Frühmorgens um 6 Uhr 30 treten Polizeistiefel die Tür zur Wohnung einer vierköpfigen Familie ein. Mindestens zwölf Polizisten drängen sich in das Schlafzimmer, und zwei kleine Mädchen, zwei und vier Jahre alt, schreien laut. Noch am selben Tag soll die Familie vom Rhein-Main Airport nach Algerien abgeschoben werden. Die brutale Aktion scheitert am Ende allein an der Einsicht des Piloten, der sich weigert, die hochschwangere Frau zu transportieren.
Der beschriebene Fall hat sich am 18. Januar im mittelhessischen Marburg ereignet. Er betraf eine Familie aus Algerien, die schon seit Jahren in Hessen lebte. Er ist symptomatisch für die Abschiebepolitik der hessischen Landesregierung aus CDU und Grünen, wie auch für das Vorgehen fast aller Bundesländer.
Denn der beschleunigte Abschiebewahn ist Bestandteil der rechten Politik der Großen Koalition und ihres Innenministers Horst Seehofer (CSU). Mehr und mehr setzt die Regierung reine AfD-Politik in die Praxis um, obwohl der allergrößte Teil der Bevölkerung das nicht will und immer wieder dagegen demonstriert.
Bei dem Marburger Fall handelt es sich um eine durchaus integrierte Familie, wobei die Eltern seit acht Jahren in Deutschland leben. Die Kinder sind beide hier geboren, alle vier sprechen fließend deutsch. Vater Tarek hatte immer Arbeit, zurzeit hat er die schriftliche Zusage für einen neuen Arbeitsplatz bei einer Marburger Firma in der Tasche. Ein Arzt hatte seine Frau, die im 8. Monat schwanger ist, mehrfach schriftlich für flugunfähig erklärt.
Nichts davon brachte die Ausländerbehörde Gießen von ihrem Vorhaben ab, diese Menschen abzuschieben. Bekannt wurde der Fall nur, weil die Familie eine deutsche Freundin hat, die 78-jährige ehemalige Studienrätin Anna Radke. In höchster Not riefen sie diese an, und sie musste dann als Zeugin miterleben, wie die Familie weggeschleppt wurde. „Totale Herzlosigkeit“, habe sie erfahren, berichtete sie der Oberhessischen Presse. Wie während der Nazidiktatur hätten die Beamten ihr gesagt, sie befolgten „nur Befehle“.
Abschiebezahlen von Grün-Schwarz in Hessen
Der Fall der Familie aus Marburg ist nur einer von vielen. Von Januar bis Dezember 2018 wurden aus Hessen mehr als 1750 Menschen abgeschoben, 600 mehr als im Vorjahr. Das entspricht im Durchschnitt täglich einer vier- bis fünfköpfigen Familie, oder täglich vier bis fünf Einzelpersonen. Einschließlich der sogenannten „freiwilligen“ Ausreisen sind es in Hessen sogar 4000 Personen.
Wenige Einzelschicksale werden öffentlich bekannt. Für Schlagzeilen sorgte zum Beispiel vor kurzem der Fall von Sami Ak Bik, einem Krankenpfleger in Wiesbaden. Er lebt schon seit über fünf Jahren hier, spricht fließend Deutsch und konnte vor drei Jahren seine Ehefrau aus Syrien nachholen. Auch er erhielt vor kurzem einen Brief von der Ausländerbehörde Wiesbaden. Darin stand, sein Gehalt reiche nicht aus, seine Aufenthaltserlaubnis werde nicht verlängert, und deshalb sei er „zur Ausreise aus dem Bundesgebiet verpflichtet“.
Erst die Initiative seiner Kollegen, die ihm eine Rechtsanwältin verschafften, eine Petition ins Netz stellten und die Presse so breit wie möglich informierten, bewirkte in seinem Fall im Ausländeramt einen Umschwung. Es habe sich „um einen Berechnungsfehler“ gehandelt, wurde dem Pfleger mitgeteilt, der Bescheid werde umgehend korrigiert.
Inzwischen mahlt die Abschiebemaschinerie gnadenlos weiter. Am 13. Februar – wieder „in den frühen Morgenstunden“, wie es in der Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Gießen heißt – organisierte das BAMF eine Razzia in der Erstaufnahmeeinrichtung Gießen-Neustadt. Zwei Dutzend Polizeifahrzeuge umstellten eine Flüchtlingsunterkunft, in der 67 Männer wohnen, kontrollierten die Anwesenden und nahmen drei von ihnen fest. Außerdem beschlagnahmten sie 16 Mobiltelefone.
Die Aktion habe der „Identitätsklärung“ gedient, heißt es in der Pressemitteilung: „Eine geklärte Identität ist eine der Grundvoraussetzungen, um einen ausreisepflichtigen Flüchtling in sein Heimatland zurückzuführen.“
Erst am 6. März kam ein neuer dramatischer Fall aus dem Regierungsbezirk Kassel ans Licht. Die Polizei versuchte auch hier, eine fünfköpfige Familie abzuschieben. Auch in diesem Fall in Meinhard (Werra-Meißner-Kreis) drangen die Polizisten am Mittwoch kurz nach vier Uhr früh in das Mehrfamilienhaus ein, in dem die tadschikische Familie im Dachgeschoss wohnt.
Der 32-jährige Familienvater floh darauf in Panik durch das Schlafzimmerfenster aufs Dach. Dort geriet er auf den feuchten Ziegeln ins Rutschen und stürzte ab, aus vier Meter Höhe auf ein Vordach aus Wellblech. Schwer verletzt wurde er ins Krankenhaus gebracht. Die Familie, zu der drei Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren gehören, sollte auf Anordnung der Ausländerbehörde nach Spanien abgeschoben werden.
Diese Beispiele machen deutlich, dass es sich keineswegs um Einzelfälle handelt. Sie folgen alle demselben Muster: Immer wieder wird eine große Zahl von Polizeibeamten eingesetzt, die ihre Opfer in aller Herrgottsfrühe überfallen, wenn sie noch im Tiefschlaf liegen, um sie vom Fleck weg abzuschieben.
Besonders unheimlich wird das Ganze, wenn man es im Zusammenhang mit den jüngsten Enthüllungen über rechtsradikale Netzwerke in der hessischen Polizei betrachtet: Offenbar benötigen die Politiker und die Behörden gerade rechtsradikale und neonazistische Polizisten, um das schmutzige Geschäft der Abschiebungen durchzuführen.
Doch verantwortlich für die menschenverachtende Praxis sind tatsächlich alle Parteien. Das zeigt sich an dem aktuellen Geschacher um die Einstufung sogenannter „sicherer Herkunftsländer“.
Die Rolle der Linken
Der Bundestag beschloss schon im Januar mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und AfD, dass die Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien und Marokko, sowie Georgien zum „sicheren Herkunftsland“ erklärt werden sollen. Bisher fehlte dazu jedoch die Zustimmung des Bundesrats, in dem die von Grünen und Linkspartei mitregierten Länder die Einstufung dieser Staaten als „sichere Herkunftsländer“ bisher ablehnten. Ausgerechnet die Linkspartei könnte dies jetzt ändern.
Am 15. Februar verschob der Bundesrat die Entscheidung darüber auf Antrag des Landes Thüringen, in dem Bodo Ramelow (Die Linke) eine rot-rot-grüne Landesregierung führt. Wie das Magazin Der Spiegel aufzeigte, forderte Ramelow schon im November 2018 eine „geregelte Migration“, und mit seinem Antrag im Bundesrat bewahrte er die Regierung bis auf weiteres vor einer Niederlage.
Während die Maghreb-Staaten wegen der fehlenden Ratifizierung im Bundesrat bisher keine „sicheren Herkunftsländer“ sind, schaffen die Innenminister des Bundes und der Länder längst Fakten. Im letzten Jahr wurde die Zahl der Abschiebungen in diese Länder massiv hochgefahren. Im Vergleich zu 2015 wurde sie fast auf das Vierzehnfache – von 135 Abschiebungen in alle drei Länder auf insgesamt 1873 Abschiebungen – erhöht.
Der gescheiterte brutale Versuch, die algerische Familie aus Marburg abzuschieben, erfolgte ausgerechnet am selben 18. Januar, an dem der Bundestag in Berlin Algerien und die andern zwei Maghreb-Staaten zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärte.
Die Gestapo-Methoden bei den Abschiebungen sowie die Tatsache, dass alle Parteien – auch SPD, Grüne und Linke – sie mittragen, muss von der Arbeiterklasse als Warnung verstanden werden. Heute richten sich die Nazimethoden gegen abgelehnte Asylbewerber und Migranten. Schon morgen werden sie gegen politische Oppositionelle und alle Arbeiter eingesetzt, die Widerstand leisten.