Wir veröffentlichen hier einen Vortrag, den Peter Schwarz im Rahmen des Bundestagswahlkampfs der Partei für Soziale Gleichheit am 1. September 2013 in Frankfurt hielt. Peter Schwarz ist Redaktionsmitglied der World Socialist Web Site und Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Der Vortrag wurde online im Internet übertragen. Er kann in deutscher und englischer Sprache weiterhin abgehört werden.
Die heutige Versammlung findet an einem historischen Datum statt. Am 1. September 1939, exakt vor 74 Jahren, überfiel die deutsche Wehrmacht das militärisch völlig unterlegene Polen und leitete damit den verheerendsten und verlustreichsten Krieg der bisherigen Geschichte ein. In den folgenden fünfeinhalb Jahren wurden 80 Millionen Menschen auf den Schlachtfeldern des Weltkriegs, im Bombenhagel der Städte und in den Gaskammern der Konzentrationslager getötet. Europa verwandelte sich in ein Trümmerfeld.
Nun planen die USA im Bündnis mit Frankreich, Deutschland und anderen Ländern ein ähnliches Verbrechen. Bald können Marschflugkörper und Bomben auf Damaskus und andere syrische Städte niederfallen. Der Angriff auf das wehrlose Syrien droht den gesamten Mittleren Osten in ein Inferno zu verwandeln. Er kann sich zu einer militärischen Konfrontation mit Russland und China entwickeln und einen dritten Weltkrieg auslösen.
Hitler hatte den Angriff auf Polen mit einer dreisten Propagandalüge begründet. Ein SS-Kommando täuschte einen polnischen Überfall auf die grenznahe deutsche Radiostation Gleiwitz vor, der dann als Vorwand für den Einmarsch diente. Zuvor hatte Hitler seinen Generälen erklärt: „Die Auslösung des Konfliktes wird durch eine geeignete Propaganda erfolgen. Die Glaubwürdigkeit ist dabei gleichgültig, im Sieg liegt das Recht.“
Die Rechtfertigung für den Angriff auf Syrien ist nicht weniger dreist und verlogen. Die Erklärung, mit der sich US-Außenminister John Kerry am Freitag an die Öffentlichkeit wandte, ist ein Muster an Lügen, Heuchelei und Verdrehungen.
„Ich verlange nicht, dass ihr mich beim Wort nehmt”, versicherte Kerry seinen Zuhörern. „Lest selbst die Beweise aus tausenden Quellen.” Doch alles, was er zu bieten hatte, waren unbewiesene Behauptungen. Die Worte „We know“ (wir wissen) kommen in seiner kurzen Ansprache 24 Mal vor, ohne dass er auch nur einen einzigen nachvollziehbaren Beweis liefert.
Vor zehn Jahren hatte der damalige US-Außenminister Colin Powell vor der UN-Vollversammlung eine ähnliche Rede gehalten. Zwei Stunden lang hatte er Fotos, Grafiken und Tonaufnahmen präsentiert, die angeblich bewiesen, dass der irakische Herrscher Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügte. Sie entpuppten sich allesamt als Lügen und plumpe Fälschungen. Ihr einziger Zweck bestand darin, einen Vorwand für den Irakkrieg zu konstruieren, der zu diesem Zeitpunkt längst vorbereitet und beschlossen war.
Anders als Powell hat sich Kerry gar nicht die erst Mühe gemacht, Dokumente vorzulegen. Er verlangte einfach, dass man ihm und den amerikanischen Geheimdiensten aufs Wort glaubt. So behauptete er ohne die Spur einer Begründung: „Wir sind zur Einschätzung gelangt, dass die Opposition keine chemischen Waffen eingesetzt hat.“
Tatsächlich verfügt die Opposition nachgewiesenermaßen über Chemiewaffen. Carla del Ponte, führendes Mitglied einer UN-Kommission zu Syrien, hatte schon im Frühjahr erklärt, es gebe deutliche Beweise für den Einsatz von Chemiewaffen durch die sogenannten „Rebellen“. In der Türkei sind sogar Mitglieder der Opposition im Besitz von Chemiewaffen festgenommen worden.
Die Milizen der Opposition, die von den imperialistischen Mächten und den reaktionären Golfmonarchien finanziert, bewaffnet und ausgebildet werden, sind in der Bevölkerung wegen ihrer Brutalität verhasst. Sie mussten in den letzten Monaten zahlreiche militärische Niederlagen einstecken. Sie haben ein weit stärkeres Motiv, Giftgas einzusetzen, um eine imperialistische Intervention zu provozieren, als die Regierung, die kurz davor UN-Inspekteure ins Land gelassen hatte.
Stärkste Kraft unter den Rebellen ist die al-Nusra-Front. Sie ist Mitglied von Al Qaida und hat mehrfach bewiesen, dass sie zu Massakern an syrischen Zivilisten fähig ist.
Die Ursachen des Kriegs
Der angebliche Giftgasangriff ist in jedem Fall nur der Vorwand, und nicht der Grund für den Krieg gegen Syrien. Bisher hat niemand erklärt, wie eine Bombardierung des Landes die Zivilbevölkerung vor weiteren Grausamkeiten schützen soll. Ein Krieg würde im Gegenteil unzählige zusätzliche zivile Opfer fordern, den Bürgerkrieg weiter verschärfen und die umliegenden Länder mit hineinziehen.
Wenn man die Ursachen für einen Krieg herausfinden will, muss man immer zwischen den angeblichen und den tatsächlichen Kriegsgründen unterscheiden. Und um die tatsächlichen Ursachen eines Kriegs zu verstehen, muss man seine historischen, ökonomischen und sozialen Hintergründe untersuchen. Kriege sind nie das Ergebnis von Zufällen oder der Launen „böser“ Individuen. Sie sind das Ergebnis unlösbarer gesellschaftlicher Widersprüche und verfolgen definitive soziale Interessen.
So verfolgte Hitler im Zweiten Weltkrieg weitgehend dieselben Ziele wie Kaiser Wilhelm im Ersten. Die deutsche Bourgeoisie, die sich mit historischer Verspätung entwickelt hatte, als die Welt bereits unter ihren Rivalen aufgeteilt war, brauchte Absatzmärkte, Rohstoffe und „Lebensraum“. Der deutsche Kapitalismus war, wie es Trotzki einmal formulierte, „der fortgeschrittenste Kapitalismus unter den Bedingungen der europäischen Ausweglosigkeit“.
Hitler errichtete eine Diktatur, die in der Lage war, alle Ressourcen des Landes der Vorbereitung eines Eroberungskriegs unterzuordnen. Und er verfügte er über eine faschistische Bewegung, mit der sich die organisierte Arbeiterbewegung zerschlagen ließ, die sich dem Krieg in den Weg gestellt hätte. Aus diesen Gründen wurde er von breiten Teilen der herrschenden Klasse – der Wirtschaft, dem Militär und der Staatsbürokratie – unterstützt und 1933 an die Spitze der Regierung gestellt.
Was nun Syrien betrifft, so leiden die Medien und politischen Parteien derzeit alle an einer Art bewusster Amnesie, an absichtlicher Gedächtnisschwäche. Sie tun so, als ginge es ausschließlich darum, ob, wer, wann Giftgas eingesetzt hat. Die Tatsache, dass es sich nach Afghanistan, Irak und Libyen bereits um den vierten Krieg im Mittleren Osten innerhalb von zwölf Jahren handelt, blenden sie aus.
Dabei wurde jeder dieser Kriege mit ähnlichen Propagandalügen gerechtfertigt wie jetzt der Syrienkrieg: Es ging um den Sturz brutaler Diktatoren, um Menschenrechte und um Demokratie. In Afghanistan sollte angeblich das Terrornetzwerk Al Qaida zerschlagen werden, doch in Libyen und nun auch in Syrien kämpft dieses Terrornetzwerk auf Seiten des Imperialismus und ist die führende Kraft unter den Rebellen.
In jedem dieser Kriege sind Hunderttausende umgebracht und Millionen in die Flucht getrieben worden. Die Besatzungstruppen setzten Folter und Terror ein, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Die Namen Abu Ghraib, Falludscha und Kundus sind zu Synonymen für unsägliche Kriegsverbrechen geworden. Die Folgen der Kriege haben das Leben in diesen Ländern zur Hölle gemacht. Terroranschläge und ständiger Bürgerkrieg sind an der Tagesordnung.
Niemand kann nach diesen Erfahrungen noch ernsthaft behaupten, eine Bombardierung Syriens diene dem Schutz der Zivilbevölkerung vor einem blutrünstigen Diktator oder anderen humanitären Zielen.
Ich habe zur Vorbereitung dieses Vortrags noch einmal einige Artikel und Erklärungen durchgelesen, die die WSWS vor zehn Jahren zum Irakkrieg veröffentlicht hatte. Sie unterstreichen, wie wichtig es ist, den Syrienkrieg im Zusammenhang mit den bisherigen Kriegen im Mittleren Osten zu verstehen. Wir hatten bereits damals vorausgesagt, dass Syrien zu den nächsten Kriegszielen der USA gehören werde.
So warnten wir am 7. Januar 2003, also zweieinhalb Monate vor Beginn des Irakkriegs: „Das Ziel Washingtons ist nicht die ‚Entwaffnung‘ des Irak oder selbst die Absetzung Saddam Husseins, sondern die Besetzung des Landes und die Eroberung seiner Ölfelder… Dieselbe Logik, die dem Krieg gegen den Irak zugrunde liegt, wird zwangsläufig auch Kriege gegen den Iran, Syrien und andere Länder der Region auslösen. Das Streben der USA, die Ölressourcen der Welt zu kontrollieren, wird überdies zu immer heftigeren Konflikten mit anderen mächtigen Nationen führen… Die Eroberung des Irak seitens der USA wird einen Prozess in Gang setzen, dessen logisches Endergebnis ein dritter Weltkrieg ist.“ (Vor dem Krieg der USA gegen Irak, 7. Januar 2003)
Die Krise des amerikanischen Kapitalismus
Um den Grund für diese Bemühungen der USA zu verstehen, die Ölressourcen der Welt zu kontrollieren, muss man zum Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 zurückgehen.
Die USA waren aus dem Zweiten Weltkrieg als stärkste Weltmacht hervorgegangen. Die Existenz der Sowjetunion, die chinesische Revolution und die Unabhängigkeitskämpfe in den Kolonialländern hatten ihren Handlungsmöglichkeiten aber bestimmte Schranken gesetzt. Die Auflösung der Sowjetunion löste diese Fesseln.
Wir schrieben dazu auf der WSWS: „Die amerikanische herrschende Elite betrachtete den Zusammenbruch der Sowjetunion als Gelegenheit, ein weitreichendes imperialistisches Programm zu verwirklichen, dessen Durchführung nach dem Zweiten Weltkrieg und während des fast ein halbes Jahrhundert dauernden Kalten Kriegs nicht möglich war. Die Vereinigten Staaten verkündeten, es sei ein ‚unipolarer Zeitpunkt‘ gekommen, und setzten sich das strategische Ziel, das Aufkommen anderer Mächte zu verhindern, die ihre internationale Vorherrschaft in Frage stellen könnten – sei es ein vereintes Europa, Japan oder möglicherweise China.“ (David North, Die Krise des amerikanischen Kapitalismus und der Irakkrieg, 25. März 2003)
Die USA waren zu diesem Zeitpunkt zwar immer noch die größte Wirtschaftsmacht der Welt, ihre Industrie befand sich aber im Niedergang. In Europa und in Asien hatten sich starke Konkurrenten entwickelt. Die USA, einst Zentrum der Weltindustrie, verzeichnete ein chronisches Außenhandelsdefizit.
Zudem spitzten sich die sozialen Gegensätze innerhalb der USA immer stärker zu. Bis Mitte der 1970er Jahre hatten amerikanische Regierungen eine relativ liberale Außenpolitik, die sich auf multilaterale Institutionen stützte, mit Sozialreformen in der Innenpolitik verbunden, die zu einem Anstieg der Löhne und zur Dämpfung der extremsten sozialen Gegensätze führte. Dies veränderte sich mit der Präsidentschaft Ronald Reagans zu Beginn der 1980er Jahre.
Reagan verband Steuersenkungen für die Reichen mit einem massiven Abbau von Sozialleistungen und heftigen Angriffen auf die Arbeiter. Als Folge dieser Entwicklung, die bis heute ungebrochen anhält, zählen die USA inzwischen zu den sozial ungleichsten Ländern der Welt. Während das reichste Prozent der Gesellschaft über ein Drittel und die reichsten zehn Prozent fast zwei Drittel des gesamten Reichtums kontrollieren, entfallen auf die untere Hälfte der Bevölkerung weniger als 5 Prozent.
Die zahlreichen Kriege, die die USA seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion geführt haben, dienen so zwei Zielen: Zum einen setzen die USA ihre überwältigende militärische Macht ein, um ihren ökonomischen Niedergang wettzumachen, die Welt in ihrem Interesse neu zu ordnen und die Weltherrschaft zu erlangen. Zum anderen soll der Militarismus von den explosiven sozialen Spannungen im Innern ablenken und den Vorwand für den Aufbau eines gewaltigen Polizeiapparats liefern.
Zum zweiten Punkt schrieben wird 2003: „Deutschland zog 1914 und 1939 nicht nur in den Krieg, um neue Rohstoffe, Absatzmärkte und ‚Lebensraum‘ zu erobern, der Krieg diente auch als Mittel, der sozialen Krise im Innern zu entrinnen. Für Hitler gab es 1939 keine Alternative mehr zum Krieg. Ohne Krieg wären Währung und Wirtschaft innerhalb kurzer Zeit kollabiert, sein Regime hätte einen derartigen Schock kaum überlebt.
Ähnlich steht es heute in den USA. Die Geschlossenheit, mit der sich die herrschende Elite einschließlich der führenden Demokraten hinter Bush schart, ist Ausdruck ihrer politischen Verzweiflung und Ausweglosigkeit. Sie braucht einen Krieg, weil sie keine Antwort auf die wirtschaftlichen und sozialen Probleme hat, die die amerikanische Gesellschaft auseinander reißen.“ (Vor dem Krieg der USA gegen Irak, 7. Januar 2003)
Die strategische Bedeutung des Mittleren Ostens
Der Mittlere Osten ist nicht nur von zentraler Bedeutung im Kampf um die Weltherrschaft, weil dort fünfzig Prozent der nachgewiesenen Erdölreserven liegen, auf die vor allem auch China und die asiatischen Konkurrenten der USA angewiesen sind. Geostrategen gilt die Region auch als Schlüssel zur Kontrolle Zentralasiens, das für China und Russland ebenfalls von höchster strategischer Bedeutung ist.
Wir haben kürzlich in einer WSWS-Perspektive auf die Theorien des imperialistischen Geostrategen Sir Halford Mackinder aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hingewiesen, der die Kontrolle über die eurasische Landmasse als Schlüssel zur Weltherrschaft betrachtete. Diese Theorien haben auch heute noch Einfluss. So veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits im letzten Sommer einen Artikel des Passauer Historikers Hans-Christof Kraus, der sich ausdrücklich auf Mackinder bezieht.
Unter der Überschrift: „Und ihr denkt, es geht um einen Diktator“, schreibt Kraus: „Den Amerikanern und der westlichen Seite geht es nicht oder nicht vorrangig darum, der bedauernswerten syrischen Bevölkerung zu helfen, sondern um Einflussnahme auf die Neugestaltung des Landes nach einem voraussichtlichen Sturz des derzeitigen Regimes, obwohl man mit diesem bisher stets gut zusammenarbeiten konnte. Mehrere, seit längerem geplante, für den Westen wichtige Öl- und Gaspipelines stehen auf dem Spiel, die Saudi-Arabien und Qatar mit dem östlichen Mittelmeerraum und der Türkei verbinden und deshalb partiell durch syrisches Gebiet führen sollen.
Russen und Chinesen nehmen die gegenteilige Perspektive ein. Die russische Militärbasis am Mittelmeer, im syrischen Hafen Tartus gelegen, steht ebenfalls auf dem Spiel – wie die allgemeine machtpolitische Stellung Moskaus und Pekings im nahöstlich-vorderasiatischen Raum. Der Blick auf einen möglichen militärischen Konflikt zwischen Israel und Iran macht es für die beiden größten Mächte Asiens unabdingbar, hier präsent zu sein.“ (F.A.Z. 24.7.2012)
Für Kraus stand also schon im letzten Sommer außer Zweifel, dass es in Syrien um die Vorherrschaft im gesamten Mittleren Osten und letztlich über den eurasischen Kontinent geht. Der Syrienkonflikt ist nur die Vorstufe zu einem Konflikt mit dem Iran und letztendlich mit Russland und China.
Bereits im Januar 1991, d.h. noch vor der endgültigen Auflösung der Sowjetunion, hatten die USA unter Präsident George Bush Sen. den ersten Krieg gegen den Irak geführt. Bush Sen. schreckte damals allerdings noch davor zurück, bis nach Bagdad zu marschieren.
2001 folgte dann der Krieg gegen Afghanistan. Er wurde damit begründet, dass die Taliban-Regierung in Kabul Obama bin Laden und Al Qaida, die für die Terroranschläge vom 9. September verantwortlich waren, Aufenthalt gewährt habe. Tatsächlich lagen die Kriegspläne gegen Afghanistan schon lange vor dem 9. September bereit. Die Anschläge in New York und Washington dienten lediglich als willkommener Vorwand loszuschlagen. Es gibt zahlreiche Hinweise, dass die amerikanischen Sicherheitsbehörden zumindest in Umrissen über die Pläne al Qaidas Bescheid wussten und die Organisation gewähren ließen.
Seither dient der „Krieg gegen Terror“ als Begründung für einen ununterbrochenen Angriff auf demokratische Grundrechte und eine ständige Eskalation des Militarismus. US-Geheimdienste entführen, foltern und inhaftieren Verdächtige willkürlich auf der ganzen Welt. Auf Befehl des Präsidenten werden regelmäßig angebliche Terroristen – darunter auch amerikanische Staatsbürger – ohne Prozess und Urteil durch Drohnen exekutiert.
In den USA ist unter dem Ministerium für Homeland Security ein Polizeistaat entstanden, neben dem sich Orwells „1984“ wie ein harmloses Märchen für Kleinkinder ausnimmt. Geheimdienste wie die NSA überwachen in den USA und weltweit Milliarden von Kommunikationen. Whistleblower wie Edward Snowden, Bradley Manning und Julian Assange, die die kriminellen Machenschaften des Staatsapparats aufdecken, werden als Landesverräter verfolgt.
Weltwirtschaftskrise und ägyptische Revolution
Seit dem Irakkrieg vor zehn Jahren haben vor allem zwei Ereignisse die Weltlage verändert: Die Finanzkrise von 2008 und die Ägyptische Revolution von 2011.
Die Finanzkrise hat die Fäulnis des Weltkapitalismus offen ans Licht gebracht. Jahrelange kriminelle Spekulationsgeschäfte hatten eine Finanzblase entstehen lassen, deren Platzen die ganze Weltwirtschaft in den Abgrund zog. Die Regierungen haben darauf reagiert, indem sie ganze Staatshaushalte an die Banken verpfändeten. Rettungsprogramme in Billionenhöhe lassen die Vermögen der Superreichen und Finanzschwindler weiter anschwellen, während die Ausgaben für Soziales dezimiert werden, die Massenarbeitslosigkeit steigt und der Lebensstandard der breiten Massen unaufhaltsam sinkt. Die Weltwirtschaft befindet sich seit fünf Jahren in der schwersten Krise seit der Großen Depression. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
Hier liegt eine der wichtigsten Ursachen für die Kriegsvorbereitungen gegen Syrien, wie die WSWS am 29. August erklärte: „Die Große Depression der 1930er Jahre führte zum Zweiten Weltkrieg, als die imperialistischen Mächte versuchten, die Probleme des Kapitalismus durch einen Krieg zu lösen. Die Große Rezession, die 2008 begann und noch immer kein Anzeichen des Nachlassens zeigt, wird zum Dritten Weltkrieg führen. Der Wirtschaftsparasitismus, der international mit der Finanzialisierung der Weltwirtschaft einhergeht – und durch die sich ein kleiner Teil der Gesellschaft durch massive Betrügereien bereichert, findet ihre natürliche Ergänzung in einer Außenpolitik, die ihre Ziele durch kriminelle Gewalt erreicht.“ (Warum die USA gegen Syrien Krieg führen, 29. August 2013)
Mit den Aufständen in Ägypten und Tunesien hat sich 2011 die Arbeiterklasse als mächtigste revolutionäre Kraft der Geschichte zurückgemeldet. Die Massenaufstände, die den tunesischen Präsidenten Ben Ali und seinen ägyptischen Kollegen Mubarak hinwegfegten, haben den herrschenden Eliten auf der ganzen Welt einen Schreck eingejagt.
Sie konnten die Aufstände nur mithilfe pseudolinker Vertreter des wohlhabenden Kleinbürgertums unter Kontrolle bringen. Hatten diese anfangs noch Sympathien für die Revolution gezeigt, stellten sie sich hinter das Militär, sobald sie merkten, dass die Arbeiterklasse ihre sozialen Forderungen ernst meint und ihre eigenen Privilegien bedroht. Das führte zum Militärputsch in Ägypten, der sich weniger gegen die Muslimbrüder richtete, als gegen ein erneutes Aufflammen der Revolution.
Doch die blutige Repression durch das Militär bedeutet keineswegs das Ende der Revolution. Und Ägypten ist nur der Auftakt zu ähnlichen sozialen Explosionen, die sich überall auf der Welt – auch in Europa und den USA – ankündigen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Obamas „Rückzug“
Die explosiven sozialen Spannungen im eigenen Land, die weitverbreitete Opposition gegen den Krieg und das explosive Gemisch im Mittleren Osten haben in der britischen und in der amerikanischen Bourgeoisie eine Krise ausgelöst. Schien es vor wenigen Tagen noch sicher, dass eine „Koalition der Willigen“ sofort losschlagen würde, hat das britische Parlament inzwischen Premier David Cameron gestoppt. Obama hat die Kriegsentscheidung an den Kongress delegiert, der sich am 9. September trifft.
Präsident Obama gab gestern Abend überraschend bekannt, dass er den Kongress über einen Kriegseinsatz entscheiden lasse. Auch ihm ist eine Mehrheit keineswegs sicher. Eine Niederlage könnte ähnlich wie in Großbritannien eine tiefe Regierungskrise auslösen.
Die herrschenden Eliten sind tief zerstritten, weil sie fürchten, in einen Konflikt hineingezogen zu werden, der völlig außer Kontrolle gerät. Vor allem fürchten sie eine heftige Reaktion im eigenen Land. In Großbritannien unterstützen laut Umfragen nur 6 bis 11 Prozent einen Militärschlag gegen Syrien. Nachdem Labour-Premier Tony Blair Großbritannien gestützt auf Lügen in den Irakkrieg hineingezogen hatte, herrscht ein tiefes Misstrauen gegen die Kriegspläne jeder Regierung. Auch in den USA ist ein weiterer Krieg höchst unpopulär.
Es wäre allerdings falsch zu glauben, hier beweise sich die Lebenskraft der bürgerlichen Demokratie und die imperialistischen Mächte wichen von ihren Kriegsplänen zurück. Das Gegenteil ist der Fall. Sie weichen zurück, um ihre Reihen zu konsolidieren und auf die zukünftige Konfrontation mit dem Iran, Russland und China besser vorbereitet zu sein.
Die New York Times schrieb gestern folgendes über die Motive Obamas, die Entscheidung an den Kongress zu delegieren: „Während einer zweistündigen leidenschaftlichen, scharfen Debatte im Oval Office sagte Obama, er wolle sich nach einer hektischen Woche, in der er scheinbar einen raschen Militärschlag anstrebte, etwas zurückziehen und den Kongress vorher um Zustimmung ersuchen. Er habe dafür mehrere Gründe, sagte er, darunter auch ein Gefühl der Isolation nach dem schrecklichen Rückschlag im britischen Parlament. Aber der zwingendste sei, dass ihn ein Alleingang schwächen würde, wenn er in den nächsten drei Jahren die Zustimmung des Kongresses für seine nächste militärische Konfrontation im Mittleren Osten brauche, möglicherweise mit dem Iran. Wenn er jetzt entscheide, ohne Kongress gegen Syrien loszuschlagen, sagte er, würde er dann die Zustimmung des Kongresses bekommen, wenn er sie wirklich brauche?“ (New York Times, 31.8.2013)
Die herrschende Klasse steckt in einer tiefen Krise, aber das macht sie nicht weniger aggressiv, sondern treibt sie dazu, ihre Kriegs- und Diktaturpläne energischer zu verfolgen. Alle Flügel der herrschenden Elite sind seit dem Ausdruck der Wirtschaftskrise scharf nach rechts gerückt. Das gilt auch für Europa.
Holland, Merkel, Steinbrück, Cohn-Bendit und die Linkspartei
In Frankreich hatte sich die konservative Regierung von Jacques Chirac vor zehn Jahren noch gegen den Irakkrieg gestellt. Sie tat dies nicht aus Gründen der Friedensliebe, sondern weil sie darauf hoffte, französische Interessen unabhängig von den USA vertreten zu können.
Heute gehört der sozialistische Präsident François Hollande zu den loyalsten Gefolgsleuten der USA. Einen Tag nachdem sich das britische Parlament gegen einen Kriegseinsatz entschieden hatte, kündigte er in der Tageszeitung le monde seine anhaltende Unterstützung für einen Militärschlag an.
Für Deutschland, das 2003 den Irakkrieg abgelehnt und sich noch 2011 beim Libyenkrieg der Stimme enthalten hatte, sagte Kanzlerin Merkel Präsident Obama ihre politische Unterstützung zu. Auf eine militärische Unterstützung wollte sie sich allerdings mit Rücksicht auf den laufenden Wahlkampf nicht festlegen.
SPD-Spitzenkandidat Steinbrück stimmte Merkel umgehend zu. „Die Bundesregierung sagt, dass ein solches Menschheitsverbrechen wie der Giftgasangriff zu Konsequenzen führen muss. Das teile ich“, sagte er der Stuttgarter Zeitung.
Auch die Grünen forderten „scharfe Kritik und konkrete Folgen“ und schlossen einen Militärschlag ausdrücklich nicht aus. Der Alt-68er und grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit forderte sogar ausdrücklich eine deutsche Beteiligung an der Vorbereitung eines Militärschlags. „Aber der Westen muss militärisch mobilmachen. Als Voraussetzung – entweder für einen Militärschlag oder um einen Waffenstillstand zu erzwingen und das Blutvergießen zu beenden. Die Bundesregierung müsste sich zusammen mit anderen EU-Ländern an der Vorbereitung einer militärischen Aktion beteiligen“, erklärte er SpiegelOnline.
Ihren schärfsten Ausdruck findet diese Rechtswendung in den Reihen der kleinbürgerlichen Pseudolinken. Hier findet der Imperialismus seine zuverlässigsten Stützen. Die Partei Die Linke – und vor allem darin tätige pseudolinke Gruppen wie Marx21 und Sozialistische Alternative SAV – haben eine Schlüsselrolle dabei gespielt, die pro-imperialistische syrische Opposition zu stärken.
Die Linkspartei hat bereits im letzten Dezember mit führenden Vertretern der Regierung Merkel, der SPD und der Grünen einen Aufruf unter dem Titel „Syrien: Freiheit braucht Beistand“ unterzeichnet, der zur Intervention in Syrien aufruft. Unter den Erstunterzeichnern des Aufrufs befanden sich neben der Vorsitzenden Katja Kipping deren Stellvertreter Jan Van Aken, die Generalsekretärin der SPD Andrea Nahles, die Bundesvorsitzende der Grünen Claudia Roth, und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU).
Die Linkspartei fungiert als verlängerter Arm des deutschen Außenministeriums und nutzt ihre engen Kontakte zur syrischen Opposition, um sie für die Interessen des deutschen Imperialismus fruchtbar zu machen. Sie hat in den letzten Monaten immer wieder Konferenzen und Podiumsdiskussionen abgehalten auf der sie unter dem Deckmantel einer „Friedensinitiative“ und „politischen Lösung“ für Syrien Elementen in der syrischen Opposition eine Plattform gab, die offen eine Bewaffnung der syrischen Rebellen unterstützen und für eine Militärintervention eintreten.
Die Teile der syrischen Opposition, mit denen die Linkspartei am engsten zusammenarbeitet, stellen mittlerweile die Führung in der Nationalen Syrischen Koalition (NSK), die von den imperialistischen Mächten und ihren regionalen Verbindungen als „legitime Vertretung Syriens“ bezeichnet wird. Deren Führer Ahmed Jarba gehört zu einer Oppositionsgruppe, die von Michel Kilo angeführt wird.
Kilo ist eine gewendeter Stalinist und syrischer „Dissident“, der von der Linkspartei in den letzten beiden Jahren systematisch aufgebaut und unterstützt wurde. Kilo sprach im letzten Jahr mehrfach auf Treffen der Linkspartei und der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er kommt auch regelmäßig in den Parteizeitungen Neues Deutschland und Junge Welt zu Wort.
Nun tut die Linkspartei so, als sei die gegen den Krieg. Damit will sie die eigenen Spuren verwischen und verhindern, dass eine echte Antikriegsbewegung entsteht, die die Interessen der herrschenden Klasse gefährdet. Sie spielt in der Frage des Kriegs dieselbe zynische Rolle wie in sozialen Fragen: Im Wahlkampf wettert sie gegen Hartz IV – sitzt sie in Landesregierungen und Kommunalverwaltungen, setzt sie die Hartz-Gesetze brutal durch.
Gestern haben in mehreren Städten Demonstrationen gegen den Syrienkrieg stattgefunden. Die Linkspartei war auf vielen mit hochrangigen Sprechern vertreten, hat aber ihre Mitglieder nicht dafür mobilisiert. Sie will die Opposition gegen den Krieg unter Kontrolle halten und gleichzeitig verhindern, dass sie einen Massencharakter annimmt.
Die Antwort der PSG
Die geschlossene Unterstützung eines verbrecherischen Krieges gegen Syrien durch alle Bundestagsparteien ist ein Warnsignal. Mit derselben Brutalität und Geschlossenheit werden sie nach der Bundestagswahl zu neuen Angriffen auf Arbeitsplätze und Sozialleistungen übergehen, die sie angesichts der kapitalistischen Krise für unausweichlich halten. Der soziale Kahlschlag, der gegenwärtig mit Unterstützung aller deutschen Parteien in Griechenland stattfindet, wird dann auch in Deutschland auf der Tagesordnung stehen.
Der Kampf gegen Krieg ist untrennbar mit dem Kampf gegen seine Ursache verbunden: das kapitalistische System. Die einzige Kraft, die den Kriegstreibern das Handwerk legen kann, ist die Arbeiterklasse, d.h. die große Mehrheit der Bevölkerung. Die Verteidigung von sozialen Errungenschaften und demokratischen Rechten und der Kampf gegen Krieg sind untrennbar miteinander verbunden. Der einzige Ausweg aus der Sackgasse von Kapitalismus und Imperialismus ist der gemeinsame Kampf der internationalen Arbeiterklasse für den Sieg der sozialistischen Weltrevolution.
Für diese Perspektive kämpft die Partei für Soziale Gleichheit, die deutsche Sektion der Vierten Internationale. Alle, die einen weiteren verbrecherischen Krieg verhindern wollen, laden wir ein, den Bundestagswahlkampf der PSG zu unterstützen, täglich die World Socialist Web Site zu lesen und die Online-Veranstaltungen der PSG zu verfolgen.