Obwohl Generalbundesanwalt Harald Range im Dezember 2014 die Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat wieder aufgenommen hat, werden die Hintergründe des schwersten rechtsterroristischen Anschlags der deutschen Nachkriegsgeschichte weiter vertuscht. Das geht aus dem aktualisierten Dokumentarfilm „Attentäter - Einzeltäter? Neues zum Oktoberfestattentat“ von Daniel Harrich hervor, den das Bayerische Fernsehen am späten Dienstagabend zeigte.
Der Journalist Ulrich Chaussy, dessen Recherchen der Film begleitet, befasst sich darin neben den vielen Fragen, die nach dem Anschlag offen blieben, auch mit den laufenden Ermittlungen durch eine Sonderkommission des Bayrischen Landeskriminalamts.
Am 26. September 1980 hatte die Explosion einer Rohrbombe am Eingang des Münchener Oktoberfests dreizehn Menschen in den Tod gerissen und über 200 verletzt, viele davon schwer. Obwohl der Attentäter Gundolf Köhler, der bei der Explosion ums Leben kam, in Kontakt zur rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann stand und es zahlreiche Hinweise auf Mittäter gab, legten sich das Bayrische Landeskriminalamt und Generalbundesanwalt Kurt Rebmann schnell auf einen Einzeltäter fest und stellten die Ermittlungen schon nach zwei Jahren ein.
Chaussy befasste sich bereits damals mit dem Fall und hat sich seitdem unermüdlich bemüht, Licht ins Dunkel zu bringen. Er hat aufgedeckt, dass die Ermittlungen einseitig geführt wurden, wichtige Beweisstücke und Aussagen verschwanden und Asservate im großen Umfang vernichtet wurden. In der aktualisierten Dokumentation weist er nach, dass nicht nur eine abgetrennte Hand, die auf einen Mittäter verweist, im Verlauf der Ermittlungen abhanden kam, sondern zwei Hände, wie wir bereits berichtet haben.
Gegen Ende befasst sich die Dokumentation auch mit den aktuellen Ermittlungen der Sonderkommission „26. September 1980“. Chaussy hatte den Ermittlern zahlreiche Zeugen genannt, die Hinweise auf mögliche Mittäter Köhlers geben können. So hatte Hans Roauer, der in der Dokumentation zu Wort kommt, beobachtet, wie der Attentäter, unmittelbar bevor er die Bombe in den Abfalleimer legte, in dem sie dann explodierte, mit den Insassen eines Autos stritt.
Der verletzte Roauer wurde kurz nach dem Attentat im Krankenhaus von einem Polizisten befragt, dem er über seine Beobachtung berichtete. Danach wurde er nie vernommen. Nun haben ihn auch die neuen Ermittler befragt. Dabei, so Roauer, hätten ihm die Beamten ein Protokoll vorgelegt und gefragt, ob das seine Aussage sei.
Er zeigte sich äußerst verwundert, „dass auf einmal dieses Protokoll aus dem Jahre 1980 wieder aufgetaucht ist“. Denn bisher sei ihm erklärt worden, es gebe kein solches Protokoll. Der Inhalt war obendrein verfälscht. Es fehlte die Stelle, an der berichtet hatte, wie Köhler hastig vom Auto wegging. „Das heißt, genau der Verweis darauf, dass Köhler nicht alleine war“, unterstrich Chaussy.
Chaussy sprach auch mit Günther G., einem ehemaligen Polizisten, der die zweite abgetrennte Hand sichergestellt hatte. Er berichtet, er sei von den neuen Ermittlern ausführlich befragt worden. Gegen Ende, nach zweieinhalb Stunden, habe der vernehmende Beamte zwei anwesende Frauen aus dem Raum geschickt, um mit ihm ein Vier-Augen-Gespräch zu führen. Der Ermittler habe seine Aussage angezweifelt. „Das sei ja eine schöne Geschichte, die ich mir da ausgedacht habe, sagte er, eine richtige Räuberpistole“, berichtet der Ex-Polizist. Er habe „fassungslos“ reagiert. Darauf sei er nicht vorbereitet gewesen.
Ein weiterer Zeuge berichtete Chaussy, er sei von den Ermittlern gefragt worden, ob er für sein Interview mit Chaussy Geld bekommen habe. Wenn er in Zukunft etwas zu sagen habe, solle er nicht zu Chaussy gehen, hätten ihm die Ermittler erklärt.
Chaussy hatte sich auch um ein Interview mit den Ermittlern der Sonderkommission bemüht. Nach langem Widerstand wurde es ihm unter strikten Auflagen gewährt. Er musste seine Fragen vorher einsenden, die Hälfte wurde gestrichen. Über den Umgang mit den Zeugen, die er selbst benannt hatte, durfte Chaussy keine Fragen stellen.
Seine Frage, ob die Sonderkommission auch die Ungereimtheiten und offenen Fragen der bisherigen Ermittlungen untersuche, etwa wo Zeugenaussagen geblieben seien, beantwortete der Leiter der Sonderkommission, Mario Huber, mehrmals indirekt mit Nein. „Wir untersuchen, ob Gundolf Köhler Mittäter hatte, ob diese zu ermitteln sind und ob sie noch leben.“
Chaussy ist der Auffassung, dass die Antwort auf die Frage, durch wen und warum die Ermittlungen damals behindert wurden, der Schlüssel zur Aufklärung des Oktoberfest-Attentats sei. Daran haben die Ermittlungsbehörden aber offenbar kein Interesse.
Wir hatten bereits vor einem Jahr, als das Verfahren aufgrund der Arbeit von Chaussy und dem Opferanwalt Werner Dietrich wieder aufgenommen wurde, gewarnt, dass „Generalbundesanwalt Range und die ermittelnden Behörden auch jetzt alles daran setzen, die wahren Hintergründe des Oktoberfestattentats zu verschleiern“. Wir verwiesen damals auf Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der erklärt hatte, angesichts der Versäumnisse bei den NSU-Morden müsse jetzt „jedem Vertrauensverlust gegenüber der Tätigkeit staatlicher Ermittlungsbehörden entgegengewirkt werden“. Die Dokumentation von Harrich und Chaussy hat diese Warnung nun bestätigt.
Regierung, Justiz- und Sicherheitsbehörden wollen verhindern, dass die enge Verflechtung von Geheimdiensten und Neonazis publik wird. Die Verquickung von Alt- und Neonazis mit Sicherheitsbehörden, die nach dem Zweiten Weltkrieg von alten Nazis aufgebaut und geleitet wurden, zieht sich wie ein roter Faden bis in die heutige Zeit.
Chaussy und Harrich gehen sowohl im Spielfilm „Der blinde Fleck“ als auch in der Dokumentation auf den damaligen bayerischen Staatsschutzchef Hans Langemann ein (im Film gespielt von Heiner Lauterbach). Langemann hatte am Tag nach dem Anschlag 1980 bewusst die vom Generalbundesanwalt verhängte Nachrichtensperre gebrochen und die Presse über die Identität des Attentäters Gundolf Köhler und dessen Verbindungen zur rechtsextremen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ informiert. Das rechtsradikale Umfeld Köhlers war damit gewarnt.
Langemann, der im Zweiten Weltkrieg als 18-Jähriger an der Ostfront im Einsatz war, kam nach einem Jurastudium 1957 zum Bundesnachrichtendienst (BND). Er verehrte dessen Leiter, Reinhard Gehlen, der unter Hitler für die Ostaufklärung zuständig war. Nach Gehlens Pensionierung wechselte er nach einem Aufenthalt an der deutschen Botschaft in Rom 1973 ins Bayerische Innenministerium, wo er für den Verfassungsschutz verantwortlich war.
Im Dokumentarfilm kommt der ehemalige Ermittler des Bundeskriminalamts Frank P. Heigl zu Wort, der gemeinsam mit Langemann ein Buch über dessen Zeit beim BND geschrieben hat. Er berichtet, Langemann habe ihm gesagt: „Wir müssen aufräumen bei den Linken.“ Die Rechten seien für Langemann die „Sauberen“ gewesen. Er habe nur eine Gefahr von links gesehen und sei eng mit Rechtsextremen verbandelt gewesen.
Die Grenze zwischen staatlichen Behörden und rechtsextremen Strukturen ist fließend. Im Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der von 2000 bis 2007 neun Migranten und eine Polizistin erschoss, befanden sich mindestens 25 V-Leute. Und es werden ständig neue Informanten und Mitarbeiter der Geheimdienste in rechtsradikalen und neonazistischen Organisationen enttarnt.
Im Prozess gegen das überlebende NSU-Mitglied Beate Zschäpe vor dem Münchener Oberlandesgericht sagte in dieser Woche Mario Brehme aus, der in den 1990er Jahren den neonazistischen Thüringer Heimatschutz (THS) mit aufbaute, aus dem der NSU hervorging. Als ihn der Anwalt eines Nebenklägers fragte, ob er für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) gearbeitet habe, verweigerte er die Aussage.
War Brehme tatsächlich MAD-Agent, dann wurde der THS von zwei Geheimdienstmitarbeitern aufgebaut. THS-Führer Timo Brandt arbeitete erwiesenermaßen für den Verfassungsschutz.
Ebenfalls in dieser Woche ist bekannt geworden, dass der kürzlich verstorbene Roland Sokol, rechtsradikaler Mitgründer der „Hooligans gegen Salafisten“ (Hogesa), ein V-Mann war. Vor einem Jahr hatten sich die Hooligans in Köln eine Schlacht mit der Polizei geliefert. Die gewaltsame Auseinandersetzung, die bundesweit Schlagzeilen machte, hatte alle Kennzeichen einer gezielten Provokation. Die Polizei hatte damals nur ein kleines Einsatzkontingent bereitgestellt, obwohl sie vorher gewusst hatte, dass mehrere tausend gewaltbereite Fußball-Hooligans anreisen würden.
Damals wurde von staatlicher Seite gezielt daran gearbeitet, eine rechte, faschistische Bewegung aufzubauen. In dieser Zeit begannen auch die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) ihre Demonstrationen in Dresden.
Der Dokumentarfilm zum Oktoberfestattentat ist in der Zeit von 20 Uhr bis 6 Uhr in der ARD-Mediathek zu sehen.