Rumänischer Erntehelfer an Covid-19 gestorben

In der Nacht zum 11. April starb der rumänische Erntehelfer Nicolae Bahan. Er hatte seit dem 20. März als Spargelstecher in Bad Krozingen gearbeitet und zuletzt über starken Husten und Schnupfen geklagt. Erst nach seinem Tod wurde er positiv auf Covid-19 getestet.

Unter Bahans Kollegen wurde zunächst ein weiterer erkrankter Erntehelfer festgestellt. Mittlerweile sind mindestens vier weitere Arbeiter aus dem direkten Umfeld des Verstorbenen an Covid-19 erkrankt. Zwar behauptet das Gesundheitsamt des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald, alle Träger des Coronavirus und ihre Kontaktpersonen seien unter Quarantäne gestellt worden. Allerdings wurde das WHO-Gebot, „zu testen und zu isolieren“, offensichtlich viel zu spät und nur höchst rudimentär befolgt.

Nach Nicolae Bahans Tod hielt man es nicht für nötig, die Spargelernte zu unterbrechen.

Das Gesundheitsamt hat versichert, dass die hygienischen Bedingungen auf dem Spargelhof den Anforderungen entsprochen hätten. Aber Bahan hat sich in Deutschland angesteckt, sehr wahrscheinlich bei Kollegen aus Rumänien, die in den letzten Wochen eng mit ihm zusammen lebten und arbeiteten.

Der Verstorbene war einer von Tausenden Erntehelfern, die sich derzeit in Deutschland verdingen. Sie sind als Saisonarbeiter schlecht bezahlte Lückenbüßer bei der Spargelernte, aber auch bei der Obst-, Gemüse- und Weinernte und überall dort, wo die Löhne so niedrig sind, dass nur wenig deutsche Arbeiter sie akzeptieren. Laut dem baden-württembergischen Landwirtschaftsministerium werden allein in diesem Bundesland im April etwa 4900 Saisonarbeiter benötigt.

Kurz vor Ostern hatte die Bundesregierung trotz des grassierenden Coronavirus entschieden, im April und Mai 80.000 Saisonarbeiter aus Osteuropa einfliegen zu lassen. Nach dieser Entscheidung drängten sich schon am Ostersamstag hunderte Arbeiter am Kleinflughafen Cluji im Norden Rumäniens, um zur Erntearbeit nach Deutschland geflogen zu werden.

Der Betrieb in Bad Krozingen, in dem Bahan arbeitete, hatte seine Erntehelfer dieses Jahr schon früher verpflichtet. Fast alle von ihnen stammen aus dem Kreis Suceava, der in Rumänien am stärksten vom Coronavirus betroffen ist. Das störte jedoch niemanden bei der Einstellung billiger Erntehelfer. Auch nicht, dass ihr Zielgebiet in Süddeutschland schon früh eine relativ hohe Rate an Infizierten und Todesfällen und eine ungesicherte Dunkelziffer aufwies. In Freiburg sind derzeit knapp tausend Personen nachweislich infiziert, 65 sind schon an Covid-19 gestorben. Im Kreis Breisach-Hochschwarzwald sind es weit über tausend Infizierte und 47 Verstorbene.

„Wer in diesen Zeiten arbeitet, braucht besonderen Schutz“, sagte Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD), als er die Corona-Schutzregeln der Regierung für Saison-Arbeitskräfte erklärte. Diese Worte können nur als zynisch bezeichnet werden. Eine Panorama-Doku zeigte am 23. April in der ARD auf, wie die Regeln in der Praxis umgesetzt werden. Die Sendung mit dem Titel „Die Ernte ist sicher – nur die Erntehelfer nicht“ dokumentiert haarsträubende Arbeits- und Lebensbedingungen.

Um der Quarantäne Genüge zu tun, verlangt die Regierung, dass die Erntehelfer nach ihrer Ankunft in Deutschland 14 Tage lang Hof und Felder nicht verlassen. Das bedeutet, dass sie eng an eng in stickigen Mehrbettzimmern wohnen, bei zwangsläufig hoher Infektionsgefahr. Zur Feldarbeit werden sie in großen Gruppen von mehreren Dutzend auf den Pritschenwagen, in überfüllten Anhängern oder Bussen gefahren. Die „Quarantäne“ besteht in einer lagerähnlichen Abschottung: Das Gelände in Bad Krozingen ist mit Zäunen, Planen und meterhohen Hecken abgeriegelt, und die Eingänge sind bewacht.

Diese Art der Abschottung – Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) nennt es: „faktische Quarantäne bei gleichzeitiger Arbeitsmöglichkeit“ – schützt höchstens die einheimische Bevölkerung, nicht jedoch die Arbeiter selbst. Zwar herrschen nicht in allen Landwirtschaftsbetrieben gleich katastrophale Bedingungen vor. Doch zuweilen erinnern sie wirklich stark an die Nazizeit, als „Ostarbeiter“ zur Arbeit in Deutschland gezwungen, streng von der Bevölkerung isoliert, deutlich schlechter als diese behandelt und oft in Todesgefahr versetzt wurden.

Heute ist es die blanke Armut, die die Menschen in solche Verhältnisse zwingt. Um mit ihrer Familie nicht Hungers zu sterben, nehmen osteuropäische Arbeiter das Risiko auf sich. Auch in diesem Fall hat die Corona-Pandemie nur die schlimmen Bedingungen ans Licht gebracht, die schon zuvor für die Billiglöhner auf den Feldern vorherrschten.

Nach dem Niedergang der stalinistischen Regime vor dreißig Jahren hielten mit dem Kapitalismus auch Arbeitslosigkeit, Ausbeutung, Armut und krasse soziale Ungleichheit in Osteuropa Einzug. Seither zwingen diese Bedingungen immer mehr Arbeiter dazu, sich im Westen Lohn und Brot zu suchen. Aus Rumänien kommen viele Erntehelfer schon seit mehr als zehn Jahren, seit dem EU-Beitritt dieses Landes im Jahr 2007.

Bahans Heimatort Solca liegt im heruntergekommenen Nordosten Rumäniens. Der Ort erlebte in den vergangenen dreißig Jahren einen außerordentlichen Niedergang. Im Lauf dieser Zeit wurden mehrere große Betriebe und Fabriken und ein Sanatorium mit Heilbad geschlossen. Von einst 5000 Einwohnern sind nicht einmal die Hälfte übrig geblieben, und viele Familien in Solca können, wie die von Nicolae Bahan, nur überleben, wenn die Eltern sich Jahr für Jahr in Deutschland als Erntehelfer verdingen.

In deutschen Landwirtschaftsbetrieben müssen sie für einen wahren Hungerlohn schwere Arbeit leisten. „Wir hatten sehr viel Arbeit und bekamen wenig Geld“, so der Kommentar eines Ehepaars gegenüber dem Spiegel in einem Artikel darüber. Das Ehepaar kam sieben Jahre lang, von 2007 bis 2013, immer nach Bad Krozingen zur Spargel- und Erdbeerernte. Im Jahr 2013, dem letzten, in dem sie in diesem Betrieb gearbeitet hätten, hätten sie „für das Spargelstechen um die vier Euro pro Stunde bekommen“, heißt es in dem Bericht.

Auch hätten sie in heruntergekommenen Unterkünften wohnen müssen. „Wir waren fünf bis sieben Leute je Zimmer, die Spinde in unseren Zimmern waren verrostet, die Betten aus Eisen wie im Gefängnis, im Gemeinschaftsbad waren die Duschen nur durch Plastikvorhänge abgetrennt und in der Küche gab es nicht einmal ein Waschbecken“ heißt es in dem Bericht. Die Ausweise habe man ihnen bei der Ankunft abgenommen. Arbeitsverträge hätten sie „zwar unterschrieben, aber nie eine zweite Ausfertigung oder eine Kopie erhalten. Und Lohnabrechnungen?“ – eine Frage, direkt zum Lachen.

Auf dem Papier sind die Löhne zwar höher. Der Bad Krozinger-Betrieb spricht von 9,35 Euro Mindestlohn, die bezahlt würden. Allerding werden vom Lohn noch die Jobvermittlungsgebühren und die Reisekosten abgezogen, dazu Kost und Logis, für die die Arbeiter zwölf Euro täglich bezahlen müssen (acht Euro für die Unterbringung im Container und vier für das tägliche Mittagessen).

Die Bundesregierung versucht die Konsequenzen ihres kriminellen Verhaltens zu verharmlosen. In der ZDF-Talkshow Lanz sagte Julia Klöckner einige Tage nach dem Tod Bahans: „Was wir erfahren haben, ist, dass er nicht an Corona gestorben ist, sondern nach einer Corona-Infektion. Er ist an einem Herzinfarkt verstorben.“ Auch das Landratsamt des Kreises Breisgau-Hochschwarzwald bemühte sich, Bahans Tod zu verharmlosen. Es ließ verlauten: „Es ist unklar, ob die Person an Covid-19 oder nur mit Covid-19-Symptomen gestorben ist.“

Solche Aussagen sind eine unwürdige und falsche Rechthaberei. Wie längst bekannt, erhöht sich bei Covid-19 akut auch das Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben. Das unselige Aufrechnen, ob jemand „am Coronavirus“ oder doch nur „mit einer Corona-Infektion“ gestorben sei, entstammt dem Arsenal der rechten Propagandakampagne, die Covid-19 zurzeit mit einer „starken Grippe“ gleichsetzt und die gefährliche „Durchseuchung“ befürwortet.

Die Rechtfertigungsversuche der deutschen Politiker sind eine offene Beleidigung für die Familie des Verstorbenen und für alle Arbeiter. Sie machen deutlich, dass die Regierung von vorneherein davon ausgeht, dass die Arbeiterklasse mit dem Leben von Tausenden für die Corona-Pandemie bezahlt.

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