Attentäter von Wien stand unter Aufsicht der Behörden

Die Reaktionen auf den brutalen Terroranschlag, der am Montag in Wien vier Todesopfer und 22 Verletzte forderte, folgen einem wohlbekannten Muster. Politiker auf der ganzen Welt äußern ihr Entsetzen, drücken ihr Beileid aus – und fordern im selben Atemzug die Aufrüstung von Polizei und Geheimdiensten sowie ein härteres Vorgehen gegen Migranten.

„Wir werden den Terrorismus gemeinsam entschlossen bekämpfen“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und kündigte für das kommende Jahr eine neue EU-Agenda zur Terrorismusbekämpfung an. „Der islamistische Terror ist unser gemeinsamer Feind. Der Kampf gegen diese Mörder und ihre Anstifter ist unser gemeinsamer Kampf“, verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn forderte „eine Strategie gegen den Islamismus“. Innenminister Horst Seehofer versprach, die Sicherheitslage Europas zum Thema des nächsten Treffens der EU-Innenminister am 13. November zu machen.
„Wir können den Terroristen und ihren Hintermännern nur gemeinsam das Handwerk legen.“

Der Staatssekretär im deutschen Innenministerium, Stephan Mayer (CSU), verlangte, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um ausreisepflichtige Gefährder und Intensivstraftäter in ihre Heimatländer abzuschieben. Andrea Lindholz (CSU), Vorsitzende des Innenausschusses des deutschen Bundestags, forderte „moderne Befugnisse zur Überwachung verschlüsselter Messenger-Dienste im begründeten Verdachtsfall“.

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte in einem Interview mit der Welt: „Die EU muss das Problem des politischen Islams künftig viel stärker in den Fokus rücken. Ich erwarte mir ein Ende der falsch verstandenen Toleranz und endlich ein Bewusstsein in allen Ländern Europas, wie gefährlich die Ideologie des politischen Islams für unsere Freiheit und für das europäische Lebensmodell ist.“

Der Präsident des EU-Parlaments, Antonio Tajani, forderte den Aufbau eines europäischen FBI, um die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten europaweit zu koordinieren.

Der französische Präsident Emmanuel Macron twitterte in fehlerhaftem Deutsch: „Wir, Franzosen, teilen den Schock und die Trauer der Österreicher nach einer Angriff in Wien. … Dies ist unser Europa. Unsere Feinde müssen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Wir werden nichts nachgeben.“

US-Präsident Donald Trump schrieb auf Twitter: „Nach einem weiteren abscheulichen Terrorakt in Europa sind unsere Gebete bei den Menschen in Wien.“ Seinem Herausforderer Joe Biden warf er vor, er wolle die Zahl der Flüchtlinge aus terroristischen Nationen um 700 Prozent erhöhen und „den gesamten Mittleren Westen in ein Flüchtlingslager verwandeln“.

Das Mantra, der Schutz vor Terroranschlägen erfordere eine weitere Aufrüstung des Staatsapparats und schärfere Maßnahmen gegen Migranten, blendet die wirklichen Hintergründe derartiger Anschläge und insbesondere die Rolle, welche die Geheimdienste dabei spielen, gezielt aus. In Wirklichkeit dient der Terroranschlag in Wien – wie zuvor ähnliche Anschläge in Frankreich, Großbritannien und Deutschland – den Regierungen als willkommener Vorwand, einen Polizeistaat aufzubauen, der nicht die Bevölkerung vor terroristischen Anschlägen, sondern die Herrschenden vor der Wut der Bevölkerung schützt.

Als Folge der Corona-Pandemie, die wegen der kriminellen Politik der Regierungen allein in Europa bereits 280.000 Todesopfer gefordert hat, und der tiefsten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren rechnen die Herrschenden mit heftigen Klassenkämpfen. Die ehemals reformistischen Parteien und Gewerkschaften sind so weit nach rechts gerückt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, solche Kämpfe zu kontrollieren und in harmlose Bahnen zu lenken. Deshalb wird der staatliche Überwachungs- und Repressionsapparat systematisch ausgebaut.

Bezeichnend für den Anschlag in Wien ist, dass er buchstäblich unter den Augen der Polizei stattfand. Der 20-jährige Kujtim Fejzulai, der mit einem AK-47-Sturmgewehr, einer Faustfeuerwaffe und einer Machete bewaffnet durch die Wiener Innenstadt zog und wahllos auf Passanten schoss und einstach, war den Behörden bestens bekannt.

In Wien geboren und aufgewachsen, besaß Fejzulai die österreichische und die nordmazedonische Staatsbürgerschaft. Im September 2018 wurde er in der Türkei verhaftet und in Österreich zu 22 Monaten Haft verurteilt, weil er sich dem Islamischen Staat in Afghanistan und Syrien hatte anschließen wollen. Nach acht Monaten Haft kam er im Dezember 2019 auf Bewährung frei.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) behauptete nach dem Attentat, der Terrorist habe es geschafft, „die Justiz zu täuschen“. Der Verein Derad, der auf die Deradikalisierung islamistischer Straftäter spezialisiert ist und Fejzulai betreute, widersprach dem. Fejzulai habe nie als „deradikalisiert“ gegolten und sei strikten Bewährungsauflagen unterworfen gewesen.

Das hinderte ihn aber nicht daran, im Juli 2020 in die Slowakei zu reisen, um Munition für das Sturmgewehr AK-47 zu kaufen. Wie die slowakische Zeitung Denník N unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, erhielt er die Munition nicht, weil er keinen Waffenschein vorweisen konnte. Stattdessen informierten die slowakischen Behörden ihre österreichischen Kollegen über den Besucher und sein Kaufinteresse. Das österreichische Innenministerium hat dies dem Rechercheverbund aus Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR auf Anfrage bestätigt.

Die österreichischen Behörden waren also gewarnt. Doch obwohl sie Fejzulai aufgrund der Bewährungsstrafe sofort hätten festnehmen können, ließen sie ihn gewähren. Ob Elemente im österreichischen Sicherheitsapparat, der von 2017 bis 2019 dem rechtsextremen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) unterstellt war, selbst in den Anschlag verwickelt sind, oder ob sie nur gezielt wegschauten, darüber lässt sich nur spekulieren. Dass es sich aber lediglich um „Pannen“ handelte, ist nicht glaubhaft. Der Attentäter kann dazu nicht mehr verhört werden, er wurde von der Polizei erschossen.

Inzwischen hat sich der Islamische Staat hinter die Tat gestellt und der IS-nahe Propagandakanal Amaq hat ein Video veröffentlicht, in dem sich Fejzulai zur Tat bekennt. Die österreichischen Behörden haben mehrere Personen festgenommen und ermitteln gegen mindestens 14 Leute aus dem Umfeld des Attentäters. Auch in der Schweiz wurden im Zusammenhang mit dem Wiener Anschlag zwei junge Männer festgenommen. Ob sie Teil einer Organisation sind oder lediglich in losem Kontakt zum Attentäter standen, ist bisher nicht bekannt.

Bei fast allen größeren Terroranschlägen der letzten Jahre standen die Täter unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden. So wurde Anis Amri, der am 19. Dezember 2016 mit einem Lastwagen in einen Berliner Weihnachtsmarkt fuhr und zwölf Menschen tötete, von den Landeskriminalämtern NRW und Berlin und vom Verfassungsschutz überwacht. Mindestens einmal wurde er von einem V-Mann sogar persönlich mit dem Auto vom Ruhrgebiet (NRW) nach Berlin gefahren. Auch Cherif und Said Kouachi, die vor sechs Jahren in den Büros der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo ein Massaker verübten, waren den französischen Behörden seit mehr als zehn Jahren bekannt und standen unter Beobachtung.

Islamistische Terrororganisationen wie der IS oder al-Qaida, die für die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA verantwortlich war, verdanken ihre Entstehung den imperialistischen Kriegen im Nahen Osten und unterhalten nicht selten Beziehungen zu imperialistischen Geheimdiensten. So wurde al-Qaida ursprünglich von der CIA gefördert, um islamistische Kämpfer gegen die sowjetische Armee in Afghanistan zu rekrutieren. IS-nahe Gruppen wurden in Libyen und Syrien eingesetzt, um Muammar Gaddafi und Bashar al-Assad zu stürzen, bevor sie sich im Irak verselbständigten.

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