Gestern verweigerten Lehrkräfte vielerorts in ganz Frankreich den Unterricht. Es war der erste Schultag nach den Herbstferien, inmitten des erneuten Lockdowns, der von Präsident Emmanuel Macron jüngst verhängt worden ist. Es hat nicht lange gedauert, bis die Jugend und die arbeitende Bevölkerung den politischen Betrug hinter den neuen Lockdown-Maßnahmen erkannt hat, die jetzt von den Regierungen in ganz Europa verkündet werden.
Bei der Ankündigung des Lockdowns in der vergangenen Woche sagte Macron, dass Grund- und Mittelschüler weiterhin die Schule besuchen würden, damit ihre Eltern weiter arbeiten könnten. Da das Gesundheitsministerium zwei Drittel der Infektionscluster in Schulen oder am Arbeitsplatz verortet hat, versprach Macron verschärfte Schutzmaßnahmen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Dieses Versprechen war wertlos. Die aktuellen Schutzmaßnahmen lauten, das Abstandsgebot nur „sofern möglich“ umzusetzen. Für Schüler derselben Klassen- oder Jahrgangsstufe gilt es zudem als „nicht erforderlich“.
Und so werden in Europa jeden Tag eine Viertelmillion neuer Fälle von Covid-19 gemeldet – 52.518 in Frankreich, 22.253 in Italien, 21.926 in der Schweiz, 18.950 in Großbritannien, 18.340 in Spanien, 15.578 in Polen und 13.125 in Deutschland. Gleichzeitig sind Lehrkräfte und Schüler immer noch mit dreißig Personen in einem Klassenzimmer in den Schulen zusammengepfercht.
Schüler in Frankreich schließen sich mit Gymnasiasten in Griechenland und in Polen zusammen und bestreiken die Schulen. Jugendliche in ganz Europa stehen vor einem politischen Kampf.
Die Regierungen in ganz Europa handeln mit Verachtung für das Leben der Bevölkerung. Selbst nachdem Macron festgestellt hat, dass 400.000 Franzosen an Covid-19 sterben könnten, wenn keine Notfallmaßnahmen ergriffen würden, sind die Maßnahmen in Paris, London und Berlin inkonsequent: Im Gegensatz zum Lockdown im Frühjahr sollen Kinder zur Schule gehen und Beschäftigte in nicht-systemrelevanten Berufen ihrer Arbeit nachgehen, auch wenn sie sich dabei infizieren können.
Frankreichs Wissenschaftlicher Rat schätzt, dass solche Lockdowns die Reproduktionsrate (R-Wert) von Covid-19 auf einen Wert nur zwischen 0,9 und 1,2 senken, was bedeutet, dass die Zahl der täglich neu auftretenden Fälle nur sehr langsam sinkt oder sogar weiter exponentiell wachsen wird. „Es besteht große Unsicherheit über die Wirksamkeit der neuen, weniger strengen Maßnahmen“, warnt Simon Cauchemez, Mitglied des Wissenschaftlichen Rates. Da Frankreichs Intensivpflegebetten bereits zur Hälfte, in Spanien zu einem Viertel mit Covid-19-Patienten belegt sind, und der Rest Europas in kurzer Zeit in der gleichen Lage sein wird, droht ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems.
Die Behauptungen der europäischen Regierungen, mit der Pandemie intelligenter umgegangen zu sein als die Trump-Regierung, ist als zynischer und tödlicher Betrug entlarvt. Die europäischen Staatschefs handelten vielleicht nicht mit derselben krassen Arroganz wie der US-Präsident, Milliardär und Immobilienspekulant. Sie haben sich nicht geweigert, Masken zu tragen, sie vergleichen nicht Covid-19 mit der Grippe oder brüsten sich nach überstandener Infektion mit der außergewöhnlichen Qualität der medizinischen Versorgung, die sie im Vergleich zur überwältigenden Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung in ihren Ländern erhielten.
Hinter dem Anschein von Kompetenz verbergen sich jedoch massive Lügen. Die schwedische Politik der „Herdenimmunität“, die dem Virus freien Lauf lässt in der Hoffnung, dass die Bevölkerung am Ende immun ist, führte zu einer neunmal höheren Sterblichkeitsrate als im benachbarten Finnland. Dennoch wird diese Politik von allen europäischen Regierungen übernommen.
Wie alle Regierungsvertreter Europas hat auch Schwedens Chefepidemiologe Anders Tegnell bestritten, dass er eine Herdenimmunitätspolitik verfolge. Doch in einem nachträglich veröffentlichen Mailwechsel mit finnischen Behördenvertretern vom 14. März sprach sich Tegnell dafür aus, „Schulen offen zu halten, um schneller Herdenimmunität zu erreichen“. Demnach trat er, wie heute die Regierung Macron, dafür ein, Schulen offen zu halten, damit sich das Virus unter Lehrern, Schülern und dann unter der breiteren arbeitenden Bevölkerung verbreiten kann. Der britische wissenschaftliche Chefberater Sir Patrick Vallance sagte: „Es ist nicht möglich, jeden vor Ansteckung zu bewahren, und es ist auch nicht wünschenswert.“
Das deutsche Innenministerium berichtete in einem internen Papier, dass die unkontrollierte Ausbreitung des Virus im Jahr 2020 eine Million Deutsche das Leben kosten könnte. Doch "Mutti Merkel", wie die Medien die Bundeskanzlerin an die deutsche Bevölkerung vermarkten, prophezeite ohne jede Regung auf einer Pressekonferenz, dass sich 70 Prozent der deutschen Bevölkerung mit Covid-19 infizieren würden.
Die Krise der Pandemie kann nicht einfach dadurch gelöst werden, dass Trump oder ein anderer einzelner kapitalistischer Politiker seines Amtes enthoben wird. Die europäischen Regierungen verfolgen im Wesentlichen alle die gleiche Politik wie Trump, verfeinern aber den politischen Betrug. Aktuell sterben in ganz Europa jeden Tag etwa 2.500 Menschen an Covid-19, das sind 1.000 mehr als in Nordamerika.
Die Lockdowns in Europa im Frühjahr wurden von der Arbeiterklasse erzwungen. Im März breitete sich eine Welle von wilden Streiks zunächst in Auto-, Stahl- und Maschinenbaubetrieben in Italien aus, dem zunächst am schlimmsten betroffenen Land. Es folgten Spanien, Frankreich, Großbritannien und andere Länder. Die kapitalistischen Regierungen Europas versuchten dagegen abzuwiegeln und drängten auf eine frühzeitige Rückkehr zur Arbeit und zur Schule, noch bevor die Zahl der neuen Fälle auf Null gesunken war. Die katastrophalen Folgen dieser Politik sind jetzt offensichtlich.
Arbeiter und Jugendliche, die gegen die verbrecherische europäische Covid-19-Politik kämpfen, sollten das Argument, es sei kein Geld da für eine Politik des Zuhausebleibens – die einzige Möglichkeit, das Virus einzudämmen und einen Zusammenbruch des Krankenhauswesens abzuwenden – entschieden zurückweisen. Die Europäische Union (EU) verabschiedete einen Rettungsplan für Banken und Unternehmen in Höhe von 2 Billionen Euro und Großbritannien einen Rettungsplan für Banken in Höhe von 645 Milliarden Pfund. Es gäbe tatsächlich ausreichend Mittel, um sicherzustellen, dass Arbeiter, Selbständige und Kleinunternehmer zu Hause bleiben und ihr Lebensunterhalt dennoch gesichert ist.
Die Unfähigkeit der Regierungen in Europa, Amerika und anderswo, entschlossen zu handeln, um die Pandemie zu stoppen, spiegelt den Bankrott des Kapitalismus wider: Ein solches Vorgehen würde die materiellen Interessen der herrschenden Klasse verletzen. Die EU-Regierungen beabsichtigen nicht weniger als die US-Politik, dass gewaltige Mittel zur Rettung der Aktienportfolios von Milliardären und zur Steigerung der Konzernprofite eingesetzt werden, und nicht, um Leben zu retten.
Ein Teil dieser Gelder wurde über zahllose Betriebsräte und Stiftungen an Gewerkschaftsfunktionäre und ihre politischen Verbündeten weitergeleitet, damit diese bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Rückkehr an den Arbeitsplatz helfen. Und in diesem Herbst, als die Zahl der Fälle in die Höhe schnellte, die öffentliche Empörung wuchs und der Druck auf die Regierungen zunahm, einen neuen Lockdown zu verhängen, organisierten die Gewerkschaften und ihre Verbündeten keine Streiks. Noch vor wenigen Tagen lehnte Spaniens „linkspopulistische“ Podemos-Partei in der Koalitionsregierung mit den Sozialdemokraten die Forderungen der Regionalregierung Asturiens nach einem Lockdown mit Einstellung wesentlicher Wirtschaftsaktivitäten ab.
Der Ausweg für Arbeiter und Jugendliche im Kampf gegen die Pandemie besteht darin, eigene, von der Gewerkschaftsbürokratie unabhängige Sicherheitskomitees in Betrieben und Schulen zu bilden, um Gesundheit und Schutz am Arbeitsplatz sicherzustellen und einen größeren Kampf vorzubereiten. Der Kampf gegen ein globales Versagen des kapitalistischen Systems, durch das ein katastrophaler Verlust an Menschenleben droht, erfordert die umfassende Mobilisierung der Arbeiterklasse. Die europäischen Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale haben einen europäischen und internationalen Generalstreik vorgeschlagen.
Eine solche Aktion vorzubereiten, bedeutet jedoch, einen politischen Kampf für den Sozialismus aufzunehmen. Nur die Beschlagnahme des unrechtmäßig erworbenen Vermögens der Superreichen und der Kampf der Arbeiterklasse, die Macht zu übernehmen und das Wirtschaftsleben auf der Grundlage der sozialen Not statt des privaten Profits zu organisieren, können eine Katastrophe im Gesundheitsbereich abwenden. In Europa bedeutet dies, den Kampf der Arbeiterklasse für den Sturz der EU, die Übernahme der Staatsmacht und den Aufbau der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa zu unterstützen.