Am Donnerstag berichtete die Tagesschau, dass der Volkswagen-Konzern darauf besteht, dass bis 2020 alle Leiharbeiter aus den VW-Werken verschwunden sind. Das sei eine Folge des von VW, IG Metall und Betriebsrat vor einem Jahr vereinbarten „Zukunftspakts“.
„Leider können wir Übernahmen wie in den vergangenen Jahren nicht fortsetzen“, heißt es in einer aktuellen Mitteilung des Unternehmens. „Denn Volkswagen und die gesamte Autoindustrie befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel, auf den sich die Marke Volkswagen mit dem Zukunftspakt einstellt.“
Das betrifft die derzeit 400 Leiharbeiter im Stammwerk in Wolfsburg genauso wie Leiharbeiter in anderen VW-Werken. Vor Weihnachten hatten VW-Leiharbeiter im Nutzfahrzeuge-Werk in Hannover gegen ihre drohende Arbeitslosigkeit demonstriert. 200 von ihnen sollten ihren Job verlieren. Nun haben 60 eine Vertragsverlängerung bekommen und 47 wechseln zu VW nach Kassel. Über 90 sind arbeitslos.
Die 200 Leiharbeiter waren über die VW-eigene Zeitarbeitsfirma Autovision seit 2015 in Wolfsburg eingesetzt und im Frühjahr 2017 ins Nutzfahrzeuge-Werk nach Hannover versetzt worden. Die Leiharbeiter hatten sich lange Zeit Hoffnung gemacht, doch übernommen zu werden. Das Unternehmen habe dies bei „guter Auftragslage“ in Aussicht gestellt. Dass sie jetzt trotz guter Ausgangslage arbeitslos werden, macht viele wütend.
Erst recht weil sie durch Leiharbeiter ersetzt werden sollen, die noch im VW-Werk Osnabrück eingesetzt sind. 300 von ihnen hatten wiederum vorher im Werk in Emden gearbeitet und waren im Zuge des „Zukunftspakts“ im letzten April nach Osnabrück versetzt worden. Hundert von ihnen sind zu Jahresbeginn wieder nach Emden zurückgekehrt, diejenigen, die nun in Hannover arbeiten, sollen angeblich 2019 nach Emden zurückkehren.
Dieser Verschiebebahnhof dient vor allem der Disziplinierung der Arbeiter. Ständig schwebt das Damoklesschwert des Arbeitsplatzverlustes über ihnen.
Der Abbau der Leiharbeitskräfte bei VW war von IG Metall und Betriebsrat im Zuge des sogenannten „Zukunftspakts“ vereinbart worden. Danach werden in den nächsten Jahren 30.000 Arbeitsplätze allein bei der Kernmarke VW abgebaut, mehr als jede siebte der aktuell 200.000 Stellen weltweit. In Deutschland sollen 23.000 Stellen gestrichen werden. Wie immer sind es die Leiharbeiter, die als erste ihren Arbeitsplatz verlieren. Bei anderen Autoherstellern wie Porsche oder Opel ist es nicht anders.
Um den massiven Arbeitsplatzabbau vorzubereiten und durchzusetzen, arbeiten VW-Personalchef Karlheinz Blessing und Betriebsratschef Bernd Osterloh eng zusammen. Beide, Blessing und Osterloh, sind langjährige Funktionäre der SPD und der IG Metall.
Blessing war schon 1974 in die SPD eingetreten und im Juso-Landesvorstand in Baden-Württemberg aktiv, bevor er 1984 in der Vorstandsverwaltung der IG Metall aufstieg und Büroleiter von IGM-Chef Franz Steinkühler wurde. 1991 wechselte Blessing von der IGM-Zentrale in die SPD-Zentrale und wurde für zwei Jahre Bundesgeschäftsführer der SPD. Anschließend wurde er Personalchef der Dillinger Hütte und spielte eine Schlüsselrolle beim Abbau der Arbeitsplätze in der saarländischen Stahlindustrie.
Auf beiden Seiten des Verhandlungstischs in Wolfsburg sitzen SPD- und IG-Metall-Funktionäre und arbeiten den Arbeitsplatzabbau aus.
Osterloh hatte die jetzige Entlassungswelle kurz vor Jahresende in einem ausführlichen Interview mit der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung (WAZ) verteidigt. „Der Zukunftspakt ist ein Erfolg. Damit haben wir bereits rund zwei Milliarden Euro Einsparungen realisiert.“ Auch bei der Altersteilzeit sei Volkswagen auf Kurs: „9200 Kolleginnen und Kollegen haben sich für Altersteilzeit entschieden.“ Der Zukunftspakt stelle sicher, „dass die Marke VW die Finanzkraft hat, um in ihre Zukunftsprodukte zu investieren“.
Osterloh behauptete, die Entlassung der Leiharbeiter sei weniger eine Folge des „Zukunftspakts“, sondern der zurückgehenden Auslastung der Werke trotz Absatzrekord der Marke VW im Jahr 2017 – und dies sei „entscheidend“.
Im ersten Halbjahr 2018 wolle er „das Unternehmen zu Gesprächen auffordern, wie wir künftig mit dem Einsatz von Leiharbeit umgehen wollen“. Ihm schwebe folgende Lösung vor: „Volkswagen soll künftig die Menschen wieder direkt befristet (!) einstellen.“ Zynisch fügte er hinzu: „Dann kommt vielleicht wenigstens das Werkmanagement zur Verabschiedung der Kolleginnen und Kollegen, wenn die Verträge auslaufen.“ An der Unsicherheit der befristet eingestellten Arbeiter würde sich also rein gar nichts ändern.
Indirekt kündigte Osterloh in dem Interview zudem an, dass das Unternehmen plant, die Zahl der Ausbildungsplätze zu reduzieren. Ohnehin dürfte sich der im „Zukunftspakt“ vereinbarte Arbeitsplatzabbau angesichts des geplanten Umstiegs auf Elektromobilität sowie der weiteren Automatisierung und Digitalisierung der Produktion nur als Anfang entpuppen. Denn für die Produktion von Elektromotoren werden bedeutend weniger Arbeiter benötigt. Spiegel Online schrieb kürzlich unter Berufung auf Vertreter der IG Metall, dass bei VW „10 bis 15 Werke überflüssig werden“.
In diesem Zusammenhang ist die aktuelle Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie zu sehen. Die IG Metall fordert einen Anspruch für Arbeiter, die Wochenarbeitszeit befristet für zwei Jahre auf 28 Stunden verkürzen zu können. Einen teilweisen Lohnausgleich sollen allerdings nur Arbeiter in den untersten Entgeltgruppen erhalten. Mit dieser Forderung nach einer flexiblen Arbeitszeitverkürzung bereitet sich die Gewerkschaft auf den bevorstehenden Umbruch vor allem in der Autoindustrie vor.
Der Unternehmensvorstand lehnt die Forderung ab und gab ein Rechtsgutachten in Auftrag, das behauptet, eine solche Regelung sei verfassungswidrig, da eine Arbeitszeitverkürzung mit teilweisem Lohnausgleich gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Die befristeten Teilzeitarbeiter würden durch den teilweisen Lohnausgleich mehr verdienen als Teilzeitarbeiter, die schon zuvor nur 28 Stunden in der Woche gearbeitet haben. Auch ein Recht auf eine Vollzeitbeschäftigung hätten letztere nicht, im Gegensatz zu jenen, die in den Genuss der tariflich vereinbarten befristeten Arbeitszeitverkürzung kommen.
Nachdem bei VW und in vielen anderen Betrieben seit langer Zeit eine systematische Lohnspaltung betrieben wird – neben Tarifbeschäftigten, die sehr unterschiedlich eingruppiert sind, arbeiten Leiharbeiter und Werksverträgler, die für dieselbe Arbeit deutlich weniger erhalten –, lehnt der VW-Vorstand nun mit dem Argument der Gleichbehandlung eine Arbeitszeitverkürzung ab. Das ist nicht nur absurd, sondern eine gezielte Provokation.
Die IG-Metall reagiert darauf mit großem Getöse und der Ankündigung einer „Welle von Warnstreiks“. Gleichzeitig versucht sie aber, diese Protestaktionen klein zu halten und auf wenige Bereiche zu beschränken, um einen Großkonflikt zu verhindern. Denn nach den Rationalisierungsmaßnahmen und dem anhaltenden Arbeitsplatzabbau der vergangen Jahre brodelt es in den Betrieben.
Es wird immer klarer, dass der Angriff auf die Leiharbeiter den Auftakt zu massivem Arbeitsplatzabbau und sozialen Angriffen bildet. Der Kampf dagegen richtet sich nicht nur gegen das VW-Management, sonder auch gegen die IG Metall, den Betriebsrat und die SPD.