Die Krise in der Ukraine hat die Welt an den Rand eines verheerenden Krieges gebracht. Ungeachtet heftiger diplomatischer Aktivitäten spitzen sich die Konflikte weiter zu. Heute berät ein EU-Gipfel über Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Im Mittelmeer und im Schwarzen Meer werden Flottenverbände in Stellung gebracht.
Die Hauptverantwortung für diese gefährliche Lage tragen die USA, Deutschland und die Europäische Union. Sie haben in der Ukraine gezielt rechte, nationalistische und faschistische Kräfte gefördert, um ein Regime an die Macht zubringen, das vollständig von ihnen abhängig ist, das Land dem Spardiktat des IWF unterwirft und ihnen hilft, Russland zu isolieren und zu zerstückeln.
Das russische Regime ist nicht in der Lage, diesen Gefahren entgegenzutreten. Das hat die Pressekonferenz, die Präsident Wladimir Putin am Dienstag gab, erneut bewiesen. Er ist unfähig, an die Arbeiterklasse oder an progressive Stimmungen in der Ukraine, Europa und den USA zu appellieren. Stattdessen reagiert er auf den Putsch von Ultranationalisten in Kiew, indem er einen fanatischen russischen Nationalismus schürt, die orthodoxe Kirche aufbietet und die Armee mobilisiert.
Das ist keine Frage von Putins Person, sondern des Klassencharakters seines Regimes und der Beziehung Russlands zum Weltkapitalismus. Russland ist kein imperialistisches Land, sondern vom Weltimperialismus abhängig. Putin vertritt die Interessen einer Plutokratie, die das gesellschaftliche Eigentum plündert, sagenhafte Vermögen zusammenstiehlt und in internationalen Banken versteckt, während die große Mehrheit der Bevölkerung in bitterer Armut lebt.
Putin fürchtet am meisten, dass eine Konfrontation mit dem Imperialismus sein Regime erschüttern und zu einer Erhebung der Arbeiterklasse führen könnte. Er sucht nach einem faulen Kompromiss. Man kann sicher sein, dass bei den Gesprächen hinter den Kulissen alles zur Disposition gestellt wird – einschließlich des Schicksals von Edward Snowden und der Zukunft Syriens.
Das Putin-Regime ist aus der Auflösung der Sowjetunion und der Zerstörung des wirtschaftlichen und sozialen Fundaments des Arbeiterstaats hervorgegangen, den die Oktoberrevolution 1917 geschaffen hatte. Die Krise in der Ukraine unterstreicht erneut, dass dies ein Ereignis mit katastrophalen internationalen Folgen war.
Ohne Oktoberrevolution hätte dem Russischen Reich nach dem Ersten Weltkrieg dasselbe Schicksal geblüht wie dem Habsburger und dem Osmanischen Reich. Es wäre zerstückelt und in Kolonien und Halbkolonien der imperialistischen Mächte aufgeteilt worden. Die Bolschewiki reorganisierten die Wirtschaft auf sozialistischer Grundlage und fanden eine Lösung für die Nationalitätenfrage.
Sie entwickelten ihre Politik der nationalen Selbstbestimmung, die das Recht auf Lostrennung mit einschloss, zur Aufhebung der Ausbeutung einer Nation durch die andere in einer sozialistischen Gemeinschaft der Nationen. „Dadurch wurde die Union zum Ausdruck, und nicht zur Fessel des Willens der Nationen zur Selbstbestimmung“, schrieb der Historiker E.H.Carr in seiner „Geschichte der russischen Revolution“.
Auf dieser Grundlage erlebte die Sowjetunion eine gewaltige wirtschaftliche Entwicklung, die selbst dann noch anhielt, als die stalinistische Bürokratie die Herrschaft usurpierte, die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution von sich wies und die Arbeiterdemokratie und die Rechte der Nationalitäten unterdrückte. Welchen Rückhalt die Sowjetunion ungeachtet der stalinistischen Degeneration unter breiten Bevölkerungsschichten besaß, bewies 1941 der Opfermut, mit dem sie sich – gerade auch in der Ukraine – der Nazi-Invasion wiedersetzten.
Es bedurfte weitere Jahrzehnte der stalinistischen Angriffe auf den Sozialismus, bis der russische Präsident Boris Jelzin und seine ukrainischen und weißrussischen Kollegen Leonid Krawtschuk und Stanislaw Schuschkewitsch schließlich am 8. Dezember 1991 die Sowjetunion auflösen konnten, ohne auf größeren Widerstand zu stoßen. Was von der stalinistischen Politik des „Sozialismus in einem Land“ übrig blieb, war ein rabiater Nationalismus.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale hatte damals gewarnt, dass dies katastrophale Folgen haben werde. Die Sowjetunion habe einen Rahmen geliefert, „in dem Gebiete der Welt, die zu entwickeln der Kapitalismus unfähig gewesen war, ihr wirtschaftliches und soziales Niveau bedeutend steigern konnten“. Die jetzt eingeschlagene Politik mache dagegen „blutige Bruderkriege, ähnlich wie in Jugoslawien während der letzten Monate, unvermeidlich“.
Das Internationale Komitee warnte: „Die Bolschewiki hatten ursprünglich versucht, die nationalen Spaltungen zu überwinden, indem sie den Kampf auf die Klassenfragen ausrichten, d.h. indem sie die Einheit aller unterdrückten Völker im Kampf gegen den Imperialismus und seine Agenten vor Ort herstellten. Im Gegensatz dazu werden sich die Restauratoren jetzt der nationalen Gegensätze bedienen, um die Massen in eine Sackgasse zu lenken.“ (Vierte Internationale, Jg. 19, Nr.1, S. 132)
Diese Voraussage ist – leider – voll bestätigt worden. Der drohende Krieg um die Ukraine, der die ganze Menschheit in den Abgrund zu ziehen droht, ist eine direkte Folge der Auflösung der Sowjetunion und der kapitalistischen Restauration. Die Kriegsgefahr kann nur gebannt werden, indem die Arbeiterklasse zur internationalen sozialistischen Perspektive der Oktoberrevolution zurückkehrt – indem sie sich in der Ukraine, in Russland und weltweit im Kampf gegen den Kapitalismus und den Imperialismus zusammenschließt.