Die Terroranschläge vom 11. September 2001 dienten als offizieller Vorwand für den „Krieg gegen den Terror“ und eine Reihe blutiger Konflikte, die mindestens eine Million Menschen das Leben kosteten. 17 Jahre danach steht Washington an der Schwelle einer erneuten massiven Militäroffensive in Syrien, durch die mit al-Qaida verbundene Kräfte geschützt werden sollen.
Am Montag erklärte John Bolton, der nationale Sicherheitsberater der USA und einer der Architekten der Invasion im Irak im Jahr 2003, dass die USA sich aktiv auf einen Militärschlag gegen die syrische Regierung vorbereiten. Als Vorwand dafür dient ein Chemiewaffenangriff der syrischen Regierung, der sich, so die Behauptung des US-Verteidigungsministeriums, irgendwann in der nahen Zukunft ereignen werde.
„Wir sind in Gesprächen mit den Briten und Franzosen, die sich am zweiten Militärschlag [gegen die syrische Regierung im April] beteiligt haben. Sie stimmen außerdem mit uns überein, dass ein weiterer Einsatz von chemischen Waffen eine viel stärkere Reaktion nach sich ziehen wird“, warnte Bolton.
Die USA machen deutlich, dass es sich dabei nicht um eine Antwort auf etwas handelt, was die syrische Regierung angeblich bereits getan hat, sondern auf etwas, wovon Washington behauptet, dass die syrische Regierung es in der Zukunft tun werde. Es geht hier also, mit anderen Worten, um einen „Angriff“ auf Bestellung.
Die Anschuldigungen, die gegen die syrische Regierung erhoben werden, sind eine dreistere und schamlosere Version jener Behauptungen, die nach den Chemiewaffenangriff in Chan Schaichun im Jahr 2017 sowie dem in Duma zu Beginn dieses Jahres aufgestellt wurden. Führende Investigativjournalisten kamen zu dem Schluss, dass diese Angriffe wahrscheinlich von den islamistischen Stellvertreterkräften der CIA inszeniert wurden.
Die Vorwände, die Washington heranzieht, um seine Intervention zu eskalieren, sind frei erfunden. In den amerikanischen Print- und Rundfunkmedien werden sie unangefochten und ohne kritische Nachfrage wiedergegeben, ganz so als hätte es die Lügen der Bush-Regierung über „Massenvernichtungswaffen“ im Irak nie gegeben.
Die eigentliche Motivation, die diesen gefälschten Begründungen zugrunde liegt, ist eindeutig. Die syrische Regierung steht mit Unterstützung ihrer russischen und iranischen Verbündeten kurz vor einer neuen Großoffensive zur Rückeroberung der syrischen Provinz Idlib, die voraussichtlich erfolgreich sein wird, wenn die USA nicht eingreifen. Eine erfolgreiche Offensive würde das ganze Land effektiv unter die Kontrolle der syrischen Regierung stellen, womit die seit sieben Jahren andauernden Bemühungen der Vereinigten Staaten, im Bündnis mit islamistischen Milizen einen Regimewechsel herbeizuführen, praktisch gescheitert wären.
Für den US-Imperialismus wäre dies ein schweres Debakel. Washington ist nicht bereit, ein solches Ergebnis hinzunehmen, auch wenn ein Eingreifen der USA auf einen offenen Krieg mit den wichtigsten Verbündeten Syriens, Russland und Iran, hinauslaufen würde.
Am Samstag wurden 100 Marines zur Verstärkung einer US-Basis nach Syrien verlegt, nachdem die russischen Streitkräfte die Erlaubnis für einen Angriff auf Positionen des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS) in der Nähe angefordert hatten.
Das Pentagon machte deutlich, dass die US-Streitkräfte ohne Einschränkung dazu bereit sind, russische Truppen anzugreifen. „Die Vereinigten Staaten haben nicht die Absicht, gegen die Russen zu kämpfen“, erklärte ein Sprecher des Pentagons. „Die Vereinigten Staaten werden jedoch nicht vor der Gewalt zurückschrecken, die notwendig und angemessen ist, um die Streitkräfte der USA, der Koalition oder unserer Partner zu verteidigen.“
Seit die USA ihre Regimewechsel-Operation im Jahr 2011 begonnen haben, wurden islamistische Milizen, die mit al-Qaida und dem IS verbunden sind, von der CIA und dem Pentagon bewaffnet und ausgebildet. Bei den Bemühungen, die syrische Regierung zu stürzen, dienen ihnen diese Milizen als Schocktruppen.
Heute, 17 Jahre nach dem 11. September 2001, bereitet Washington erneut einen großen Krieg zum Schutz von Kämpfern vor, die ausgerechnet mit jener Organisation im Bündnis stehen, die der Durchführung des Angriffs auf das World Trade Center beschuldigt wird.
Was zunächst als verwirrende Kehrtwende erscheinen mag, bringt den wahren Charakter des sogenannten Kriegs gegen den Terror auf den Punkt. Er war – von den Umständen, unter denen die Anschläge vom 11. September 2001 stattfanden und die bis heute nicht geklärt wurden, einmal ganz abgesehen – von Anfang an dazu gedacht, die öffentliche Meinung für Angriffskriege zu mobilisieren, die von Washington lange vorher geplant waren.
Am Tag nach den Anschlägen vom 11. September erklärte die World Socialist Web Site, dass „der Kreuzzug gegen den Terrorismus von Seiten der amerikanischen Regierung in erster Linie eine Propagandakampagne war, mit der die Gewalttaten des amerikanischen Militärs auf der ganzen Welt gerechtfertigt werden sollten, und weniger ein gewissenhaftes Bemühen um den Schutz der amerikanischen Bevölkerung zum Ausdruck brachte.“
Die Ereignisse der folgenden Jahre haben diese Analyse durchweg bestätigt. Dieser „Krieg gegen den Terror“ war der Vorwand für eine Neuauflage des imperialistischen Neokolonialismus von enormem Ausmaß – der Einmarsch in Afghanistan 2001, die Invasion des Irak 2003, die Kriege für Regimewechsel in Libyen und Syrien sowie die Morde und Folterpraktiken der USA, die in Dutzenden von Ländern auf der ganzen Welt unter Geheimhaltung verübt und angewandt wurden.
Das Ziel dieser Offensive bringt ein geheimes Strategiedokument aus neokonservativen Kreisen auf den Punkt, aus dem der Journalist Seymour Hersh in seinem neuesten Buch zitiert. Darin heißt es, der Irak-Krieg werde „den Grundstein für die Hegemonie der USA im Nahen Osten legen. Das damit verbundene Motiv besteht darin, dass der Region die Ernsthaftigkeit der amerikanischen Absicht und Entschlossenheit sozusagen in die Knochen fährt.“ All jene, die sich den amerikanischen Zielen im Nahen Osten widersetzten, würden dabei „um ihr Leben kämpfen: Die Pax Americana ist auf dem Weg, was für sie [diese Menschen] die Vernichtung bedeutet.“
Letztlich zielten die Kriege im Nahen Osten, die im Namen des "Kriegs gegen den Terror" vom Zaun gebrochen wurden, auf die „Großmächte“ Russland und China sowie auf die einstigen „Verbündeten“ Amerikas in der Europäischen Union ab. Durch die Kontrolle über das Herz Eurasiens mit seinen lebenswichtigen Energie- und Transitverbindungen könnten die Vereinigten Staaten, so die Vorstellung, ihre geopolitische Hegemonie mit militärischen Mitteln zurückgewinnen, auch wenn ihre Dominanz über die Weltwirtschaft schwindet.
Doch als die Vereinigten Staaten dabei zunehmend auf islamistische Milizen mit Verbindungen zu al-Qaida setzten, zuerst in Libyen, dann in Syrien, wurde der Schleier des „Kriegs gegen den Terror“ immer durchsichtiger. Dieser Vorwand wurde mit der Veröffentlichung der neuen Nationalen Verteidigungsstrategie des Pentagon praktisch fallengelassen. In dem Dokument heißt es: „Die primäre Herausforderung für die nationale Sicherheit der USA ist heute die zwischenstaatliche strategische Konkurrenz, nicht der Terrorismus.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Der ehemalige stellvertretende CIA-Direktor Michael Morell spielte in seiner Kolumne, die zum Jahrestag des 11. September in der Washington Post erschien, auf dieses Thema an. Sein Artikel erschien unter dem Titel: „Wir reagierten auf 9/11 mit Dringlichkeit. Nun müssen wir ebenso dringlich China begegnen.“
Morell argumentiert, die USA müssten China darin hindern, „zu versuchen, das mächtigste und einflussreichste Land der Welt zu werden.“ Im Laufe des Artikels erklärt Morell an keiner Stelle, was die Terroranschläge vom 11. September 2001 mit China zu tun haben.
Die Kolumne ergibt nur dann Sinn, wenn man den gesamten „Krieg gegen den Terror“ als Vorwand für eine Reihe neokolonialer Aggressionskriege im Nahen Osten auffasst, die die USA auf Kollisionskurs mit China und Russland gebracht haben.
Peking und Moskau betrachten die amerikanischen Drohungen ihrerseits als todernst. Russland baut sein Atomwaffenarsenals rasch aus und führt aktuell das größten Militärmanöver seit 37 Jahren unter Beteiligung von 300.000 Soldaten durch. China nimmt daran zum ersten Mal maßgeblich teil.
Die Versuche der USA, ihre globale Stellung mit militärischen Mitteln in einer Serie von Kriegen mit immer größeren Ausmaßen zu stärken, haben zu einer blutigen Katastrophe nach der anderen geführt. Doch Washington, die Kommandozentrale des globalen Imperialismus, hat auf jede Katastrophe damit reagiert, dass es noch einmal nachlegte. Wenn dieser Kurs die USA an den Rand eines Kriegs mit einer atomar bewaffneten Macht bringt, hat Washington deutlich signalisiert, dass es bereit ist, die Konsequenzen zu akzeptieren.
Hinter diesem Ausbruch des amerikanischen Militarismus stehen zu einem erheblichen Teil innenpolitische Erwägungen. Angesichts wachsender Kämpfe der Arbeiterklasse und immer größerem Interesse am Sozialismus unter Arbeitern und Jugendlichen sieht die herrschende Elite der USA im Krieg ein Mittel zur Durchsetzung der „nationalen Einheit“ durch Internet-Zensur, Angriffe auf die Presse und andere diktatorische Methoden. Morell erklärt dazu: „Die nationale Einheit ist von entscheidender Bedeutung, da die Vereinigten Staaten auf unzählige Bedrohungen reagieren, einschließlich der Versuche Russlands, uns im In- und Ausland zu schwächen.“
Die krisengeschüttelte Trump-Regierung sieht den Krieg ihrerseits als Mittel, um ihre Kritiker in der Demokratischen Partei und den Geheimdiensten zu beschwichtigen. Deren bitterer Fraktionskampf gegen die Regierung dreht sich um Forderungen, dass Trump eine aggressivere Haltung gegenüber Russland in Syrien einnimmt.
Die Vereinigten Staaten stehen vor dem Abgrund einer Offensive, die zu einem offenen Krieg mit einer atomar bewaffneten Macht führen könnte. Derweil hat sich das gesamte politische Establishment der USA für eine militärische Eskalation ausgesprochen. Dazu gehört auch der bürgerliche, „linke“ Dunstkreis der Demokratischen Partei. Dieser besteht aus Organisationen wie der International Socialist Organization, die immer wieder ein aggressiveres Vorgehen der USA beim Regimewechsel in Syrien gefordert hat.
Von keiner Fraktion dieses abgehalfterten und reaktionären politischen Establishments wird eine Bewegung gegen den Krieg ausgehen. Sie muss und wird vielmehr aus der Arbeiterklasse kommen. Überall in den Vereinigten Staaten und auf der Welt haben Arbeiter eine Reihe von erbitterten Klassenkämpfen geführt – von den Lehrern im Bundesstaat Washington über UPS-Arbeiter im ganzen Land bis hin zu den Beschäftigten der Fluggesellschaften in Europa. Bei der Mobilisierung für diese Auseinandersetzungen müssen Arbeiter den Kampf gegen den Krieg als zentralen Bestandteil des Kampfes für eine sozialistische Zukunft aufnehmen.