Die Ereignisse, die zur Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range geführt haben, zeigen, wie weit die Vorbereitungen zur Errichtung eines autoritären Staats gediehen sind, in dem die Meinungs- und Pressefreiheit sowie elementare Grundrechte unterdrückt werden.
Als die Medien im Mai eine üble Hetzkampagne gegen die trotzkistische Jugend- und Studentenorganisation IYSSE und den Blog „Münkler-Watch“ entfachten, weil sie militaristische Standpunkte von Professoren an der Berliner Humboldt-Universität kritisierten, warnten wir, die tiefere Ursache für diesen Angriff auf die Meinungsfreiheit sei „der Militarismus, mit dem die Herrschenden auf die Krise des globalen Kapitalismus reagieren. Er ergreift alle Bereiche der Gesellschaft und ist nicht mit Demokratie zu vereinbaren.“
Das Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats, das Range vor seiner Entlassung gegen den Blog Netzpolitik.org eröffnet hat, bestätigt diese Warnung. Nun werden nicht mehr nur Studenten bedroht, sondern jeder, der es wagt, antidemokratische und militaristische Machenschaften im Staatsapparat zu enthüllen und anzuprangern.
Die Tagesschau kommentierte am Dienstagabend: „Ermittlungen gegen Journalisten wegen Landesverrats sind die schärfste Waffe, die man einsetzen kann, um diese einzuschüchtern. Das sind Methoden von Diktaturen – in einem Rechtsstaat haben solche Mittel nichts verloren.“
Netzpolitik.org, ein Online-Magazin mit geringen Finanzmitteln, drei Redakteuren und einem halben Dutzend ehrenamtlichen Mitarbeitern, wurde ausgewählt, um ein Exempel zu statuieren. Landesverrat wird nach § 94 StGB in schweren Fällen mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bis lebenslänglich bestraft. Mit dieser massiven Drohung soll jedem Journalisten vor Augen geführt werden, dass er hinter Gittern landen kann, wenn er illegale Machenschaften von Geheimdiensten und Militär aufdeckt.
Die angeblichen Geheimnisse, die Netzpolitik.org veröffentlicht hat, stehen in keinem Verhältnis zu dem schweren Geschütz, das nun gegen den Blog aufgefahren wird. Es handelt sich um den Wirtschaftsplan 2013 des Bundesamtes für Verfassungsschutz und um Papiere über den Ausbau der Überwachung der Telekommunikation. Sie enthalten weder technische noch operationelle Einzelheiten. Als der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele am 4. März im Bundestag Fragen zum Inhalt dieser Dokumente stellte, erteilte ihm ein Sprecher des Innenministeriums problemlos Auskunft. Offenbar ist die Behauptung, es handle sich dabei um Staatsgeheimnisse, ein reiner Vorwand.
Außergewöhnlich ist auch, dass sich die Ermittlungen nicht gegen die Whistleblower richtet, die die Papiere an die Presse gegeben haben, sondern gegen die Journalisten, die sie veröffentlicht haben. Sollte dieses Beispiel Schule machen, müsste jeder Journalist, der z.B. über Enthüllungen von Edward Snowden berichtet, mit Strafverfolgung rechnen.
Die Initiative zur Verfolgung der Journalisten ging nicht von Range aus, sondern von Hans-Georg Maaßen. Der Chef des Bundesverfassungsschutzes beschwert sich seit langem darüber, dass die Geheimdienste wegen ihrer Rolle in der rechtsextremen Szene und der massenhaften Überwachung der Bevölkerung in der öffentlichen Kritik stehen. Der Bundesverfassungsschutz hat die Anzeige gegen Netzpolitik.org erstattet und dem Generalbundesanwalt auf Nachfrage bestätigt, dass es sich bei den veröffentlichten Papieren um ein „Staatsgeheimnis“ handle.
Einige Pressekommentare gehen davon aus, dass Range, der Ende des Jahres ohnehin in Pension geht, als Bauernopfer diente, um Maaßen und dessen Dienstherr, Bundesinnenminister Thomas de Maizière, aus der Schusslinie zu nehmen. Sowohl das Innen- wie das Justizministerium waren seit längerem über Ranges Ermittlungen informiert und ließen ihn gewähren. Der Justizminister ging erst auf Distanz, als die Bekanntgabe der Ermittlungen heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit und den Medien auslöste.
Der Generalbundesanwalt war jedoch nicht bereit, sich vom Justizminister bremsen zu lassen, obwohl er dessen Dienstaufsicht untersteht und der Minister für seine Arbeit politisch verantwortlich ist. Die Pressekonferenz, die der ranghohe Beamte am Dienstagmorgen einberief, war eine offene Kampfansage an die gewählte Regierung.
Range warf Justizminister Heiko Maas einen „unerträglichen Eingriff“ in die Unabhängigkeit der Justiz vor. „Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint“, sei nicht hinzunehmen, sagte er. Die Presse- und Meinungsfreiheit sei „nicht schrankenlos“, und es sei die Aufgabe der Justiz darauf zu achten, dass Journalisten die Gesetze einhalten.
Ein Staat, in dem die Justiz die Medien kontrolliert und dafür sorgt, dass die Machenschaften der Geheimdienste und des Militärs geheim bleiben, ist nicht demokratisch, sondern autoritär, er ist ein Obrigkeitsstaat. Ginge es nach der Auffassung von Range, Maaßen und ihren Verteidigern, würde ein Carl von Ossietzky, der 1931 in der Weltbühne die illegale Aufrüstung der Reichswehr aufdeckte, wie damals wieder im Gefängnis landen.
Range wusste als Jurist natürlich, dass sein Angriff auf die Regierung die Entlassung zur Folge haben würde. Er nahm dies in Kauf, um ein Zeichen zu setzen, eine öffentliche Kampagne anzufachen und andere zu ermutigen, es ihm gleich zu tun. Das ist ihm teilweise gelungen.
Während sich die meisten Medien bemühen, die Bedeutung von Ranges unverschämter Provokation herunterzuspielen und diese als bloßen Streit um Kompetenzen abzutun, verherrlicht Die Welt seinen Auftritt. Sie bezeichnet ihn als Werbung für „den freien Geist, der mit seiner Karriere abgeschlossen hat und nicht gebückt gehen will, und die Unabhängigkeit des politischen Beamten, der nicht feige vor dem Königsthron zittert“.
Das Springer-Blatt erklärt auch ganz offen, worum es tatsächlich geht. „Das natürliche Spannungsverhältnis zwischen Freiheit der Presse und den Geheimnisbedürfnissen des Staates muss in Zeiten des Whistleblowing und seiner zum Teil naiven Verklärung neu justiert werden“, fordert es. Anders ausgedrückt: Die Pressefreiheit muss den Geheimnisbedürfnissen des Staates weichen.
Auch der Deutsche Richterbund (DRB) stellte sich hinter Range und griff den Justizminister an. „Es ist nicht hinnehmbar, wenn der Bundesjustizminister direkt in der Sache Einfluss genommen hat, nur weil ihm ein mögliches Ergebnis der Ermittlungen politisch nicht opportun erscheint“, sagte Christoph Frank, der Vorsitzende des Richterbunds in Berlin. Das Vorgehen von Maas diskreditiere die Arbeit der Staatsanwaltschaft und untergrabe das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine objektive Strafverfolgung.
Dass der Deutsche Richterbund die Verfolgung eines staatskritischen Blogs mit „objektiver Strafverfolgung“ gleichsetzt, zeigt, dass er nie mit seinen üblen Traditionen gebrochen hat. In seiner über hundertjährigen Geschichte setzte er sich immer wieder für autoritäre Strukturen ein. So begrüßte er 1933 die Beseitigung der Weimarer Republik, trat geschlossen in den Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) ein und sorgte nach seiner Reorganisation 1945 dafür, dass kaum ein Mitglied der Nazi-Justiz zur Rechenschaft gezogen wurde, sondern als Richter und Justizbeamter seine Karriere in der BRD fortsetzen konnte.