Der amerikanische Kongress hat am Mittwoch mit großer Mehrheit Sanktionen gegen Firmen beschlossen, die am Bau der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 beteiligt sind. Den Firmen und ihren Managern droht der Visa-Entzug und das Einfrieren ihrer Vermögenswerte in den USA.
Nord Stream 2 verbindet Russland durch die Ostsee direkt mit Deutschland. Von dort wird das Gas über Land in weitere europäische Länder verteilt. Die Pipeline verläuft parallel zu Nord Stream 1, die seit 2011 in Betrieb ist, und verdoppelt deren Jahreskapazität von 55 auf 110 Milliarden Kubikmeter. Deutschland hat derzeit einen Jahresverbrauch von knapp 90 Milliarden Kubikmeter Erdgas.
Auch die Pipeline Turkish Stream, die aus Südrussland durch das Schwarze Meer in die Türkei führt, ist von den Sanktionen betroffen. Die Verlegung der Rohre, gegen die sich die Sanktionen richten, ist allerdings bereits vollendet.
Auch Nord Stream 2 ist weitgehend fertiggestellt. Über 1000 von insgesamt 1230 Kilometern Rohre sind verlegt. Die Kosten von zehn Milliarden Euro werden zur Hälfte vom russischen Energieriesen Gazprom und zur Hälfte von den fünf europäischen Unternehmen OMV, Wintershall Dea, Engie, Uniper und Shell getragen. Unterstützt wird das Projekt von der deutschen Regierung.
Der US-Kongress verabschiedete das Sanktionsgesetz, das vom republikanischen Senator Ted Cruz und der demokratischen Senatorin Jeanne Shaheen eingebracht wurde, mit Unterstützung beider Parteien. Es wurde mit 377 zu 48 Stimmen im Rahmen des Militärhaushalts von 738 Milliarden Dollar genehmigt, des größten in der amerikanischen Geschichte. Die Zustimmung des Senats und die Unterschrift von Präsident Trump gelten als sicher. Trump wird das Gesetz voraussichtlich noch in diesem Jahr unterzeichnen.
Nord Stream 2 stößt in den USA und Osteuropa seit langem auf heftige Kritik. US-Politiker werfen Deutschland vor, es mache sich damit von Russland abhängig, stärke den russischen Präsidenten Wladimir Putin und schwäche die Ukraine, die bisher als Transitland für russisches Erdgas hohe Gebühren kassiert und die Kontrolle über die Transitpipelines als politisches Druckmittel eingesetzt hat. Auch Polen und die baltischen Staaten lehnen Nord Stream 2 ab, weil sie eine deutsch-russische Annäherung zu ihren Lasten befürchten.
Die deutsche Seite hält dagegen, Nord Stream 2 sei unverzichtbar für die Sicherheit und die Unabhängigkeit der eigenen und europäischen Energieversorgung. Sie wirft den USA außerdem vor, sie wollten den Gaspreis in die Höhe treiben, um Europa mit teurem amerikanischen Flüssiggas (LNG) zu beliefern. Welche Bedeutung Deutschland dem Projekt zumisst, zeigt auch die Tatsache, dass der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) seit 14 Jahren Aufsichtsratsvorsitzender von Nord Stream ist – offiziell als Vertreter von Gazprom.
Vertreter der deutschen Wirtschaft und Politik reagierten empört auf die Sanktionen und griffen die USA heftig an. Außenminister Heiko Maas (SPD) erklärte: „Die europäische Energiepolitik wird in Europa entschieden, nicht in den USA. Eingriffe von außen und Sanktionen mit extraterritorialer Wirkung lehnen wir grundsätzlich ab.“
Der Chef der deutsch-russischen Auslandshandelskammer (AHK), Matthias Schepp, forderte die Bundesregierung zu Gegenmaßnahmen auf. „Es ist an der Zeit, dass Berlin und Brüssel eine klare politische Position beziehen und mit gezielten Gegenmaßnahmen antworten“, sagte er. „Deutschland braucht günstige Energiepreise, um mit seinen energieintensiven Industrien im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können.“
Ähnlich äußerte sich AfD-Fraktionschef Alexander Gauland. „Ohne die Gasimporte aus Russland würden die Risiken für die Energiesicherheit in Deutschland weiter wachsen“, erklärte er. Hinter dem Sanktions-Beschluss stünden „massive wirtschaftliche Interessen der Vereinigten Staaten, die Deutschland an Stelle des russischen Erdgases nur zu gerne teures amerikanisches Flüssiggas verkaufen würden“. Washington müsse „akzeptieren, dass wir selbst bestimmen, von wem wir unsere Energieträger beziehen, anstatt mit Sanktionen zu drohen, durch die alle nur verlieren können“.
Der CDU-Parlamentarier Johann Wadephul bezeichnete die Sanktionen als „Belastung für das deutsch-amerikanische Verhältnis“.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte dem Spiegel: „Die USA sind jetzt endgültig wieder im Wilden Westen angekommen, wo nur das Recht des Stärkeren gilt. Wenn Sanktionen nun auch gegen Verbündete eingesetzt werden, gehen wir schweren Zeiten entgegen.“ Europa dürfe sich nicht erpressen lassen, um „schmutziges amerikanisches Flüssiggas“ zu kaufen.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch rief die Bundesregierung auf, schärfer gegen die USA vorzugehen. „Das darf sich die Bundesregierung nicht bieten lassen“, sagte er. Sie dürfe dieser Erpressung in keinem Fall nachgeben.
Auch die Grünen, die Nord Stream aus umwelt- und außenpolitischen Gründen ablehnen, reihten sich in den Chor der nationalistischen Empörung ein. „Es ist eine beispiellose Einmischung in die inneren Angelegenheiten der EU. Der US-Präsident demonstriert erneut, dass er politisches Handeln durch Erpressung ersetzt“, sagte die Parteivorsitzende Annalena Baerbock.
Die Sanktionen der USA gegen das Energieprojekt eines engen Nato-Partners machen deutlich, wie konfliktgeladen die Beziehungen innerhalb des größten Militärbündnisses der Welt inzwischen sind. Sie zeigen auch, dass die wachsenden transatlantischen Spannungen nicht nur auf Präsident Trump und seine America-first-Politik zurückzuführen sind. Trump hat in der Nord-Stream-Frage bisher sogar einen nachgiebigeren Kurs verfolgt als die Falken im Lager der Demokraten.
Objektive Ursache der wachsenden Konflikte ist die tiefe Krise des globalen Kapitalismus. Der Kampf mächtiger Kapitalinteressen um Märkte, Rohstoffe, Öl- und Gaspipelines, Handelsrouten und billige Arbeitskräfte lässt die alten Konflikte zwischen den Großmächten wieder aufbrechen, die die Welt im 20. Jahrhundert zwei Mal in ein Inferno verwandelt hatten.
Bundeskanzlerin Merkel, Außenminister Maas und andere führende deutsche Politiker haben zwar dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron heftig widersprochen, als dieser die Nato für „hirntot“ erklärte, und ihre Loyalität zum transatlantischen Militärbündnis bekundet. Aber das ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass Deutschland noch Zeit braucht, um sich militärisch von den USA zu emanzipieren.
Eine ausführliche Studie der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) über „Die Rolle der Nato für Europas Verteidigung“ gelangt zum Schluss, dass „eine glaubwürdige Abschreckung“ und eine „militärische Verteidigung Europas“ derzeit ohne die „politischen, konventionellen und nuklearen Beiträge“ der USA nicht möglich seien. „Eine eigenständige Handlungsfähigkeit der Europäer im Verteidigungssektor“ sei „kurzfristig ohne die USA nicht zu erreichen“.
Deshalb liege es „im Interesse Deutschlands, die politischen und militärischen Funktionen der Allianz langfristig zu sichern“. Angesichts der Veränderungen in der US-Politik müssten „die europäischen Alliierten aber über eine künftige Form der Nato und der europäischen Verteidigung nachdenken, an der die USA in geringerem Maße beteiligt sind“.
Andres ausgedrückt: Die Europäer und Deutschen müssen erst aufrüsten, bevor sie mit den USA brechen können.
Die US-Sanktionen gegen Nord Stream werden die Aufrüstungsbemühungen der deutschen Regierung beschleunigen, die für die nächsten zehn Jahre schon jetzt eine Verdoppelung des Militärhaushalts auf jährlich 90 Milliarden Euro plant. Und wie die Reaktionen auf die US-Sanktionen zeigen, kann sie dabei auf die Unterstützung aller Parteien im Bundestag zählen – von der AfD bis zur Linken.