Urteil gegen griechische Faschisten: Pseudolinke schüren gefährliche Illusionen

Das oberste griechische Gericht hat am 7. Oktober die neofaschistische Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) als kriminelle Vereinigung eingestuft und fast alle der insgesamt 68 angeklagten Mitglieder wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährlicher Körperverletzung oder unerlaubtem Waffenbesitz verurteilt. Der Prozess gegen Chrysi Avgi hatte über fünf Jahre lang gedauert und sein Ergebnis war mit Spannung erwartet worden.

Am gestrigen Mittwoch verkündete das Gericht dann das Strafmaß für die Verurteilten. Parteichef Nikos Michaloliakos, ein Hitler-Verehrer und Holocaustleugner, muss 13 Jahre ins Gefängnis. 17 weitere Abgeordnete und Parteimitglieder erhielten Strafen zwischen fünf und 13 Jahren. Giorgos Roupakias wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Parteianhänger hatte gestanden, 2013 den antifaschistischen Rapper Pavlos Fyssas erstochen zu haben. Weitere Parteimitglieder müssen wegen Mittäterschaft sechs bis sieben Jahre ins Gefängnis. In den kommenden Tagen wird entschieden, ob einzelne Strafen zur Bewährung ausgesetzt werden.

Vor der Urteilsverkündung am 7. Oktober hatten sich mehr als 20.000 Menschen vor dem Gericht im Zentrum Athens eingefunden und das Urteil jubelnd begrüßt, unter ihnen die Mutter des ermordeten Rappers Fyssas und der frühere Ministerpräsident Alexis Tsipras (Syriza). Seither bemühen sich zahlreiche pseudolinke Organisationen, das Urteil als großartigen Sieg über den Faschismus darzustellen.

Die frühere Regierungspartei Syriza bezeichnete es „als wichtigen Meilenstein, als Durchbruch und neuen Ausgangspunkt für bevorstehende Kämpfe“.

Arbeitersolidarität, die Zeitung des griechischen Ablegers der International Socialist Tendency (IST), nannte das Urteil einen „kritischen Wendepunkt für die Kämpfe der Arbeiterklasse“. Selbst das Regierungslager der Nea Dimokratia habe sich der antifaschistischen Strömung beugen müssen. Der frühere ND-Vorsitzende und Regierungschef Samaras, „der die gemeinsame rassistische Kampagne der griechischen Polizei und Chrysi Avgis in Gang setzte“, erkläre „sich nun zum Antifaschisten“. Sein Nachfolger Mitsotakis, “der gemeinsam mit Chrysi Avgi die Proteste für Mazedonien pries“, jage „nun nach antifaschistischen Trophäen“.

Die Gruppe OKDE-Spartakos feiert das Urteil auf der Website des pablistischen Vereinigten Sekretariats, International Viewpoint, mit den Worten: „Zehntausende Arbeiter, Mitglieder von Gewerkschaften und politischen Organisationen, Arbeitslose, Migranten, Jugendliche und Antifaschisten haben eine Mauer gegen die faschistische Barbarei errichtet und einen historischen Kreislauf gestoppt, indem sie Chrysi Avgi und ihre Ableger ins Gefängnis und auf den Müllhaufen der Geschichte geschickt haben… Die Regierung von Mitsotakis musste, wie zuvor die Regierung von Samaras, unter dem Druck des massiven und vielseitigen antifaschistischen Kampfes ihre Blutbande zu den Nazis kappen und sie vor Gericht zerren.“

Diese Einschätzungen sind nicht nur naiv, sondern politisch kriminell. Sie entwaffnen die Arbeiterklasse gegenüber der faschistischen Gefahr, die mit der Verurteilung von Chrysi Avgi keineswegs gebannt ist. Mitsotakis und Samaras haben sich nicht zu Antifaschisten gewandelt und ihre „Blutbande zu den Nazis“ gekappt, sondern deren Politik übernommen.

Nachdem angeblich linke wie rechte Regierungen die griechische Bevölkerung jahrelang ausgeplündert haben, um die internationalen Banken und einheimischen Oligarchen zu bereichern, steckt das Land in der tiefsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, die durch die Corona-Pandemie dramatisch verschärft wird. Die Regierung antwortet darauf mit den Methoden von Chrysi Avgi: Sie schürt Nationalismus, misshandelt Flüchtlinge und bereitet einen Krieg gegen den „Erzfeind“ Türkei vor, der das Leben von tausenden jungen Soldaten gefährdet.

Das Anwachsen faschistischer Bewegungen auf der ganzen Welt – von den USA über Brasilien, die Philippinen, Deutschland, Italien, Ungarn usw. – zeigt, dass die Klassengegensätze ein Ausmaß angenommen haben, das sich nicht mehr mit demokratischen Mitteln überbrücken lässt. Konfrontiert mit wachsendem Widerstand gegen Armut, Militarismus und die katastrophalen Folgen ihrer Corona-Politik fördert und ermutigt die herrschende Klasse überall faschistische Banden, um diktatorische Herrschaftsformen zu errichten.

Wenn der Hitler-Verehrer Michaloliakos und seine engsten Kumpane vorübergehend hinter Gitter müssen, nachdem sie jahrelang mit staatlicher Unterstützung ungestört Migranten verprügeln, Arbeiter terrorisieren und linke Aktivisten ermorden konnten, hat das vor allem taktische Gründe. Die Regierung fürchtet, dass die wachsende Opposition gegen die Nazis zu einer Gefahr für die bürgerliche Herrschaft werden könnte.

Die Frage, ob sie ihre faschistischen Kampfhunde auf Arbeiter und Migranten loshetzt, sie zu deren Einschüchterung an der Leine hält oder sie vorübergehend einsperrt, war für die Bourgeoisie schon immer eine Frage der taktischen Zweckmäßigkeit. In Deutschland wurde die SA, der bewaffnete Arm der Nazis, noch im April 1932 verboten, weil die Gefahr bestand, dass eine bewaffnete Konfrontation mit einem Sieg der Arbeiterklasse enden würde. Nur neun Monate später betraute die herrschende Klasse Hitler mit der Führung der Regierung und stattete ihn mit diktatorischen Vollmachten aus.

Alle historischen Erfahrungen zeigen, dass der Faschismus in der griechischen Politik tiefe Wurzeln hat. Von den Kollaborateuren mit der Nazi-Besetzung, über die Diktatur der Obristen der Jahre 1967 bis 1974 bis zur Einbeziehung der völkisch-nationalistischen L.A.O.S. in die von der EU eingesetzten Technokratenregierung 2011 haben rechtsextreme Gruppen immer wieder eine führende Rolle gespielt.

Heute gibt es in Griechenland zahlreiche Aspiranten, die in die Fußstapfen von Chrysi Avgi treten können, falls deren Führer selbst nicht bald wieder freikommen. Einem Polizeibericht zufolge, der letzte Woche an die Öffentlichkeit durchsickerte, gibt es 16 rechtsextreme Gruppen, die das von Chrysi Avgi hinterlassene Vakuum füllen wollen. Eine von ihnen, Elliniki Lysi (Griechische Lösung), ist schon jetzt mit zehn Abgeordneten im griechischen Parlament vertreten. Auch eine Abspaltung von Chrysi Avgi, die im Juni von deren Sprecher Ilias Kasidiaris gegründet wurde, kommt in den Umfragen auf 1,5 bis 3 Prozent.

Vor allem im Staatsapparat haben die Faschisten eine starke Basis. 2012 wählten 23 Prozent aller Polizisten die Faschisten, während es in der Gesamtbevölkerung nur 7 Prozent waren. Die Haltung der Sicherheitskräfte zeigte sich auch nach der Verkündung des Urteils, als bewaffnete Polizisten der Spezialeinheit MAT die feiernden Massen vor dem Gerichtsgebäude mit Wasserwerfern, Tränengas und Knüppeln auseinandertrieben.

Syriza und die pseudolinken Gruppierungen, die das Gerichtsurteil als Sieg über den Faschismus feiern, haben selbst maßgeblich zu dessen Stärkung beigetragen – und tun dies auch weiterhin. Sie streuen der Bevölkerung Sand über die faschistische Gefahr in die Augen, weil sie als Vertreter wohlhabender Mittelschichten die kapitalistische Herrschaft verteidigen, die sich nur noch mit autoritären Methoden halten kann.

Die sozialdemokratische Pasok – und nach deren Kollaps Syriza – haben durch ihre nationalistische und arbeiterfeindliche Politik den Boden für die Rückkehr der Rechtsextremen bereitet, die nach dem Sturz der Militärdiktatur 1974 vollkommen diskreditiert waren. Die pseudolinken Gruppen in ihrem Umfeld haben diese Politik entweder abgedeckt oder offen unterstützt.

Chrysi Avgi war in den 1990er Jahren entstanden, als die damalige Pasok-Regierung eine giftige nationalistische Kampagne gegen Mazedonien führte und die Wirtschaft auf Kosten der Arbeiterklasse umstrukturierte. Der jetzt verurteilte Michaloliakos arbeitete damals für den griechischen Geheimdienst.

Den Höhepunkt ihres Einflusses erlebte Chrysi Avgi dann unter der Syriza-Regierung von Alexis Tsipras. Sie wurde mit 7 Prozent der Stimmen zur drittgrößten Partei, indem sie die Wut und Frustration über die von der Europäischen Union diktierte Sparpolitik und die Korruption im Staatsapparat ausbeutete, und stellte zeitweise bis zu 18 Abgeordnete im 300-köpfigen Parlament.

Syriza, die „Koalition der radikalen Linken“, hatte im Januar 2015 die Parlamentswahl gewonnen, weil sie ein Ende der EU-Sparpolitik versprach. Doch Tsipras bildete eine Koalition mit der rechtsradikalen ANEL (Unabhängige Griechen), verschärfte den Sparkurs und verhalf schließlich der Nea Dimokratia zurück an die Macht, die das Programm der Faschisten weitgehend übernahm.

Die Faschisten sind bisher keine Massenbewegung. Aber die Gefahr, dass sie an Einfluss gewinnen, ist groß, wenn ihnen die Arbeiterklasse nicht als unabhängige gesellschaftliche und politisch Kraft entgegentritt. Das erfordert einen vollständigen Bruch mit Syriza und ihrem pseudolinken Umfeld und den Aufbau einer Partei, die die Arbeiterklasse als Führerin aller unterdrückten Schichten hinter einem internationalen, sozialistischen Programm vereint – den Aufbau einer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Griechenland.

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