Aufruhr schwarzer Wanderarbeiter in Kalabrien

In der süditalienischen Stadt Rosarno kam es Donnerstag und Freitag vergangener Woche zu bürgerkriegsähnlichen Schlachten zwischen afrikanischen Einwanderern und der Polizei. Die Arbeiter reagierten auf Schrottschüsse, die angeblich Unbekannte nach Arbeitsschluss auf drei von ihnen abgegeben hatten. Ein junger Marokkaner, ein Mann von der Elfenbeinküste und ein Flüchtling aus Togo wurden dabei verletzt.

Die Schüsse lösten eine seit Monaten angestaute Wut aus. "Wir sind doch keine Hunde!" schrien die Arbeiter. Hunderte verließen ihre Unterkünfte und machten ihrem Frust über die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen Luft. Sie stürmten durch die Innenstadt von Rosarno, rissen Zäune aus, warfen Mülleimer um und zertrümmerten Wagenfenster.

Etwa 1.500 Erntehelfer befinden sich zur Orangenernte traditionell in Rosarno, einem kalabresischen Städtchen von ca. 16.000 Einwohnern. Die harte Arbeit wird heute fast ausschließlich von den billigen "Clandestini", den Einwanderern aus Afrika verrichtet. Die meisten von ihnen haben keine Papiere und werden deshalb wie Sklaven behandelt, miserabel bezahlt und auf primitivste Weise untergebracht.

Die Obsternte wird zu einem wachsenden Teil von der ’Ndragheta, der kalabresischen Mafia, kontrolliert. Die Afrikaner müssen unter großem Druck arbeiten. Sie schlafen in Kartonverschlägen und Zelten, die in ungeheizten alten Fabrikhallen stehen, wo es für 200 Menschen nur einen Wasserhahn und keine Toiletten gibt. Sie erhalten einen Hungerlohn von maximal zwanzig Euro pro 14-Stunden-Tag, von denen sie noch fünf Euro "Schutzgeld" abgeben müssen.

Offenbar gehören die Schützen, die am Donnerstagabend auf drei der Wanderarbeiter schossen, ebenfalls zur ’Ndragheta. Die Medien gehen davon aus, dass diese Mafiosi Arbeiter bestrafen wollten, die sich weigerten, Schutzgeld zu zahlen.

Gegen die protestierenden Wanderarbeiter wurden rasch Hunderte Polizisten und Carabinieri sowie Aufstandsbekämpfungskräfte aufgeboten. Sie schossen mit Tränengas auf die Menge und gingen mit Schlagstöcken gegen sie vor.

Gleichzeitig fühlten sich nun auch rechte Gruppen zur Jagd auf die Schwarzen ermutigt. Mit Schlagstöcken, Steinen und sogar Gewehren bewaffnet lieferten sie den Arbeitern eine Schlacht, die den ganzen Freitag andauerte. Per Lastauto oder Traktor jagten sie schwarze Arbeiter, wo immer sie sie finden konnten.

Die Wanderarbeiter verbarrikadierten sich, indem sie eine Straßenblockade aus zwei angezündeten PKWs und einem Haufen Autoreifen bauten, und zogen sich größtenteils zu der Fabrik zurück, die ihnen als Behausung diente. Schließlich kesselten starke Polizeieinheiten die Arbeiter vor der alten Fabrik ein.

Viele Wanderarbeiter ergriffen die Flucht, sofern sie eine Möglichkeit dazu fanden. Die übrigen wurden in der Nacht von Freitag auf Samstag aus der Stadt deportiert. In Bussen wurden über 700 von ihnen in die Auffanglager in Crotone, Bari und Brindisi gebracht.

Noch am Samstag wütete ein rassistischer Mob gegen die letzten in Rosarno verbliebenen Schwarzen. Auf einer Überlandstraße wurde ein 29-jähriger Mann aus Burkina Faso von mehreren Gewehrschüssen an beiden Beinen und am Arm verletzt. Ein Auto mit drei Wanderarbeitern wurde von einer Gruppe mit Eisenstangen bewaffneter Schläger gestoppt. Einer der drei wurde krankenhausreif geprügelt, während die zwei andern weglaufen konnten.

Die bisherige Bilanz belief sich am Samstag offiziell auf 67 Verletzte, davon 31 Einwanderer und 17 Einheimische sowie 19 Polizisten. Acht Afrikaner befinden sich immer noch schwerverletzt im Krankenhaus.

"Erst Ordnung schaffen, dann alles andere", forderte der frühere Faschist und heutige Fraktionsführer der Regierungspartei Popolo della Libertá im Senat, Maurizio Gasparri, am Freitag. Die Illegalen müssten mit viel größerer Effizienz ausgewiesen werden, verlangte der Senator. Dagegen sagte er nichts über die mafiösen Strukturen, die hier offen aufgebrochen sind, und die Art und Weise, wie die ’Ndragheta die Obsternte organisiert und von der Rechtlosigkeit der Einwanderer profitiert.

Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord, befand sich am Donnerstag gerade auf einer Sitzung in Reggio Calabria, bei der es um das organisierte Verbrechen ging. Die ’Ndragheta hatte erst wenige Tage zuvor ein Bombenattentat auf den Sitz des Oberlandesgerichts in dieser Stadt verübt. Im Mai 2009 hatte die Antimafia-Kommission eine Untersuchung über den mafiösen Einfluss in Agrarbetrieben eingeleitet, in deren Verlauf drei einheimische Agrarunternehmer und zwei bulgarische Unterhändler verhaftet worden waren.

Guglielmo Epifani, Generalsekretär der größten Gewerkschaft CGIL, äußerte sich am Samstag zu den Ereignissen. "Wir müssen die Gewalt zurückweisen, von welcher Seite sie auch kommt", sagte er. "Aber wir müssen auch die Arbeits- und Bürgerrechte der Migranten respektieren." Er sei "sehr besorgt" über das Vorgefallene, sagte Epifani.

Er verschwieg, dass seine eigene Demokratische Partei (PD), die ehemalige Kommunistische Partei Italiens (KPI), seit langem den Kampf für die Rechte der arbeitenden Klassen durch Nationalismus und bürgerliche Politik ersetzt und verraten hat.

Gerade in Kalabrien gab es traditionell erbitterte Kämpfe der Landarbeiter um Löhne und Arbeitsbedingungen, lange bevor die Afrikaner kamen. Viele Söhne dieser Region mussten selbst auswandern, um überleben zu können. Sie hätten allen Grund, sich gemeinsam mit den neuen Wanderarbeitern gegen die alten und neuen Ausbeuter zu wehren.

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