General Motors will in seinen Werken die Leiharbeit ausweiten, den Arbeiteranteil an der Krankenversicherung um das Fünffache erhöhen und den Lohnzuwachs unter der Inflationsrate halten. Dies ist nichts weniger als eine Großoffensive, die sich nicht nur gegen die 48.000 streikenden Autoarbeiter bei GM richtet, sondern gegen die gesamte amerikanische und internationale Arbeiterklasse.
Das Unternehmen nimmt keinerlei Rücksicht auf die Arbeiterinnen und Arbeiter. Wenn der Streik erfolgreich sein soll, muss der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) die Kontrolle über den Streik entzogen und der Ausstand ausgeweitet werden. Die UAW hat Arbeiter isoliert und ihre Position geschwächt, indem sie ihnen nur 250 US-Dollar wöchentlichen Streiklohn zahlt und die Arbeiter von Ford und Fiat-Chrysler am Arbeitsplatz hält. So hilft sie der Automobilindustrie, den Auswirkungen eines anhaltenden Streiks standzuhalten.
Der Streik verursacht erhebliche Störungen in den internationalen Lieferketten. Gestern hat GM 415 von 2.100 Mitarbeitern in seinem mexikanischen V-8-Motoren- und Getriebewerk in Ramos Arizpe im nordmexikanischen Coahuila in Zwangsurlaub geschickt. Das Werk in Silao, Guanajuato, mit 6.000 Mitarbeitern, liegt still. Über 10.000 Arbeiter in der Zulieferindustrie, die nicht Mitglied der Gewerkschaft UAW sind, wurden infolge des Streiks in den USA entlassen.
Das Ergebnis des Streiks wird sich in den kommenden Jahren auf die Lebensbedingungen von Millionen von Arbeitern auswirken – nicht nur in der Automobilindustrie, sondern in allen Branchen.
Es geht dabei nicht nur um die Auseinandersetzung mit einem mächtigen Unternehmen. Mit diesem Vorstoß will die herrschende Klasse die Klassenbeziehungen dramatisch verändern und Billionen Dollar mehr von der Arbeiterklasse an die Finanzaristokratie übertragen. Die Autoarbeiter kämpfen hier für die gesamte Arbeiterklasse.
GM versucht, seiner Belegschaft das aufzuzwingen, was für die amerikanische Wirtschaft eine Traumvision der Zukunft ist: Es gibt eine Armee von Zeitarbeitern ohne Rechte, die nach Belieben geheuert und gefeuert werden können, sowie Werke, die vom Unternehmen nach Belieben geschlossen werden können; der Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung ist abgeschafft und die Produktivität wird über sinkende Löhne und Sicherheitsstandrads gesteigert.
GM will im Sinne der Wall Street die internationale Belegschaft „uberisieren“ und „amazonisieren“, um ein Höchstmaß an Ausbeutung zu gewährleisten, die Gewinne zu steigern und den Aktienmarkt aufzublasen. Erst gestern hat General Electric ein Ende der Betriebsrenten für 10.000 Arbeitnehmer angekündigt. Hier wird Massenarmut geplant. Wenn die Strategie der herrschenden Klasse erfolgreich ist, wird sie Millionen Arbeitnehmer über Generationen hinweg an den Rand der körperlichen und psychischen Erschöpfung bringen.
Die Rücksichtslosigkeit von GM ist nicht nur Ergebnis der „Gier“ eines Unternehmens, auch wenn Gier vielfach gegeben ist. Die Gier entspringt aber der Logik des kapitalistischen Systems und den materiellen Interessen der mächtigen Aktionäre von GM.
Neunundsiebzig Prozent der GM-Aktien befinden sich im Besitz von institutionellen Anteilseignern, darunter 7,8 Prozent bei Capital Research and Management, sieben Prozent bei Vanguard, fünf Prozent bei Berkshire Hathaway und 4,3 Prozent bei BlackRock.
Laut einer Studie aus dem Jahr 2017, die in der Zeitschrift Business and Politics erschien, sind die drei weltweit führenden institutionellen Investoren - Vanguard, State Street und BlackRock – „die größte Aktionäre von 1.662 der 3.900 börsennotierten US-Unternehmen, die... 78 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung von US-Unternehmen ausmachen“, darunter auch GM. Diese Unternehmen haben „eine aktuelle Marktkapitalisierung von mehr als 17 Billionen Dollar, besitzen Vermögenswerte im Wert von fast 23,9 Billionen Dollar und beschäftigen mehr als 23,5 Millionen Menschen“.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die drei mächtigsten institutionellen Anteileigner „eine Position mit unübertroffenem Machtpotenzial gegenüber den amerikanischen Unternehmen einnehmen“ und dass es „eine Konzentration von Unternehmensbesitz gibt, die seit den Tagen von JP Morgan und JD Rockefeller nicht mehr zu beobachten war“. Die ersten drei „haben das Potenzial, bedeutende Veränderungen in der politischen Ökonomie der Vereinigten Staaten zu bewirken“.
Das ist genau das, was die Wall Street mit dem neuen Tarifvertrag bei GM erreichen will.
Die Arbeiterinnen und Arbeiter müssen aus diesen Fakten strategische Schlussfolgerungen ziehen.
Der erste unmittelbare Schritt muss die Bildung von Betriebsausschüssen sein, um den Streik auf Ford und Fiat-Chrysler auszuweiten. Die Arbeiter befinden sich im Krieg mit den Konzernen und müssen daher nach Verstärkungen suchen, um den Kampf zu führen.
Die Streiklöhne müssen auf 750 Dollar pro Woche verdreifacht werden. Dies ist notwendig, um einen echten Kampf zu führen. Dies kann aus dem Streiftopf in Höhe von 800 Millionen Dollar bezahlt werden und durch ein Einfrieren der Gehälter von UAW-Funktionären, besonders jener 450 Offiziellen, über 100.000 Dollar pro Jahr verdienen und während des Streiks das volle Gehalt beziehen.
Die Arbeitnehmer müssen dann ihre eigenen Forderungen aufstellen. Seit Jahrzehnten wird den Arbeitnehmern gesagt, sie müssten ihre Forderungen den „Marktrealitäten“ unterordnen. Auf dieser Grundlage wurden Hunderte Fabriken geschlossen, Millionen Arbeitsplätzen vernichtet und die Löhne auf ein Niveau gesenkt, wie es vor den historischen Autoarbeiterstreiks der 1930er Jahre herrschte.
Der World Socialist Web Site Autoworker Newsletter ruft Arbeiterinnen und Arbeitern dazu auf, folgende Forderungen zu stellen:
40-prozentige Lohnerhöhung, Wiedereinführung der Anpassung von Löhnen und Betriebsrenten an die Lebenshaltungskosten, Abschaffung des zweistufigen Lohn- und Sozialleistungssystems sowie die sofortige Übernahme und Entfristung aller Zeitarbeiter.
Wiedereröffnung der Werke Lordstown, Warren und Baltimore, Stopp aller Werksschließungen und Wiedereinstellung aller entlassenen Arbeiter.
Wiedereinstellung aller entlassenen Arbeiter im Werk von GM im mexikanischen Silao, und die Zahlung aller Lohnrückstände. Diese heldenhaften Arbeiter wurden entlassen, weil sie sich geweigert haben, die Produktion der hochprofitablen Pickup-Lkw von GM während des Streiks in den USA zu erhöhen. Ihre Verteidigung ist der beste Weg, um die US-amerikanischen, kanadischen und mexikanischen Arbeiter zu vereinen und die Strategie der Unternehmen zu untergraben, die Arbeiter in einem Wettlauf nach unten gegeneinander auszuspielen.
Die Gewerkschaft UAW wird und kann keine dieser Forderungen stellen, weil dies ihre kriminellen und korrupten Beziehungen zu den Unternehmen untergraben würde.
Die Arbeiter müssen sich von der Vorstellung befreien, dass die UAW gezwungen werden kann, dem Druck der Arbeiter nachzugeben und zu kämpfen. Das Gegenteil ist der Fall: Je größer der Zorn und die Entschlossenheit der Arbeiter, desto stärker wird die UAW mit den Unternehmen hinter ihrem Rücken zusammenarbeiten, um den Streik zu beenden und die Interessen der Unternehmen zu verteidigen.
Um die Forderungen der Arbeiter umzusetzen, braucht es daher neue Massenorganisationen von unten. Diese Organisationen müssen den Informationsaustausch der Arbeiter untereinander erleichtern und es ihnen ermöglichen, demokratische Entscheidungen zu treffen und bei der Umsetzung dieser Entscheidungen gemeinsam zu handeln.
Sie wirken als Synapsen in einem politischen Nervensystem, erstrecken sich auf alle Arbeits- und Ausbildungsorte und verbinden die Arbeiter über nationale Grenzen hinweg. So kann die Arbeiterklasse als eine starke vereinte soziale Kraft gegen die Unternehmen und das kapitalistische System denken und handeln.
Das Schicksal des GM-Streiks und die Lebensbedingungen von zig Millionen Arbeitern hängen davon ab, dass GM-Mitarbeiter sich organisieren, Komitees bilden und die Kontrolle über ihren Kampf übernehmen.