Grün-Schwarz in Stuttgart: Ein neues Rechtsbündnis

Gegenwärtig finden in Baden-Württemberg Koalitionsverhandlungen der Grünen mit der CDU statt. Nachdem die Grünen bei der Landtagswahl im März mit 30,3 Prozent ein historisches Rekordergebnis erzielten, leitet Winfried Kretschmann die Verhandlungen.

Kretschmann hat in den vergangen fünf Jahren als erster grüner Ministerpräsident in der deutschen Geschichte eine Koalition mit der SPD geführt. Weil die SPD einen dramatischen Stimmenverlust hinnehmen musste und mit 12,7 Prozent sogar hinter der AfD (15 Prozent) lag, kann die grün-rote Koalition nicht fortgesetzt werden.

Auf der anderen Seite hat CDU-Landeschef Thomas Strobl das Kommando übernommen. Er hatte sich 2014 als CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl beworben, war aber in einer Mitgliederbefragung seinem Konkurrenten Guido Wolf unterlegen. Nachdem die CDU, die das Bundesland 58 Jahre lang geführt hatte, im März ebenfalls starke Stimmenverluste erlitt – sie rutschte auf ein Rekordtief von 27 Prozent und lag damit hinter den Grünen – kommt Strobl jetzt zurück und zieht auf Seiten der CDU die Fäden.

Thomas Strobl ist der Schwiegersohn von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und arbeitet eng mit diesem zusammen.

Beide, Kretschmann und Strobl, bezeichnen das Gesprächsklima der Koalitionsverhandlungen als gut, sachbezogen und zielorientiert. Beide bemühen sich, Kritiker in den eigenen Reihen zu beruhigen und auf die neue Zusammenarbeit einzuschwören.

Vor allem in der CDU rumort es. Die Baden-Württemberg-CDU ist eine erzkonservative, in weiten Teilen stramm rechte Partei. Sie war in den Nachkriegsjahren von zwei NSDAP-Mitgliedern aufgebaut und geprägt worden, dem späteren Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und dem ehemaligen NS-Marinerichter Hans Filbinger.

Filbinger, der 1978 nach Bekanntwerden von Einzelheiten seiner Nazi-Tätigkeit als Ministerpräsident zurücktrat, gründete danach das rechtskonservative Studienzentrum Weikersheim, dem er bis 1997 vorstand. In diesem Milieu wurden mehrere rechte Landespolitiker, wie Lothar Späth, Erwin Teufel und Günther Öttinger herangezogen. Noch heute ist Hans Filbinger, neben dem kürzlich verstorbenen Lothar Späth, offiziell Ehrenvorsitzender der baden-württembergischen CDU.

Ein Regierungsbündnis, in dem die CDU den Platz des Juniorpartners unter einem grünen Ministerpräsidenten einnimmt, ist für viele CDU-Funktionäre Neuland und nur schwer zu verkraften. Doch Strobl und Schäuble forcieren das Projekt und leisten Überzeugungsarbeit.

Was gegenwärtig in Stuttgart ausgehandelt wird, ist weit mehr als eine vorübergehende Notlösung nach einem komplizierten Landtagswahlergebnis. Finanzministers Schäuble hat die Bundestagswahl im kommenden Jahr im Blick. Angesicht dramatischer Stimmenverluste der SPD, die in Wählerumfragen bundesweit bereits unter die 20-Prozent-Marke rutscht, bereitet er die Zusammenarbeit mit den Grünen vor.

Schäuble ist ein erfahrener politische Stratege der herrschenden Klasse. Seit 1972 sitzt er im Bundestag und ist damit der dienstälteste Abgeordnete. Er war Parteivorsitzender, Fraktionsvorsitzender, Chef des Kanzleramts, Innenminister und verhandelte den deutschen Einheitsvertrag. Er sieht die schwarz-grüne Zusammenarbeit als Möglichkeit, auf die wachsenden wirtschaftlichen und politischen Krisen – Euro-Krise, Flüchtlingskrise, Altersarmut und Widerstand gegen Militarismus und Krieg – zu reagieren.

Kretschmann bietet sich und die Grünen als verlässliche Regierungspartei an. Als erster grüner Ministerpräsident hat er bereits in den vergangen fünf Jahren auf ein Bündnis mit der CDU hingearbeitet und die Grünen als die besseren und modernen Konservativen dargestellt. Im zurückliegenden Wahlkampf lobte er Bundeskanzlerin Merkel über den Klee und betonte, er stehe wesentlich fester hinter ihrer Flüchtlingspolitik als viele CDU-Mitglieder.

In konservativen Wählerkreisen löste Kretschmann regelrechte Begeisterung aus, wenn er auf Wahlveranstaltungen erklärte, als gläubiger Katholik bete er jeden Tag dafür, dass Merkel an ihrer europäischen Lösung festhalte und nicht vor den Kritikern in ihrer eigenen Partei einknicke. Kretschmann weiß, dass Merkels Flüchtlingspolitik von Anfang an auf Abschottung der europäischen Außengrenzen und Einschränkung des Asylrechts abzielte. Er selbst hat bereits 2014 einer Asylrechtsverschärfung im Bundesrat zugestimmt.

Die einst liberale Wochenzeitung Die Zeit schrieb voller Begeisterung über die „Standfestigkeit des Moses aus Sigmaringen“.

Kretschmann steuert die Koalitionsverhandlungen mit Blick auf Finanzminister Schäuble, der im Hintergrund die Fäden zieht. Nicht zufällig stellte er die Wirtschafts- und Finanzpolitik an den Anfang der Gespräche und gab letzte Woche bekannt, dass als erste Einigung eine strikte Einhaltung der Schuldenbremse vereinbart worden sei.

Die Grünen übernehmen im Bündnis mit der CDU die Initiative zur Bildung einer rechts-konservativen Regierung. Das sagt viel über den Charakter und Werdegang der Partei, die vor 35 Jahren aus einer Vielzahl von Bürgerinitiativen gegen Umweltzerstörung, Atomkraft und die Stationierung von US-Waffen entstanden war.

Kretschmann personifiziert die Entwicklung einer ganzen Schicht ehemals kleinbürgerlicher Radikaler, die sich heute nicht mehr von den rechts-konservativen Unionspolitikern unterscheiden. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Grünen, von denen viele Ende der sechziger Jahre auf die Straße gegangen waren, um gegen Bildungsnotstand, Vietnamkrieg und den Mief der Adenauer-Ära zu protestieren. Anfang der siebziger Jahre hatte er sich dem maoistischen Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) angeschlossen.

Was ihn bei den Grünen anzog, war die Ablehnung der Arbeiterklasse und des Klassenkampfs. Auch andere Gründungsmitglieder der Grünen hatten aus der studentischen Protestbewegung das Vorurteil mitgebracht, die Arbeiterklasse sei eine apathische, durch Konsum ins System integrierte, für rückständige Ideen anfällige Masse.

Diese Feindschaft gegenüber der Arbeiterklasse hatte eine rapide Rechtsentwicklung der Grünen zur Folge. 1998 traten sie in die Regierung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) ein, unterstützten die Hartz-Gesetze und stimmten der Beteiligung der Bundeswehr am Nato-Krieg gegen Jugoslawien zu. Mittlerweile zählen die Grünen zu den konsequenten Befürwortern des deutschen Militarismus. Sie fordern den Aufbau einer Berufsarmee und weitere Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Kretschmann war an dieser Entwicklung stark beteiligt: erst als Ministerialrat der hessischen Landesregierung unter dem damaligen Umweltminister Joschka Fischer, dann als Mitglied des Parteirates und schließlich als Ministerpräsident in Stuttgart. Nun betont er seine guten und engen Beziehungen zu führenden Unternehmen, vor allem zu Daimler und Porsche, den Autoherstellern in Baden-Württemberg, sowie zu den Wirtschaftsverbänden.

„Ich besuche im Schnitt alle 14 Tage einen Betrieb“, betonte Kretschmann gestern in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Die Unternehmer hätten großen Respekt vor den Grünen, die ihre Ziele längst nicht mehr gegen, sondern mit den Unternehmen verwirklichten. „Ressourcen- und energiesparende Produkte zu entwickeln“ werde von vielen Unternehmern selbst angestrebt, sagte Kretschmann und fügte hinzu: „Wir sind eine Wirtschaftspartei moderner Prägung.“

Im selben Interview forderte er, „alte grüne Tabus“ aufzugeben. Das betreffe unter anderem die Doppelspitze in Fraktions- und Parteiführung. In den Anfangsjahren sei das aus feministischer Sicht vertretbar gewesen. Doch heute habe sich daraus ein „links-rechts Verhältnis“ entwickelt. Diese „Realo-Linken-Partnerschaft“ müsse aufgegeben werde. In der Politik müsse man sich für den einen oder den anderen Weg entscheiden, erklärte Kretschmann und ließ keinen Zweifel, dass er für den rechten „Realo-Kurs“ spricht.

Der Vorwurf konservative Standpunkte zu vertreten, schrecke ihn nicht, erläuterte der grüne Ministerpräsident, denn „die Bewahrung der Schöpfung ist immer ein konservatives Thema gewesen“.

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