Der neue Film über den Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer ist bereits der dritte innerhalb weniger Jahre über diese Persönlichkeit. Außerdem liegen mehrere Biographien über ihn vor. Bis heute halten sich aber in bestimmten Kreisen auch hartnäckig Gerüchte, durch die seine in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland so wichtige Rolle heruntergespielt werden soll.
Bauer ist es maßgeblich zu verdanken, dass es den bundesdeutschen Eliten in den 1950er und 60er Jahren nicht gelang, den Mantel der Vergessenheit über die Verbrechen der Nazis auszubreiten, auch wenn er sein Ziel, die wirklich Verantwortlichen in Deutschland vor Gericht zu stellen, nur teilweise durchsetzen konnte.
Während im Staat, im Sicherheitsapparat und vor allem in der Justiz die alten Nazieliten noch an wichtigen Schalthebeln saßen und in enger Abstimmung mit der US-Regierung und der CIA verhinderten, dass ihre Mitwirkung an den Verbrechen des Dritten Reichs aufgedeckt und bestraft wurde, ließ sich Fritz Bauer nicht davon abhalten, ihre Schuld aufzuklären und juristisch zu verfolgen. Der sozialdemokratische Jurist Fritz Bauer war als Jude und politischer Gegner der Nazis selbst im Konzentrationslager gewesen und hatte ins Exil gehen müssen.
Der angebliche bundesrepublikanische Rechtsstaat ließ Millionen Nazi-Verbrechen, wie Raub, Folter, Vergewaltigung und Totschlag, einfach verjähren. Selbst Massenmörder blieben unbehelligt. Erst gegen großen Widerstand im Apparat gelang es 1979, die gesetzliche Verjährungsfrist für Mord aufzuheben. 1965 war sie zunächst von 20 auf 30 Jahre verlängert worden.
Dabei war Bauer, und dies zeigt der Film recht gut, nicht nur übelsten Anfeindungen und Morddrohungen ausgesetzt, sondern auch jeder Menge Intrigen im Justiz- und Sicherheitsapparat.
Im vorigen Jahr kam „Im Labyrinth des Schweigens“ ins Kino, ein Spielfilm, in dem es um die Schwierigkeiten ging, die Bauer und seine Mitarbeiter bei der Vorbereitung des ersten Auschwitzprozesses von 1963-1965 hatten.
Bereits vor einigen Jahren produzierte Ilona Ziok den sehenswerten, ausführlichen Dokumentarfilm „Fritz Bauer - Tod auf Raten“, der auf YouTube zu sehen ist. Er liefert das umfassendste Bild dieses mutigen Mannes, während die Spielfilme bestimmte Aspekte seiner Arbeit einem breiten Publikem nahebringen. In gewisser Hinsicht ergänzen sich diese drei Filme. Außerdem kann man sich auf DVD ein genaues Bild über Bauer machen. (Fritz Bauer. Gespräche, Interviews und Reden aus den Fernseharchiven 1961–68. Absolut-Medien 2014, 298 Minuten, 19,90 Euro.)
Bauer ging es darum, die Verbrechen der Nazis aufzuklären, um sie ins historische Bewusstsein vor allem der Jugend zu rücken und zu verhindern, dass sie sich wiederholen. Ihm ging es nicht um Rache, wie ihm vielfach unterstellt wurde. In vielen Vorträgen vor jungen Menschen brachte er dies unermüdlich zum Ausdruck, auch in der im Film kurz zitierten Talkshow des Hesseischen Rundfunks „Heute Abend im Kellerklub“. Er gab wichtige Anstöße für die Studentenbewegung der 60er Jahre.
Lars Kraumes Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ greift Ereignisse im Leben Bauers (dargestellt von Burkhart Klaußner) heraus, die sich Ende der 1950er Jahre, also noch vor dem Auschwitzprozess, abspielten, die aber erst nach dem Tod Bauers 1965 bekannt wurden. Es geht um seine Mitwirkung bei der Ergreifung des Organisators der Judentransporte in die Vernichtungslager, Adolf Eichmann.
Der Film zeigt, wie schwierig es für Bauer war, diesen Verbrecher zu jagen und seiner Strafe zuzuführen. Bauer musste sich nicht nur gegen Vertreter seiner eigenen Behörde durchsetzen. Wenn er sein Büro verließ, begab er sich in „Feindesland“. BKA, Interpol und Justiz vereiteln Bauers Bemühungen, Nazi-Verbrecher aufzuspüren und vor Gericht zu stellen. Das politische Leben wird geprägt von Antikommunismus und scheinheiligen Bekenntnissen zu Demokratie und Freiheit. Bauer gilt als rachsüchtiger Jude und Nestbeschmutzer.
Bis in die Spitzen des Staates reichten seine Widersacher. Nie gelang es ihm z. B. die Absetzung, geschweige denn die juristische Verfolgung des Staatssekretärs von Bundeskanzler Konrad Adenauer, Hans Maria Globke, zu erreichen. Globke hatte den Kommentar zu den Nürnberger Rassengesetzen verfasst und damit die Praxis des Umgangs mit Juden im Dritten Reich gesteuert. Er hatte initiiert, dass ihnen ein J. in den Pass gestempelt wurde und sie damit in den Meldeämtern erfasst werden konnten, was ihre spätere Deportation ungemein erleichterte. Trotzdem blieb Globke bis zum Ende der Amtszeit Adenauers im Amt und erhielt im Gegensatz zu Bauer das Bundesverdienstkreuz. Bauer hätte es vermutlich abgelehnt.
Die Gründe, weshalb Bauers Aktivitäten auf so viel Wiederstand stießen, werden im Film genannt. Eichmann, der in Jerusalem in einem Interview den Namen Globke genannt hatte, hätte vor einem deutschen Gericht noch viele weitere Namen nennen können. Das sollte auf jeden Fall verhindert werden.
Bauer hatte aus Buenos Aires einen Hinweis erhalten, dass sich Eichmann dort aufhielt. Er ging akribisch unter größter Geheimhaltung ans Werk. Nur der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident von Hessen, Georg August Zinn (Götz Schubert), und sein Mitarbeiter Karl Angermann (Ronald Zehrfeld), eine fiktive Persönlichkeit, waren eingeweiht.
Bauers Plan war es, den israelischen Geheimdienst Mossad Eichmann gefangen nehmen zu lassen und dann seine Auslieferung nach Deutschland zu erreichen. Hätte er das ohne diesen Umweg versucht, wäre Eichmann mit Sicherheit gewarnt worden. Waren doch BND, BKA und Justiz durchsetzt von alten „Kameraden“. Wegen Bauers Zusammenarbeit mit dem Mossad hätte man ihn wegen Landesverrats anklagen können, aber dies hat man dann wohl doch nicht gewagt.
Dass es auf Druck deutscher Politikerkreise und vermutlich auch unter Beihilfe der CIA nicht zur Auslieferung Eichmanns nach Deutschland kam, weil Israel damals sehr an deutschen Waffenlieferungen interessiert war, wie es im Film heißt, ist recht plausibel. Es ist bekannt, dass der damalige US-Außenminister Alan Dulles unter aktiver Mitwirkung Globkes viele Nazi-Verbrecher als Experten für Folter, Chemiewaffen oder Gehirnwäsche vor Strafverfolgung geschützt, in die „Organisation Gehlen“ (den Vorläufer des BND) integriert oder in die USA abgeworben hatte.
All diese Fakten werden in dem Film allerdings nur angedeutet und hätten vermutlich den Rahmen eines Spielfilms gesprengt. Wie sehr versucht wurde, Druck auf Bauer auszuüben, kommt beispielhaft in einer Filmszene zum Ausdruck. Er erhält im Büro einen Brief mit der Botschaft „Jude verrecke“, der eine in eine Hakenkreuzfahne gewickelte Patrone beiliegt.
Es gehört zu den Stärken des Films, dass er die Atmosphäre der Wirtschaftwunderwelt nachvollziehbar macht. Zweifellos gehörte dazu auch das reaktionäre Sexualstrafrecht, war doch der Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs, der Homosexualität unter Strafe stellte, ebenso unangetastet geblieben wie der Paragraf gegen Kuppelei.
Bauer selbst ließ sich keine Delikte nach dem Paragrafen 175 zu Schulden kommen (belegt ist lediglich, dass er sich im dänischen Exil mit männlichen Prostituierten traf), aber sein Mitarbeiter wird durch eine Transvestitin in eine vom BKA gelegte Falle gelockt und erpresst, um ihn zu einer Aussage gegen Bauer zu zwingen. Er verweigert dies jedoch und zeigt sich selbst an.
Sicher war es nicht unberechtigt, auch die Homosexualität mit zum Thema des Films zu machen, zumal die Gerüchte um Bauers geschlechtliche Orientierung die Runde machten. Sie allerdings in der Person des Staatsanwalts Angermann dramatisch derart stark in den Vordergrund zu rücken, überlagert die politischen und juristischen Aspekte etwas zu sehr.
Eine weitere Schwäche des Films sind die eher karikaturhaft angelegten Figuren des Staatsanwalts Kreidler (Sebastian Blomberg) und des BKA-Beamten Paul Gerhardt (Jörg Schüttauf), die als Stellvertreter des gesamten Apparats, der Bauers Bemühungen zu behindern versucht, ein wenig zu leichtgewichtig daherkommen.
Gern etwas mehr hätte man von den Tonbändern gehört, auf denen Eichmann sich seiner Taten rühmt, die Bauer und Angermann besorgen konnten.
Dennoch ist dieser Film ein Muss für jeden, der sich mit der deutschen Vergangenheit auseinandersetzen will. Nicht zuletzt die großartige schauspielerische Leistung von Burkhart Klaußner, der die Persönlichkeit Fritz Bauers so kongenial und authentisch darstellt, macht ihn auch als Film sehenswert.
Die Tatsache, dass die Person dieses mutigen Staatsanwalts heute derartiges Interesse erregt, dass sich gleich mehrere Filme und Biografien und im vorigen Jahr auch eine Ausstellung mit ihm befassten, ist sicher kein Zufall. Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass die Rückkehr des deutschen Imperialismus zur Großmachtpolitik und die Ankündigungen führender Politiker, Deutschland müsse die Nazi-Vergangenheit begraben und seine militärische Zurückhaltung aufgeben, bei Filmemachern und Autoren auf Kritik und Besorgnis stoßen und ihr Publikum finden.