Eltern in Großbritannien streiken gegen Bedrohung durch Covid-19

Die Gruppe „Boycott Return to Unsafe Schools: Parents United“ („Boykottiert den unsicheren Schulbeginn: Vereinigte Lehrer“) hat für den heutigen Donnerstag zu einem Elternstreik aufgerufen. Er richtet sich gegen den Entschluss der Johnson-Regierung, die Schulen offenzuhalten – inmitten einer Pandemie, die bereits fast 400 Todesopfer pro Tag fordert.

Der Streik fällt zeitlich mit dem Beginn eines einmonatigen „Lockdowns“ zusammen, der von der konservativen Regierung am Samstag angekündigt wurde und zugleich vorsieht, dass Schulen, Hochschulen, Universitäten und die Mehrheit der Arbeitsplätze weiterhin geöffnet bleiben.

„Wir haben gewartet, bis die Zeit reif ist, um zu streiken. Diese Zeit ist jetzt gekommen“, erklärte die Gruppe in einer am Montag veröffentlichten Facebook-Erklärung.

Die Streikaktion am Donnerstag findet zur selben Zeit statt wie Streiks von Tausenden Lehrern in ganz Frankreich, die sich gegen die unsichere Wiederöffnung von Schulen zur Wehr setzen. Zu den Lehrern gesellten sich gestern auch Streiks von Schülern in Paris, die mit Polizeigewalt, unter anderem dem Einsatz von Tränengas, beantwortet wurden. Die Bedingungen sind reif für eine gemeinsame Offensive von Eltern, Schülern und Lehrern in ganz Europa gegen die Strategie der Herdenimmunität, mit der die kapitalistischen Regierungen Leben opfern, um ihre Profite zu verteidigen.

Bis zum Dienstag haben sich in Großbritannien mehr als 1.000 Eltern als Unterstützer des Elternstreiks angemeldet, trotz einer Schweigekampagne der großen Medien.

In ihrem Aufruf zum Handeln verurteilt „Boycott Return to Unsafe Schools“ (BRTUS) die „gefühllose und rücksichtslose Entscheidung der Johnson-Regierung, Russisches Roulette mit dem physischen, emotionalen und mentalen Wohlbefinden unserer Kinder, des Schulpersonals des Landes und unserer Gemeinden zu spielen“.

Laut den jüngsten Zahlen des britischen Office for National Statistics sind mehr als 8.000 Schulen von Covid-19 befallen, und 148 Pädagogen und Schulmitarbeiter sind an dem Virus bereits gestorben. Seit der Schulöffnung wurde unter den Elf- bis 16-Jährigen ein Anstieg der Infektionsrate um atemberaubende 2.000 Prozent verzeichnet. Zusammen mit den Universitäten sind die Schulen für ältere und gefährdetere Gruppen zu den wichtigsten Übertragungsorten von Covid-19 geworden.

Als am Samstag die Nachricht durchsickerte, dass Schulen von Johnsons „Lockdown“ ausgenommen sein würden, brach sich die soziale Wut Bahn. Die obersten Trend-Begriffe auf Twitter waren #CloseSchoolsNOW („Schließt die Schulen JETZT“) und #PutSchoolsintheLockdown („Stellt die Schulen unter Lockdown“). Eine im Netz veröffentlichte Petition zur Schließung von Schulen und Colleges hat bereits mehr als 380.000 Unterschriften erhalten.

Doch die Gewerkschaft National Education Union (NEU) hat nicht die Absicht, diese Stimmung zu mobilisieren und hat sich felsenfest gegen jeden Aufruf zum Streik gewandt, der der mörderischen Politik der konservativen Regierung entgegentreten würde. Mit dem nahenden Winter werden Lehrer und Schüler in überfüllte und schlecht belüftete Klassenzimmer getrieben, ohne Schutzausrüstung, ohne Abstand und mit einem dysfunktionalen Test- und Nachverfolgungssystem.

Am Montag sandte BRTUS einen Brief an die NEU mit der Bitte, „Schulter an Schulter“ mit den Eltern zu stehen. Sie erhielten keine Antwort darauf.

Vor einigen Monaten hatte die Gewerkschaft Kontakt zu BRTUS aufgenommen und von ihnen verlangt, das Wort „Boykott“ aus ihrem Namen zu streichen. Die Gewerkschaft unterstrich damit ihre volle Unterstützung für die Schulöffnungen und ihre Ablehnung jeglicher Mobilisierung gegen die Johnson-Regierung.

Einem Streik, der Eltern, Lehrer und Schüler vereint, steht die NEU feindlich gegenüber. Johnsons Entschlossenheit, die Schulen offen zu halten, genießt die volle Unterstützung des Labour-Führers Sir Keir Starmer und des Gewerkschaftskongresses. Sie alle sind sich einig, dass die Interessen der City of London und der Superreichen vor der öffentlichen Gesundheit und dem Leben der Arbeiterklasse Vorrang haben müssen.

Wie notwendig gemeinsames Handeln ist, um Leben zu retten, zeigt sich in ganz Großbritannien an den massiven Infektionsraten. In Übereinstimmung mit dem Rat von Epidemiologen und Experten für öffentliche Gesundheit hat BRTUS ein fünfstufiges Ampelsystem entwickelt, das anzeigt, wann Schulen geschlossen werden sollten: niedrig, mittel, hoch, sehr hoch und kritisch.

Auf der „hohen“ Stufe, die bei 50 Fällen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen erreicht ist, empfiehlt BRTUS die Schließung von Schulen. Wenn es mehr als 100 Fälle pro 100.000 Menschen gibt, sind dringende Maßnahmen der Regierung erforderlich. In der „kritischen“ Phase, mit mehr als 250 Fällen pro 100.000 Menschen, gilt die Regierungspolitik als „völlig gescheitert“.

Wie die BRTUS-Live-Map zeigt, gleicht der größte Teil Großbritanniens einem gescheiterten Staat: Mehr als drei Viertel seiner Fläche weisen einen „hohen“, „sehr hohen“ oder „kritischen“ Inzidenzwert auf. Dasselbe Muster zeigen die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder Europas und die Vereinigten Staaten, wo Millionen Menschen infiziert sind und Hunderttausende Menschen sterben.

Lucia, BRTUS-Mitglied und ehemalige Lehrerin, unterstützt den Elternstreik am Donnerstag: „Viele Eltern sind extrem frustriert, dass ihnen nicht die Wahl gelassen wird, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken wollen oder nicht. Es ist eine wirklich stressige Zeit für die Familien.

Das Lehrpersonal, darunter auch mein Mann, arbeitet ungeschützt, ohne Schutzausstattung und ohne Abstand – nur wenige Menschen wären bereit, unter diesen Bedingungen zu arbeiten.

In fast jedem anderen Land haben die Eltern die Wahl. Aber hier müssen wir mit Geldstrafen rechnen und werden mit Abmeldung bedroht, wenn wir zu Hause unterrichten, was bedeutet, dass [Kinder] ihren Schulplatz verlieren. Es werden Geldstrafen verhängt, in einigen Fällen kumulativ. Uns kann sogar mit Gefängnis gedroht werden.

Im Juni und Juli entschieden sich zwei Drittel der Eltern, ihre Kinder nicht zurück in die Schule zu schicken. Wenn Sie den Eltern die Wahl lassen, werden sie ihre Kinder nicht zurückschicken. Die Aufrechterhaltung der Präsenzpflicht war ein Hebel, um die Eltern dazu zu bewegen, wieder zu arbeiten.“

Der Elternstreik am Donnerstag macht ein koordiniertes Netzwerk von Aktionskomitees erforderlich, das Eltern mit Lehrern, Schülern und breiteren Teilen der Arbeiterklasse verbindet. Solche unabhängigen Komitees sind notwendig, weil die Gewerkschaften und die Labour Party den Kapitalismus verteidigen, jeden Kampf ablehnen und de facto mit den Tories in einer „Regierung der Nationalen Einheit“ zusammenarbeiten.

Es besteht dringender Handlungsbedarf. Die Forderung nach einem politischen Generalstreik muss erhoben werden, um Schulen zu schließen und eine Politik durchzusetzen, welche die Bevölkerung schützt, für angemessenen Online-Unterricht sorgt und das Auskommen von Arbeitern verteidigt. Wenn nicht jetzt, wann dann? Alle Eltern mit Kindern im schulpflichtigen Alter müssen das volle Einkommen erhalten, damit sie sich um ihre Kinder kümmern können und Arbeiter in Schlüsselsektoren müssen Zugang zu kostenloser Kinderbetreuung – in der Schule oder Zuhause – erhalten, inklusive Schutzausrüstung und regelmäßigen Tests für Personal und Schüler.

Während die Parteien der Kapitalistenklasse behaupten, es gebe „kein Geld“ zur Finanzierung dieser lebenswichtigen Maßnahmen, muss die Arbeiterklasse antworten: Konfisziert den obszönen Reichtum der Milliardäre! Die Billionen von Dollar an Reichtum und Ressourcen, die von der Oligarchie monopolisiert wurden, müssen zur Finanzierung der öffentlichen Gesundheitssysteme verwendet werden, um allen Schülern den Zugang zu Online-Unterricht zu ermöglichen und sicherzustellen, dass alle während der Pandemie ein existenzsicherndes Einkommen erhalten. Solche notwendigen Maßnahmen können nur durch den unabhängigen und vereinten Kampf der Arbeiterklasse in Großbritannien, Europa und der ganzen Welt erreicht werden.

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