Perspektive

Wer ist für die Terroranschläge in Frankreich verantwortlich?

Der Terroranschlag auf die Büros von Charlie Hebdo in Paris in der vergangenen Woche wird nicht nur von Frankreich zynisch ausgenutzt, sondern auch von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten. Er wird genutzt, um eine völlig reaktionäre Agenda durchzusetzen. Angriffe auf demokratische Grundrechte, die sich schon jetzt im massiven Einsatz von Polizei und jetzt sogar von 10.000 Soldaten äußern, gehen Hand in Hand mit Vorbereitungen, Kriege im Ausland voranzutreiben, vornehmlich im Nahen Osten und Nordafrika.

Der entscheidende Komplize bei dieser orchestrierten Kampagne, das Entsetzen und die Furcht der Öffentlichkeit über die Anschläge zu manipulieren und kritische Fragen abzuwehren, sind die unterwürfigen etablierten Medien in Frankreich und weltweit. Sie versuchen plumpe antimuslimische Stimmungen zu schüren und die Täter als Feinde „westlicher Freiheiten“ hinzustellen. Dadurch soll vor allem eine Untersuchung der Frage verhindert werden, wer die zentrale politische Verantwortung für die Schießerei trägt.

Viele der Hauptverantwortlichen waren unter den “Weltführern” zu finden, die an der Spitze der offiziellen Demonstration am Sonntag in Frankreich marschierten. Sie waren an dem amerikanischen „Krieg gegen den Terror“ und den Gräueltaten in überwiegend muslimischen Ländern beteiligt, die eine ganze Generation von Jugendlichen im Nahen Osten, Nordafrika und Asien empört haben.

In Frankreich selbst hat die Politik von Präsident Francois Hollande und seines Vorgängers Nicolas Sarkozy zu hoher Arbeitslosigkeit und Armut unter Einwanderern geführt. Das hat zusammen mit islamophoben Maßnahmen wie dem Verbot der Burka und des muslimischen Kopftuchs einen fruchtbaren Boden für die Rekrutierung von rechten islamistischen Organisationen geschaffen.

Aber auch in einem viel unmittelbareren Sinn trägt der französische Staatsapparat Verantwortung für den Anschlag der letzten Woche. Niemand sollte den Erklärungen der Polizei und der Geheimdienste Glauben schenken, dass die Angreifer auf Charlie Hebdo und der Schießerei in dem koscheren Lebensmittelladen einfach durch das Überwachungsnetz geschlüpft seien.

Die beiden Brüder, die die Büros von Charlie Hebdo angriffen, Cherif und Said Kouachi, waren den französischen Behörden seit mehr als zehn Jahren bekannt. Auch die Vereinigten Staaten und Großbritannien waren ihnen auf der Spur.

Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve gab vergangene Woche zu, dass die beiden vor dem Attentat “wahrscheinlich unter Beobachtung standen” Er behauptete aber, dass es keine Anzeichen für einen bevorstehenden Überfall gegeben habe. Cherif war schon 2005 verhaftet und verurteilt worden, weil er versucht hatte, heimlich in den Irak zu reisen, um sich einer fundamentalistischen islamischen Gruppe anzuschließen. Anonyme amerikanische Vertreter gaben an, dass Said 2011 in den Jemen gereist sei und dort eine Waffenausbildung bei al-Qaida auf der arabischen Halbinsel erhalten habe.

Ahmed Koulibaly, der den koscheren Laden in seine Gewalt brachte, wurde wegen bewaffnetem Raubüberfall verurteilt und es war bekannt, dass er in Paris in extreme islamistische Kreise geraten war. 2009 wurde er festgenommen und angeklagt, versucht zu haben, den verurteilten U-Bahn- Bomber Smain Ait Ali Belkacem von der Gruppe Bewaffnete Islamische Gruppe Algeriens zu befreien. Auch Cherif Kouachi wurde in diesem Fall verhört, aber nicht angeklagt. Coulibaly wurde erst im März 2014 aus dem Gefängnis entlassen.

Die Schießereien der vergangenen Woche in Paris folgen einem bekannten Muster im “Krieg gegen den Terror”. Praktisch alle an Terroranschlägen in den imperialistischen Zentren Beteiligten, angefangen mit den Anschlägen vom 11. September und beim Boston Marathon, über die Bombenanschläge auf die Londoner U-Bahn und die Bahnhöfe in Madrid bis hin zu der Belagerung des Cafés in Sydney im letzten Monat, hatten unerklärte, verdächtige Beziehungen zu den Sicherheitsbehörden des jeweiligen Landes.

Ein Artikel auf Euronews mit dem Titel “Schlüsselfragen der Morde bei Charlie Hebdo noch unbeantwortet“ fragt, warum die französischen Sicherheitsbehörden, kein schärferes Auge auf die Täter hatten. „Vielleicht, weil der französische Staat, wie schon oft in der Vergangenheit, versucht hat, Terroristen umzudrehen und für sich arbeiten zu lassen?“, fragt er. „Die Kouachis waren vielleicht Kandidaten für eine solche Rolle, aber niemand in Paris wird im Moment bereit sein, so etwas zuzugeben, selbst wenn das ein legitimes Mittel der Gegenspionage ist – nicht im Moment!“

Es ist einfach nicht glaubhaft, dass die drei Männer in der Lage gewesen sein sollen, einen komplizierten Plan mit automatischen Waffen und Sprengstoff auszuarbeiten und auszuführen ohne die passive Komplizenschaft, wenn nicht mit der aktiven Beteiligung von Elementen im Staatsapparat. Noch seltsamer ist die anscheinende Flucht der Freundin von Coulibaly. Hayat Boumeddiene, die als Zeugin im Zusammenhang mit den Morden gesucht wird. Details sind noch unklar, aber sie scheint ohne Hindernisse die Grenze nach Spanien überquert zu haben, wo sie einen Flug in die Türkei nahm, von wo aus sie über die Grenze nach Syrien wechselte.

Die offene und verdeckte Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Sicherheitskräften mit islamistischen Extremistenorganisationen hat eine lange Geschichte. Am stärksten war sie bei den berüchtigten und umfangreichen CIA-Operationen in den 1980er Jahren mit denen Dschihadisten und die Vorläufer von al-Qaida gegen das von der Sowjetunion unterstützte Regime in Afghanistan finanziert, bewaffnet und ausgebildet wurde. Die Umstände, unter denen bekannte al-Qaida-Leute in die USA einreisen, sich ausbilden und die Anschläge vom 11. September ausführen konnten, sind bis heute völlig ungeklärt.

Im Interesse seiner kolonialen Ambitionen in Nordafrika und im Nahen Osten stand der französische Imperialismus an vorderster Front bei dem Regimewechsel in Libyen 2011 und danach in Syrien. Mit al-Qaida verbündete islamistische Milizen bildeten den Kern der Bodentruppen, die mit der Unterstützung von Nato-Luftangriffen den libyschen Führer Muammar Gaddafi stürzten und ermordeten. Sie kämpfen jetzt in dem entstandenen Chaos gegeneinander um die Vorherrschaft.

In Syrien ist Frankreich aktiv in die Kampagne der USA involviert, die sogenannten Rebellen zu finanzieren, zu bewaffnen und auszubilden, die den byrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu stürzen versuchen. Die meisten der Rebellen gehören islamistischen Gruppen an. Das Ziel des jüngsten Kapitels des „Kriegs gegen den Terror“, der Islamische Staat im Irak und in Syrien (Isis), ist ein Produkt des Stellvertreterkriegs in Syrien.

Die französischen Operationen in Libyen und Syrien stehen in der langen, kriminellen Tradition des französischen Imperialismus, die zweifelhaftesten und gewalttätigsten Elemente in seine Fremdenlegion zu rekrutieren, damit sie seine Drecksarbeit in den Kolonien erledigen. Inwieweit und warum der Staatsapparat in die Anschläge der letzten Woche, passiv oder aktiv, verwickelt war, wird zweifellos verschleiert werden. Es wird keine ernstzunehmende Untersuchung der Angriffe geben, weil das nur zu deutlich entlarven würde, wie sie ausgenutzt werden, um demokratische Rechte abzuschaffen, den Militär- und Geheimdienstapparat aufzubauen und neue Kriege vorzubereiten.

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