Die Rolle der USA und Deutschlands beim Putsch in der Türkei

Verfolgt man die Reaktionen der amerikanischen und der deutschen Regierung auf den gescheiterten Putsch in der Türkei, kann es kaum Zweifel geben, dass sie die Putschisten politisch unterstützt und auf ihren Erfolg gesetzt haben. 

Sowohl Washington wie Berlin ließen sich viel Zeit, bis sie den Putsch in knappen Worten verurteilten. Sie äußerten sich erst eindeutig, als sich das Scheitern der Putschisten abzeichnete.

Als erster hatte sich in der Putschnacht um 23 Uhr der amerikanische Außenminister John Kerry aus Moskau zu Wort gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt sah es noch so aus, als könnte der Putsch Erfolg haben, und Kerry vermied es sorgfältig, sich festzulegen. Er rief lediglich allgemein zur „Stabilität und Kontinuität in der Türkei“ auf. Erst nachdem Erdogan die Bevölkerung eine halbe Stunde später über FaceTime zum Widerstand aufgerufen hatte und sich die Lage zu wenden begann, sprachen sich Kerry und Präsident Obama für die Unterstützung der „demokratisch gewählten Regierung der Türkei“ aus.

Die deutsche Regierung ließ sich noch mehr Zeit. Erst Samstag früh um Eins rief Regierungssprecher Steffen Seibert in einer kurzen Twittermeldung zur Respektierung der demokratischen Ordnung und zum Schutz von Menschenleben auf. Am Samstagvormittag meldete sich dann Außenminister Steinmeier zu Wort und verurteilte „alle Versuche, die demokratische Grundordnung der Türkei mit Gewalt zu verändern“. Am Nachmittag verurteilte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem kurzen Pressestatement den Putschversuch.

Man hätte erwarten können, dass ein bewaffneter Umsturzversuch aus den Reihen der zweitgrößten Nato-Armee, mit der sowohl die amerikanischen wie die deutschen Streitkräfte in der Kommandostruktur des Militärbündnisses und in zahlreichen Kriegseinsätzen täglich zusammenarbeiten, eine Flut von Verurteilungen, Kommentaren und Debatten auslösen würde. Doch nichts dergleichen geschah.

Nach den kurzen Statements, die pro forma die Demokratie verteidigten, richtet sich die Kritik deutscher und amerikanischer Politiker und Medien fast ausschließlich gegen den Mann, auf den der Putschversuch zielte, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Sie sind offensichtlich empört darüber, dass Erdogan den Staats- und Militärapparat nun von ihren Agenten säubert und den gescheiterten Putsch nutzt, um gegen innenpolitische Gegner vorzugehen und seine rechten, muslimischen Anhänger zu stärken.

Es ist kaum denkbar, dass die türkischen Offiziere den Putsch ohne Ermutigung oder Unterstützung von amerikanischer und deutscher Seite gewagt hätten. Zwischen der Regierung von Präsident Erdogan und Washington und Berlin haben sich in jüngster Zeit zahlreiche Spannungen entwickelt – über die Kurdenfrage, den Syrienkrieg und eine Wiederannährung der Türkei an Russland. Doch die Putschisten und ihre Hintermänner hatten sich offenbar verkalkuliert. Aus Gründen, die nicht völlig klar sind, lief der Putsch schief. Vermutlich hatten sie die öffentliche Unterstützung unterschätzt, die Erdogan mobilisieren konnte.

Hätte der Putsch Erfolg gehabt, hätten ihn Washington und Berlin unterstützt, so wie sie sich vor drei Jahren hinter den Umsturz in der Ukraine und den blutigen Putsch in Ägypten stellten. Säße Erdogan jetzt wie der ehemalige ägyptische Präsident Mohammed Mursi, der ebenfalls demokratisch gewählt worden war, im Gefängnis, hätten sie keine demokratischen Skrupel. Das Argument der Demokratie bringen sie nur dann auf, wenn es in ihr politisches Kalkül passt.

Während die Kritik an den Putschisten völlig verstummt ist, warnen Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks die türkische Regierung vor „Rache, Willkür und Machtmissbrauch“ und mahnen zur Einhaltung „rechtstaatlicher und demokratischer Grundsätze“.

US-Außenminister John Kerry drohte der Türkei am Montag nach einem Treffen mit den Außenministern der Europäischen Union sogar indirekt den Verlust ihrer Nato-Mitgliedschaft an, sollte sie weiter gegen politische Gegner vorgehen. „Die Nato-Mitgliedschaft setzt den Respekt vor demokratischen Prinzipien voraus“, verkündete er gegen besseres Wissen.

Bundeskanzlerin Merkel, die keine Skrupel hatte, mit Erdogan einen schmutzigen Deal über die Rücknahme von Flüchtlingen auszuhandeln, drohte mit dem sofortigen Ende der EU-Beitrittsverhandlungen, falls die türkische Regierung die Todesstrafe wieder einführe.

Eine besonders schmutzige Rolle spielen in dieser Kampagne die Medien, die als Verstärker der offiziellen Regierungspropaganda dienen, deren Zynismus unverhüllt zum Ausdruck bringen und kein Geheimnis aus ihrer Sympathie für die Putschisten machen.

So stellt Die Welt in einem Kommentar mit dem Titel „Recep Tayyip Erdogan, das ewige Opfer“ ganz unverblümt die Frage: „Ist es nicht so, dass man den Putschisten nur einen Vorwurf machen kann: nämlich ihr Scheitern?“ Sie antwortet zwar mit „Nein“, aber nicht aus demokratischen Gründen, sondern weil „ein Putsch bloß den nächsten Putsch“ nach sich ziehe und eine Machtergreifung des Militärs Erdogan zum Märtyrer mache.

Die Welt am Sonntag wirft den Putschoffizieren ihr dilettantisches Vorgehen vor, das ihnen einen führenden Platz „aus der Top-Ten-Liste der ungeschicktesten Umsturzversuche“ eingebracht habe. Der Artikel endet mit der Hoffnung auf einen weiteren Putsch: „Wenn Erdogan seine islamische Präsidialdemokratur erst einmal fest installiert hat, könnte es passieren, dass diejenigen, die gestern den Panzern den Weg versperrten, sich irgendwann ein pragmatisches Militär-Interregnum herbeiwünschen, das die kemalistische Demokratie wieder herstellt.“

Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung geißelt unter der Überschrift „Warum der Putsch scheiterte“ den Dilettantismus der Putschisten und erteilt ihnen Ratschläge, wie sie es das nächste Mal besser machen können.

„Die zunächst wichtigste Frage“, schreibt Rainer Herrmann, „ist aber, wie es kommen konnte, dass eine Armee, die auf eine lange Geschichte ‚erfolgreicher‘ Coups zurückblickt, einen solch dilettantischen Versuch unternimmt, die Macht an sich zu reißen.“

„Hätten die Putschisten erfolgreich sein wollen,“ fährt er fort, „hätten sie zunächst versuchen müssen, die wichtigsten staatlichen Institutionen unter ihre Kontrolle zu bekommen. Sie hätten also, wie es ihre Vorgänger getan hatten, die zivilen Spitzen des Staates ausschalten sollen.“

Die Ziele der Putschisten unterstützt Herrmann ausdrücklich. Ihre Erklärung habe durchaus Punkte enthalten, „denen sich die meisten Kritiker von Präsident Erdogan und dessen Regierung von Binali Yildirim hätten abschließen können“, schreibt er. Die Putschisten hätten es aber versäumt, „einen Fahrplan oder aber ein Programm für die kommenden Monate“ vorzulegen.

Das, muss man aus dem Artikel schließen, kann nachgeholt werden: „Der Putschversuch ist zwar niedergeschlagen. Die Unzufriedenheit in weiten Teilen der Armee und der Gendarmerie, die außerhalb der großen Städte für die öffentliche Sicherheit sorgen soll, bleibt aber bestehen.“

Andere Artikel werfen Erdogan vor, er habe den Putsch selbst inszeniert, um einen Vorwand für die Errichtung einer persönlichen Diktatur zu haben.

So schreibt die US-Zeitung Politico: „Laut einigen westlichen Regierungsvertretern könnte der vereitelte Putsch zu Erdogans ‚Reichtagsbrand‘ werden, ein Hinweis auf den Brandanschlag auf das deutsche Parlament im Jahr 1933, mit dem Hitler die Aufhebung der bürgerlichen Freiheiten und den Beginn der Nazi-Diktatur rechtfertigte.“

Auch die der deutschen Linkspartei nahestehende Junge Welt bezeichnet den Putsch als mögliche „Inszenierung Erdogans, eine Art türkischen Reichstagsbrand“. Der versuchte Putsch sei „eine weitere Etappe des von langer Hand geplanten Staatsstreichs Erdogans“.

Tatsächlich stecken Politiker wie Kerry und Steinmeier, die rücksichtslos imperialistische Interessen vertreten, hinter dem Putsch. Welche Risiken sie dabei eingehen, zeigt unter anderem der Umstand, dass auf der Militärbasis Incirlik, einem der Zentren der Putschisten, 50 amerikanische Atomsprengköpfe lagern.

Erdogan ist ein rechter, reaktionärer Politiker mit autoritären Ambitionen. Aber die Abrechnung mit ihm ist die Aufgabe der türkischen und internationalen Arbeiterklasse und nicht des türkischen Militärs und der imperialistischen Mächte. Der Putschversuch diente nicht zuletzt dazu, eine solche Bewegung von unten zu verhindern. Wäre der Putsch geglückt, hätten die Militärs wie bei früheren Putschen zehntausende militante Arbeiter inhaftiert, gefoltert und ermordet – ohne dass sich Washington und Berlin über die Verletzung der Demokratie beschwert hätten.

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