Die Flüchtlingshilfe „Moabit hilft“ erhebt schwere Vorwürfe gegen die Berliner Senatsverwaltung. Entgegen allen Behauptungen seitens der Politik und Verwaltung „ist gar nichts gut“, heißt es im Aufruf zu einer Protestdemonstration am kommenden Samstag in Berlin. Die Strukturen des LAGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales), der Flüchtlingsanlaufstelle in Berlin-Moabit, seien bereits seit Wochen zusammengebrochen. Der Senat verweigere jede ernsthafte Hilfe.
Tagtäglich kommen bis zu 500 Flüchtlinge in Berlin-Moabit an. Ihre Behandlung kann nur als menschenverachtend bezeichnet werden. Viele sind nach Wochen noch immer nicht registriert und müssen sich täglich bei zunehmender Kälte, in Wind und Regen in lange Warteschlangen anstellen.
Fotoserie der Zustände vor dem LAGeSo am 15.10.2015
Das Asylbewerberleistungsgesetz bleibe seit Wochen unberücksichtigt, klagt „Moabit hilft“. Es gebe von Seiten des LAGeSo wenig bis gar kein Geld, keine Krankenversorgung, mangelhaftes Essen und eine noch schlechtere Informationspolitik. Die Folge sei ein katastrophaler Ausnahmezustand.
In einer Presseerklärung beschreibt die Flüchtlingshilfe die Situation folgendermaßen: „Familien mit Babys liegen auf kaltem Beton, Menschen ohne Unterkunft irren durch die Stadt, schlafen jede Nacht woanders oder unregistriert in Zelten, in Parks oder bei Bekannten in überfüllten Wohnungen. Sie werden von Hostels trotz amtlichem Unterbringungsschein nicht mehr aufgenommen oder nach wenigen Tagen wieder vor die Tür gesetzt. Aufgrund großer Zahlungsrückstände und wirtschaftlich unzumutbarer Zahlungsziele. Vom Senat eingerichtete Notunterkünfte weisen die geflüchteten Menschen ab.“
Nur durch die unermüdliche Arbeit von vielen freiwilligen Helfern war es bisher möglich, eine noch schlimmere Katastrophe zu verhindern. Aber was kommt in den nächsten Wochen?
„Weder LAGeSo noch Senat stellen einen Schutz vor den nun bereits spürbar kälteren Temperaturen für die Flüchtlinge. Nach wie vor warten die Menschen im Freien. Kein witterungsbeständiger Warteraum ist zugänglich. Geschütze Wartebereiche stehen seit Wochen zur Verfügung, werden zur Nutzung aber nicht freigegeben“, heißt es in der Erklärung.
Flüchtlinge, die Monate oder Wochen unterwegs waren, um den Kriegsgebieten im Mittleren Osten zu entkommen, die oft ihr ganzes Hab und Gut eingesetzt haben, um das vermeintlich rettende und sichere Deutschland zu erreichen, müssen erleben, wie sie von den Berliner Behörden schlimmer als Frachtgut behandelt werden, das wenigstens in trockenen und warmen Lagerhallen aufbewahrt wird.
Viele der Flüchtlinge kommen aus wärmeren Ländern und sind nicht auf die winterlichen Temperaturen vorbereitet. Ohne die unermüdliche Unterstützung durch private und freiwillige Hilfsorganisationen müssten Tausende Menschen hungern und frieren. Unbehandelte Krankheiten, die durch den Krieg und die lange Flucht oder durch die ungewohnte Witterung verursacht wurden, werden zur tödlichen Gefahr.
Während der Berliner Senat für den Empfang von Diktatoren, wie dem ägyptischen Präsidenten as-Sisi, für Prestigeprojekte wie die Bewerbung um die Olympiade oder für den Pfusch am Berliner Flughafen BER problemlos hunderte Millionen Euro bereitstellt, ist er nicht bereit, für die menschenwürdige Versorgung der Flüchtlinge zu sorgen, obwohl er dazu gesetzlich verpflichtet wäre.
Eine Asylantin aus Syrien, die fünf Wochen auf die Registrierung ihres Asylantrags warten musste, erklärte der Tageszeitung Die Welt: „Ich bin verzweifelt. Wir sind hergekommen, weil wir vor dem Krieg und der Zerstörung in Syrien geflohen sind. Aber hier behandelt man uns wie Insekten. Wir werden gar nicht als Menschen gesehen.“
Die Zustände am LAGeSo sind seit vielen Monaten, sogar seit Jahren bekannt. Während die Berliner Bevölkerung auf überwältigende Weise freiwillige Hilfe leistet, verschleppt der Berliner Senat bewusst jede Entscheidung zur Verbesserung der Flüchtlingssituation.
Verantwortlich sind sowohl der jetzige Berliner Senat mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Sozialsenator Mario Czaja (CDU), als auch Müllers Vorgänger Klaus Wowereit (SPD), der ab 2002 zehn Jahre lang mit der Linkspartei regiert hatte. Dieser rot-rote Senat hatte mit einem drastischen Sparprogramm städtisches Personal und Sozialleistungen gekürzt. So wurden 35.000 öffentliche Stellen abgebaut, darunter mehrere hundert Stellen am LAGeSo.
Ein freiwilliger Mitarbeiter von „Moabit hilft“ ist Michael Ruscheinsky. Er sagt, zwei Dinge seien für ihn in den vergangenen Wochen sehr bemerkenswert gewesen: „Auf der einen Seite hat mich die bürokratische Kaltschnäuzigkeit und menschliche Kälte überrascht, mit der die Senatsverwaltung diese Menschen behandelt. Andererseits ist aber auch die große Solidarität aus der Bevölkerung und der uneigennützige, unermüdliche Einsatz von Helfern eine große Entdeckung für mich.“
Der 35-jährige Ruscheinsky hatte während der Hitzewelle im August vom „Wassernotstand“ in der Flüchtlingsanlaufstelle gehört und über Internet einen Hilferuf gestartet. Ein Getränkehändler und viele andere unterstützten ihn. Seitdem arbeitet er täglich bei „Moabit hilft“ und koordiniert die Hilfsprogramme.
„Es stimmt nicht, dass der Senat überfordert ist. Bei vielen Großveranstaltungen haben Politiker hier und sonst wo bewiesen, dass sie sehr fähig sind und auch auf große und überraschende Herausforderungen sehr effizient reagieren können. Es ist nicht eine Frage des Könnens, sondern des Wollens, und deshalb ist das Verhalten der Senatsverwaltung und der dahinter stehenden Politiker nicht nur eine Schande, sondern ein Verbrechen.“