Flüchtlinge werden dem Tod überlassen, während sich Covid-19 in Griechenland ausbreitet

Fast 42.000 Flüchtlinge sind noch immer in überfüllten, menschenunwürdigen Lagern auf den griechischen Inseln gefangen, während sich die Corona-Pandemie über Griechenland ausbreitet. Sie leben zusammengepfercht in engen Unterkünften und Zelten, oft ohne Zugang zu Seife und Wasser, was die mangelnde medizinische Versorgung noch verschärft. Die Lager auf Lesbos, Chios, Kos, Samos und Leros sind damit der perfekte Nährboden für das Virus.

Trotzdem weigert sich die rechte Regierung unter Nea Dimokratia (ND), die Flüchtlinge von den Inseln auf das Festland zu verlegen, so dass das Coronavirus Tausende Menschen infizieren und möglicherweise töten konnte.

Die Zahl der Covid-19-Todesfälle in Griechenland stieg bis Donnerstagabend auf 87, wobei die Gesamtzahl der bestätigten Infektionen bei knapp 2.000 lag. Laut der Tageszeitung Kathimerini könnten die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst und zu Massenarbeitslosigkeit in den kommenden Wochen und Monaten führen. Finanzminister Christos Staikouras hingegen hatte zuletzt behauptet, dass „ein solches Thema nicht diskutiert wird, da wir eine baldige Rückkehr zur Normalität erwarten“.

Syrische Bootsflüchtlinge aus der Türkei bei der Ankunft auf Lesbos, Griechenland, September 2015 (AP Photo/Petros Giannakouris)

Das griechische Gesundheitssystem ist überhaupt nicht in der Lage, die erforderliche Anzahl von Tests zur Eindämmung des Virus zu leisten, geschweige denn die Infizierten angemessen zu behandeln. Jahrelange Sparmaßnahmen der Europäischen Union (EU), die von der pseudolinken Syriza-Regierung (Koalition der radikalen Linken) und ihren Vorgängern durchgesetzt wurden, haben das öffentliche Gesundheitswesen völlig ausgehöhlt.

Obwohl sie also direkt für die soziale Katastrophe Verantwortung trägt, versucht Syriza jetzt ihre Hände in Unschuld zu waschen. Syriza-Politiker Alexis Charitsis beschuldigte ND, „sich in ihrer ganzen Rhetorik auf die persönliche Verantwortung der Bürger zu konzentrieren“. Das „darf und sollte nicht von der Verantwortung der Regierung ablenken, das Gesundheitssystem sofort zu unterstützen“. Er fügte hinzu, „Schlamperei, Ineffizienz und Eingreifen“ seien „eindeutig eine Frage des politischen Willens“.

Syriza-Chef Tsipras machte in einem Fernsehinterview mit ANT1 am Mittwoch jedoch deutlich, dass die zahnlose Kritik aus seinen Parteireihen nur der Show dient. Er sicherte der Regierung volle Unterstützung zu und beschwor die nationale Einheit in der Corona-Krise.

Die ND-Regierung nutzt ihrerseits die begrenzte Anzahl von Covid-19-Tests und die wachsende Bedrohung des Virus für die griechische Bevölkerung als Vorwand, um die Flüchtlinge in der Hölle gefangen zu halten, in der sich die Pandemie wie ein Lauffeuer ausbreiten kann. Hunderte oder sogar Tausende Flüchtlinge, darunter Kinder und ältere Menschen, könnten sterben.

Die Pandemie hat bereits ihren Weg auf die griechischen Inseln gefunden. Auf Lesbos wurde vor mehr als zwei Wochen eine 40-jährige Frau, die von einer Reise in Ägypten und Israel zurückgekehrt war, positiv auf Covid-19 getestet und unter Quarantäne gesetzt. Lesbos ist die Insel, wo etwa 20.000 Menschen in und um das berüchtigte Moria-Lager leben, das nur für 3.000 Personen ausgelegt ist.

Aufgrund der begrenzten Anzahl von Tests besteht die sehr reale Gefahr, dass sich Covid-19 unentdeckt auf Lesbos und anderen Inseln ausbreitet. Damit droht den Menschen in den Flüchtlingslagern ein Alptraum. Neuankömmlinge könnten das Virus leicht verbreiten, infizierte Insassen ohne Symptome können es weitertragen. Aufgrund des Platzmangels haben 120 Flüchtlinge, die erst kürzlich auf Lesbos angekommen sind und wegen des Virus in getrennten Unterkünften untergebracht werden müssen, noch keine Bleibe.

In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass 20 Flüchtlinge im Lager Ritsona nördlich Athens positiv auf Covid-19 getestet wurden. Das Lager, in dem 2.300 Flüchtlinge leben, wurde nun für zwei Wochen abgeriegelt. Die Polizei ist vor Ort, um die Quarantäne durchzusetzen und den Weg für mögliche Angriffe auf Flüchtlinge vorzubereiten.

Es werden Tests durchgeführt, und die Internationale Organisation für Migration (IOM) kümmert sich vor Ort um die Flüchtlinge. Am Sonntag war die Regierung gezwungen, ein zweites Lager auf dem Festland unter Quarantäne zu stellen, nachdem ein 53-jähriger Mann positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Die Flüchtlingsunterkunft von Malakasa in Ostattika wurde für zwei Wochen abgesperrt. Sie wird ebenfalls von der Polizei bewacht, die noch Verstärkung erwartet.

Im Gegensatz zu den Insellagern haben Ritsona und Malakasa den Vorteil, dass sie auf dem Festland liegen und damit näher an den dringend benötigten Ressourcen in Athen sind. Dennoch könnten auch diese überfüllten Flüchtlingslager von einer raschen Virus-Verbreitung betroffen sein.

EU-Kommissarin für Inneres Ylva Johansson hat die ND-Regierung aufgefordert, die Flüchtlinge mit dem höchsten Infektionsrisiko – ältere Menschen und Kinder – aus den überfüllten Insellagern auf das griechische Festland zu verlegen.

„Wir arbeiten mit der griechischen Regierung und den griechischen Behörden zusammen, um uns auf einen Notfallplan zu einigen, der dazu beitragen soll, das Risiko in den überfüllten Hotspots auf den Inseln so weit wie möglich zu reduzieren“, sagte Johansen. „Das könnte die Verlegung der am meisten gefährdeten Personen aus den überfüllten Lagern in andere Gebiete der Inseln bedeuten.“

Der angebliche „Notfallplan“ der EU ist eine Farce und kommt viel zu spät. Die kriminelle Hinhaltetaktik der ND-Regierung gefährdet Tausende Flüchtlinge.

Wie viele NGOs und Flüchtlingsorganisationen immer wieder betonen, gibt es praktisch keine Tests für Flüchtlinge, und deshalb ist es fast unmöglich, festzustellen, wer in den Lagern infiziert ist. Sie fordern die ND dringend zum Handeln auf und pochen auf eine sofortige Evakuierung und dezentrale Unterbringung aller Flüchtlinge. Mehrere Hilfsorganisationen unterzeichneten Ende März eine Erklärung, in der es heißt: „Tausende Geflüchtete, darunter ältere Menschen, Menschen mit chronischen Krankheiten, Kinder ... schwangere Frauen, junge Mütter und Menschen mit Behinderungen, sind inmitten der Covid-19-Pandemie unter gefährlich überfüllten, erbärmlichen Bedingungen auf den Inseln gefangen.“

Jan Egeland, Generalsekretär des Norwegischen Flüchtlingsrates, forderte vor über drei Wochen: „Wir müssen jetzt handeln. ... Wenn das Virus überfüllte Siedlungen in Ländern wie Iran, Bangladesch, Afghanistan und Griechenland trifft, werden die Folgen verheerend sein.“

Die Bedingungen in den Lagern machen es den Flüchtlingen fast unmöglich, sich vor einem Ausbruch zu schützen.

George Makris, ein Arzt und Koordinator von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland, nannte die Wasser- und Sanitärbedingungen im Moria-Lager und in anderen Lagern „tragisch“. Er erklärte: „Die Übertragung des Virus kann dort nicht eingedämmt werden. Wir haben in der Vergangenheit wiederholt davor gewarnt, als andere Infektionskrankheiten wie Meningitis und Masern ausbrachen. Unsere Botschaft ist einfach. ... Da die Gesundheitsbehörden sagen, dass alle Massenversammlungen verboten sind, sollte auch eine Eindämmung in Massen vermieden werden.“

Gerald Knaus, einer der führenden Architekten des Abkommens zwischen der EU, Griechenland und der Türkei von 2016, das die gewaltsame Rückführung tausender Flüchtlinge in die Türkei vorsah, sagte, dass die Flüchtlinge innerhalb weniger Wochen in Sicherheit gebracht werden könnten.

Angesichts der verheerenden menschlichen Opfer, die seine eigene Politik zur Folge hat, sagte Knaus gegenüber der Deutschen Welle: „35.000 Flüchtlinge müssen so schnell wie möglich von den Inseln auf das griechische Festland gebracht werden. Es könnten schnell 15.000 zusätzliche Betten in provisorischen Zeltlagern bereitgestellt werden. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) ist in der Lage, diese innerhalb weniger Wochen aufzubauen.

Weitere 10.000 Menschen können in zurzeit leerstehenden griechischen Hotels untergebracht werden. Und schließlich könnten 10.000 Menschen problemlos in Einrichtungen untergebracht werden, die bereits von der EU bezahlt werden – Orte, an denen jetzt anerkannte Flüchtlinge leben. Wenn Länder wie Deutschland diese anerkannten Flüchtlinge schnell aufnehmen würden, könnte man sofort Platz für Familien von den Inseln schaffen. Dies wäre auch ein starkes Zeichen an die Griechen, dass sie nicht allein sind.“

Die Realität sieht aber anders aus. Eine Rettung der Flüchtlinge wäre zwar möglich, ist aber nicht gewollt. Am Mittwoch kündigte die Bundesregierung an, sage und schreibe 50 Flüchtlingskinder aus den Lagern nach Deutschland zu holen, wo sie zunächst in Quarantäne müssen. Deutlicher kann man die Verachtung und den Hohn, den die herrschende Klasse für die verzweifelten Menschen am Rande Europas übrig hat, kaum auf den Punkt bringen.

Deutschland, die führende Macht der EU, spielt eine entscheidende Rolle bei der europäischen Flüchtlingspolitik und trägt die Hauptverantwortung für die schreckliche Notlage auf den griechischen Inseln.

In der pseudolinken Syriza fand sie einen treuen Verbündeten, als die Flüchtlingskrise 2015/2016 ihren Höhepunkt erreichte. 2016 unterzeichnete die Syriza-Regierung ein Abkommen mit der EU und der Türkei, das Griechenland in ein Gefängnis für Flüchtlinge an der Südgrenze der Europäischen Union verwandelte. Aufgrund dieses Deals verpflichtete sich Syriza, alle Flüchtlinge, die über „irreguläre“ Routen einreisten – gemeint sind vor allem die gefährlichen Seerouten von der Türkei nach Griechenland, über die fast alle Flüchtlinge kommen, – zurück in die Türkei abzuschieben. Sie setzte die Bereitschaftspolizei gegen Flüchtlinge ein, führte Zwangsevakuierungen durch, kriminalisierte Helfer und baute die Konzentrationslager auf.

Damit hat Syriza den Boden für die flüchtlingsfeindliche Politik der ND bereitet, die diesen Kurs fortsetzt und verschärft. Sie lässt die Polizei auf Flüchtlinge schießen und ermöglicht illegale Pushbacks an den Grenzen, bei denen Flüchtlingsboote zurückgestoßen werden, wenn sie sich der griechischen Küste nähern. Immer mehr Flüchtlinge und Helfer sind Opfer faschistischer Gewalt.

Jetzt werden sie zusätzlich der unkontrollierten Verbreitung der Pandemie ausgesetzt. Die Angriffe auf Flüchtlinge, die auf das Konto der EU ebenso wie von ND, Syriza und allen kapitalistischen Regierungen weltweit gehen, zeigen die dringende Notwendigkeit, dass die Arbeiterklasse eingreift und das Leben über Profite stellt.

Die Ausbreitung von Covid-19 in Griechenland wird sich aufgrund der heftigen Sparpolitik von ND und Syriza noch verstärken. Die Verteidigung der Flüchtlinge muss von der griechischen und internationalen Arbeiterklasse in die Hand genommen und durchgesetzt werden – gegen die Politik der EU, ND und Syriza, die den Interessen der herrschenden Klasse und der Finanzelite dienen.

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