In der vergangenen Woche vertrieb die Polizei die letzten Umweltaktivisten aus dem Dannenröder Forst. Sie räumte eine Rodungsstrecke, die sich auf insgesamt knapp drei Kilometer belief. Am Samstagmorgen setzten schwer bewaffnete Polizeieinheiten trotz Schnee und Temperaturen um den Gefrierpunkt auch Wasserwerfer und laut Augenzeugenberichten Tränengas ein.
Insgesamt dauerte der Großeinsatz der Polizei nahezu vier Wochen, wobei die Einheiten einen regelrechten Krieg gegen die Umweltaktivisten führten. Immer wieder kam es zu lebensgefährlichen Auseinandersetzungen und Unfällen, bei denen Demonstranten durch den Polizeieinsatz verletzt wurden. Unter anderem gab es zwei Abstürze von demonstrierenden Waldbesetzern, die derzeit mit schweren Wirbelsäulenverletzungen im Krankenhaus liegen.
Der jüngste Absturz ereignete sich am 21. November. Eine Frau stürzte im südlichen Bereich des Waldes von einer Plattform zwischen Bäumen aus vier bis sechs Metern Höhe zu Boden. Eine Demonstrantin, die ihren Namen nicht nannte, berichtete, mehrere Polizisten seien auf ein markiertes Sicherungsseil getreten. „Da stand drauf: ‚Achtung, wenn Sie hier drauftreten, fällt ein Mensch runter‘,“ erklärte sie. „Die Polizei ließ das Seil los, und dann ist es gerissen.“
Für den ersten der beiden Fälle soll ebenfalls ein Polizist verantwortlich gewesen sein. Dabei stürzte am 15. November eine 20-Jährige von einem sogenannten Tripod – einem dreibeinigen Gestell – etwa drei bis vier Meter in die Tiefe und erlitt schwere Verletzungen. Die Frau werde im Krankenhaus behandelt, Lebensgefahr bestehe nicht, hieß es in einer Mitteilung. Inzwischen steht fest, dass der 40-jährige Beamte, der sich etwa 30 Meter von dem Tripod entfernt aufhielt, ein mit dem Gestell verbundenes Seil auf Kopfhöhe entdeckt und dieses durchtrennt hatte. Gegen ihn wird der Staatsanwaltschaft zufolge wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Körperverletzung im Amt ermittelt.
Seit dem 1. Oktober war an Rodungstagen eine vierstellige Zahl von Polizisten aus einem Umkreis von 150 Kilometern aktiviert worden, berichtet der GdP-Vorsitzende des Bezirks Mittelhessen, Harald Zwick. Auch aus anderen Bundesländern kamen Einsatzkräfte, darunter welche, die bei der ebenso brutalen Räumung des Hambacher Forsts in Nordrhein-Westfalen Erfahrung gesammelt hatten. In besonders brisanten Situationen kamen auch die martialisch bewaffneten SEK-Höheninterventionsteams der hessischen Polizei zum Einsatz.
Unter den angegriffenen Demonstranten befanden sich viele Kinder und ältere Menschen. Die Aktivistin Kathrin Henneberger berichtet von einem „aktiven Einsatz“ von Elektroschockern, der in zwanzig Metern Höhe stattgefunden haben soll. Wiederholt gingen die Beamten mit Schlagstöcken auf Menschen los und nahmen zahlreiche Aktivisten fest.
Mit ihrem brutalen Vorgehen will die Regierung nicht nur den Weiterbau der Autobahn A49 durchsetzen, sondern auch ein Exempel gegen jede Form von linkem und antikapitalistischem Protest statuieren.
Neben der Klimastreik-Bewegung „Fridays for Future“ haben sich viele weitere öffentlich bekannte Personen mit den Protesten solidarisiert, darunter die deutsche Sea-Watch-Kapitänin und Umweltaktivistin Carola Rackete. Sie argumentierte, dass inmitten der Klimakrise Bäume unsere wichtigsten Verbündeten seien. Zu ihrem Protest erklärte Rackete: „Ich bin hier oben, weil seit 30 Jahren die CO2-Emissionen immer weiter steigen und weil all die Petitionen und internationalen Abkommen nichts bringen.“
Auch der Pianist Igor Levit, der regelmäßig an Protestaktionen gegen die faschistische AfD teilnimmt, unterstützte die Besetzung des Dannenröder Forsts mit einem Klavierkonzert, das er mitten im Wald veranstaltete. Das Konzert wurde mit Funklautsprechern zu den Umweltschützern im Wald übertragen.
Der bürgerkriegsähnliche Polizeieinsatz im Dannenröder Forst ist Bestandteil einer umfassenden Polizeistaatsaufrüstung. In den letzten Jahren wurden in nahezu allen Bundesländern neue drakonische Polizeigesetze verabschiedet, die auf die umfassende Unterdrückung und Überwachung der Bevölkerung abzielen. In Hessen hat die schwarz-grüne Landesregierung vor zwei Jahren eines der schärfsten Polizeigesetze Deutschlands auf den Weg gebracht. Es erlaubt der Polizei unter anderem mittels des sogenannten „Hessentrojaners“ in Smartphones und Computer einzudringen, obwohl der Polizei geheimdienstliche Methoden eigentlich verboten sind.
Auch den Einsatz im Dannenröder Forst unterstützten die Grünen. Der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) bezeichnete den Weiterbau der A49 zwar wiederholt als „falsche Entscheidung“, doch sie sei demokratisch zustande gekommen und höchstrichterlich bestätigt worden. „Ob es mir passt oder nicht“, so der Grüne gegenüber der taz „die Rechtslage ist eindeutig, und ich muss mich an sie halten. Ich bin nicht Donald Trump, ich halte mich an Gesetze und akzeptiere Gerichtsentscheidungen.“
Al-Wazirs seichte Kritik an Trump kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Polizeimethoden der schwarz-grünen Landesregierung an dessen brutales Vorgehen gegen friedliche Protestierende erinnern. In den USA nahm die Polizeigewalt in diesem Jahr rasant zu, was mit dem grausamen Mord an George Floyd durch einen Polizeibeamten am 25. Mai in aller Schärfe zum Ausdruck kam. Der Beamte drückte ihm über acht Minuten lang das Knie in den Nacken, bis er keine Luft mehr bekam und erstickte. Seitdem sind in den USA mindestens 235 Menschen von der Polizei ermordet worden. Im Schnitt werden jeden Tag fast drei Menschen von der Polizei erschossen.
Auch in Deutschland und Europa reagiert die herrschende Klasse mit zunehmender Brutalität auf die wachsende soziale und politische Opposition, die durch die tödliche Pandemie-Politik der herrschenden Klasse weiter verschärft wird. In Frankreich bereitet die Macron-Regierung ein „globales Sicherheitsgesetz“ vor, das de facto jede Video-Dokumentation der massiven Polizeigewalt gegen Streiks und Proteste im ganzen Land kriminalisiert.
In Deutschland positionieren sich vor allem die Grünen immer offener als Partei des Polizeistaats. In ihrem Ende November verabschiedeten neuen Grundsatzprogramm heißt es im aggressiven „Law and Order“-Ton: „Polizei und Sicherheitsorgane garantieren die Sicherheit im Innern… Dafür brauch[en] sie eine gute Ausstattung und ausreichend Personal – in der Stadt wie auf dem Land.“ Wofür diese benötigt wird, unterstreicht die Gewalt im Dannenröder Forst.