young berichteten bereits am 11. Juni, dass der Gesamtgewinn der 17 größten Autokonzerne der Welt in den ersten drei Monaten des Jahres um 58 Prozent auf 7,5 Milliarden Euro und damit auf den niedrigsten Stand seit 2009 geschrumpft sei. „Der Umsatz ging um neun Prozent zurück, die Zahl der verkauften Neuwagen sank sogar um 21 Prozent.“

Constantin M. Gall, Leiter des Bereichs Automotive & Transportation bei Ernst & Young prophezeit noch schlimmere Zahlen: „Im ersten Quartal haben wir nur die anfänglichen Auswirkungen der weltweiten Covid-19-Pandemie gesehen. Das zweite Quartal wird noch sehr viel schlechter ausfallen. Dann wird die Autoindustrie weltweit tief in die roten Zahlen rutschen.“

Überall sind die Manager den Aktionären verpflichtet. Daimler-Chef Ole Källenius hat intern die Maxime ausgegeben: „Marge geht vor.“ Das bedeutet, dass die Belegschaften für die Aufrechterhaltung der Gewinnspanne zahlen. Schon vor einigen Wochen hatte er angekündigt: „Wir müssen handeln.“

Die Betriebsräte der IG Metall gehen dabei voran. Zu dem Absatzeinbruch durch die Corona-Krise komme noch der Umbau auf Elektromobilität und autonomes Fahren. Brecht und Lümali betonen: „Wir müssen den Transformationsprozess, in dem wir uns befinden, konsequent weiter vorantreiben. Dafür brauchen wir Investitionsbedarfe in Milliardenhöhe. Dieses Geld muss verdient werden – trotz Krise.“

Da das Geld aufgrund sinkender Nachfrage nicht ohne Weiteres verdient wird, soll es eingespart werden. „Kein Absatz, kein Umsatz“, schreiben die beiden Betriebsräte. Wie stark der „Corona-Schock“ die Autoindustrie wirtschaftlich treffe, „werden die Bilanzen des zweiten Quartals schonungslos offenlegen – und das gilt nicht nur für Daimler“. Die wirtschaftlichen Herausforderungen würden also steigen „und die Transformation unserer Branche zu einem noch größeren Kraftakt werden lassen“.

Diese Transformation müsse „von der Spitze aus“ gestaltet werden. Als Spitze sehen sich die beiden selbst. Daher spreche der Gesamtbetriebsrat bereits mit dem Management über den weiteren Abbau von Arbeitsplätzen.

Bislang sollte der verabredete Stellenabbau in indirekten Bereichen und der Verwaltung stattfinden. Nun sind auch die Produktionsarbeiter im Visier des Gesamtbetriebsrats. Brecht und Lümali bauen Druck auf: „Je nachdem wie sich die Nachfrage nach unseren Produkten entwickelt, ist nicht auszuschließen, dass sich die Personalmaßnahmen standort- und funktionsabhängig auch auf die Produktionsbereiche ausweiten können.“

Der Druck sei enorm und steige weiter. „Auch die wirtschaftliche Situation wird sich erst einmal verschärfen.“ Selbst wenn die Kurzarbeit wieder rückläufig sein werde, „beabsichtigt der Vorstand die Fixkosten zu reduzieren und Abläufe zu ändern“. Deshalb wolle der Vorstand auch an die Strukturen ran.

Källenius hatte bereits angekündigt, Modelle, die kaum Rendite abwerfen, nicht weiter zu bauen, auch die Zahl der unterschiedlichen Motoren zu reduzieren. Covid-19 habe aus Sicht des Skandinaviers, schreibt das Handelsblatt, nichts weniger als „die Achillesferse der Autoindustrie offengelegt“. Lange Entwicklungszyklen und zu hohe Fixkosten würden die Branche angreifbar machen.

Brecht und Lümali geben an, über drei zentrale „Projekte“ zu verhandeln. Erstens will Daimler seine IT-Prozesse unter dem Motto „Twice as Fast“ mit deutlich weniger Beschäftigten bewerkstelligen. Geplant ist, schon bis Mitte des nächsten Jahres zentrale Servicefunktionen an externe Firmen auszulagern. „Weltweit sollen insgesamt 2000 Beschäftigte, davon nahezu 900 in Deutschland, durch einen Betriebsübergang in diese Fremdfirmen übergehen“, schreiben Brecht und Lümali.

Zweitens plant der Autobauer, seine erst im vergangenen Jahr überarbeitete Konzernstruktur mit drei eigenständigen Sparten – Auto, Lastwagen, Mobilitätsdienste – erneut umzubauen. So soll die Daimler AG als Holdinggesellschaft mit ihren 6000 Beschäftigten personell verkleinert werden. „Derzeit gibt es Überlegungen, Verwaltungs- und Zentralbereiche von der Daimler AG in die Spartengesellschaften zu verschieben“, berichten die Betriebsräte in ihrem Rundschreiben an die Belegschaft.

Drittens prüft Daimler laut den Betriebsräten, ob administrative Tätigkeiten in Teilen des Personal- und Finanzwesens gebündelt werden können. „Darüber hinaus gibt es Ideen, Teilumfänge in GmbH-Strukturen zu überführen. Die Folgen wären ein Personalabbau bzw. weitere Betriebsübergänge“, drohen Brecht und Lümali.

Das Handelsblatt schreibt unterdessen, dass im Führungskader „längst über Kapazitätskürzungen diskutiert“ werde. „Mittelfristig müssen wir unsere Kapazitäten um zehn bis 20 Prozent reduzieren, um die Werke auslasten zu können. Nur China ist davon ausgenommen“, zitiert die Finanzzeitung einen Manager. „Es sei ‚inhärent wichtig‘, die Sparziele zügig auszuweiten, ergänzt eine weitere Führungskraft.“

Das heißt, die Daimler Führungsetage diskutiert den Abbau von zigtausenden Arbeitsplätzen. Deshalb waren sie auch mit einem internen Schreiben, von dem die Stuttgarter Nachrichten im April berichtet hatten, auf kaltblütige Entlassungsgespräche eingestimmt worden.

Der Brief der beiden Vorsitzenden des Daimler-Gesamtbetriebsrates verdeutlicht einmal mehr, dass die Beschäftigten nicht nur mit dem Management, sondern auch mit dem Betriebsrat und der IG Metall konfrontiert sind. Die beiden Betriebsratsfürsten stehen an der Spitze eines Heers von betrieblichen Funktionären, mit denen die IG Metall in den Werken für Ruhe und Ordnung sorgt – und für die reibungslose Durchsetzung der Angriffe auf die Belegschaften.

Dafür werden sie überaus großzügig bezahlt, um nicht zu sagen „geschmiert“: Michael Brecht,erhielt als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats,2019 insgesamt eine halbe Million Euro. Sein Vertreter im Gesamtbetriebsrat Ergun Lümali erhielt letztes Jahr insgesamt 280.000 Euro für seinen Sitz im Aufsichtsrat. Das sind nur zwei von Tausenden IGM-Funktionären, die durch Millionenzahlungen sozial und politisch an die Konzernspitzen und ihre Aktionäre gebunden werden.

Deshalb halten sie es auch für abwegig, die Milliarden, auf denen die Konzerne sitzen, für die Belegschaften anstatt für die Aktionäre einzusetzen. Laut Ernst & Young verfügen die Autokonzerne über ein großes Finanzpolster. „Zum Ende des ersten Quartals verfügten die 17 größten Autokonzerne der Welt über liquide Mittel in Höhe von 207 Milliarden Euro – 13 Prozent mehr als drei Monate zuvor“, schrieben sie in ihrer Pressemitteilung.

Um die Arbeitsplätze zu verteidigen, müssen Autoarbeiter mit den Gewerkschaften und ihren gekauften Betriebsräten brechen, unabhängige Aktionskomitees bilden, sich international zusammenschließen und für ein sozialistisches Programm kämpfen. Es ist notwendig, die gesamte Autoindustrie – Hersteller und Zulieferer – in demokratisch kontrolliertes gesellschaftliches Eigentum zu überführen, um die Milliarden für die Aktionäre in die Sicherung der Arbeitsplätze umzuleiten.

Siehe auch:

130.000 Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie gefährdet
[11. Juni 2020]

Daimler schult Führungskräfte für Rausschmiss von Arbeitern
[30. April 2020]

Baut Aktionskomitees in den Betrieben auf!
[23. Mai 2020]

Konzerne nutzen Corona-Krise für Massenentlassungen und Sozialabbau
[6. Juni 2020]

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