Berliner Polizisten in rechte Anschläge in Neukölln verstrickt

Tag für Tag kommen neue Erkenntnisse über die rechtsextremen Umtriebe in den Berliner Behörden ans Licht. Sie lassen erahnen, wie tief und einflussreich der braune Sumpf im rot-rot-grün regierten Berlin mittlerweile ist.

Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass ein AfD-naher Berliner Staatsanwalt die Ermittlungen über die rechtsextreme Anschlagsserie im Bezirk Neukölln möglicherweise sabotiert und die Tatverdächtigen gedeckt hat. Auch Polizisten und Beamte des Landeskriminalamts (LKA) könnten verwickelt sein.

Jetzt steht erneut die Berliner Polizei im Fokus. Sie weigert sich, unerlaubte personenbezogene Datenabfragen an ihren Polizeicomputern aufzuklären. Laut Informationen, die dem Tagesspiegel vorliegen, handelt es sich um Daten von Betroffenen im Zusammenhang mit der Neuköllner Anschlagsserie.

Der Anschlagsserie im Südberliner Arbeiterbezirk werden mindestens 72 rechtsextreme Taten innerhalb der letzten sieben Jahren zugerechnet. Sie trafen Aktivisten und Politiker, die sich gegen rechts engagieren. Auch Menschen mit Migrationshintergrund sind immer wieder Opfer von rassistischen und rechtsradikalen Übergriffen und Schmierereien.

Die verdächtige Abfrage von Daten in Berlin zeigt, dass das rechtsextreme Netzwerk in der hessischen Polizei keine Ausnahme ist. In Hessen enthielten mehrere gegen Kulturschaffende, Politiker und Linke gerichtete „NSU 2.0“-Morddrohungen persönliche Daten, die auf hessischen Polizeicomputern abgefragt worden waren.

Die Berliner Datenschutzbeauftrage Maja Smoltczyk warf der Polizei am Donnerstag in einer Pressemitteilung vor, die verstoße gegen ihre „gesetzliche Pflicht zur Zusammenarbeit bei der Überprüfung von Abfragen personenbezogener Daten in Polizeidatenbanken, die in einem Zusammenhang mit rechtsextremen Morddrohungen stehen könnten“.

Weiter heißt es in der Pressemitteilung: „Anlass des Verfahrens war die Beschwerde einer Person, an deren Wohnhaus die Drohung ‚9 mm für […]. Kopfschuss‘ stand. Diese Person war bereits vorher Opfer mutmaßlich rechtsextremer Gewalt.“ Solche Morddrohungen und Mordaufrufe in roter Farbe, versehen mit dem vollen Namen der anvisierten Opfer, waren im Frühjahr 2019 an die Wände mehrerer Neuköllner Wohnhäuser geschmiert worden.

Allein zwischen September 2019 und Juni 2020 registrierte die Polizei 137 rechtsextremistische Straftaten in Neukölln, so rbb24. Obwohl die Haupttatverdächtigen der Anschlagsserie – Tilo P., Sebastian T. und Julian B. – bekannt sind und bei ihnen umfassende Feindeslisten gefunden wurden, befinden sich weiterhin auf freiem Fuß und können ihre Opfer terrorisieren.

Der Datenschutzbeauftragten zufolge konnte die Polizei die betreffenden Datenabfragen nicht ausreichend begründen. Smoltczyk kritisiert ein „bedenkliches Rechtsverständnis“ der Berliner Polizei und mahnt eine „lückenlose Aufklärung der vorliegenden sowie vergleichbarer Bedrohungen“ an.

Verstöße gegen den Datenschutz finden bei der Polizei immer wieder statt und bleiben oft ungeklärt. Laut Senatsverwaltung für Inneres wurden in Berlin in den letzten zwei Jahren rund 50 entsprechende Strafverfahren eingeleitet, aber in den meisten Fällen wieder eingestellt. Die Berliner Zeitung berichtete, dass das zentrale Datenerfassungssystem der Berliner Polizei („Poliks“), in dem neben Daten von Straftätern auch die von Opfern und Zeugen gesammelt werden, „massive Sicherheitslücken“ aufweisen soll. Rund 16.000 Mitarbeiter der Polizei hätten Zugriff auf diese Daten.

Bevor am Donnerstag die dubiosen Datenabfragen bekannt wurden, zeigte ein weiterer Vorfall, dass die Neuköllner Polizei möglicherweise direkt in die rechtsextremistischen Anschläge verwickelt ist. Wie die taz gestützt auf Antifa-Recherchen berichtete, läuft seit Januar ein Gerichtsverfahren gegen den Polizeibeamten Stefan K. wegen eines rassistischen Übergriffs auf einen Flüchtling.

Am 5. April 2017 soll K., als er außer Dienst war und von einem Fußballspiel kam, gemeinsam mit acht weiteren Personen einen ahnungslosen 26-jährigen Flüchtling aus Afghanistan rassistisch beleidigt und brutal zusammengeschlagen haben. Das Opfer kam zufällig die Treppe des S-Bahnhofs Karlshorst im Bezirk Lichtenberg herunter, als der Polizeibeamte und seine Schlägerfreunde auf ihn losgingen. „Geh in dein Land zurück“, soll er Zeugen zufolge gerufen haben. Gegenüber eintreffenden Polizisten habe er erklärt, dass es kein Problem gebe, weil deutsche Interessen nicht betroffen seien.

Wie sich jetzt herausstellt, hat dieser Polizeibeamte jahrelang zum Kern der Ermittlergruppe „Rex“ in Neukölln-Rudow gehört, die von 2007 bis 2016 mit den Ermittlungen der rechten Anschlagsserie betraut war.

Den Angaben von „recherche030“ zufolge war Stefan K. in dieser Funktion mehrfach auf NPD-Demonstrationen im Einsatz. Eine Aufgabe seiner Ermittlergruppe sei es auch gewesen, mit zivilgesellschaftlichen Initiativen in Neukölln vernetzt zu sein. Das bedeutet, dass K. mit zahlreichen Personen in Kontakt stand, die sich gegen rechts engagieren und teilweise Opfer von rechter Gewalt wurden. Er befindet sich auch während des Verfahrens gegen ihn weiterhin im Dienst – in Süd-Neukölln innerhalb einer normalen Dienstgruppe.

In den Zeitraum, in dem K. in der Ermittlergruppe war, fallen mehrere rechtsextreme Straftaten und zwei Morde in Neukölln. Am 5. April 2012 (also genau fünf Jahre vor dem Polizistenangriff in Karlshorst) wurde der 22-jährige Burak Bektaș, ein Neuköllner mit türkischen Wurzeln, vor dem Vivantes-Klinikum erschossen. Der Mord erinnerte in Ausführung und Opferwahl an den NSU, wie Mehmet Daimagüler, der die Familie Bektaș sowie Opferfamilien im NSU-Prozess vertrat, in einer ZDF-Dokumentation sagte. Trotz mehrerer Zeugenaussagen und Hinweisen ist der Mord bis heute nicht aufgeklärt.

Am 20. September 2015 folgte der Mord an Luke Holland, einem 31-jährigen Briten, der vor einer Bar in Neukölln erschossen wurde. Der 63-jährige Täter Rolf Zielezinski wurde zwar zu elf Jahren und sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Doch obwohl bei ihm zuhause Nazidevotionalien, eine Hitlerbüste, diverse Waffen, Munition und ein Kilo Schwarzpulver gefunden wurden und Zeugen und Nebenkläger mögliche Querverbindungen zum Mord an Bektaș festgestellt hatten, sah das Gericht keinen Verdacht auf Rassismus gegeben und wies weitergehende Ermittlungen zurück. Mögliche Zusammenhänge der Mordfälle, die die „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaș“ aufgezeigt hat, wurden von den Behörden offenbar systematisch ignoriert.

Während mutmaßlich rechtsextreme Polizisten Daten abzapfen, Migranten überfallen und Anschläge decken, werden die Opfer nicht nur über die Ermittlungen im Dunkeln gelassen, sondern – wie im Fall des afghanischen Flüchtlings – sogar aus dem Verkehr gezogen.

Der Mann wurde am 11. März inmitten der Corona-Pandemie bei einer bundesweiten Sammelabschiebung nach Afghanistan abgeschoben. Er war Ende 2015 vor dem Krieg in Afghanistan nach Europa geflüchtet. Nach 18 Monaten Haft in einem griechischen Asylzentrum gelang ihm die Flucht nach Deutschland, wo er sich gut integrierte und in einem Kreuzberger Kinderladen arbeitete.

Bei dem rechtsradikalen Überfall des Polizisten erlitt er dem Berliner Flüchtlingsrat zufolge schwere Schulter- und Kopfverletzungen sowie einen Nasenbeinbruch und konnte aufgrund der chronischen Schmerzen nicht mehr arbeiten. Er wurde Marihuana-abhängig und obdachlos. Als er wegen Kleinkriminalität in Berlin verhaftet wurde, stufte man ihn wegen seiner psychischen Probleme als schuldunfähig ein und wies ihn ins Krankenhaus des Maßregelvollzugs ein.

Obwohl er nicht angeklagt war und kein Abschiebegrund existierte, wurde er von der Ausländerbehörde als „Straftäter“ eingetragen und abgeschoben. Laut seiner Anwältin ist er in Kabul jetzt ohne jegliche Unterstützung. Die Abschiebung hatte Innensenator Geisel persönlich abgesegnet.

Der Sprecher des Flüchtlingsrats Georg Classen sprach am Mittwoch von einem„Skandal für den rot-rot-grünen Senat“. Die Abschiebung sei „rechtswidrig, da das Verfahren gegen die rechten Schläger, an dem Jamil [geänderter Name] als Nebenkläger teilnimmt, noch läuft“. Classen forderte die sofortige Rückkehr des Opfers, ein sicheres Bleiberecht und eine Untersuchung der Neuköllner Anschlagsserie. „Die immer neuen Verwicklungen der Polizei ins rechtsextreme Tätermilieu und die Folgen für die Betroffenen sind erschreckend“, so Classen.

Doch Senat und Behörden werden keinen Finger rühren, um die zahllosen Angriffe und Morde tatsächlich aufzuklären. Der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) kündigte am Freitag in einem Interview mit der taz an, man werde nach dem Abschlussbericht der polizeilichen Ermittlergruppe „Fokus“ zur Neuköllner Anschlagsserie, der Mitte September vorgelegt wird, eine neue Kommission aus zwei bis drei Sonderermittlern gründen, die angeblich „profunde Erfahrung im Kampf gegen Rechtsterroristen“ hätten. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu wissen, dass auch diese „Sonderermittler“ die jahrelange Vertuschung der rechtsextremen Verstrickungen in den Behörden fortführen werden.

Angesprochen auf den jüngsten Vorfall eines AfD-nahen Staatsanwalts spielte Geisel die rechte Gefahr herunter und erklärte: „Wir haben keine Belege dafür gefunden, dass es rechtsextreme Strukturen in der Polizei gibt.“

Er könne zwar „weitere Fälle nicht ausschließen“, sagte Geisel, aber insgesamt sei nur ein geringer Prozentsatz der Polizei betroffen. Die meisten „arbeiten mit hoher Einsatzbereitschaft und sie treten jederzeit für diese Verfassung ein“, lobte er seine Beamten.

Geisel verheimlicht nicht, wo der eigentliche Fokus der Polizeiarbeit liegt: in der Unterdrückung linker Gegner. Den gewaltsamen Großeinsatz der Polizei mit rund 700 Beamten, Hubschraubern und Lichtmasten vor einer Woche, mit dem die linke Neuköllner Kiezkneipe „Syndikat“ geräumt wurde, verteidigte Geisel mit den Worten: „Dieser Rechtsstaat wird sich durch brutale Gewalttäter – und ich weiß, was ich hier sage – nicht bedrohen lassen.“

Die rechtsextremen Tendenzen und Netze in den sogenannten Sicherheitsbehörden werden deshalb nicht aufgeklärt, weil sie der Politik des Berliner Senats voll und ganz entsprechen. Die AfD-Nähe des Staatsanwalts Matthias Fenner, dem am Montag die Ermittlungen zur Neuköllner Anschlagsserie entzogen wurden, ist kein Einzelfall. Das zeigt die Reaktion großer Teile des Berliner Justizapparats, die sich offen hinter ihn stellten.

Fenner war schon vorher als rechter Hardliner bekannt und soll in Prozessen gegen linke Demonstranten für hohe Strafen plädiert haben. Wie Fritz Marquardt, Jurist und Mitarbeiter eines Grünen Europa-Abgeordneten, twitterte, soll Fenner ihm in diesem März während des Vorgesprächs zur mündlichen Examensprüfung erzählt haben, „dass es Hetzjagden in Chemnitz nicht gegeben hat. Und dass die schlechte Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex eine Verschwörungstheorie sei.“

Ähnlich hatte sich 2018 der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen geäußert, der heute von AfD und Neonazi-Kreisen gefeiert wird. Dieser Geist herrscht auf Polizeiwachen, in Justiz- und Geheimdienstbehörden und Bundeswehrkasernen in ganz Deutschland vor. Wie die rechtsextremen Anschläge und Vorbereitungen regelrechter Massenmorde beweisen, werden sie Worten auch Taten folgen lassen, wenn sie nicht gestoppt werden.

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