Der Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, René Wilke von der Linken, hat gegen sieben Flüchtlinge aus Syrien, Pakistan und den Palästinensergebieten ein Ausweisungsverfahren eingeleitet.
Er nutzt eine Schlägerei Ende August im Disco-Club Le Frosch, in die junge Geflüchtete aus Syrien verwickelt waren, um fremdenfeindliche Stimmungen anzuheizen und dabei auch den momentan noch geltenden Abschiebestopp von Syrern in das Kriegsgebiet ihrer Heimat auszuhebeln.
Wenige Tage nach den Aufmärschen von Neonazis in Chemnitz, Köthen und Dortmund demonstriert die Linkspartei damit, dass sie der Großen Koalition und Innenminister Seehofer in nichts nachsteht und die Politik der AfD übernimmt. Deren Unterstützung erhielt Wilke daher prompt. Der brandenburgische Landesvorsitzende Andreas Kalbitz, der zum extrem rechten Höcke-Flügel gehört, erklärte: „Wir fühlen uns in unseren Forderungen bestätigt.“
Auch Vertreter der brandenburgischen rot-roten Regierung aus SPD und Linkspartei, wie Ministerpräsident Dietmar Woitke und dessen Innenminister Karl-Heinz Schröter, sowie die Grünen geben Wilke ausdrücklich Rückendeckung.
Der in der Linkspartei und ihr nahestehenden Kreisen als junger, unkonventioneller „Shooting-Star“ gefeierte René Wilke überschlägt sich regelrecht im Versuch, den weitgehend ungeklärten Vorfall in dem Frankfurter Club „gewaltbereiten Flüchtlingen“ in die Schuhe zu schieben. Das „gravierende Fehlverhalten“ der mutmaßlichen Täter schade Geflüchteten und damit den Bemühungen aller Frankfurter, die ihnen helfend, offen und gastfreundlich zur Seite stünden, so Wilke. „Dagegen wollen wir ein Zeichen setzen und den rechtlich gegebenen Rahmen vollends ausschöpfen. Hass und Gewalt, egal durch wen, dürfen in unserer Stadt keinen Platz haben.“
Seine Äußerungen stehen in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Erkenntnissen über den Vorfall im Le Frosch. Bisher wurde nur berichtet, dass es in der Diskothek zwischen einem Besucher und zwei Syrern zum Streit gekommen sein soll, worauf sich letztere ein Dutzend Freunde per Telefon zu Hilfe geholt und diese den Club demoliert haben sollen. Auch hätten sie den anderen Mann am nächsten Abend zusammengeschlagen. Derartige gewalttätige Auseinandersetzungen unter Jugendlichen sind in der Club-Szene nicht selten. Was genau der Anlass des Streits war, ist nicht bekannt.
Doch für den Linkspolitiker Wilke sind die Schuldigen schon ausgemacht. Er wartet den Abschluss der Ermittlungen und die Einleitung gerichtlicher Verfahren gar nicht erst ab und setzt sich über demokratische Rechtsprinzipien bedenkenlos hinweg.
Mit Polizei, Staatsanwaltschaft und dem Innenministerium in Potsdam hat er sich bereits intern abgesprochen, um „den verwaltungsrechtlichen Prozess einer Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland“ einzuleiten. Dabei soll ein 2016 eingeführter Passus im Aufenthaltsgesetz zur Anwendung kommen, der bislang nur in Ausnahmesituationen wie „Terrorgefahr“ genutzt wurde. Danach kann ein Ausländer ausgewiesen werden, „wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt“ (§ 55 Ermessensausweisung).
Wilke behauptete im rbb, die jungen Männer seien noch für viele weitere Straftaten verantwortlich. Einen Beleg blieb er schuldig. „Bei den Verhören zeigt sich ja auch noch, dass es null Schuldbewusstsein gibt. Gar keins!“, so der Linkspolitiker. „Die sagen, was sie gemacht haben, ist genau richtig. Sie würden es wieder tun.“
Offenbar bezieht Wilke sein Wissen aus Ermittlerkreisen. Auf Anfrage teilt er dem rbb schriftlich mit: „Im Zusammenhang mit den Vorkommnissen der vergangenen Wochen gibt es eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen der Stadt und den Ordnungs- und Sicherheitsbehörden.“
Laut rbb soll Wilke keine Einsicht in die Ermittlungsakten haben. Fakt ist aber, dass er Inhalte aus Ermittlungsverfahren öffentlich gemacht hat. Für den Juristen an der Frankfurter Viadrina-Universität Thomas Bode ist das ein Verstoß gegen den Datenschutz. So etwas habe in der Öffentlichkeit nichts zu suchen und dürfe Dritten nicht weitergeben werden, so Bode.
Der rbb vermutet eine gezielte Aktion, um flüchtlingsfeindliche Stimmungen anzuheizen. „Hat Oberbürgermeister René Wilke also genau daraus zitiert, als er von den uneinsichtigen Syrern sprach? Wenn ja, dann verallgemeinert der Linken-Politiker womöglich vom Verhalten einer einzelnen Person auf das Verhalten einer ganzen Gruppe. So etwas zu tun, wird oft und gern Gruppen am anderen politischen Rand unterstellt.“
Gegenüber dem Boulevardblatt BZ bauschte Wilke den Vorfall vom Club Le Frosch auf und erklärte: „Ich will nicht warten, bis es die ersten Toten gibt.“ Gegenüber dem Magazin Cicero rechtfertigte er diese Aussage und forderte ausdrücklich die Ausweisung auch von Syrern mit Schutzstatus. Dabei beschwerte er sich über „hohe Hürden“ im Ausländerrecht. „Die Haupttäter kommen aus Syrien, aus einem Land, das derzeit noch als problematisch eingestuft wird. Deshalb können sie derzeit nicht dorthin abgeschoben werden. Ich will aber jetzt eine Entscheidung herbeiführen, damit wir vollziehen können, wenn sich die Einstufung ändert“, so Wilke.
Um dann „zügig“ abschieben zu können, verlangt Wilke eine weitere staatliche Aufrüstung. „Justiz und Polizei brauchen dringend eine angemessene Ausstattung. Der Rechtsstaat muss jederzeit zügig handeln können.“ Seiner Verachtung für rechtsstaatliche Verfahren machte Wilke Luft und fordert unumwunden die Einrichtung von Lagern. Es müsse etwas „zwischen potentieller Gefahr und Inhaftierung geben“. Etwa „Traumazentren“, in denen festgestellt wird, „wo Hilfe gar nicht gewollt ist und erwiesenermaßen gefährliche Menschen zugleich aber nicht frei herum laufen bis etwas Schlimmeres passiert.“
Mit 16 Jahren trat Wilke der Vorläuferin der Linken, der PDS, bei. 2014 zog er in den brandenburgischen Landtag ein und bekleidete mehrere Ämter in der Fraktion. Wilke wurde vom ehemaligen Linken-Chef Gregor Gysi protegiert. Dieser sprach sich 2017 für die Kandidatur Wilkes als Oberbürgermeister in Frankfurt aus. Er trat in der Listenverbindung „Frankfurt geht besser“ an, einem Bündnis aus Linke, Grüne und parteilosen Personen. Im Mai dieses Jahres wurde er als Oberbürgermeister vereidigt. Frankfurt (Oder) ist damit die erste Stadt Brandenburgs sowie die größte Stadt Deutschlands mit einem Oberbürgermeister der Linken.
Dass der Linken-Bürgermeister im AfD-Jargon gegen Flüchtlinge hetzt und möglicherweise geheime Ermittlungsakten veröffentlicht hat, um eine fremdenfeindliche Kampagne zu lancieren, ist keine individuelle Erscheinung.
Wie eng die politischen Programme von Linkspartei und der Rechten beieinanderliegen, machte jüngst die ehemalige Osnabrücker AfD-Kreistagsabgeordnete Tanja Bojani deutlich. Sie wechselte in die Fraktion der Linken. Bojani war zuvor aus der AfD und aus der Kreistagsfraktion der Partei ausgetreten. In den Kommunen im Osten Deutschlands ist eine Zusammenarbeit von Linkspartei und rechten Kräften nicht unüblich. Das von einem Ministerpräsidenten der Linken, Bodo Ramelow, regierte Bundesland Thüringen zeichnet sich durch besonders hohe Zahlen bei Abschiebungen aus.
Auch die Sammelbewegung „#Aufstehen“, die die Linken-Fraktionschefin Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine kürzlich gestartet hat, bedient das reaktionäre Programm des Nationalismus, das sich gegen Ausländer und Flüchtlinge wendet. Sie hat nicht zufällig dafür Applaus vom AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland erhalten.
Je mehr Menschen gegen AfD- und Nazi-Aufmärsche protestieren, umso offener schwenkt die Linkspartei – das machen die Ereignisse in Frankfurt deutlich – auf den nationalistischen Kurs der extremen Rechten ein.