Mit harten Polizeistaatsmaßnahmen reagiert Präsident Emmanuel Macron auf den Terroranschlag vom letzten Freitag, bei dem der Mittelschullehrer Samuel Paty in Conflans getötet worden war.
Der französische Staat hat bereits Hunderte von Menschen abgeschoben, und mehr als 50 muslimische Vereine sollen aufgelöst werden. Dutzende von Menschen, die in keinerlei Verbindung zu dem Terroranschlag stehen, werden verhaftet, oder ihre Wohnungen werden durchsucht. Außerdem versucht die Regierung, die freie Meinungsäußerung trotz gegenteiliger Behauptung zu kriminalisieren und die Anonymität in den sozialen Netzwerken abzuschaffen.
Macrons Politik unterscheidet sich in nichts von den faschistischen Hetztiraden der Rassemblement-National-Führerin Marine Le Pen. Er schürt eine Atmosphäre antimuslimischer Hysterie, um einen weiteren Rechtsruck des gesamten politischen Establishments zu rechtfertigen, die Befugnisse der Polizei auszuweiten und die demokratischen Rechte der Bevölkerung einzuschränken.
Mit seiner Rede vor dem nationalen Verteidigungsrat am Sonntagabend gab Macron den Ton der Kampagne vor. Er erklärte: „Die Angst wird jetzt die Seiten wechseln ... Die Islamisten dürfen in unserem Land nicht friedlich schlafen.“ Der Fraktionschef der konservativen Partei Les Republicains im Senat, Bruno Retailleu, rief daraufhin offen zu Gewalt auf und forderte „Waffen statt Tränen“. Er warf Macron vor, er führe einen „lexikografischen Kampf, während ein Teil des Landes sich über die grundlegenden Werte Frankreichs hinwegsetzt“.
Marine Le Pen forderte den Einsatz von Gewalt und attackierte Politiker, die „wollen, dass wir Mahnwachen mit Kerzen abhalten“.
Premierminister Jean Castex gab am Sonntag bekannt, das Innenministerium habe die sofortige Ausweisung von 231 Menschen aus Frankreich beantragt. Sie stünden bereits wegen islamischer Radikalisierung unter staatlicher Beobachtung, hätten aber keinerlei Verbindung zum Terroranschlag vom 16. Oktober.
Innenminister Gerald Darmanin verkündete am Montag in einem Interview mit dem Radiosender Europe 1 eine Reihe von weiteren Polizeistaatsmaßnahmen und lobte Le Pen, die Chefin des Rassemblement National, persönlich.
Er erklärte: „Seit heute morgen finden Polizeioperationen statt, die in den kommenden Stunden und Tagen fortgesetzt werden.“ Weiter erklärte er, „Dutzende von Personen“, gegen die sich die Maßnahmen richten, stehen „nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit den Ermittlungen“ zum Anschlag vom 16. Oktober. Vielmehr handele es sich um Personen, „an die wir klar und deutlich die Botschaft schicken wollen, die der Präsident vor dem Verteidigungsrat angekündigt hat: keine ruhige Nacht für die Feinde der Republik.“
Darmanin fügte hinzu, die Regierung habe bereits eine Liste von 51 Vereinen zusammengestellt, die in den kommenden Tagen als so genannte Feinde der Republik legal aufgelöst werden sollen. Diese Liste wurde noch nicht veröffentlicht, allerdings umfasst sie die Rechtsberatungsorganisation Collectif contre l'islamophobie en France (CCIF), die gegen die Diskriminierung von Muslimen kämpft. Die Regierung hat nicht versucht, irgendeinen Beweis dafür vorzulegen, dass die CCIF in Verbindung zur Ermordung Patys steht.
Paty, der an einer Mittelschule in Conflans nordwestlich von Paris Geografie unterrichtet hatte, wurde von dem 18-jährigen tschetschenischen Immigranten Abdoullah Ansonow angegriffen, als er nach dem Ende des Schultags das Gebäude verließ. Ansonow stach mehrfach auf Paty ein, bevor er ihn auf der Straße enthauptete. Offensichtlich wurde er durch eine Hetzkampagne in den sozialen Netzwerken gegen Paty zu der schrecklichen Tat verleitet. Im Rahmen dieser Kampagne hatte der Vater eines Schülers ihm anti-islamisches Verhalten vorgeworfen.
Paty hatte in seiner Klasse im Rahmen einer Debatte über „Meinungsfreiheit“ eine anti-islamische Karikatur des Magazins Charlie Hebdo gezeigt. Zuvor hatte er angeboten, wer das Bild beleidigend finde, könne das Klassenzimmer verlassen.
Die Ereignisse dieser Woche haben wieder einmal die völlig bankrotte und reaktionäre Perspektive des Terrorismus offengelegt. Patys Tod ist nicht nur eine Tragödie, sondern wird auch von der herrschenden Klasse Frankreichs ausgenutzt, um Angriffe auf die Rechte von Millionen von Arbeitern zu rechtfertigen.
Der einzige Zusammenhang zum CCIF, den Innenminister Darmanin vorlegte, war die Tatsache, dass der Vater von Patys Schüler andere dazu aufgerufen hatte, den CCIF zu kontaktieren, um ihre Opposition gegen Paty zum Ausdruck zu bringen. Außerdem erklärte Darmanin, er „hoffe“, dass das CCIF legal aufgelöst werden könne, weil es „von der Regierung Unterstützung und Steuervorteile erhält und die Islamophobie der Regierung verurteilt“. Die Regierung habe mehrere Anhaltspunkte für ihre Ansicht, CCIF sei der Republik "feindlich gesinnt“.
Bisher wurden laut Darmanin bereits 80 Menschen wegen ihrer Online-Kommentare verhaftet, die „in der einen oder anderen Weise“ angedeutet hätten, dass es mit Paty „den Richtigen getroffen“ habe.
Er fügte hinzu, die Regierung werde möglicherweise sogar diejenigen, die vor dem Anschlag auf Paty auch nur Kritik an ihm gepostet hatten, als Komplizen eines terroristischen Mordes anklagen. Damanin erklärte: „Ich möchte sagen, dass ich mit dieser Vorstellung übereinstimme, denn sie haben durch ihren Hass in den sozialen Netzwerken ein Verbrechen begünstigt.“
Darmanin machte deutlich, dass diese Maßnahmen Teil allgemeiner Bestrebungen sind, politischen Widerstand gegen die seit langem anhaltende Verfolgung von Muslimen in Frankreich zu kriminalisieren: „Politischer Islam führt manchmal zu Terrorismus, und man muss den politischen Islam mit der gleichen Stärke bekämpfen wie den Terrorismus.“
Der Innenminister erklärte außerdem, der Vater von einem von Patys Schülern habe eine „Fatwa“ gegen diesen verhängt. Rein faktisch ist das offensichtlich falsch, denn eine Fatwa ist eine nicht bindende juristische Meinung über eine Frage des islamischen Rechts, ausgesprochen von einer Autoritätsperson, zum Beispiel einem Gelehrten. Es ist keine öffentliche Verurteilung, verhängt durch eine Person, die zufällig Moslem ist. Doch Darmanin geht es nicht um Tatsachen, sondern um antimuslimische Provokationen. Er hat den Begriff direkt aus dem Vokabular der extremen Rechten übernommen.
Zwei Tage zuvor hatte der Abgeordnete des Rassemblement National, Jordan Bardella, behauptet, muslimische Eltern würden angeblich eine „Fatwa“ über die Lehrer ihrer Kinder verhängen, weil diese im Unterricht „Meinungsfreiheit“ lehrten.
Die Macron-Regierung verfolgt direkt die Politik des Rassemblement National. In einem weiteren Interview mit Europe 1 fand ein ungewöhnliches Gespräch statt, das verdeutlicht, in welchem Ausmaß die herrschende Klasse Frankreichs faschistische Kräfte fördert. Die Interviewerin Sonia Mabrouk fragte Darmanin: „Es gibt jemanden, der aber noch nicht an der Macht ist, der sagt: ,Schluss‘ mit der Politik der Mahnwachen, ,Schluss‘ mit dieser Politik, und das ist Marine Le Pen. Hat sie unrecht?“
Daraufhin erklärte Darmanin: „Ich respektiere Madame Le Pen genauso wie alle Männer und Frauen in der Politik.“ Er kritisierte sie dann dafür, dass sie die Polizeistaatsmaßnahmen der Regierung nicht unterstütze, und erklärte: „Le Pen begrüßt die Bedingungen, die sie an die Macht bringen könnten, aber sie stimmt für keins der Gesetze, die wir vorschlagen, und für keine Maßnahme, die den Kampf gegen den Terror verstärkt. Sie hat die Abhörgesetze abgelehnt, die wir im europäischen Parlament eingebracht haben. Sie stimmt nicht für die Sicherheitsgesetze zur Stärkung des Inlandsgeheimdienstes.“
Darmanins Angriffe auf Le Pen von rechts entlarven die Behauptungen von Macrons Regierung, sie würde „Demokratie“ und „Meinungsfreiheit“ gegen den Islam verteidigen. Macron, der den faschistischen Diktator Pétain 2017 als „großen Soldaten“ gewürdigt hatte, fördert direkt die extreme Rechte, um die Arbeiterklasse zu spalten und die Befugnisse der Polizei gegen die Bevölkerung auszuweiten.
Nachdem die Streiks und Proteste der „Gelbwesten“ zwei Jahre lang brutal von der Polizei unterdrückt wurden, bereitet sich die herrschende Klasse Frankreichs auf einen neuen Ausbruch gesellschaftlicher Wut vor.
Das gesamte politische Establishment und sein angeblich „linker“ Flügel haben sich einstimmig hinter Macrons Kampagne gestellt. Der Parteichef von la France Insoumise, Jean-Luc Mélenchon, erklärte, auch er werde Macrons antiislamisches Gesetz unterstützen, wenn es am 9. Dezember dem Parlament vorgelegt wird. Während die Macron-Regierung offen die Politik des Rassemblement National übernimmt, Muslime bösartig attackiert und einen Polizeistaat aufbaut, behauptet Mélenchon, Arbeiter und Jugendliche müssten Macrons Forderung nach „nationaler Einheit“ unterstützen.