Griechische Schüler trotzen Erpressung und Gewalt der Regierung: Schulbesetzungen gehen weiter

Am vergangenen Donnerstag demonstrierten Tausende Schüler in mehreren griechischen Städten, darunter Athen und Thessaloniki, gegen die kriminelle Corona-Politik der griechischen Regierung unter der rechten Nea Dimokratia (ND). „Die Maske ist nicht der einzige Schutz – Gebt Geld für Bildung aus!“ und „Wir sind keine Kosten, wir sind die Zukunft!“ hieß es in Sprechchören und auf Transparenten. Neben den Kundgebungen wurden auch Vollversammlungen und Protestaktionen an Schulen abgehalten.

Seit den fahrlässigen Schulöffnungen vor zwei Wochen wehren sich die Schüler, mit Unterstützung von Eltern und Lehrern, in die heruntergekommenen Schulen zurückzukehren, wo sie der Gefahr des Coronavirus schutzlos ausgeliefert sind. Laut Bildungsministerium sind aktuell 141 Schulen ganz oder teilweise wegen einem Corona-Ausbruch geschlossen. Hunderte weitere Schulen wurden von Schülern besetzt. Die Jugendlichen fordern unter anderem kleinere Klassen von bis zu 15 Schülern, deutlich mehr Lehrkräfte und Reinigungspersonal, kürzere Unterrichtseinheiten, den Einsatz weiterer Gebäude sowie sichere und kostenlose Verkehrsmittel, die häufig fahren.

An den Protesten sind auch immer mehr Studierende beteiligt. In diesen Tagen sollen trotz steigender Corona-Zahlen in Griechenland die Hochschulen geöffnet werden. Am gestrigen Montag besetzten daraufhin Studierende das Rektorat der Aristoteles-Universität von Thessaloniki und forderten Sicherheitsmaßnahmen wie die Beschränkung der Personenzahl, die Bereitstellung weiterer Räume und Säle, kostenlose Tests sowie die Festeinstellung von mehr Dozenten und Reinigungskräften.

Die Kampfbereitschaft der Jugend hat die Regierung in Angst und Schrecken versetzt. Nach wie vor sind hunderte der ursprünglich über 700 bestreikten Schulen besetzt. Die Regierung versucht, die Bewegung mit brachialen Mitteln zu unterdrücken, damit sie sich nicht auf die gesamte Arbeiterklasse ausdehnt. Dabei setzt sie nicht nur auf Medienpropaganda und rechte Hetze, sondern geht zu offener Gewalt und Erpressung über.

Bei der Kundgebung auf dem zentralen Syntagma-Platz in Athen setzte die Polizei Tränengas gegen die Schüler ein und verhaftete zwei Demonstranten, 17 und 20 Jahre alt. Ebenfalls am Donnerstag begann eine neue Regelung des Bildungsministeriums zu greifen, die verpflichtenden Onlineunterricht für alle Schulen vorschreibt, die aktuell besetzt sind. Die bislang wegen Schulbesetzungen versäumten Unterrichtsstunden sollen an Samstagen, Feiertagen und Wandertagen nachgeholt werden.

Die Bildungsministerin Niki Kerameus (ND) legte dann am Tag der Demonstration noch einmal nach. Sie verkündete, dass alle Schüler, die an den Schulbesetzungen beteiligt sind, vom Onlineunterricht ausgeschlossen und mit Fehlstunden belegt werden. Diese Fehlstunden werde man in die „Verhaltensbeurteilung“ der Schüler im Zeugnis einfließen lassen – obwohl diese Verhaltensbeurteilung erst im September offiziell als verfassungswidrig und Datenschutzverstoß eingestuft wurde. Die repressive Maßnahme könnte auch dazu führen, dass Schüler sitzen bleiben. Bei mehr als 114 Fehlstunden müssen Schüler der griechischen Sekundarstufe (Gymnasium Klasse 7 bis 9 und Lyzeum Klasse 10 bis 12) ein Jahr wiederholen.

Um die aktiven Schüler zu identifizieren und zu denunzieren, will Kerameus die Schulleiter in Stellung bringen. Sie erklärte: „Jeder Schulleiter hat eine Vorstellung davon, welche Schüler den Präsenzunterricht behindern.“ Wie in Chania auf der Insel Kreta bekannt wurde, hat die Polizei in einem Schreiben die Schulen bereits aufgefordert, detaillierte Angaben über Schüler, die bei den Besetzungen mitmachen, sowie ihre Erziehungsberechtigten zu liefern.

Gleichzeitig gehen Polizisten mit aggressiver Gewalt gegen Schüler vor. Mehrfach wurden Polizeieinheiten an besetzte Schulen entsandt. Die griechische Facebook-Seite „Covid-19 Solidarity“ (Menoume energoi – wir bleiben aktiv) berichtete vor einer Woche über einen Vorfall im 46. Lyzeum Athens im Bezirk Exarcheia, wo Schüler von der Polizei angegriffen wurden, als sie ein Transparent an ihrer Schule aufhängen wollten.

„Die Schüler wurden von Polizisten in Zivil und von [der Sondereinheit] OPKE über die Straßen Asklipiou und Ippokratous rund um die Schule gejagt. Die Schüler wurden von der Polizei geschlagen und berichteten uns, dass sie unter Androhung von Waffengewalt auf die Polizeiwache gezwungen wurden. Dort hielt man sie zwei Stunden fest, ohne Angabe von Gründen oder Informierung der Erziehungsberechtigten“, heißt es in dem Facebook-Post.

Dieser Frontalangriff der Regierung und ihrer Polizeischergen stößt auf breite Empörung und Wut. Die Schüler haben angekündigt, die Schulbesetzungen fortzuführen und Online-Vollversammlungen abzuhalten. Die Schülerkoordinierungskomitees, die schon vor der Pandemie Schüleraktionen organisierten, rufen für Mittwoch und Freitag erneut zu Demonstrationen auf.

Xanthos Germanakos, ein Mitglied des Athener Schülerkoordinierungskomitees und Schüler eines Lyzeums in Perama nahe der Hauptstadt, erklärte am Freitag in einer Fernsehsendung von ANT1, dass die Strafmaßnahmen gegen die Schüler völlig „inakzeptabel“ seien. „Wir lassen die Unterdrückung und Terrorisierung nicht zu. Wir sind jung und fordern unsere Rechte: Gesundheit und Bildung.“

An seiner Schule hätten sich auf einer Vollversammlung 125 von 170 Schüler für die Besetzung ausgesprochen. Er wies die Medienpropaganda gegen die Schulbesetzer zurück und betonte: „Jeder Jugendliche hat das Recht und die Pflicht gegenüber der Gesellschaft, sowohl für seine Gesundheit und die seiner Familie zu kämpfen als auch für Bildung auf hohem Niveau.“

Aufgrund der katastrophalen sozialen Lage vieler Familien in Griechenland verlangen die Schüler riesige Investitionen in die Schulen und das Bildungswesen, statt einfach nur zum Onlineunterricht überzugehen. „Wie bekannt wurde, haben 30 Prozent der Schüler keinen Zugang zum Internet, und das Ministerium ignoriert das einfach“, so Germanakos. Nicht die Schüler, sondern die Regierung sei es, die den Jugendlichen das Recht auf Bildung vorenthalte.

Während die Schüler unerschrocken und mutig ihre Rechte einfordern, suchen die Gewerkschaften verzweifelt nach Wegen, um die Lage unter Kontrolle zu halten. Die Lehrergewerkschaft der Sekundarstufe OLME hat angekündigt, von Montag bis Freitag jeweils von acht bis elf Uhr vormittags zum Streik aufzurufen und den Onlineunterricht an den besetzten Schulen zu verweigern. Dies ist vor allem eine Reaktion auf die brodelnde Stimmung unter den Lehrern. Die Gewerkschaften versuchen, den wachsenden Widerstand zu begrenzen und eine breitere Mobilisierung gegen die tödliche Öffnungspolitik der Regierung zu verhindern.

Bezeichnend für die rechte Orientierung von OLME ist ein Interview, das OLME-Präsident Theodoros Tsouchlos dem rechtsextremen Journalisten und ND-Abgeordneten Konstantinos Bogdanos gegeben hat. Bogdanos hatte die Schüler schon zuvor als „Schlangen“ und die Besetzungen als „illegal“ denunziert. Auch diesmal warf er ihnen Kriminalität und Gewalt vor.

Tsouchlos, der den Gewerkschaftsflügel von Nea Dimokratia (DAKE) vertritt, hofierte Bogdanos als „exzellenten Soziologen, Absolventen der Panteion Universität und Parlamentsmitglied“, von dem er sich Unterstützung bei der Lösung von Problemen mit den Schulbesetzungen erhoffe.

Tsouchlos versicherte, OLME wolle vor allem die Schulöffnungen ermöglichen. Die Maßnahmen des Bildungsministeriums würden aber dazu führen, dass Lehrer ihre Schüler überwachen müssten. Tsouchlos fürchtet dadurch noch mehr Widerstand und will vor allem ein Ende der Proteste: „Wir sollten für die Kinder Unterricht gewährleisten, damit sich die ganze Lage beruhigt.“

Am Ende des Interviews stimmte er zu, dass OLME gegen die Schulbesetzungen ist, und lamentierte, dass die Gewerkschaft bereits seit zwei Wochen vergeblich auf Gespräche mit Bildungsministerin Kerameos wartet. Nur bei Einbindung in Gespräche könne „OLME eine positive Rolle in der Lösung der Situation spielen“, so Tsouchlos. Mit „positiver Rolle“ und „Lösung“ meint der Gewerkschafter vor allem eins: OLME steht bereit, die Proteste zu ersticken und in Schach zu halten, bevor sie sich wie ein Lauffeuer weiter ausbreiten und die gesamte Arbeiterklasse in Bewegung kommt.

Die Tatsache, dass Tsouchlos mit dem Rechtsextremen Bogdanos auf Tuchfühlung geht und ihn gar um Hilfe und Rat bittet, spricht Bände über den Charakter der Gewerkschaften und die mit ihnen verbündeten Organisationen, darunter die stalinistische ΚΚΕ und die pseudolinke Syriza. Die Jugendorganisationen dieser Parteien versuchen, in den Schülerprotesten Einfluss zu gewinnen und sie völlig auf einen nationalen Rahmen zu beschränken. Obwohl die Opposition gegen die gefährliche Rückkehr an die Schulen und Arbeitsplätze überall wächst, rufen sie weder zu einem europaweiten Generalstreik auf noch richten sie einen Appell an Schüler und Arbeiter weltweit.

Die Publikationen der europäischen Schwesterparteien der KKE oder Syriza schweigen sich genauso über die Schulbesetzungen in Griechenland aus, wie die bürgerlichen Medien. Der Grund liegt auf der Hand. Parteien wie Podemos in Spanien und die Linkspartei in Deutschland treiben selbst die Öffnung der Schulen und Fabriken voran, um die kapitalistische Wirtschaft am Laufen zu halten. Dabei fürchten sie nichts mehr als eine revolutionäre Bewegung von unten, die auch die Interessen und Privilegien der wohlhabenden Mittelschichten in Frage stellen würde, für die sie sprechen.

Schüler, Studierende und Arbeiter müssen aus diesen Erfahrungen die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen. Sie können ihren Kampf für sichere Bedingungen an Schulen und Arbeitsplätzen und gegen soziale Ungleichheit und Krieg nur unabhängig von und gegen die Gewerkschaften und pseudolinken Parteien vorantreiben. Sie müssen sich mit einer internationalen und sozialistischen Perspektive bewaffnen und für den Sturz des Kapitalismus kämpfen.

In Griechenland offenbart sich in aller Schärfe, dass die Pandemie den sozialen Niedergang der letzten Jahrzehnte an die Oberfläche bringt und beschleunigt. In der öffentlichen Bildung wurden 20.000 Arbeitsplätze vernichtet und der Haushalt um 27 Prozent gestrichen. Dieser Kahlschlag hat dazu geführt, dass die Schulen verwahrlost und Tausende Familien verarmt sind.

Ein besonders krasses Bespiel ist eine Sonderschule in Iraklio, Kreta, mit über 100 behinderten Schülern, die jetzt von den Eltern besetzt wurde. Sie protestieren gegen die katastrophalen Bedingungen in dem Gebäude, das ursprünglich nur als vorübergehend gedacht war, aber jetzt bereits seit zehn Jahren die Schule beherbergt.

Maria Merkoulidi, eine betroffene Mutter, erklärt gegenüber dem Fernsehsender Mega TV: „Das sind Dritte-Welt-Bedingungen. Unsere Kinder sind angehalten, in einem Gebäude ohne Baugenehmigung zur Schule zu gehen, ohne Heizung und Infrastruktur für behinderte Menschen. Jeden Winter gibt es eine Überschwemmung im Gebäude und die Schule muss schließen, weil die Elektrik nicht gut genug ist und die Gefahr eines Stromschlags besteht. Und es tropft von den Dächern.“ Mit Corona habe sich die Lage weiter verschärft, so die Mutter.

Doch wie die Schüler in den Protesten mehrfach angeprangert haben, investiert die Regierung nicht Milliarden in Bildung und Gesundheit, sondern in Aufrüstung und Kriegspolitik. Sie hat angekündigt, 16 Rafale-Kampfflugzeuge für fast vier Milliarden Euro von Frankreich zu kaufen, und erhöht die Drohkulisse gegen die Türkei. Zudem soll der Wehrdienst auf zehn Monate erhöht und das Alter auf 18 Jahre herabgesetzt werden.

Vor einer Woche stellte der Verteidigungsminister Nikos Panagiotopoulos ein Abkommen mit den USA vor, das eine massive Verstärkung und Ausweitung der Nato-Basis auf Souda, Kreta, vorsieht. Für die Vereinbarung votierten nicht nur ND und Kinal (früher Pasok), sondern auch die pseudolinke Syriza, die den Deal mit Trump selbst vorbereitet hatte, als sie an der Regierung war. Während Syrizas Amtszeit hatten die Aktivitäten der US-Marine auf Kreta bereits stark zugenommen. Der Stützpunkt auf Souda spielt eine zentrale logistische und geostrategische Rolle für die militärischen Operationen der Nato im östlichen Mittelmeer und im Nahen Osten, wo sich aktuell die Kriegsgefahr zuspitzt.

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