Polen: Präsident Andrzej Duda legt Veto gegen Justizreform der Regierung ein

Der polnische Präsident Andrzej Duda hat am Montag überraschend ein Veto gegen zwei wesentliche Aspekte der Justizreform der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eingelegt, mit der die Regierung praktisch die uneingeschränkte Kontrolle über das Justizsystem des Landes erlangen würde.

Präsident Duda stoppte mit seinem Veto vorübergehend zwei Gesetzesentwürfe, die zur sofortigen Entlassung aller 83 amtierenden Richter des Obersten Gerichtshofes geführt und dem Justizminister Zbigniew Ziobro komplette Freiheit bei der Ernennung von neuen Richtern gegeben hätten. Beide Kammern des polnischen Parlaments hatten den Entwürfen nach heftigen Auseinandersetzungen zugestimmt.

Einen anderen Gesetzesentwurf, der den Justizminister bevollmächtigt, Richter der Bezirks- und Landesgerichte zu benennen, bewilligte Duda.

Die beiden Gesetzesentwürfe, gegen die der Präsident ein Veto eingelegt hat, müssen nun zurück ins Parlament. Dieses kann das Veto nur mit einer Dreifünftelmehrheit rückgängig machen. Da PiS dafür die Unterstützung der rechten Partei Kukiz’ 15 benötigt, die das Veto von Duda begrüßt hat, ist dies unwahrscheinlich.

Gegen die Gesetze haben in den vergangenen Tagen und Wochen täglich hunderttausende Menschen protestiert. In einer Umfrage erklärten 55 Prozent der Polen, sie wünschen sich, dass Duda ein Veto gegen die Gesetze einlegt. Die EU hatte Polen wegen der Justizreform mit harten Sanktionen gedroht, deutsche Politiker drohten mit politischer Isolation, und das amerikanische Außenministerium hatte am Samstag ebenfalls Bedenken über die Reform geäußert.

Duda begründete seine Entscheidung mit den Worten: „Ich denke, dass die Reform in dieser Form nicht das Gefühl von Sicherheit und Gerechtigkeit verstärken wird.“

Mit der Behauptung, ein Treffen mit Zofia Romaszewska, einer seiner Beraterinnen, die sich gegen eine zu starke Macht des Justizministers ausgesprochen habe, sei für seine Entscheidung ausschlaggebend gewesen, appellierte er an den sowohl in der PiS wie der liberalen Opposition ausgeprägten Antikommunismus. Zofia Romaszewska hatte in den 1970er und 80er Jahren zu den wichtigsten Mitgliedern des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) und der Solidarnosc gehört. Sie hatte maßgeblich dazu beigetragen, die breite Gewerkschaftsbewegung in ein antikommunistisches und nationalistisches Fahrwasser zu lenken.

Duda kündigte an, in nächster Zeit seine eigenen Änderungsvorschläge vorzulegen. In zwei Monaten sollen die Gesetzesentwürfe dann in veränderte Form noch einmal diskutiert werden.

Für PiS kam die Entscheidung als Schock. Medienberichte beschrieben allgemeine Frustration, Verwirrung und Enttäuschung unter PiS-Politikern. Duda ist selbst Mitglied der Partei und galt seit seinem Amtsantritt im Jahr 2015 als Marionette von PiS-Chef Jarosław Kaczyński.

Der Präsident hatte bereits letzte Woche Bedingungen für seine Zustimmung zur Reform gestellt, denen die Regierungspartei auch nachgekommen war. Von Seiten der PiS hieß es zudem, dass Duda, anders als er selbst behauptet hat, seit Wochen über die geplanten Gesetzesentwürfe informiert worden war.

Die liberale Opposition und westliche Medien feiern Duda hingegen nun und hoffen, dass sein Schritt den Auftakt zum Aufbrechen der Regierungspartei bildet. Die liberale Opposition hatte bei den Protesten der vergangenen Wochen den Appel an den Präsidenten, sein Veto einzulegen, immer stärker ins Zentrum ihrer Forderungen gerückt.

Die liberale Zeitung Newsweek Polska, die dem deutschen Verlagshaus Axel Springer angehört, schrieb triumphierend: „Erstmals ist die Macht von Kaczyński in Frage gestellt worden.“ In mehreren Kommentaren analysierte die Zeitung, wie der Schritt Dudas zu einer tieferen Spaltung der Regierungspartei PiS führen könnte.

Sie argumentierte, dass sich „im Rahmen der PiS rund um den Präsidenten ein konkurriendes Machtlager formiert“ habe. „Politiker der PiS im Parlament und in der Partei, denen der autoritäre Radikalismus von Kaczynski und seinen Helfern nicht so sehr entspricht, können dem nun mutiger Ausdruck geben. Es gibt einige solche Leute im Regierungslager und vielleicht wird ihre Zahl wachsen.“

Der Artikel schloss, es müsse nun das Hauptziel der Opposition sein, Duda zum Veto auch des dritten Gesetzesentwurfes zu bewegen. Zwar würde die Justizreform wahrscheinlich in abgeänderter Form durchgesetzt, aber Duda und die Opposition könnten dazu beitragen, dass dies nur auf der Grundlage einer „gesamtpolnischen Debatte“ erfolge.

In einem anderen Artikel schrieb die Newsweek Polska, Politiker der PiS fürchteten, „dass Präsident Andrzej Duda seine eigene politische Bewegung gründen will mit Unterstützung von Leuten wie Jarosław Gowin und Mateusz Morawiecki und von Kukiz’ 15. Das Veto gegen die Gesetzesentwürfe über den Obersten Gerichtshof und den Landesgerichtsrat könnten der Beginn einer Verselbständigung des Präsidenten sein.“

Kukiz’ 15 ist eine extrem rechte Partei, die die meisten autoritären Maßnahmen von PiS in den vergangenen Jahren mitgetragen hat und bekanntermaßen faschistische Tendenzen umfasst. Morawiecki, ein ehemaliger Banker, ist gegenwärtig Finanzminister unter der PiS. Jarosław Gowin ist berüchtigt für seine militante Homophobie und hat als Bildungs- und Wissenschaftsminister seit 2015 eine zentrale Rolle dabei gespielt, das kulturelle Klima in Polen extrem nach rechts zu rücken.

Andrzej Duda selbst war bis zu seiner Präsidentschaft Mitglied der PiS. Er und sein Beraterteam gelten als maßgebend für die außenpolitische Orientierung auf eine Intermarium-Allianz von rechtsextremen Regierungen in Osteuropa, die sich sowohl gegen Deutschland als auch gegen Russland richtet.

Dass die liberale Opposition nun ihre Hoffnung darauf setzt, durch Druck aus der EU und Washington eine Spaltung im Regierungslager voranzutreiben und rechte Politiker wie Duda, Morawiecki und die Partei Kukiz’15 zu stärken, zeigt einmal mehr den reaktionären Kern ihrer Politik. Entgegen ihrer Rhetorik geht es den Liberalen mitnichten um eine Verteidigung demokratischer Rechte und einen Kampf gegen den Aufbau eines autoritären Staates.

Vielmehr dreht sich der Konflikt mit der PiS um außenpolitische Fragen, insbesondere darum, ob Polen angesichts eines drohenden Krieges in Europa eine pro-amerikanische Allianz oder ein Bündnis mit Deutschland eingehen soll. Die liberale Opposition lehnt nicht nur die außenpolitische Orientierung der PiS auf eine Allianz mit den USA gegen Deutschland ab, sondern fürchtet auch, unter einer autoritären Regierung der PiS jeden politischen Einfluss auf die Politik des Staates zu verlieren.

Was die liberale Opposition und Duda in der Frage der Justizreform eint, ist die Angst, dass das rücksichtslose Vorpreschen von PiS beim Aufbau eines diktatorischen Regimes zu einer Eskalation der sozialen und politischen Spannungen im Lande führt und die Arbeiterklasse auf den Plan ruft.

Während der letzten zwei Jahre wurde die Oppositionsbewegung gegen die PiS von der liberalen Opposition dominiert und beschränkte sich weitgehend auf Schichten der Mittelklasse in den Großstädten. PiS hat versucht, an den sozialen Unmut in der Arbeiterklasse zu appellieren und sie bei den Kriegsvorbereitungen und dem Aufbau eines autoritären Staates durch bestimmte soziale Zugeständnisse, wie der Einführung eines Kindergelds von 500 Zloty im Monat pro Kind (ca. 117 Euro), zu neutralisieren.

In einem Land, wo 43 Prozent der Bevölkerung (etwa 16 Millionen Menschen) von weniger als 245 Euro (1080 Zloty) pro Kopf im Monat leben, ist das für viele eine bedeutende Summe. In sozialen Fragen, wie der Einführung des Kindergeldes, hat die liberale Opposition, die als Regierungspartei einen extremen sozialen Kahlschlag durchgeführt hatte, PiS immer wieder von rechts angegriffen.

Trotz dieser beschränkten sozialen Zugeständnisse ist die Politik von PiS inzwischen in breiten Teilen der Bevölkerung extrem unpopulär. In einer Umfrage gaben 82 Prozent der 19- bis 29-Jährigen an, sich als Gegner der Regierung zu sehen. Insgesamt ordneten sich 52 Prozent der Wähler dieser Kategorie zu. Die beiden wichtigsten liberalen Oppositionsparteien, Bürgerplattform (PO) und .Nowoczesna, konnten trotzdem gemeinsam nicht einmal ein Drittel der Wählerschaft hinter sich vereinen.

Gleichzeitig befindet sich die polnische Außenpolitik in einer tiefen Krise. Der aufbrechende Konflikt zwischen den USA und Deutschland, beides Schlüsselländer für die Außen- und Wirtschaftspolitik Polens, stellt die polnische Bourgeoisie vor ein kaum lösbares Dilemma.

Die liberale Opposition lehnt einen Bruch mit Deutschland und der EU ab und hält eine Orientierung auf die Trump-Regierung, die selbst in den USA unter massivem Beschuss seitens der Demokraten steht, für gefährlich. Auch konservative Zeitungen wie die Rzeszpospolita sind der Ansicht, dass sich Polen eine ausschließliche Orientierung auf die USA nicht leisten kann. Medienberichte legen nahe, dass selbst innerhalb der PiS der langfristige Erfolg der Intermarium-Strategie von manchen in Zweifel gezogen wird.

Unter diesen Bedingungen hat es Duda offenbar als zu gefährlich empfunden, die extrem unpopuläre Justizreform voranzutreiben. Mit seinem Veto versucht er, der Regierung Zeit zur Durchsetzung der Reform zu verschaffen und gleichzeitig die Grundlage für eine engere Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition zu legen. Die größte Furcht von Duda und der liberalen Opposition ist nicht ein autoritärer Staat, sondern eine Intervention der Arbeiterklasse, die verhindern würde, dass die Konflikte über die außenpolitische und innenpolitische Orientierung innerhalb der Bourgeoisie hinter verschlossenen Türen ausgetragen werden.

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