Der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan haben am Montag in Istanbul die Fertigstellung des Unterwasserteils der Erdgasleitung Turkish Stream gefeiert.
Die 930 Kilometer lange Pipeline verläuft am Grund des Schwarzen Meeres und verbindet Russland mit dem europäischen Teil der Türkei. Sie erreicht das Festland nur 50 km von der bulgarischen EU-Grenze entfernt. Die Pipeline soll Ende 2019 in Betrieb gehen und ist auf eine Kapazität 31,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr ausgelegt.
Die Hälfte des Gases ist für die Türkei bestimmt, die bereits 2017 mehr als die Hälfte ihrer Gasimporte aus Russland bezog. Die Pipeline Blue Stream mit einer Kapazität von 19 Milliarden Kubikmeter, die ebenfalls durch das Schwarze Meer verläuft, ist seit 2003 im Betrieb.
Die andere Hälfte des Gases soll nach Europa weiter fließen, vor allem in die Balkanländer Bulgarien, Ungarn und Serbien. Es kann aber auch über Griechenland nach Italien weitergeleitet oder über Wien in die westeuropäischen Gasnetze eingespeist werden. Genaue Pläne stehen noch nicht fest.
In dem Pipelineprojekt bündelt sich ein komplexes Geflecht ökonomischer und geostrategischer Interessen, die Gegenstand explosiver Konflikte zwischen Groß- und Regionalmächten sind – insbesondere den USA, Russland, der Türkei und Europa, wobei Europa selbst tief gespalten ist.
TurkStream ersetzt das Projekt South Stream, das vor vier Jahren auf Druck Brüssels und Washingtons gestoppt wurde. Die Pipeline sollte jährlich 63 Milliarden Kubikmeter Gas von der russischen an die bulgarische Schwarzmeerküste liefern und rund einen Zehntel des europäischen Gasbedarfs decken. Das stieß auf heftigen Widerstand der USA und der EU-Kommission. Sie argumentierten, Europa werde damit zu sehr von russischen Energieimporten abhängig und die Ukraine, durch die bisher ein große Teil der russischen Gasexporte nach Europa lief, werde von einer wichtigen Einkommensquelle abgeschnitten.
Als Bulgarien auf Druck der EU die Baumaßnahmen einstellte, stoppte der russische Präsident das Projekt. Innerhalb kurzer Zeit einigte er sich dann mit Ankara, stattdessen die Pipeline TurkStream mit einer halb so großen Kapazität zu bauen. Obwohl sich die Türkei und Russland zwischenzeitlich wegen des Abschusses eines russischen Jets in Syrien heftig zerstritten, gingen die Bauarbeiten zügig weiter.
Nun feierten sowohl der russische wie der türkische Präsident den Bauabschluss als erfolgreichen Schlag gegen den Druck der USA. Putin erklärte in Istanbul, der Abschluss eines solchen Projekts sei „ein gutes Beispiel für die Fähigkeit, für die eigenen nationalen Interessen einzutreten“. Erdogan ergänzte: „Die Entscheidung von Ländern, wo sie ihren Umständen entsprechend ihr Erdgas beziehen, muss respektiert werden. Druck, der die Souveränität verletzt und Staaten daran hindert, im Interesse ihrer Bürger zu handeln, dient niemandem.“
Beide bezogen sich auf US-Präsident Trump, der wiederholt mit Gegenmaßnahmen gedroht hatte, falls Europa oder die Türkei ihre Gasimporte aus Russland erhöhen. US-Energieminister Rick Perry hatte noch im November Ungarn besucht und gewarnt: „Russland nutzt die Pipelineprojekte Nord Stream 2 und TurkStream, um seinen Einfluss auf die Sicherheit und Stabilität Zentral- und Osteuropas zu erhöhen.“
Er stieß allerdings auf taube Ohren. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto antwortete, die Fertigstellung von TurkStream sei eine gute Nachricht für Ungarn, dass dadurch seinen Energiebedarf besser decken könne. Auch Serbien und Montenegro, die noch nicht Mitglied der EU sind und traditionell enge Beziehungen zu Russland unterhalten, sind an höheren Erdgaslieferungen aus Russland interessiert.
Deutschland spielt in diesem Poker um Energie und Einfluss eine besonders aggressive und doppelbödige Rolle. Einerseits betrachtet es Russland – vor allem in Osteuropa und auf dem Balkan – als strategischen Rivalen. Es spielt eine führende Rolle beim Militäraufmarsch der Nato an der russischen Grenze. Andererseits ist es in hohem Maße von russischen Energieimporten abhängig, auf die es in keinem Fall verzichten will.
Die Energiezufuhr ist die Achillesferse der Wirtschaft Deutschlands, das außer umweltschädlicher Braunkohle und wetterabhängiger Wind- und Wasserenergie keine eigenen Energiequellen hat. Berlin will vor allem vermeiden, dass Deutschland von Energieimporten aus den USA oder Staaten wie Saudi-Arabien abhängig wird, die unter amerikanischem Einfluss stehen,.
Über die Gaspipeline Nord Stream, die Russland über die Ostsee direkt mit Deutschland verbindet, gibt es heftige Konflikte mit Washington und einer Reihe osteuropäischer Staaten. US-Präsident Donald Trump hat wiederholt mit Sanktionen gegen den Bau des zweiten Strangs der Pipeline gedroht, der mittlerweile begonnen hat. Die Gesamtkapazität von Nord Stream 1 und 2 ist mit 110 Milliarden Kubikmeter rund dreimal so hoch wie die von TurkStream.
Auch in der Türkei begegnen sich die USA und Deutschland zunehmend als Rivalen, obwohl alle drei Länder Mitglied der Nato sind. Deutschland nutzt das Land sowohl als Tor zum Nahen Osten wie als wichtigen Absatzmarkt. Nachdem die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara, nicht zuletzt wegen unterschiedlicher Positionen im Syrienkrieg, über längere Zeit äußerst angespannt waren, hat die Bundesregierung Erdogans Reaktion auf die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi benutzt, um wirtschaftlich vorzupreschen.
Nachdem Erdogan bereits Ende September zu einem Staatsbesuch in Berlin empfangen worden war, besuchte Wirtschaftsminister Peter Altmaier Ende Oktober in Begleitung von 30 deutschen Unternehmensvorständen die Türkei, um Geschäfte anzuschließen. Zu den lukrativsten Deals, über die Siemens mit Unterstützung der deutschen Regierung verhandelte, gehört der Ausbau des türkischen Eisenbahnsystems mit einem Volumen von 35 Milliarden Euro.
Einige der Strecken, die von Siemens ausgebaut werden sollen, verlaufen entlang der alten Bagdadbahn. Deren Bau durch das kaiserliche Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts wurde zum Symbol für die Expansion des deutschen Imperialismus im Nahen Osten. Er verschärfte die Spannungen mit den alten Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien, die dann im Ersten Weltkrieg explodierten.
Das ist nicht die einzige Parallele zum Vorabend des Ersten Weltkriegs. Die zunehmend aggressive Handels- und Wirtschaftspolitik aller imperialistischen Mächte, der Konflikt mit Russland um Einfluss auf den Balkan und auf die Türkei, die massive Steigerung der Rüstungsausgaben – all das zeigt, das keines der Probleme gelöst ist, die die imperialistischen Mächte im 20. Jahrhundert in zwei mörderische Weltkriege trieben.