In Baden-Württemberg hat die erste grün-schwarze Landesregierung einem gemeinsamen Manöver von Bundeswehr und Polizei im Februar 2017 zugestimmt. Fünf Monate nach ihrer Amtsaufnahme erweist sich die Koalition unter Winfried Kretschmann als Vorreiterin von Militarismus, Sparpolitik und Angriffen auf Flüchtlinge.
Ministerpräsident Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) begrüßt den Einsatz der Bundeswehr im Innern schon lange. Während Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ausgerechnet zum traditionellen Antikriegstag am 1. September, dem Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs, solche gemeinsamen Übungen von Bundeswehr und Polizei ankündigte, rechtfertigte dies Kretschmann mit den Worten: „Da es diese Möglichkeit [einer Unterstützung der Polizei durch die Bundeswehr] als ‚ultima ratio‘ gibt, muss man eine solche Unterstützung auch mal einüben.“
Die Wandlung der Grünen von Pazifisten zu Militaristen zählt schon bald zwanzig Jahre. Noch vor Bildung der rot-grünen Bundesregierung im Herbst 1998 stimmten die Grünen dem Kampfeinsatz der Bundeswehr im Nato-Krieg gegen Jugoslawien zu. Jetzt spielen sie eine Schlüsselrolle, um den Einsatz militärischer Kräfte im Inland gesellschaftsfähig zu machen.
Doch die traumatischen Erfahrungen mit Krieg, Faschismus und Polizeiterror sind in der Bevölkerung noch sehr lebendig. Keine Regierung seit 1945 hat es bisher gewagt, das Militär im Inneren gegen die Bevölkerung einzusetzen. Schon die Gründung der Bundeswehr 1955 wurde von der Adenauer-Regierung nur gegen massive Proteste durchgesetzt. Der Bevölkerung wurde damals versprochen, das Militär würde niemals im Innern eingesetzt. Zwar wurde schon 1968 das Grundgesetz durch die Notstandsgesetze aufgeweicht und 2012 erlaubte das Verfassungsgericht bestimmte Bundeswehreinsätze im Innern, aber der Widerstand gegen die gesellschaftliche Militarisierung ist nach wie vor in der Bevölkerung weit verbreitet.
Deshalb verharmlost Kretschmann die Pläne de Maizières für gemeinsame Übungen von Truppe und Polizei als schlichte Amts- und Katastrophenhilfe. Sie sei durch §35 des Grundgesetzes abgedeckt, wo es heißt: „Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.“
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stuttgarter Landtag, Andreas Schwarz, hatte zunächst medienwirksam „Bedenken“ gegen einen Bundeswehreinsatz im Inneren angemeldet. Er hatte Innenminister Strobl (CDU) vorgeworfen, die Bevölkerung ohne Not zu verunsichern, indem die Leistungsfähigkeit der Polizei in Zweifel gezogen werde.
Inzwischen behauptet Schwarz, er habe sich im Gespräch mit Strobl vergewissert, dass bei der für Februar 2017 geplanten Übung keine bewaffneten Soldaten öffentlich aufmarschierten. Die Verantwortlichen von Polizei und Bundeswehr unterhielten sich lediglich in einer sogenannten Stabsübung am großen Tisch über Kommunikationswege und mögliche Materialanforderungen der Polizei. Auf dieser Grundlage gab Schwarz im Koalitionsausschuss am 12. September grünes Licht für den Einsatz.
In Wirklichkeit ist völlig klar, dass sich Bundes- und Länderregierungen mit den geplanten Übungen auf bürgerkriegsähnliche Situationen vorbereiten. Es sei vorstellbar, erklärte Innenminister de Maizière (CDU), „dass wir komplizierte, über Tage andauernde und schwierige Terrorlagen bekommen“.
Die geplanten Maßnahmen liegen auf einer Linie mit der inneren Aufrüstung im Nachbarland Frankreich, wo heute schon der unbefristete Ausnahmezustand herrscht. Der Aufmarsch schwerbewaffneter Soldaten gehört in Paris mittlerweile zur Tagesordnung. Dabei beweist die Unterdrückung von Arbeiterstreiks und Demonstrationen in Frankreich, dass sich diese Einsätze weniger gegen die Terrorgefahr, als vielmehr gegen die arbeitende Bevölkerung richten.
Die Zustimmung der Grünen in der baden-württembergischen Koalition zu gemeinsamen Übungen von Polizei und Bundeswehr im Innern macht deutlich, dass diese Partei bereit ist, die Diktatur- und Kriegspläne der herrschenden Klasse auch auf Bundesebene durchzusetzen. Wobei die Frage, ob das Stuttgarter Modell (grün-schwarz) oder das Berliner Modell (rot-rot-grün) zum Tragen kommt, noch nicht entschieden ist. Klar ist nur, dass alle Parteien die innere und äußere Aufrüstung befürworten.
In Stuttgart arbeitet Kretschmann eng mit seinem Innenminister und Vize-Regierungschef Thomas Strobl (CDU), zusammen, der für die Bürgerkriegsübungen direkt verantwortlich sein wird. Er nutzt diese Verbindung, um dem CDU-Patriarchen und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu signalisieren, wie reibungslos Grün-Schwarz funktioniert.
Schäuble ist nicht nur Strobls Parteimentor, sondern auch sein Schwiegervater und hält ein schwarz-grünes Regierungsbündnis auf Bundesebene durchaus für möglich und erstrebenswert. Mitte September schickte er seinen Berliner Sprecher, Martin Jäger, als „Superstaatssekretär“ für Sicherheitspolitik und Krisenmanagement nach Stuttgart. Um Jäger standesgemäß zu bezahlen, hat die grün–schwarze Landesregierung extra ihr Landesbesoldungsgesetz erweitert.
Jäger war früher im Außenamt der CDU-Regierung unter Helmut Kohl tätig, wie auch der SPD-Grünen-Regierung unter Gerhard Schröder und der CDU-SPD-Regierung unter Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier. Ehe er 2014 Sprecher in Schäubles Bundesfinanzministerium wurde, war er schon Cheflobbyist bei der Daimler AG und Botschafter der Merkel-Regierung in Kabul (Afghanistan). Wie Lobbypedia berichtet, ist Jäger außerdem Vorsitzender des Fördervereins der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), des regierungsnahen Think Tanks, unter dessen Ägide die außen- und sicherheitspolitische Wende Deutschlands vollzogen wurde.
Jäger ist also bestens vernetzt in den einschlägigen Wirtschafts- und Politikkreisen. Er verkörpert als Staatsbeamter ein System, in dem die Parteien austauschbar sind und die Politiker sich alle kennen. In Stuttgart wird dieser Superstaatssekretär nun für das Landespolizeipräsidium, den Bevölkerungsschutz und das Krisenmanagement zuständig sein, den Verfassungsschutz betreuen und sich um das Aufenthalts- und Asylrecht kümmern.
Die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft zeigt sich deutlich in der Flüchtlingspolitik.
Zur Verwaltung der Flüchtlinge hat schon Kretschmanns vorige Koalition mit der SPD letztes Jahr Bundeswehrsoldaten beigezogen. An den Menschen, die vor Krieg, Willkür und Not geflüchtet waren, probt er seither im Heidelberger Patrick-Henry-Village (PHV) unter Einsatz der Deutsch-Französischen Brigade die reibungslose Abwicklung seines „Projekts Turbo-Asyl“ (Süddeutsche Zeitung). Die Flüchtlinge durchlaufen in 24–48 Stunden die „Bearbeitungsstraßen“, in denen Soldaten Hand in Hand mit Beamten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sämtliche Schritte abwickeln, von der Registrierung über die Gesundheitsuntersuchung, die Impfungen und Passkontrollen bis hin zum Stellen des Asylantrags. Dabei treten rechtsstaatliche Grundsätze gegenüber den Kasernenhofmethoden eines Polizeistaates immer stärker in den Hintergrund.
Schon 2014 hatte Kretschmann dafür gesorgt, dass die Zahl der Abschiebungen zunimmt, als er mit der Stimme Baden-Württembergs im Bundesrat den Ausschlag dafür gab, die Balkanstaaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsstaaten“ einzustufen. Inzwischen kündigte er seine Zustimmung für eine Verschärfung des Asylrechts für Flüchtlinge aus Tunesien, Marokko und Algerien an. Sein Parteifreund Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen, erklärte im August, man müsse gewaltbereite Flüchtlinge auch nach Syrien abschieben. „Es gibt auch in Syrien Gebiete, die nicht im Krieg sind“, so Palmer (Bündnis 90/Die Grünen).
Die Regierung Kretschmann ist bereit, auch die für die Aufrüstung notwendigen Sparmaßnahmen rücksichtslos gegen die Bevölkerung durchzusetzen. Mit einem drastischen Sparprogramm sollen jährlich 1,8 Milliarden Euro eingespart werden. Die „Politik auf Pump“ werde beendet, ließ Kretschmann im Sommer verkünden. Bei der Vorstellung erster Eckpunkte für den Haushalt 2017 gab seine grüne Finanzministerin Edith Sitzmann Sparmaßnahmen in Höhe von 800 Millionen Euro bei Ministerien, Kommunen und Landesbediensteten bekannt. Das bedeutet Stellenstreichungen, Lohnsenkung und Schließung öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen in den Kommunen.
Angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise und rapiden Kriegsentwicklung zeigen die Grünen ihr wahres Gesicht als Interessensvertreter der gut betuchten Oberschicht. An dieser Partei, die 1980 in Karlsruhe gegründet wurde, war von Anfang an nichts Fortschrittliches. Sie brachte die kleinbürgerliche Anti-Atomkraft- und Umweltbewegung mit versprengten Resten der Maoisten der 1970er Jahre zusammen; ihnen schloss sich später die DDR-Bürgerbewegung zum Bündnis 90/Die Grünen an. Ihnen allen gemeinsam war die Verachtung und Ablehnung der Arbeiterklasse. Kretschmann selbst war einst Mitglied des maoistischen Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) und verkörpert die Rechtsentwicklung dieser Ex-Maoisten.
Schon vor einigen Wochen lobte die Wochenzeitung Die Zeit, Winfried Kretschmann sei„einfach der bessere Konservative und seine Partei die bessere CDU“.