Griechisch-türkische Konfrontation verschärft Kriegsgefahr im Mittelmeer

Die eskalierende Konfrontation zwischen der Türkei und Griechenland im östlichen Mittelmeer hat ein neues und gefährliches Stadium erreicht. Ranghohe Vertreter von Nato-Mitgliedsstaaten drohen sich gegenseitig offen mit einem Krieg, der das Mittelmeer und die Welt in Brand setzen könnte.

Letzten Donnerstag hinderten türkische Kampfflugzeuge vom Typ F-16 griechische Flugzeuge des gleichen Typs daran, von Kreta aus über die umstrittenen Gebiete im östlichen Mittelmeer zu fliegen, in denen die Türkei nach Öl und Erdgas sucht. Im Juli steuerten griechische und türkische Flottillen direkt aufeinander zu. Ein Zusammenstoß wurde erst in letzter Minute abgewendet, nachdem Berlin telefonisch in Ankara intervenierte und den türkischen Schiffen eine Kursänderung befohlen wurde. Im August eskalierten die Spannungen, als Frankreich zwei Kriegsschiffe und Rafale-Kampfflugzeuge zur Unterstützung Griechenlands schickte.

Das Treffen der EU-Außenminister am Freitag markierte eine weitere Verschiebung hin zu einer noch aggressiveren Haltung und der Unterstützung Griechenlands gegen die Türkei. Nach dem Treffen erklärte der EU-Außenbeauftrage Josep Borrell: „Wir sind klar entschlossen, die Interessen der Europäischen Union in Solidarität mit Griechenland und Zypern zu verteidigen. Die Türkei muss von unilateralen Aktionen absehen.“

Borrell deutete an, dass die EU Ende dieses Monats Wirtschaftssanktionen verhängen könnte, um die türkische Wirtschaft entscheidend zu schwächen. Er bedankte sich bei „Deutschland für seine Bemühungen, durch Dialog zwischen der Türkei, Griechenland und Zypern nach Lösungen zu suchen“, wies auf die „zunehmende Frustration“ der EU gegenüber der Türkei hin und schlug Sanktionen gegen türkische Regierungsvertreter vor. Weiter erklärte er: „Am 24. und 25. September könnten auf dem Treffen des Europäischen Rates weitere restriktive Maßnahmen diskutiert werden.“

In der darauffolgenden Fragerunde erklärte Borrell, die EU könnte Industriezweige sanktionieren, „in denen die türkische Wirtschaft enger mit der europäischen Wirtschaft verknüpft ist“.

Am gleichen Tag sprach der französische Präsident Emmanuel Macron eine außergewöhnliche Drohung aus, indem er die französischen Truppenstationierungen in Griechenland mit der Politik der „roten Linie“ verglich, in deren Rahmen Frankreich, Großbritannien und die USA im Jahr 2018 Syrien bombardiert hatten. Dieser Bombenangriff wurde mit dem erfundenen Vorwurf gerechtfertigt, das syrische Regime habe Chemiewaffen eingesetzt, und brachte Moskau dazu, den Aufbau der syrischen Luftabwehr zu forcieren.

Macron erklärte, seine Politik beruhe auf der Ansicht, dass nur ein aggressives militärisches Vorgehen erfolgreich sein wird: „Wenn es um die Souveränität im Mittelmeer geht, müssen Taten und Worte übereinstimmen. Ich kann Ihnen sagen, dass die Türken nichts anderes beachten und respektieren. Wenn auf Worte keine Taten folgen... Was Frankreich in diesem Sommer getan hat, war wichtig: Es ist eine Politik der roten Linie. So habe ich es in Syrien gemacht.“

Türkische Regierungsvertreter reagierten am Wochenende mit der Warnung, das griechische Vorgehen mit Unterstützung der EU könne einen Krieg auslösen. Sie bezogen sich auf die Drohungen des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, Griechenlands ausschließliche Wirtschaftszone von sechs auf 12 Meilen auszudehnen, wovon auch griechische Inseln direkt vor der türkischen Küste betroffen wären. Griechenland habe auch seine Bodentruppen auf diesen Inseln verstärkt, so die Türkei.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bezeichnete diesen Schritt als Kriegsgrund – als Casus Belli, und Vizepräsident Fuat Oktay erklärte: „Wenn das kein Kriegsgrund ist, was dann?“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärte: „Sie wollen unser Land, das von allen Ländern die längste Mittelmeerküste hat, auf einen Küstenstreifen einsperren, in dem man bestenfalls mit der Rute angeln kann.“ Ankara hat bereits umfangreiche Seegebietsansprüche formuliert und geplante Gaspipelines aus Israel über Zypern und Griechenland nach Italien und das europäische Festland verhindert.

Der Konflikt im östlichen Mittelmeer ist das Ergebnis der imperialistischen Kriege der letzten Jahrzehnte, vor allem der Nato-Kriege in Libyen, Syrien und dem Irak seit 2011. Diese Kriege haben in Libyen einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg und in Syrien einen verheerenden Stellvertreterkrieg zwischen Nato-gestützten Milizen und dem von Russland, China und dem Iran unterstützten Regime ausgelöst. Jetzt haben die Rivalitäten um Öl- und Gasvorkommen im Mittelmeer die Lunte in der Region entzündet, und genau wie zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 könnte daraus ein regionaler und globaler Krieg entstehen.

Sowohl die türkische als auch die griechische Regierung, die durch das EU-Spardiktat der letzten zehn Jahre diskreditiert ist, sind unpopulär und versuchen, ihre Position zu stärken, indem sie Kriegshysterie schüren. Diese Politik entwickelt sich jedoch vor dem Hintergrund brodelnder globaler Konflikte um Märkte und strategische Vorteile, die die Konfrontation im Mittelmeer unablässig befeuern. Die Situation ähnelt den wirtschaftlichen Rivalitäten, die Europa in den Ersten Weltkrieg gestürzt haben.

Geopolitisch gesehen ist die Region wichtig für die Bestrebungen der USA und Europas, nach der Niederlage in Syrien ihre Positionen im Nahen Osten und Afrika wieder zu stärken. Daneben ist sie auch von Bedeutung für Europas Energieversorgung und Chinas Versuche, durch die „Belt and Road“-Initiative (Neue Seidenstraße) über den Nahen Osten Handelsbeziehungen zu Europa aufzubauen.

Es ist weithin anerkannt, dass der Zusammenbruch der früheren Hegemonialstellung des US-Imperialismus den Konflikt weiter befeuert. Die New York Times wies in einem Leitartikel mit dem Titel „Neues Game of Thrones im Mittelmeer“ auf die weitreichenden Auswirkungen hin, die der Zusammenbruch des US-Einflusses hat.

Die Times spricht von einer „neuen und gefährlichen Krise“. In dieser Lage „scheint nur Deutschland genug Einfluss zu haben, um eine Rückkehr zur Vernunft auszuhandeln“. Die Zeitung schreibt weiter: „In früheren Zeiten wären die USA eingeschritten, um die zerstrittenen Nato-Partner zu trennen, so wie zuletzt 1996, als es beinahe zum Krieg zwischen Griechenland und der Türkei kam. Präsident Trump hat Erdogan telefonisch zu Verhandlungen aufgerufen, aber das hat nichts bewirkt. Die USA unter der Trump-Regierung gelten nicht als tragfähiger Vermittler...“

Zudem hat der Krieg in Libyen einen Keil zwischen die Staaten Europas und des Nahen Ostens getrieben. Einige, darunter die Türkei, unterstützen das islamistische Regime in Tripolis, andere den Warlord Chalifa Haftar im Osten Libyens entlang der ägyptischen Grenze.

Die türkische Website Ahval schrieb in einem Artikel unter der Überschrift „Wie sich Europa in den großen Konflikt im Nahen Osten verstrickt“: „Auf der einen Seite gibt es die ,revolutionäre Allianz‘ aus Türkei, Katar, der regionalen Bewegung der Moslembrüder und dem Iran. Auf der anderen haben wir die ,Status Quo-Entente‘ aus Saudi-Arabien, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel. ... Frankreich, Griechenland und Zypern unterstützen die Status-quo-Entente, Spanien und Malta scheinen eher bereit zu sein, die revolutionäre Allianz zu unterstützen; Italien schwankt zwischen beiden, je nach Lage.“

Zerrissen von unlösbaren Konflikten versucht die EU offenbar, sich hinter einer besonders aggressiven Politik gegenüber der Türkei zu einen. Am Wochenende lud der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian seinen deutschen Amtskollegen Heiko Maas ein, um auf einem Treffen französischer Botschafter zu sprechen, das in Vorbereitung auf die EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs ab 2022 stattfand. Le Drian erklärte, Frankreich werde seine Pläne „natürlich darauf ausrichten, Deutschlands Präsidentschaft fortzusetzen und zu ergänzen“.

Maas machte deutlich, dass es die zentrale Aufgabe der EU sein wird, angesichts des US-Kriegskurses gegen China eine aggressive, unabhängige Weltpolitik zu entwickeln. Er erklärte: „Die USA blicken immer stärker durch die Linse der Rivalität mit China auf den Rest der Welt. ... Parallel dazu sinkt nicht erst seit Präsident Donald Trump die Bereitschaft der USA, die Rolle als globale Ordnungsmacht noch weiter zu spielen. Wir wissen weiter, dass China mit Macht in diese geopolitische Lücke drängt – und dabei Fakten schafft und Instrumente nutzt, die nicht unsere sein können.“

Weiter erklärte er: „Und auch gegenüber der Türkei haben wir beim Gymnich-Treffen sehr deutlich gemacht, dass ihre destabilisierende Politik in Libyen und im östlichen Mittelmeer von uns nicht weiter akzeptiert wird. Europäische Souveränität schützt die Souveränität aller Mitgliedstaaten, auch die Griechenlands und Zyperns.“

Wer behauptet, der deutsche oder der europäische Imperialismus würde die Konflikte im Mittelmeer friedlich beilegen, wird jedoch von der Geschichte widerlegt. Angesichts weltweit zunehmender Streiks und Proteste gegen imperialistische Kriege und das offizielle Versagen in der Corona-Pandemie ist die wichtigste Aufgabe die Vereinigung der Arbeiterklasse in einer sozialistischen Antikriegsbewegung.

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