"Wir können den Standort nicht mehr retten." Mit diesen Worten trat die Bochumer IG-Metall-Bevollmächtige Ulrike Kleinebrahm am Dienstag vor die Mikrofone. Kurz zuvor hatten sich Bochumer Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter mit dem Nokia-Vorstand im Firmenhauptsitz im finnischen Espoo getroffen.
Die Bochumer Delegation unter Leitung der Betriebsratsvorsitzenden Gisela Achenbach hatten den rund 2.300 Beschäftigten in Bochum erklärt, sie wollten sich dort für den Erhalt der Handy-Produktion in der Ruhrgebietsstadt einsetzen.
Doch das Treffen war nur Fassade, Spiegel Online sprach von einem "Scheintreffen". Die Schließung des Bochumer Werks war ausgemachte Sache. Die neue Nokia-Fabrik in der Nähe der Stadt Cluj (Klausenburg) in Rumänien war bereits tags zuvor eingeweiht worden. Dort sollen in den nächsten zwölf Monaten bis zu 3.500 Arbeiter und Arbeiterinnen eingestellt werden und Handys für Europa, den Mittleren Osten und Afrika produzieren. Der Durchschnittslohn der rumänischen Nokia-Beschäftigten beträgt 220 Euro brutto im Monat.
Zudem sind die Konzepte für den Erhalt des Produktionsstandorts Bochum, mit denen die Betriebsräte die Unternehmensführung angeblich umstimmen wollten, bereits im letzten Jahr bekannt gewesen. Der Betriebsrat hatte ausrechnen lassen, dass die deutschen Beschäftigten bei einer einmaligen Investition von 14,3 Millionen Euro und einer dadurch möglichen Verdoppelung der Produktion mit der gleichen Belegschaftsstärke genau so günstig wären wie die Beschäftigten in Ungarn.
Der Nokia-Vorstand hat sich die mitgebrachten Papiere laut Kleinebrahm erst gar nicht angesehen: "Die Manager haben unsere Alternative nicht sehen wollen". Für Nokia stand von vornherein fest, dass man sich nur um das Wie der Schließung unterhält.
Den Betriebsräten war dies klar. Man hörte von ihnen daher auch nicht einmal die sonst üblichen Worte der Empörung. Schnell einigte man sich mit dem Management auf eine gemeinsame Stellungnahme. Zu den mitgebrachten Betriebsratskonzepten heißt es darin lapidar: "Das Management von Nokia musste diese alternativen Vorschläge leider als nicht umsetzbar bewerten. Die notwendige Effizienz würde dadurch nicht erreicht und die Gesamtstrategie von Nokia nicht unterstützt."
"Es wurden konstruktive Gespräche über die Zukunft des Nokia Standortes Bochum geführt", beginnt die Stellungnahme und meint damit die Schließung. "Beide Seiten einigten sich darauf, am 20. Februar 2008 mit den Verhandlungen zu beginnen."
Inhalt dieser Verhandlungen über die Abwicklung des Werks - acht Tage noch bevor der Nokia-Aufsichtsrat die Schließung offiziell besiegelt - sollen Ersatzarbeitsplätze für die 2.300 Nokia-Beschäftigten sein. Was mit den ebenfalls betroffenen über 2.000 Arbeitsplätzen bei den Leiharbeitern und den Zulieferern geschieht, geht aus der gemeinsamen Stellungnahme nicht hervor. Nokia und sein Betriebsrat sehen sich dafür offenbar als nicht zuständig an.
Betriebsrat und Nokia hätten sich "zum gemeinsamen Ziel gesetzt, innovative Lösungen für die Zukunft der Nokia Beschäftigten in Bochum zu finden", heißt es in dem Papier. Vorrangiges Ziel sei es, für die Nokia Beschäftigten in Bochum Arbeitsplätze bei Unternehmen zu finden, die "vertrauensvoll sind und langfristige Geschäftsziele verfolgen".
Der Auftritt von IG Metall und Betriebsrat in Espoo bestärkt den unvoreingenommenen Beobachter in der Annahme, dass in den letzten Wochen ein abgekartetes Spiel zwischen Betriebsrat, IG Metall und Nokia stattgefunden hat, um die Vorweihnachtsproduktion nicht zu gefährden. Das ganze jetzige Gerede von "innovativen Lösungen", "konstruktiver Zusammenarbeit" und "vertrauensvollen" Unternehmen ist reine Augenwischerei.
Gerade im Ruhrgebiet ist enge Zusammenarbeit von IG Metall, Betriebsräten, Unternehmensleitungen und Landespolitikern beim Abbau von Arbeitsplätzen seit Jahrzehnten bekannt. Viele Arbeiter erinnern sich noch an die Schließung des Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen, die vor zwanzig Jahren gegen den erbitterten, wochenlangen Widerstand der über fünftausend Beschäftigten und die Mobilisierung der Bevölkerung der gesamten Region durchgeführt wurde.
Kurze Zeit später folgten die Henrichshütte in Hattingen, die Flanschenfabrik Mönninghoff und ein Werk nach dem anderen. Immer legten Gewerkschaft und Betriebsrat "Alternativkonzepte" vor, versprachen Ersatzarbeitsplätze, verhandelten über Sozialpläne, gründeten Beschäftigungsgesellschaften die nur als Verschiebebahnhof in die Arbeitslosigkeit dienten, und trugen am Ende schwarze Särge durch die Stadt. Zu keinem Zeitpunkt war die Gewerkschaft bereit, einen ernsthaften Arbeitskampf aller Beschäftigten an allen Standorten zu organisieren. Immer sahen sie ihre Aufgabe im Rahmen der Sozialpartnerschaft darin, die Geschäftsführung zu beraten, wie der Arbeitsplatzabbau "sozialverträglich" gestaltet werden könne.
So war es auch bei der Schließung des BenQ-Werks in Kamp-Lintfort. Nach erfolglosen verbalen Protesten, Demonstrationen, Solidaritätszelt und immer wieder Angeboten der Zusammenarbeit, vereinbarten die BenQ-Betriebsräte neben Abfindungen und Altersteilzeit auch die Einrichtung einer Transfergesellschaft, die die Arbeiter wenn nötig qualifizieren und anschließend in sichere Arbeitsplätze vermitteln sollte. Mehr als die Hälfte der Arbeiter und Arbeiter, die sich entschieden hatten, in die Transfergesellschaft zu wechseln, waren dann ein Jahr später arbeitslos.
Nun versuchen die Nokia-Betriebsräte diesen gleichen Mechanismus in Gang zu setzen. Da sich unter den Beschäftigten in Bochum auch ehemalige BenQ-Kollegen befinden, treibt den Betriebsrat allerdings die Sorge um, die Belegschaft könnte den alten und erprobten Mechanismen der Arbeitsplatzvernichtung misstrauen und aus der Zwangsjacke der Sozialpartnerschaft ausbrechen.
Die alte Leier von Versprechungen und Lügen
Das Auftreten von Betriebsratsmitglied Wolfgang Siebert, der am Dienstag im Solidaritätszelt vom Ergebnis des Treffens in Finnland berichtete, machte dies deutlich.
"Nokia hat zugesagt, dass jeder Nokia-Beschäftigte einen Arbeitsplatz findet", berichtete Siebert. Es werde eine Arbeitsgruppe gebildet, in der neben Betriebsrat und Nokia-Vertretern auch die Gewerkschaft IG Metall und Landespolitiker sitzen. Sie werde sich über Investoren, einen Sozialplan, Abfindungen, Altersteilzeit und so weiter unterhalten. Das sei "ja alles noch offen".
Die Arbeitsgruppe solle aufpassen, dass nicht das gleiche wie bei BenQ passiere, ergänzte Siebert und erläuterte auf Nachfrage, was er meinte: "Wir wollen keine Arbeitsplätze für ein Jahr, sondern längerfristige Arbeitsplätze." Alle Interessenten und Investoren würden ordentlich geprüft. Was in Bochum "alternativ produziert" werden kann, sagte er nicht.
Gleichzeitig ließ Siebert keinen Zweifel daran, dass der Betriebsrat unter keinen Umständen einen Arbeitskampf führen will.
Ein WSWS-Reporter fragte ihn, ob er und der Betriebsrat sich überlegen, einen Streik oder andere Kampfmaßnahmen einzuleiten. Immerhin hängen überall Schilder der IG Metall mit dem Slogan "Nicht Ohne Kampf Ins Aus". Auch das unvermeidliche Transparent der IG Metall, das schon in Kamp-Lintfort vor dem BenQ-Werk hing, fehlt nicht: "Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren."
Siebert wies Streiks weit von sich. "Wir haben heute viel in der Belegschaft diskutiert, das Wort Streik’ kam nicht vor." Dies wäre auch kontraproduktiv. "Damit schaden wir nur uns selbst", sagte er. "Wollt ihr streiken?", rief er unvermittelt ins Zelt, ließ den verdutzten Beschäftigten aber keine Zeit zu antworten. "Nein?" fragte er laut und wandte sich dem WSWS-Reporter mit den Worten zu: "Sehen Sie!"
Die Produktion wäre in wenigen Stunden auf andere europäischen Werke verteilt, erläuterte er weiter. Auf den Einwand, deswegen müsse man die anderen europäischen Werke mit in einen Arbeitskampf einbeziehen, antwortete Siebert mit dem Hinweis auf die Verweigerungshaltung der Gewerkschaften in den anderen Ländern.
In der Tat ist ein gemeinsamer Kampf aller Beschäftigten an allen Standorten nicht möglich, wenn man sich auf die gewerkschaftlichen Vertreter stützt. Die finnischen Vertreter waren froh, dass der Kelch der Werkschließung vorerst an ihnen vorüber zog, und unterstützten die Bochumer Schließung. Die rumänische Gewerkschaft Cartel Alfa freut sich derweil über die neuen Nokia-Arbeitsplätze. Die Frankfurter Rundschau sprach mit dem lokalen Gewerkschaftschef Grigore Pop: "Solidaritätsappelle der Deutschen prallen an ihm ab. Die Kollegen in Bochum’, wo Nokia sein Werk schließen will, hätten Abfindungen und Umschulungen von vornherein aushandeln müssen, betont Pop."
Betriebsrat Siebert hatte noch eine Woche zuvor in derselben Zeitung mit Streiks gedroht. "Sobald eine Entscheidung fällt, ist es mit der Ruhe vorbei", sagte er. Ein Streik sei beim Beschluss der endgültigen Schließung nicht ausgeschlossen. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir mit der Kündigung vor der Brust noch Handys zusammenschrauben werden."
Arbeiterinnen berichteten allerdings, der Betriebsrat habe ihnen gegenüber von Anfang an die Parole ausgegeben: "Ruhe bewahren!" Vor dem Treffen in Espoo habe der Betriebsrat erklärt, man dürfe nicht streiken, um zu beweisen, dass die Beschäftigten in Bochum "gute Arbeit leisten". Nach dem Treffen heiße es nun, man brauche nicht zu streiken, weil man die Schließung ohnehin nicht verhindern könne.
Der Frage, wann der Betriebsrat über die Stilllegungspläne informiert wurde und warum er nicht sofort die Belegschaft informierte, wich Siebert aus. Zwar sei Nokia als mitbestimmter Betrieb an fristgerechte Information gebunden, und seiner Meinung nach sei hier "europäisches und deutsches Recht gebrochen worden." Ob gegen diesen Rechtsbruch Klage erhoben werde, sei von Seiten des Betriebsrats aber noch nicht entschieden.
Bevor er zurück ins Werk ging, versicherte er abermals, dass der Betriebsrat nicht geahnt habe, dass das rumänische Werk die Produktion für Bochum übernehmen soll. "Es hieß immer, das Werk diene der Produktionserweiterung für den osteuropäischen und den afrikanischen Markt. Wir haben Nokia geglaubt", schloss er.
"Aber dann kann man denen doch jetzt auch nicht glauben mit ihren Versprechen auf Arbeitsplätze", erwiderte Feride Poyraz. "Da muss man halt gut aufpassen", sagt Siebert und verabschiedet sich.
Im Gespräch mit der WSWS erklärte die Nokia-Arbeiterin, ihrer Meinung nach diene das Versprechen auf Ersatzarbeitsplätze nur dazu, die Abfindungen zu drücken. Eine Transfer- oder Auffanggesellschaft sei keine Alternative: "Da ist man dann halt nach einem oder zwei Jahren arbeitslos."
Feride Poyraz zweifelte an den Beteuerungen des Betriebsrats, er habe nichts gewusst. "Das kann ich dem Betriebsrat nur schwer glauben". Die Gewerkschaften seien auch eher den Managern verpflichtet als den Beschäftigten. "Jetzt kommen sie hierher und sind solidarisch. Wo waren sie vorher?"
Ihre Kollegin Susanne Janke war ebenfalls skeptisch. Der IG Metall traute sie auch nicht, aber: "Ich kann nicht glauben, dass die Gisela Achenbach sich vor die Welt stellt und lügt."
Die meisten Nokia-Arbeiterinnen und Arbeiter im und vor dem Zelt blickten ungewiss in die Zukunft. "Für Nokia ist das hier gegessen", sagte Tanja Knöpke, seit 13 Jahren im Büro beschäftigt. "Streiken werden wir hier auch nicht. Wir werden hier bis zum Schluss arbeiten" - in übrigens immer noch drei Schichten.
Tanja Knöpke war wütend: "Das Mindeste wäre gewesen, sie hätten uns frühzeitig Bescheid gegeben. Die wussten doch schon 2006, als die Subventionen ausliefen, dass sie unser Werk schließen, spätestens aber, als sie das in Rumänien aufgebaut haben. Jetzt bist du eine von 2.000, die einen neuen Job sucht."