Am vergangenen Mittwoch fand in Brüssel ein Treffen der europäischen Betriebsräte des Nokia-Konzerns statt, um die angekündigte Schließung des Handywerkes in Bochum zu diskutieren. Es endete kläglich: Die finnischen Gewerkschafter signalisierten ihr eindeutiges Verständnis für die Entscheidung der Konzernleitung, das Werk in Bochum aufzugeben. Damit zerschlug sich die Strategie des deutschen Betriebsrates, mit Unterstützung ihrer europäischen Gegenstücke beim Nokia-Vorstand Zugeständnisse zu erwirken.
Tatsächlich ist das Treffen in Brüssel ein Paradebeispiel dafür, wie die Gewerkschaften in jedem Land offen "ihren" nationalen Standort verteidigen, immer unverhohlener die Rolle von Co-Managern übernehmen und den Arbeitern in den Rücken fallen. Es zeigt einmal mehr, dass die Arbeiter ihre Interessen nur noch verteidigen können, wenn sie sich nicht auf die Gewerkschaften und Betriebsräte stützen, sondern den Kampf selbst in die Hand nehmen und mit den Beschäftigten an allen anderen Standorten direkt Verbindung aufnehmen.
Vor welchem Hintergrund fand das Brüsseler Treffen statt? Am 15. Januar hatte die Nokia-Konzernleitung bekannt gegeben, dass sie ihr Werk in Bochum bis zum Sommer schließen und die Produktion von Mobiltelefonen nach Rumänien verlagern werde, wo derzeit ein neues Werk entsteht. Diese Ankündigung bedeutet den Verlust von insgesamt 4.300 Arbeitsplätzen in Bochum - betroffen sind 2.300 Festangestellte, 1.000 Leiharbeiter und etwa 1.000 Arbeitsplätze bei Zulieferbetrieben.
Nur wenige Tage später verkündete der Konzernvorstand, im Jahr 2007 Rekordprofite in Höhe von 7,2 Milliarden Euro eingefahren zu haben, was eine Gewinnsteigerung von 67 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Das vergangene Jahr war damit das erfolgreichste in der Unternehmensgeschichte.
Auch das Bochumer Werk trug seinen Anteil zur Realisierung der Profite bei. So berichtete das Magazin Capital, dass der Standort 134 Millionen Euro Betriebsgewinn erwirtschaftet habe, das entspricht einem Profit von 90.000 Euro pro Mitarbeiter in der Produktion. Hinzu kamen Zinsgewinne in Höhe von 70 Millionen, die durch die Rücklagen des Bochumer Werks im Gesamtumfang von 2 Milliarden Euro erzielt wurden.
Die angekündigte Schließung des profitablen Werkes rief sofort scharfen Protest unter den Arbeitern hervor. Nicht nur die Nokia-Beschäftigten, auch die Belegschaften des Bochumer Opelwerks und andere Arbeiter aus der Region forderten den Erhalt des Standorts und Kampfmaßnahmen zur Verteidigung der Arbeitsplätze.
Der Betriebsrat des Bochumer Werkes tat jedoch von Anfang an alles, um Streiks und andere Aktionen zu verhindern, die betroffenen Arbeiter zu isolieren und einen wirkungsvollen Kampf gegen die Schließungspläne der Konzernleitung zu unterbinden.
Während die Beschäftigten des Werks einen spontanen Streik ausriefen und eine Kundgebung organisierten, nachdem sie aus dem Radio von der Werksschließung erfahren hatten, würgten der Betriebsrat und die IG Metall diese Initiative sofort ab und warnten vor "unüberlegten Aktionen". Als am 17. Januar tausend Leiharbeiter von der Nokia-Geschäftsführung mit Hilfe von Sicherheitspersonal am Betreten des Werksgeländes gehindert wurden, ließen Gewerkschaft und Betriebsrat dies kommentarlos geschehen.
Am 22. Januar fand eine Demonstration von 16.000 Menschen in Bochum gegen die Schließung des Nokia-Werks statt, die vom Betriebsrat vor allem zur Verbreitung von national-chauvinistischen Parolen genutzt wurde (nach dem Motto "Deutsche arbeiten besser als Rumänen"). Wer erwartet hatte, von den Gewerkschaftern irgendeinen Vorschlag zu hören, wie die Arbeitsplätze zu verteidigen sind, sah sich bitter enttäuscht. Abgesehen von Appellen an die deutsche Regierung, Druck auf Nokia und Finnland auszuüben, kam nichts. Keine einzige Kampfmaßnahme wurde bislang angekündigt oder vorgeschlagen.
Zwar wird die Werksschließung von den Gewerkschaftsvertretern öffentlich als "Riesensauerei" beklagt, doch beschweren sie sich noch am lautesten über die Tatsache, dass sie selbst bei wichtigen Unternehmensentscheidungen übergangen worden sind. So hält die Betriebsratsvorsitzende Gisela Achenbach dem Konzernvorstand vor, sie bei einem Treffen im November 2007 über die Zukunft des Werks "belogen" zu haben.
Vom Treffen der europäischen Betriebsräte des Nokia-Konzerns in Brüssel erwarteten die Bochumer Gewerkschafter zweierlei: Zum einen sollten ein paar symbolische Aktionen verabredet werden, die man den Beschäftigten daheim als Zeichen "internationaler Solidarität" verkaufen wollte, um den wachsenden Unmut in der Belegschaft weiterhin unter dem Deckel zu halten. Des Weiteren wünschten sie sich die Rückendeckung der anderen europäischen Betriebsräte, um in Verhandlungen mit der Konzernleitung eine bessere Position zu erlangen und bei der anstehenden Abwicklung des Werks eine gewichtigere Rolle zu spielen.
Doch ihre europäischen Gegenstücke - nicht weniger Co-Manager als der deutsche Betriebsrat - machten ihnen einen Strich durch die Rechnung. Der Vorsitzende des europäischen Nokia-Betriebsrates, Mika Paukkeri, und Vertreter des finnischen Werkes finden die Entscheidung der Konzernleitung wenig anstößig und haben nach einem Bericht der Neue Ruhr Zeitung kein Problem mit der Schließung des Bochumer Werkes.
Sture Fjäder, Chefunterhändler der finnischen Gewerkschaft AKAVA, erklärte gegenüber der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung unverhohlen, dass die Globalisierung den Gewerkschaften bei wichtigen Unternehmensentscheidungen kaum noch Spielraum lässt: "Den Schließungsbeschluss rückgängig zu machen, ist aus Produktionskostengründen unmöglich. [...] Gleichzeitig müssen Politiker und Gewerkschaften respektieren, dass globale Unternehmen solche unangenehmen Entscheidungen treffen müssen und sie das Rad nicht zurückdrehen können."
Letztlich konnten sich die 20 Betriebsräte aus acht europäischen Produktionsstandorten nur auf eine nichtssagende Erklärung einigen, in der es heißt: "Nokia ist nicht länger ein soziales Unternehmen." Außerdem verständigten sich die Sitzungsteilnehmer in Brüssel darauf, dass sie mit der "Art und Weise der Ankündigung der Schließung des Bochumer Werkes nicht einverstanden" sind, und sie "fordern schnellstmöglich konstruktive Gespräche mit dem Nokia-Management".
Der Bochumer Betriebsrat tut sein Bestes, um sich der Konzernleitung anzudienen, und hat bisher noch jeden Angriff auf die Arbeiter mitgetragen. In den letzten Jahren wurden übertarifliche Leistungen komplett gestrichen, Lohnsenkungen durch die Einrichtung von Arbeitszeitkonten durchgesetzt, dem massiven Einsatz von Leihkräften zugestimmt. Letztere wurden wie Vollzeitkräfte eingesetzt, erhielten jedoch durch eine Zeitkontenregelung nur Lohn für 110 oder sogar nur 60 Arbeitsstunden im Monat (und entsprechend Bruttolöhne von 811, 80 bzw. 442,80 Euro pro Monat).
Wie die Rheinische Post berichtete hat der Betriebsrat außerdem errechnen lassen, dass mit einer Investition von 14,3 Millionen Euro die Kapazität des Bochumer-Werks ohne Aufstockung der Belegschaft verdoppelt werden könnte. Damit, so Vertreter der Gewerkschaft IG Metall, könnte die Produktivität des neuen Werks in Rumänien erreicht werden.
Die Bochumer Betriebsräte wollen der Unternehmensleitung nicht entgegentreten, sie möchten selbst stärker an der Abwicklung beteiligt werden. Sie sind ebenso wie die anderen europäischen Betriebsräte vollkommen dem nationalen Standort verpflichtet und treten den Belegschaften in anderen Ländern mit ebensolcher kalten Arroganz gegenüber, wie es die finnischen Gewerkschaftsvertreter gegenüber den Bochumer Beschäftigten tun.
Um ihre Arbeitsplätze zu verteidigen, müssen sich die Arbeiter daher gegen die Gewerkschaft und den Betriebsrat stellen. Sie dürfen sich nicht nach Nationalität spalten lassen - ein wirkungsvoller Kampf gegen ein international agierendes Unternehmen kann selbst nur international geführt werden. Die Beschäftigten in Bochum müssen den Kontakt zu den Belegschaften an allen internationalen Standorten selbst herstellen und gemeinsam mit diesen ihre Arbeitsplätze und die Sozialstandards verteidigen.
Die Redaktion der World Socialist Web Site ist bereit einen solchen gemeinsamen Kampf tatkräftig zu unterstützen. Nehmt Kontakt mit der WSWS auf. Wir werden eure Berichte aus den einzelnen Werken in andere Sprachen übersetzen und Vorschläge für ein gemeinsames Vorgehen gegen die Konzernleitung an anderen Standorten bekannt machen. Ein europa- und weltweiten Streik für den Erhalt aller Arbeitsplätze, anständige Löhne und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen erfordert vor allem einen politischen Bruch mit der gewerkschaftlichen Politik der Sozialpartnerschaft und muss auf der Grundlage einer internationalen sozialistischen Strategie geführt werden.