Italien drängt auf Krieg gegen Libyen

Fünf Jahre nach dem Libyen-Krieg der Nato bereiten Italien, die EU und die USA die nächste Militärintervention vor. Um die riesigen Öl- und Erdgasquellen des Landes zu kontrollieren und ein wichtiges Einfallstor nach Afrika zu sichern, wollen die Westmächte sich eigene Militärstützpunkte in Libyen schaffen.

Seit Monaten findet in dem nordafrikanischen Land ein heimlicher Aufmarsch amerikanischer, britischer, französischer und italienischer Agenten und Offiziere statt, während Aufklärungs- und bewaffnete Drohnen Libyen von Sigonella (Sizilien) aus ansteuern und angreifen.

Letzte Woche erzwangen Italien und die Westmächte die Ankunft ihrer Marionettenregierung in Tripolis. Der designierte Regierungschef Fayiz as-Sarradsch verließ am Mittwoch sein tunesisches Exil per Schiff und landete an der Spitze einer neunköpfigen Regierungsdelegation in der libyschen Hauptstadt. As-Sarradsch ist ein Strohmann, den der deutsche UN-Vermittler Martin Kobler aufgebaut hat und der jetzt die Aufgabe hat, bei den Vereinten Nationen baldmöglichst offiziell eine Militärintervention gegen den IS anzufordern.

As-Sarradsch, ein 54-jähriger Architekt aus Tripolis, soll eine Regierung der nationalen Einheit bilden. Er kehrt in ein zutiefst zerstrittenes und zerstörtes Land zurück, in dem sich mindestens zwei Regierungen und fünf Milizen einen blutigen Bürgerkrieg liefern. As-Sarradsch kann sich lediglich auf die halbherzige Unterstützung eines Teils des international anerkannten Parlaments berufen, das derzeit in Tobruk im Osten des Landes sitzt.

In Tripolis sitzt ein Gegenparlament, das von den Muslimbrüdern unterstützt wird, sowie eine Gegenregierung unter Chalifa al-Ghweil.

Eine Sonderstellung nimmt General Chalifa Haftar ein, ein früherer Gaddafi-Offizier, der sich im Auftrag der CIA 2011 an Gaddafis Sturz beteiligte. Haftar ist heute Oberbefehlshaber der libyschen Armee.

Weder General Haftar, noch das Gegenparlament in Tripolis haben as-Sarradsch anerkannt. Al-Ghweil und seine Getreuen sind seit Samstag untergetaucht. Zuvor hatte er als Machthaber von Tripolis die Ankunft von as-Sarradsch mit allen Mitteln bekämpft. Er hatte den Ausnahmezustand über die Stadt verhängt und den Flughafen schließen lassen. Dann hatte er as-Sarradsch aufgefordert, sich entweder zu ergeben oder nach Tunesien zurückzukehren. Er sei ein „illegaler Eindringling“ und wolle dem Land eine internationale Bevormundung aufdrängen.

Gezwungenermaßen verschanzte sich as-Sarradsch zunächst in der Marinebasis Abu Sittah, weil ihm alle Zufahrtswege nach Tripolis versperrt waren. Von dort aus versprach er in seiner ersten Regierungserklärung, er werde das Land einen, den Kampf gegen den Islamischen Staat führen, die Scharia respektieren und die libysche Zentralbank wieder öffnen.

Die Zentralbank gab ihrerseits eine Erklärung heraus und begrüßte die Regierung von as-Sarradsch als „Start in eine neue Ära“. Sie rief dazu auf, „die Produktion und den Export von Öl und Gas“ wiederaufzunehmen. Ein ähnliches Statement gibt es von der Nationalen Ölgesellschaft.

Derweil verschärften sich in Tripolis die Schießereien und blutigen Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen. In der Nacht nach as-Sarradschs Ankunft wurde dabei mindestens ein Mann getötet. Milizen, die die Gegenregierung unterstützen, stürmten den von Katar finanzierten Sender Nabaa und schlossen ihn. Schulen und öffentliche Einrichtungen blieben daraufhin geschlossen.

Italien und die Europäische Union stehen nun vor dem Problem, dass sie in Tripolis – ähnlich wie die USA 2001 in Kabul oder 2003 in Bagdad – eine militärisch abgesicherte „Green Zone“ für ihre Marionettenregierung brauchen. Sie können sich dabei nur auf wenige Kräfte in Libyen verlassen. Wie die Website Intercept aufdeckte, haben auch private amerikanische Söldnerfirmen wie Blackwater ihre Dienste dafür angeboten.

Eine aus Misrata stammende libysche Milizeinheit erklärte der neuen Regierung ihre Loyalität. Ihre Kämpfer stehen im Sold Italiens und beschützen die Ölförderanlagen des italienischen Erdölkonzerns ENI in Westlibyen. Italien hat die Öl- und Erdgas-Förderung in Libyen niemals eingestellt, und die Westmächte sind nicht wählerisch: In ihrem vorgeblichen Kampf gegen den Islamischen Staat stützen sie sich auch auf extrem-islamistische Kräfte. Das Kriterium sind keineswegs „westliche Werte“, sondern ausschließlich die Bereitschaft, mit den Imperialisten zusammenzuarbeiten. Bezahlt werden die Milizen vor Ort mit dem Rest der libyschen Staatsgelder, die seit Gaddafis Sturz auf eingefrorenen Konten in Europa lagern.

Bezeichnenderweise enthält die Liste der 32 Minister, die as-Sarradschs neuer Regierung angehören sollen, vier Personen, die als fundamentalistische Islamisten eingestuft werden, weil sie den Moslembrüdern, bzw. der Libysch-Islamischen Kampfgruppe (LIFG) angehören. Der Gründer dieser Organisation, Abd al-Hakim Balhadsch, ist ein ehemaliger al-Kaida-Kämpfer und Vertrauter Osama bin Ladens. Wie die Bloggerin Angelika Gutschke in Der Freitag aufdeckte, soll sich UN-Vermittler Martin Kobler im Bemühen um die Bildung der neuen Regierung in der Türkei mit Balhadsch getroffen haben.

Die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, Italien, Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich gratulierten as-Sarradsch zur Ankunft in Libyen und anerkannten die seine Regierung sofort als „einzig legitime Vertretung Libyens“. Der deutsche Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier begrüßte die „Einheitsregierung“ ausdrücklich. Am Rande eines Besuchs in Usbekistan forderte er „alle politischen Kräfte des Landes“ auf, sie zu unterstützen.

Gegen libysche Politiker wie Chalifa al-Ghweil, die as-Sarradsch bekämpfen, verhängte die EU Sanktionen und verfügte gegen sie ein Einreiseverbot in die EU und das Einfrieren ihrer europäischen Bankguthaben.

Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault sprach sich ausdrücklich für eine Intervention aus: „Wir müssen darauf vorbereitet sein, zu reagieren, wenn die Einheitsregierung von Fayiz as-Sarradsch um Hilfe bittet, notfalls auch an der militärischen Front.“

Der italienische Außenminister Paolo Gentiloni forderte alle libyschen Machthaber auf, die neue Regierung rasch anzuerkennen, und drohte, andernfalls würde die „Internationale Gemeinschaft“ umso rascher mit Militärschlägen vorgehen. Auch Parlamentssprecherin Laura Boldrini, Parteigängerin von Nichi Vendola, sprach sich nicht gegen Luftschläge aus, sondern knüpfte sie lediglich an die Forderung: „Es muss eine nationale Einheitsregierung geben, die um eine Intervention bitten muss.“

Eine solche Intervention wird seit Monaten vorbereitet. Mitte März hatte die italienische Verteidigungsministerin Roberta Pinotti bestätigt, dass es seit über einem Jahr Interventionspläne gebe. Italien soll eine UN-Mission mit bis zu 6000 Soldaten führen, die durch Luftschläge aus den sizilianischen Militärstützpunkten Trapani und Sigonella unterstützt werden.

Mehrere Dutzend italienische Spezialkräfte sind seit Wochen in Libyen aktiv und arbeiten mit „Spezialisten“ aus Großbritannien, Frankreich und den USA zusammen. Sie gehören dem italienischen Militär oder dem Auslandsgeheimdienst an. Ein Beschluss der italienischen Regierung vom 10. Februar unterstellt sie direkt dem Ministerpräsidenten Matteo Renzi.

Als as-Sarradsch in Tripolis landete, befand sich Renzi gerade auf dem Gipfeltreffen über Nukleare Sicherheit in Washington. Vor allem US-Präsident Obama sprach sich dort für eine Intervention aus, da die Einsetzung von as-Sarradsch höchstens „die Struktur festigen“ könne.

Die italienischen Eliten drängen darauf, bei einer Militärmission die führende Rolle zu spielen. Die rechte Zeitung Centro-Destra schrieb unter der Überschrift „Libyen: Vorbereitung auf die Intervention“, die militärische Kontrolle über das Mittelmeer sei von entscheidender Bedeutung, diesmal müsse Italien eine Führungsrolle spielen. Es sei vorrangig, „zu vermeiden, dass die italienischen Interessen in Libyen ignoriert werden. … Oder anders ausgedrückt: Wenn Italien nur eine Nebenrolle und nicht die Rolle des Protagonisten hätte, dann wäre alles umsonst. Das wäre dann die Farce der Tragödie von 2011.“

Der US-Botschafter in Rom, John Philips, forderte in der Tageszeitung Corriere della Sera den Einsatz von bis zu 5000 italienischen Soldaten. Er sagte: „Libyen ist für Italien von prioritärer Bedeutung und auch für uns sehr relevant. Es ist wichtig, dass Italien die Führung einer internationalen Aktion übernimmt.“

Die überwiegende Mehrheit der italienischen Bevölkerung lehnt ein militärisches Eingreifen in Libyen dagegen ab. Selbst Centro-Destra musste zugeben: „Der Schatten über der ganzen Sache besteht bisher darin, dass eine Umfrage kürzlich ergab, dass 81 Prozent der Bürger sich gegen jegliche Art der Intervention aussprechen.“

Die imperialistischen Mächte nutzen das Chaos, das sie selbst angerichtet haben, als Vorwand für eine massive Intervention. Vor fünf Jahren lautete der Vorwand, Zivilisten in Bengasi müssten vor einem drohenden Massaker der Gaddafi-Armee gerettet werden. Darauf fielen über 50.000 Menschen dem Nato-Bombenkrieg zum Opfer. Gaddafi wurde gelyncht. Libyens Zivilisation, Wirtschaft und Infrastruktur wurden zerstört. Etwa zwei Millionen Libyer wurden ins Exil getrieben, Hunderttausende im eigenen Land zu Vertriebenen.

Heute ist Libyen laut Einschätzung des Londoner The Economist der Staat „mit der 2016 weltweit am schnellsten schrumpfenden Wirtschaft“. Die Ölförderung ist auf einem Tiefstand, die Infrastruktur liegt am Boden. Der libysche Dinar steht auf dem niedrigsten Stand seit seiner Einführung, und viele Banken sind geschlossen. Die Preise steigen ständig. Ein Drittel der sechs Millionen libyschen Einwohner lebt in Armut, und eine Million Menschen leidet Hunger.

Im Krieg von 2011 setzte die Nato islamistische Kämpfer als Stellvertreter und Bodentruppen ein und versorgte sie, teilweise über die Türkei, Saudi Arabien und Katar, mit Waffen. Damit legte sie den Grundstein für die heutigen rivalisierenden Milizen, und auch für den Vormarsch des Islamischen Staats. Sie bombardierten jede Stadt, die den Islamisten Widerstand leistete, in Schutt und Asche. So wurde Sirte, die Geburtsstadt Gaddafis, die dem Nato-Krieg am längsten Widerstand geleistet hatte, damals so stark zerstört, dass der IS sie letztes Jahr einnehmen konnte.

Der Libyen-Krieg trug wesentlich zum Aufstieg des IS bei. Erst wurden die islamistischen Fundamentalisten gegen Gaddafi bewaffnet und unterstützt, später wurden sie zusammen mit großen Mengen Waffen aus Gaddafis Beständen nach Syrien gebracht, wo sie gegen Assad kämpfen sollten. Von dort kehren IS-Kämpfer seit Anfang 2015 nach Libyen zurück, wo sie den Westmächten heute als wichtigster Vorwand für eine neue Intervention dienen.

Als weiteren Kriegsgrund nennt die italienische Regierung die Abwehr von Flüchtlingen, oder den „Kampf gegen kriminelle Schleuser“, wie es offiziell heißt. Innenminister Angelino Alfano erklärte in einem Interview, das prominent in mehreren Zeitungen veröffentlicht wurde: „Für Italien ist die Stabilität Libyens nicht nur bezüglich des Anti-IS-Kampfs entscheidend, sondern auch für das Thema Immigration, denn von dort starten über neunzig Prozent der Schiffe.“

Nach der Sperrung der sogenannten Balkan-Route wird erwartet, dass wieder mehr Flüchtlinge den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Italien wählen, um nach Europa zu gelangen. Und über den Winter sollen hunderttausende Menschen die Sahara durchquert und Libyen erreicht haben (Schätzungen sprechen von einer halben Million bis zu 800.000), wo sie auf wärmeres Wetter warten, um über das Mittelmeer nach Europa zu reisen. Die Flüchtlingscamps sind völlig überfüllt.

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