Am Samstag demonstrierten mehr als 3.000 Menschen gegen die desaströsen Bedingungen in Berliner Kindertagesstätten und den Mangel an Betreuungsplätzen. Damit kamen fast doppelt so viele Eltern und Erzieher wie ursprünglich geplant. Organisiert wurde die Demonstration durch die Initiative der Eltern, die unter der schlechten Versorgung durch Kita-Plätze und Personal mehr und mehr zu leiden haben.
Der große Andrang zeigt die enorme Wut, die in breiten Schichten der Bevölkerung auf den Berliner Senat existiert. Eltern und Erzieher beklagten die Politik des Sozialabbaus durch Sozialdemokraten, Grüne und Linkspartei. Viele Teilnehmer trugen zudem Schilder, auf denen sie Geld für Kitas statt für Waffen forderten.
Die Demonstration ist Teil einer Opposition, die sich in ganz Europa und international gegen die soziale Krise, Polizeistaatsmaßnahmen und den wachsenden Militarismus entwickelt. Am gleichen Tag gingen in Frankreich zehntausende Arbeiter auf die Straße, um gegen die sozialen Angriffe von Präsident Emmanuel Macron zu protestieren. Vor zwei Wochen demonstrierten in Bayern schon 30.000 gegen das neue Polizeigesetz, und in Berlin fand vor einem Monat eine große Demonstration gegen steigende Mieten statt.
Auf der Kita-Demo berichteten viele Teilnehmer über die üblen Arbeitsbedingungen der Erzieher, die durch die Sparpolitik des Senats geschaffen wurden. So Jessica, Tobi und Steffie, die mit ihren Freunden auf die Demo gekommen waren. „Das Problem bei uns in der Kita ist der Personalmangel“, sagte Jessica.
„Wir haben viele ungelernte Leasingkräfte, Praktikanten oder FSJler (Freiwilliges Soziales Jahr), die Aufgaben übernehmen müssen, für die sie aber nicht genug vorbereitet sind“, erläuterte sie. „Für die ausgelernten Facherzieher fällt dadurch mehr Arbeit an. Die Kindergruppen sind zu groß, daher können wir den individuellen Bedürfnissen der Kinder oft nicht gerecht werden. Es ist für uns kaum möglich, die Gruppe allein zu lassen, falls wir zur Toilette gehen müssen.“
Tobi, der im Hortbereich arbeitet, pflichtet ihr bei „Das ist ein Problem, weil wir auch Integrationskinder haben, die besondere Aufmerksamkeit brauchen. Dafür fehlt einfach die Zeit, um sie mit den richtigen Angeboten zu fördern.“ Mit teilweise 40 Kindern in einem Raum von 40 Quadratmetern ähnele das einer „Hühnerfabrik“. Raumgröße, Gruppengröße, Lärmpegel hätten auch deutlich den Arbeitsstress erhöht. „Daher sind auch die Krankheitstage gestiegen.“, erklärt Tobi. „Manchmal fallen mehrere Erzieherinnen durch Krankheit aus, was die Situation noch verschlimmert.“
Sarah berichtet: „Ich habe ein Kind, für das ich keinen Kita-Platz finde, und ich bin selber eigentlich Sozialpädagogin, aber wenn ich gerade nicht in der Elternzeit bin, dann arbeite ich in der Kita. Also betrifft es mich doppelt.“ Der immense Arbeitsstress, die schlechte Bezahlung des Personals und die schlechten Kinderschlüssel machen die Arbeit zunehmend unattraktiver, was die Situation noch zusätzlich verschärft. „Ich muss mir möglicherweise etwas anderes suchen, weil unter den Bedingungen bin ich eigentlich nicht bereit, in der Kita zu arbeiten. Eigentlich reichen die Erzieher nie für eine angemessene Arbeit, für eine qualitativ gute Arbeit.“
Die Demonstration wurde maßgeblich durch Eltern organisiert, die die sozialen Verhältnisse in Berlin nicht mehr ertragen können. Sehr häufig müssen sie sich mehrere Jahre im Voraus auf einen Kita-Platz bewerben, landen auf langen Wartelisten oder verlieren ihre Arbeitsstelle, da die Unternehmen die Verträge von Eltern auslaufen lassen, wenn diese nach der Elternzeit nicht unmittelbar zurückkehren können.
Denise, die als Dolmetscherin arbeitete, ist genau das passiert: „Hier in Deutschland gibt es eine ganze Menge Jobs, wo man nur Zeitverträge bekommt. Ich hatte solch einen Vertrag bis zum Jahresende, und er wurde nicht verlängert, da wir keine Kinderbetreuung bekamen. Wenn man aber arbeitslos ist, bekommt man nur einen Halbtagsgutschein für Kinderbetreuung vom Jugendamt. Daher kann ich mich jetzt nur für Halbtagsjobs bewerben, was unserem Familienhaushalt natürlich nicht gut bekommt.“
Der Erzieher Sebastian und seine Freundin Sarah haben sich schon vor der Geburt ihres Kindes im Herbst 2016 um einen Kitaplatz beworben und bis heute keinen bekommen. Dazu kommt, dass aufgrund ihres Kindes ihr ausgelaufener Teilzeitvertrag nicht verlängert wurde. „Ich bin jetzt zu Hause, wir leben also von einem Gehalt, einem Erziehergehalt, man weiß sicher, was das heißt. Wir führen mittlerweile eine Excel-Datei mit etwa 40 Kitas, wo wir uns beworben haben. Diese Kontakte rufen wir alle zwei Wochen oder monatlich an oder schreiben Mails. Erst 2019 ergebe sich vielleicht eine Chance, heißt es.“
Sebastian erzählt, dass sie selbstverständlich schon einen Kita-Gutschein beim Jugendamt beantragt und erhalten haben. „Wenn aber die Mutter des Kindes wie in unserem Fall nicht arbeitet, werden nur wenige Stunden bewilligt und man erhält keinen Kitaplatz. Das wiederum verhindert, dass meine Frau arbeiten kann. Es ist ein Kreislauf.“
Die WSWS diskutierte mit den Erziehern und Eltern auch über die dahinterstehende Politik. Danny, der in einer Firma arbeitet, die ein Softwareprogramm für Städte anbietet, um die Vergabe von Kitaplätzen effizienter zu gestalten, berichtet, dass die Stadt Berlin an so etwas nicht interessiert sei. „Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, aber es werden falsche Prioritäten gesetzt: Exporte für allen möglichen Mist, Bankenrettung für 400 Milliarden, aber dann regt man sich schon auf, wenn die Rettung von Flüchtlingen etwa 10 Milliarden kostet.“
Nicole war schon vor einem Monat auf der Demonstration gegen steigende Mieten in Berlin. „Die Kitas sind ja auch von den hohen Mieten und der Verdrängung betroffen.“ Hinzu käme die miese Bezahlung der Erzieher und der schlechte Betreuungsschlüssel. „Der Grund dafür ist, dass der rot-rot-grüne Senat eine Politik macht, die ausschließlich an der Rendite orientiert ist.“ Sie trägt ein Schild „Kita statt Waffen“, weil Kinder und nicht Waffen die Zukunft sein sollen, sagt sie. „Aber derzeitig geht Aufrüstung vor allem anderen. Eigentlich müsste es jeden Tag solche Demonstrationen geben.“
Martin arbeitet im Außenhandel einer Bank und ist mit seiner Enkeltochter zur Demonstration gekommen. Er trägt ein Schild „Kitas statt Raketen“. Seit Jahrzehnten würde das Geld für die falschen Dinge ausgegeben, insbesondere für Rüstung, sagt er. „Es hieß Mal: von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen, und jetzt ist die Bundeswehr überall im Ausland eingesetzt.“
Auch Nils, der Sozialwissenschaften studiert, thematisiert die Aufrüstung. „Öffentlich ausfinanzierte Kita-Plätze und Sozialer Wohnungsbau statt Kampfdrohnen“ steht auf seinem selbsgemachten Schild. Er ist sich sicher, dass die große Mehrheit nicht nur Auslandseinsätze und Aufrüstung, sondern auch die Kooperation der Bundeswehr mit Kitas und Schulen ablehnt.
Die Erklärung der Sozialistischen Gleichheitspartei unter dem Titel „Milliarden für Bildung und Arbeit statt für Rüstung und Krieg!“, die von Unterstützern der Partei verteilt wurde, stieß auf der Demonstration auf große Resonanz. Die SGP erklärt darin, dass die soziale Krise ebenso wie die Kriegsgefahr nur durch ein sozialistisches Programm gelöst werden kann, das die großen Banken und Konzerne enteignet und die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt.