Bundestag beschließt Einschränkung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Nach langem hin und her zwischen Regierung und Opposition hat der Bundestag am 11. März im Eilverfahren eine Verschärfung des Straf- und Versammlungsrechts beschlossen. Die Fraktionen der SPD, der Grünen und der CDU/CSU stimmten für eine entsprechende Ergänzung des § 130 StGB (Volksverhetzung) und des Versammlungsgesetzes (Verbot von Demonstrationen oder deren Beschränkung durch Auflagen). Lediglich die FDP wandte sich dagegen.

Unmittelbarer Anlass für die Gesetzesänderung ist ein geplanter Aufmarsch der rechtsextremen NPD vor dem Brandenburger Tor am 8. Mai, dem 60. Jahrestag des Kriegsendes. Über die Verhinderung dieses Aufmarsches war seit Wochen debattiert worden. Nun hat der Bundestag im Namen des "Kampfes gegen den Rechtsextremismus" die Meinungs- und Versammlungsfreiheit erheblich eingeschränkt.

Stellte § 130 StGB bisher das öffentliche Leugnen des Holocausts oder anderer schwerer Naziverbrechen unter Strafe, macht sich nach dem neu eingefügten Absatz IV auch strafbar, wer die Nazi-Herrschaft "verherrlicht, billigt oder rechtfertigt", wenn dadurch der "öffentliche Frieden" gestört und die "Würde der Opfer verletzt" werden kann. Zu erwartende Verstöße hiergegen wären ein Verbotsgrund von Demonstrationen.

Der Hinweis auf die Störung des öffentlichen Friedens und die Verletzung der Würde der Opfer wurde eingeführt, um dem Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts zu entgehen. Bei einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht hätte das Gesetz dann wohl wenige Chancen auf Bestand gehabt.

Doch nach dem Willen der Regierung ist ein Gesinnungsstrafrecht gewollt. Denn zu der Frage, wann eine solche Verletzung der Würde der (verstorbenen) Nazi-Opfer anzunehmen ist, heißt es in der offiziellen Mitteilung des Bundesjustizministeriums vom 11. März, dass dies schon dann der Fall sein kann, wenn Nazi-Größen "in besonderer Weise hervorgehoben werden". Eine wie auch immer geartete positive öffentliche Äußerung über das Nazi-Regime oder einzelne seiner Vertreter soll also bestraft werden können. Darunter könnte auch der kontroverse Beitrag eines Historikers, die böse Satire eines Kabarettisten oder die Provokation eines Künstlers fallen. Eine an sich harmlose Handlung wird allein durch die in ihr zum Ausdruck kommende Gesinnung zur Straftat.

Die CDU war außerdem dafür eingetreten, die so genannte "Bannmeile" um das Parlamentsgebäude, innerhalb derer das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit praktisch nicht gilt, bis auf das Brandenburger Tor und das daneben gelegene Holocaust-Mahnmal auszudehnen. Sie zog dies zurück, nachdem in einer Anhörung zum Thema sogar von ihr selbst geladene Rechtsexperten prophezeit hatten, eine solche Regelung werde vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben. Die Bannmeile soll lediglich die "Arbeitsfähigkeit des Parlaments" schützen, also sicherstellen, dass Abgeordnete Zugang zum Bundestag haben.

Neonazi-Aufmärsche sollen aber an historisch herausragenden Gedenkstätten von überregionaler Bedeutung - wie KZ-Gedenkstätten oder dem Holocaust-Mahnmal- leichter verboten werden können.

Die Behörden können an solchen Orten demnach Versammlungen untersagen oder mit Auflagen versehen, wenn nach konkret feststellbaren Umständen zu erwarten ist, dass die Würde der Opfer beeinträchtigt wird. Die Länder sollen diese Orte selbst per Landesgesetz festlegen, im Bundesgesetz wird das Holocaust-Mahnmal genannt.

Es ist aber mehr als fraglich, ob die Behörden konkrete Anhaltspunkte für eine zu erwartende Verletzung der Würde der Opfer vorlegen werden können, wenn Nazis Themen und Verlauf ihrer Demonstrationen sorgfältig vorbereiten. Dies würde erst recht dann gelten, wenn die NPD eine Kundgebung anmeldet. Denn das in Artikel 21 Absatz II Grundgesetz verankerte so genannte "Parteienprivileg" bedeutet, dass eine inhaltliche Bewertung der von einer Partei veranstalteten Versammlungen durch Gerichte oder die Versammlungsbehörden grundsätzlich ausscheidet, solange die Partei nicht durch das Bundesverfassungsgericht verboten ist.

Es sei denn, Behörden und Gerichte gingen davon aus, dass die drohende Würdeverletzung sich schon aus der bloßen Tatsache ergibt, dass es Nazis sind, die demonstrieren, oder eine mit dem Nationalsozialismus wesensverwandte Partei wie die NPD. Damit würde praktisch ein Sonderstatus für Staatsbürger mit einer bestimmten Gesinnung geschaffen, denen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit allein aufgrund ihrer politischen Auffassung aberkannt werden.

Das Feindrecht, in der Weimarer Republik von Carl Schmitt und heute von dem Bonner Strafrechtsprofessor Günther Jakobs propagiert, erlebte seine Auferstehung. Wem unterstellt wird, die Grundlagen von Demokratie und Recht nicht anzuerkennen, soll selbst keinen Anspruch auf elementare demokratische Grundrechte mehr haben. Dies wird von der Bush-Regierung bereits in Bezug auf angebliche Terroristen und deren Unterstützer praktiziert. Nun soll dieses Prinzip auch in Deutschland wieder Einzug halten.

Im Kampf gegen den Faschismus wird offenbar nicht Argumenten und der Anziehungskraft der "Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung" vertraut, sondern nur noch Polizei und Staatsanwaltschaft. Bundesjustizministerin Zypries gab das in einer Presseerklärung vom 11. Februar selbst zu, als sie einen ersten Entwurf der Gesetzesänderung vorstellte: "Mit Blick darauf, dass die Rechtsextremen verstärkt versuchen, in Schulen für ihre Ideen zu werben, soll die Verschärfung des Strafrechts nicht zuletzt ein Signal vor allem an junge Menschen sein. Das Strafrecht zieht eine klare Grenze zwischen dem, was erlaubt ist, und dem, was verboten ist."

Dass fast 60 Jahre nach Ende des Dritten Reiches und Gründung der Bundesrepublik Deutschland SPD, Grüne und CDU/CSU heute solche Verbote für notwendig erachten, lässt tief blicken.

In der Diskussion sind auch noch weitere Änderungen, die sich nicht nur gegen Nazis verwenden lassen. Am 11. Februar hatte Zypries mitgeteilt, dass zur Umsetzung einer EU-Richtlinie mit den anderen Gesetzesänderungen auch die ersten beiden Absätze von § 130 StGB verschärft werden sollen, die das öffentliche "Aufstacheln zum Hass" unter Strafe stellen. Bisher galt dies nur für das Aufstacheln zum Hass gegen "Teile der Bevölkerung". Jetzt sollen zusätzlich zu Bevölkerungsteilen auch einzelne "Personen" von dieser Vorschrift geschützt werden, über den Schutz durch die Paragraphen über Beleidigung, Verleumdung und Üble Nachrede hinaus.

Offiziell rechtfertigte die Justizministerin diese Änderung ebenfalls mit dem Kampf gegen Rassismus. Man kann sich aber leicht eine Verbotsverfügung gegen eine linke Anti-Hartz-Demonstration und/oder eine Kriminalisierung einzelner ihrer Teilnehmer vorstellen, weil diese angeblich zum "Hass" gegen Bundeskanzler Schröder oder Arbeitsminister Clement "aufstacheln".

Eine weitere Verschärfung, die gegenwärtig debattiert wird, soll sich laut Aussage von Justizministerin Zypries sogar gegen Kriegsgegner wenden. Demnach soll sich § 130 Absatz III StGB, der die Leugnung des durch die Nazis begangenen Völkermordes unter Strafe stellt, künftig auch für die Leugnung anderer Völkermorde gelten, "soweit die Handlung durch die rechtskräftige Entscheidung eines internationalen Gerichts, dessen Zuständigkeit die Bundesrepublik Deutschland anerkannt hat, festgestellt ist". In der Presseerklärung des Justizministeriums vom 11. Februar wurde dazu als Beispiel ausdrücklich die Leugnung des "Völkermords" im ehemaligen Jugoslawien genannt, mit dem die rot-grüne Regierung den Krieg gegen Serbien gerechtfertigt hatte.

Die Parteien haben auf die Arbeitslosigkeit keine andere Antwort als immer weiteren Sozialabbau und Umverteilung von unten nach oben, auf das aggressive internationale Vorgehen der USA keine andere Antwort als deutschen und europäischen Militarismus. Damit schaffen sie selbst den sozialen und politischen Nährboden für das Aufkommen rechter Tendenzen. Diese dienen dann als Vorwand für die Aufrüstung des Staats und die Abschaffung demokratischer Rechte, die sich heute gegen Nazis richtet, und morgen gegen jede Opposition eingesetzt werden kann.

Siehe auch:
Otto Schily plant eine massive Einschränkung der Versammlungsfreiheit
(7. Juli 2004)
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