Zur Klärung einer verworrenen Debatte

Das Erbe von Dmitri Schostakowitsch

Diesen Artikel geben wir in der deutschen Fassung leicht gekürzt wieder. Weggelassen wurden Bezüge zu einigen Konzerten in den USA. Auch in Deutschland löste die Veröffentlichung der "Memoiren des Dmitri Schostakowitsch" 1979 durch den Musikwissenschaftler und engen Vertrauten des Komponisten Solomon Volkow heftige Auseinandersetzungen aus. 1990 wurde in Berlin eine Schostakowitsch-Gesellschaft gegründet, die sich das Ziel setzte, das Schostakowitsch-Bild der Vergangenheit, das vor allem durch die DDR geprägt wurde, zurechtzurücken. Der folgende Artikel setzt sich mit einigen Argumenten auseinander, die auch in dieser Debatte aufgekommen sind. Das Buch von Solomon Volkow (Hrsg.) "Zeugenaussage. Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch" wird zum 25. Todestag des Komponisten am 9. August 2000 im Propyläen-Verlag neu erscheinen.

Das Werk des sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) stößt ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod auf wachsendes Interesse. Weltweit hat sich eine lebhafte Debatte über die Beziehung seiner Musik zur Geschichte des 20. Jahrhunderts entzündet.

Manch einer vergleicht seine 15 Symphonien und 15 Streichquartette mit Beethovens Werk, sowohl was den Umfang als auch die Tiefe und Originalität seiner Kompositionen angeht. Zusätzlich zu seinen Symphonien und seiner Kammermusik komponierte Schostakowitsch auch Violin- und Klavierkonzerte, Liederzyklen, Ballette, Film- und Theatermusik, Solostücke für Klavier sowie zwei Opern.

In den Jahren nach der Revolution 1917 studierte Schostakowitsch zusammen mit Alexander Glasunow am Petrograder (später Leningrader) Konservatorium. Durch Glasunow erarbeitete er sich die Kompositionstechniken und Traditionen russischer Meister wie Glasunows Lehrer Rimsky-Korsakow, Tschaikowski und besonders Modest Mussorgski. Schostakowitschs Interesse an Mussorgski wird durch die Tatsache belegt, dass er zwei von Mussorgkis Meisteropern, Boris Godunow(1940) und Chowanschtschina(1959) orchestriert hat.

Aber Schostakowitsch war mehr als bloßer Anhänger der russischen Meister des 19. Jahrhunderts. Obwohl er völlig im Rahmen traditioneller Tonalität blieb und die Zwölftontechnik, die von Arnold Schönberg initiiert wurde, ablehnte, ist sein Werk vollständig vom Geist des 20. Jahrhunderts erfüllt. Großen Einfluss übten auf den jungen sowjetischen Komponisten Gustav Mahler, der große romantische Symphoniker des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts, sowie der russische Komponist Igor Strawinski aus, der nach der Revolution emigrierte und in der Musikwelt mit den drei großen Ballettkompositionen Feuervogel, Petruschka und Le sacre du printemps aus den Jahren 1910 bis 1913 bekannt wurde. Die Melancholie, Innerlichkeit und emotionale Tiefe Mahlers und die satirischen, sogar grotesken Elemente Strawinskis findet man auch in Schostakowitschs Musik wieder, allerdings übersetzt in seinen eigenen Stil und seine eigene musikalische Sprache. ...

Die Debatte über Schostakowitschs Erbe wurde vor mehr als 20 Jahren durch die Veröffentlichung des Buchs Zeugenaussage. Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch, herausgegeben von Solomon Volkow, ausgelöst. Volkow war ein junger sowjetischer Musikwissenschaftler, der mit Schostakowitsch in den letzten Jahren seines Lebens befreundet war und kurz nach seinem Tod die Sowjetunion verließ. Das Buch Zeugenaussage,in dem Volkow nach eigener Aussage die wirklichen Ansichten Schostakowitschs in seinen eigenen Worten wiedergeben wollte, erschien 1979.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurde Dmitri Schostakowitsch allgemein als anerkannte Kapazität und führende musikalische Stimme der Sowjetunion dargestellt. Er war zwar 1939 und 1948 offiziell kritisiert worden, aber die nachstalinsche Führung und ihre Kulturelite hatten daran nicht mehr festgehalten. In den letzten 26 Jahren seines Lebens schien Schostakowitsch seinen Frieden mit der Moskauer Bürokratie geschlossen zu haben. Schostakowitschs Name wurde benutzt, um offiziellen Erklärungen zur Außenpolitik und zur stalinistischen Doktrin des "sozialistischen Realismus" Nachdruck zu verleihen.

Diejenigen, die mit dem Charakter des Moskauer Regimes vertraut waren, wussten natürlich, dass die offizielle Version nicht die ganze Wahrheit war. Aber dennoch blieb in der Öffentlichkeit allgemein das Bild von Schostakowitsch als loyaler und überzeugter Sprecher der sowjetischen Gesellschaft bestehen.

Die Memoiren stellen diese vorherrschende Auffassung in Frage. Der Komponist, so berichtet Volkow, hielt sich keinesfalls für ein williges Werkzeug oder einen loyalen Sprecher der staatlichen Bürokratie. Er habe im Gegenteil seine Erbitterung über Stalin und seine Nachfolger ausgedrückt. "Stalin war eine Spinne, und jeder, der sich seinem Netz näherte, mußte sterben ... Stalin und Hitler waren geistig verwandt", erklärte Schostakowitsch nach Volkows Aussage. Seine augenfällige Unterstützung für die offizielle Politik sei unter Druck zustande gekommen, und er habe sogar oppositionelle Themen in viele seiner Hauptwerke eingeschmuggelt, so der Komponist.

Das Jubelfinale der Fünften Symphonie, einer der berühmtesten klassischen Kompositionen des zwanzigsten Jahrhunderts, sei, so Volkows Zeugenaussage,"erzwungener Jubel, unter Drohungen entstanden". Die Siebte Symphonie, 1941 komponiert und untrennbar mit der Belagerung Leningrads durch die Nazis und den schwärzesten Tagen des Zweiten Weltkriegs für die sowjetische Bevölkerung verbunden, sei schon vor dem Krieg konzipiert worden, so Volkow. Das berühmte "Invasionsthema" habe nichts mit den Faschisten zu tun: "Ich habe an andere Feinde der Menschheit gedacht, als ich dieses Thema komponierte", soll Schostakowitsch gegenüber seinem jungen Freund gesagt haben.

Volkows Buch wurde sofort attackiert. Die Stalinisten, wie nicht anders zu erwarten, antworteten mit lautstarken Denunziationen und erklärten das Buch zu einer Fälschung. Doch nicht nur in Moskau wurde das Buch kritisiert. 1981 schrieb die amerikanische Musikwissenschaftlerin Laurel Fay einen Artikel für die Zeitschrift Russian View, herausgegeben vom extrem antikommunistischen Hoover-Institut, in dem sie erklärt, Teile des Buchs seien aus früher veröffentlichten russischen Artikeln von Schostakowitsch abgeschrieben.

Volkow soll auch ein Foto vom Begräbnis Schostakowitschs in einer Weise manipuliert haben, dass er selbst zwischen der Witwe und der Tochter des Komponisten zu sehen ist. Da Volkow die Vorwürfe Fays nie zurückgewiesen hat, gab es starke Zweifel an der Authentizität der Memoiren des sowjetischen Komponisten. In den folgenden Jahren wurde jedoch deutlich, dass trotz möglicher Ausschmückungen und Verdrehungen die Memoiren keine Fälschung darstellen. Sie präsentieren kein grundlegend falsches Bild von Schostakowitsch. Zahlreiche Belege einschließlich persönlicher Berichte von früheren Kollegen Schostakowitschs nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion machen deutlich, dass er wie viele andere Künstler und Intellektuelle die herrschende Bürokratie mit einer Mischung aus Hass, Furcht und Verachtung betrachtete.

Einige von Volkows Kritikern, darunter auch Fay in ihrer neuen, 1999 erschienenen Biographie des Komponisten, behaupten mittlerweile nicht mehr, dass die Zeugenaussage eine totale Fälschung sei. Wie immer man dieses Buch auch einschätzt, gibt es heutzutage kaum mehr jemanden, der Schostakowitsch als glücklichen Bürger der Sowjetunion einschätzen würde.

Dennoch lässt die Debatte über Schostakowitsch nicht nach. Aus dem Streit über die Authentizität von Volkows Memoiren hat sich allerdings eine breitere Diskussion über die Bedeutung von Schostakowitschs Musik und seine historische Rolle entwickelt. Die Auflösung der Sowjetunion vor nahezu zehn Jahren hat die Diskussion angeheizt und mit Fragen der Einschätzung des Kalten Kriegs und der Geschichte und Kultur der Sowjetunion in Verbindung gebracht.

Die meisten Kritiker und Hörer klassischer Musik sind sich einig über die unvergängliche Macht von Schostakowitschs Musik. Man stellt sich heute jedoch die Frage, wie der Komponist dies alles unter den Bedingungen der Jahrzehnte langen stalinistischen Diktatur schaffen konnte.

Hatte der Komponist aus der offiziellen Kritik "gelernt", sich an die Doktrin des sozialistischen Realismus angepasst und so den richtigen Weg gefunden? Oder hatte er vor dem Regime kapituliert und seine Musik darunter gelitten? Wird er vielleicht überschätzt? War er ein geheimer Dissident, wie dies Volkow nahe legt, ein Komponist, der seine Arbeit im bewussten Kampf gegen das Regime, ja sogar gegen die Ideale des Sozialismus entwickelt hatte? Oder hatte sich seine Musik unabhängig von der sowjetischen Geschichte und Politik, als rein persönliches Werk entwickelt?

Mehrere Schulen der Interpretation haben sich gebildet, entsprechend der oben gestellten Fragen. Sie sind alle mehr oder weniger entfernt von einem wirklichen Verständnis.

Die Behauptung, Schostakowitsch sei ein williger und loyaler Verteidiger des Regimes gewesen, wird nur von einer Handvoll stalinistischer Apologeten aufrechterhalten. Trotz der "zwei kurzen Perioden des Bruchs, die im Westen dramatisiert wurden" sei er "ein patriotischer sowjetischer Bürger und lebenslanger Sozialist" gewesen, so etwa lauten ihre Argumente.

Diese Einschätzung ist offensichtlich falsch. Unzählige Kollegen und Freunde des Komponisten berichten über die verheerenden Auswirkungen der zwei "kurzen Perioden des Bruchs". Hier ging es nicht um einfache Kritik an seiner Musik. Stalin selbst nahm an einer Aufführung der Oper Lady Macbeth des Mzensker Kreises am 26. Januar 1936 teil und verließ die Vorstellung vorzeitig. Am 28. Januar denunzierte die Prawda die Oper als "Chaos statt Musik". Der Komponist spiele ein Spiel, "das böse enden könnte", heißt es weiter in der offiziellen Zeitung der Kommunistischen Partei. In Musiker- und intellektuellen Kreisen ging man davon aus, dass Stalin selbst diese Sprache mit ihrer kaum verhüllten Drohung diktiert habe. Zu diesem Zeitpunkt, unmittelbar vor den berüchtigten Moskauer Prozessen von 1936 bis 1938, war Stalin bereits allgemein gefürchtet.

Im Alter von 29 Jahren war der Komponist nicht nur mit der Zerstörung seiner Karriere konfrontiert, auch sein Leben und das seiner Familie waren in Gefahr. Laut einigen Berichten packte Schostakowitsch seine Koffer in Vorbereitung auf seine Verhaftung und schlief im Korridor vor seiner Wohnung. Seine Kinder sollten ihn nicht sehen, wenn der NKWD ihn abholte. Diese Angst ließ ihn jahrelang nicht mehr los - man kann sagen, in mancher Hinsicht verließ sie ihn nie.

1948 nahm die öffentliche Denunziation von Schostakowitsch, ebenso wie von Prokofjew, Chatschaturjan und Mjaskowski, durch die Kulturoffiziellen angeführt vom stalinistischen Kulturpabst Andrej Shdanow konkretere, ausgedehntere und schärfere Formen an. Schostakowitsch verlas eine demütigende Selbstanklage vor einem offiziellen Treffen sowjetischer Komponisten, das einberufen worden war, um seinen "Formalismus" zu verurteilen.

Jeder Versuch, Schostakowitsch als im Grunde unbeeindruckt von diesen Erfahrungen darzustellen, als zufrieden mit der sowjetischen Gesellschaft und dem kulturellen Leben unter Stalin und seinen Nachfolgern, ist so absurd, dass sich eine Widerlegung fast erübrigt. Das andere Extrem liefert die Vielzahl Musikwissenschaftler, die einen ganz anderen Schostakowitsch entdeckt zu haben glauben: einen lebenslangen Feind des Bolschewismus, dessen Musik nicht den Stalinismus verherrlichte, sondern im Gegenteil einer antikommunistischen Programmmusik gleichkommt.

Gestützt auf die Memoiren haben einige Kritiker und Musikhistoriker, allen voran der britische Autor Ian MacDonald, Volkows Thesen zu einigermaßen absurden Schlussfolgerungen geführt. Während Volkow erklärt, einige der größeren Werke Schostakowitschs beinhalteten symbolische Bezüge auf die Leiden des sowjetischen Volkes unter Stalin, hat nun MacDonald praktisch jede einzelne Komposition von Schostakowitsch über einen Zeitraum von mehr als vier Jahrzehnten analysiert und überall kodierte Botschaften des Widerstands gegen die "kommunistische" Tyrannei entdeckt. Über dieses Thema wurden Tausende von Seiten geschrieben, gespickt mit detaillierten Analysen, die musikalische Themen und ihre Ausführung mechanisch mit spezifischen politischen Positionen gleichsetzen.

Dahinter scheint das Motiv zu stehen, Schostakowitsch nachträglich von allen Beschuldigungen, er habe mit dem stalinistischen Regime zusammengearbeitet, zu entlasten und ihn als jemanden zu zeigen, dem die Rolle eines Sprachrohrs der Bürokratie aufgezwungen wurde und der in seiner Musik seine Opposition zum Ausdruck brachte.

Eine sorgfältige musikalische Analyse seiner Musik gibt zwar einige Anhaltspunkte für solche Schlussfolgerungen, doch haben MacDonald und gleichgesinnte Musikwissenschaftler diese Auffassung in eine mechanische Karikatur verwandelt und ein völlig formales und lebloses Bild von Schostakowitsch kreiert, das seine Musik jeder Bedeutung beraubt. Nach ihrer Vorstellung müsste man beinahe annehmen, Schostakowitsch habe sich nur deshalb entschieden zu komponieren, weil er einen Kreuzzug gegen die Sowjetunion führen wollte.

MacDonald lässt sich von ideologischen Vorurteilen leiten und sieht Schostakowitsch von der Geschichte der russischen Revolution völlig losgelöst. Die Musik wird so interpretiert, dass sie diesen Konzeptionen entspricht. Alle Hinweise darauf, dass Schostakowitsch irgendwann Hoffnungen in die Revolution gesetzt haben könnte, müssen weg erklärt werden. So stellt MacDonald die schon recht gewagte Behauptung auf, Schostakowitsch habe 1923, im Alter von 17 Jahren, in einem Brief nur deshalb positiv über Lenin geschrieben, weil er gewusst habe, dass seine Briefe von der Geheimpolizei gelesen würden.

Diese tendenziöse Herangehensweise ist mit der Wendezeit Anfang der 90er Jahre und dem vorübergehenden kapitalistischen Triumph verbunden. MacDonald schreibt unmittelbar nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Bürokratie und hat sich das Ziel gesetzt zu beweisen, dass der große Komponist nichts mit der schrecklichen Revolution von 1917 zu tun gehabt haben kann, die nun als Wurzel aller russischen Probleme betrachtet wird.

Natürlich können sich diese Musikwissenschaftler zum bestimmten Grad auf die Memoiren und die dort angeführten musikalischen Interpretationen von Schostakowitsch selbst berufen. Aber MacDonalds Ausfälle gegen den Sozialismus gehen weit über Volkows Memoiren hinaus. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die in diesem Buch veröffentlichten Aussagen von Schostakowitsch zumindest teilweise korrekt sind, so gibt es einen großen Unterschied zwischen diesen Bemerkungen und den groben und völlig spekulativen Erklärungen MacDonalds. Darüber hinaus stellt die Selbsteinschätzung des Künstlers, auch wenn sie bedenkenswert ist, noch nicht ein volles Verständnis seiner Musik dar. Würde man sich beispielsweise mit den eigenen Erklärungen Beethovens oder Wagners zur ihrer Musik zufrieden geben, wären Biographien und eine musikalische Analyse ihrer Werke überflüssig.

Der Musikkritiker Alex Ross schrieb kürzlich in der Zeitschrift The New Yorker: "Die Memoiren berichten über Schostakowitschs Meinung am Ende seines Lebens. Aber Schostakowitsch war am Ende seines Lebens ein verbitterter Mann, dessen Erklärungen zu seinem eigenen Werk nicht immer getraut werden kann. Mit anderen Worten, die Memoiren mögen authentisch sein, aber vielleicht sagt das Buch dennoch nicht immer die Wahrheit."

Um Schostakowitsch in den frühen siebziger Jahren zu verstehen, als er mit Volkow sprach, ist ein Verständnis seines Lebens während der vorangehenden stürmischen Jahre notwendig. Nicht nur seine eigenen persönlichen Schwierigkeiten, sondern auch das, was um ihn herum geschah, hatten Schostakowitsch politisch desorientiert und psychisch stark unter Druck gesetzt. Es war seine Demoralisierung, und nicht politische Überzeugung, die ihn schließlich 1960 in die Kommunistischen Partei eintreten und später öffentliche Verurteilungen von Andrej Sacharow und anderen liberalen Dissidenten unterschreiben ließ. Offensichtlich war er zum Schluss so desillusioniert und verzweifelt, dass er sich anpasste und im wesentlichen das tat, was man von ihm als eine herausragende öffentliche Figur verlangte.

Als dann die Hoffnungen der Chruschtschow-Periode der "Stagnation" der Breschnew-Ära und sogar Versuchen der Rehabilitierung Stalins Platz machten, versuchte Schostakowitsch in den Gesprächen mit Volkow offensichtlich, seine eigene Kompromittierung zu beschönigen und seine Musik so zu interpretieren, dass sie seinen Hass auf das Regime zum Ausdruck bringen sollte.

Politisch gesprochen war Schostakowitsch ein gebrochener Mann. Viele Zeitgenossen mit größerem politischen Verständnis und Erfahrungen hatten ebenfalls Geständnisse abgelegt. Schostakowitsch hat dies in der Sphäre der Musik getan (auch wenn er kein Geständnis von erfundenen Terrorakten ablegen, sondern lediglich musikalischen Sünden beichten musste). Während lebenslange Revolutionäre wie Kamenew, Sinowjew und Bucharin trotz ihrer Kapitulation vor Stalin mit dem Leben bezahlen mussten, konnte Schostakowitsch weiterleben und seine Rolle bereuen.

Wenn dies auch teilweise die Entstehung und den Inhalt der Memoiren erklärt, so ist damit noch nicht klar, welche Auswirkungen die bitteren und demoralisierenden Erfahrungen auf die Arbeit des Komponisten hatten. Hier haben selbst die verschiedenen Kritiker der Ansichten Volkows und MacDonalds Schwierigkeiten, die musikalischen Werke Schostakowitschs zu erklären.

Richard Taruskin beispielsweise betont korrekterweise, MacDonald habe "Volkows Bemerkungen benutzt, um nun in jedem einzelnen Werk eine antistalinistische Bedeutung von erstaunlicher Plattheit und Ungenauigkeit zusammenzureimen." Indem Schostakowitsch zu einem "allmächtigen Antistalin" hochstilisiert werde, "der auf dem Höhepunkt des Stalinschen Terrors heroische Taten des öffentlichen Widerstands vollbringt", hätten MacDonald und vergleichbare Autoren einen "lautstarken Kult" um Schostakowitsch geschaffen, beklagt Taruskin. Dies führt Taruskin allerdings dazu, nicht nur Volkow und MacDonald, sondern auch den Komponisten selbst in Frage zu stellen. "Der durch die Memoiren hervorgerufene Eifer", so Taruskin, "und die Leidenschaften könnten sich als genauso vergänglich wie der Kalte Krieg erweisen." An anderen Stellen wertet Taruskin ebenso wie andere Kritiker sogar einige der berühmtesten Kompositionen Schostakowitschs wie die Fünfte und die Siebte Symphonie mit herablassenden Bemerkungen ab.

Andererseits setzt er ebenfalls, wenn auch nicht so platt wie seine Antagonisten, Schostakowitschs "politisches" Verhalten mit seinen musikalischen Verdiensten gleich. Während MacDonald den "guten" Schostakowitsch mit großer Musik gleichsetzt, drückt sich für Taruskin ein kompromittierter Schostakowitsch in einer kompromittierten Musik aus.

Laurel Fay bringt eine leicht abgewandelte Ansicht vor. Etwas weniger skeptisch gegenüber seiner Musik, stellt sie die seltsame Behauptung auf, Schostakowitschs Fünfte Symphonie demonstriere, "dass der Sozialistische Realismus in Händen eines talentierten Komponisten nicht von vorneherein der Schaffung unvergänglicher Werke entgegensteht."

Fay begeht den Irrtum, Kompositionen, die für die Bürokratie akzeptabel waren, mit "sozialistischen Realismus" gleichzusetzen. Doch Musiker waren in der Lage, in abstrakteren Formen zu arbeiten als Schriftsteller oder Maler. Für die Bürokratie war es schwieriger, Richtlinien für "korrekte Musik" als für "korrekte" Literatur oder bildende Kunst festzulegen. Das Regime verlangte tonale und verständliche Musik. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle, die tonale Musik komponierten, wie Schostakowitsch oder Aaron Copland und Kurt Weill unter anderen Exponenten des sozialistischen Realismus waren.

Es gibt andere Kritiker, die zwar den Versuch ablehnen, mechanisch die Größe Schostakowitsch mit politischer Opposition gleichzusetzen, ihrerseits aber seine Musik völlig von ihrem sozialen und politischen Kontext trennen. Bernard Holland hat diese Ansicht kürzlich in einem Artikel der New York Times unter der Überschrift "Große Musik wird nicht notwendigerweise von großen Leuten geschaffen" vertreten.

Holland behauptet, das Problem beginne damit, dass man "den Erschaffer von schönen Dingen auch als moralische Person beurteilt. Künstler sind nicht unbedingt gute Menschen ... Man kann Schostakowitschs Leben schwerlich als tragisch bezeichnen, zumindest kaum tragischer als unser eigenes. Es war zwar ziemlich ängstigend und stressig, aber das Tragische erfordert eine imposante Persönlichkeit, die durch das Schicksal und ungünstige Entscheidungen ins Verderben gestürzt wird. Schostakowitsch war mehr ein Opfer; ich glaube nicht, dass er die notwendige Größe hatte ... Wahrlich, der Schmerz und die Seelenpein in so vielen seiner Stücke ... zeugen vielleicht von einem Komponisten, der sich wundert, wie sehr er sich selbst liebt."

Der Aussage, große Kunst sei nicht notwendigerweise das Produkt "guter Menschen", ist eine nichtssagende Phrase. Die Frage ist nicht, ob Beethoven, Mozart oder Schostakowitsch "gute Menschen" waren. Vielmehr wollen wir wissen, wie ihre Kunst die Welt, in der sie lebten, reflektiert, ob sie in der Lage waren, in ihrer Musik große menschliche Gefühle auszudrücken, Gefühle, die sowohl historisch bestimmt als auch von allgemeinen menschlichen Erfahrungen geprägt sind.

Das bringt uns zur grundlegenden Frage, die von praktisch allen Musikwissenschaftlern, die an der Schostakowitsch-Debatte teilnehmen, ignoriert wird. Die Größe Schostakowitschs ist nicht eine Funktion seiner politischen Ansichten oder seines persönlichen Muts. Sie entsteht aus der Fähigkeit, die großen Kämpfe seiner Zeit - nicht notwendigerweise bewusst - widerzuspiegeln, die musikalische Sprache sowohl in abstrakter, als auch persönlicher und emotionaler Hinsicht zu finden, mit der man nicht nur seine eigenen Qualen und Probleme, sondern die von Millionen anderen ausdrücken kann.

Weder Musik noch andere Kunst existieren in einem Vakuum. Die Vorstellung von Holland, Schostakowitsch würde einfach seine Gefühle über sich selbst ausdrücken, sagt gar nichts aus. Vielleicht könnte man argumentieren, dass Richard Strauss bis zu einem gewissen Grad in der Lage war, sich in den Jahren des Dritten Reichs zu isolieren und weiterhin einige unvergänglich schöne Werke zu komponieren. Schostakowitsch hatte keine solche Option. Er war ausweglos in der politischen Situation seiner Zeit gefangen. Hollands Behauptung, das Leben des Komponisten, der miterleben musste, wie zahlreiche Verwandte und viele seiner engsten künstlerischen Freunde und Kollegen durch Stalins Terror ihr Leben verloren, sei "nicht tragischer als unser eigenes", ist schon ziemlich unverfroren und ignorant. Natürlich war Tragik beinhaltet, nämlich die Tragödie der zerstörten Hoffnungen in die russische Revolution. Dies ist nicht die einzige Erklärung für Schostakowitschs Größe, kann aber bei einer Einschätzung seines Werks nicht ignoriert werden.

Gerade weil Schostakowitschs Karriere untrennbar mit der Geschichte der Sowjetunion verbunden ist, hat die Mehrheit der Kritiker solche Schwierigkeiten, ihn einzuschätzen. Sie sind auf anderen Gebieten bewandert, nicht auf diesem, und viele von ihnen können den Knoten, in den sie sich bei einer Beurteilung dieses Mannes und seiner Musik verstrickt haben, nicht lösen.

Den meisten miteinander streitenden Meinungen über Schostakowitsch liegt eine Gemeinsamkeit zugrunde. Gleich welche Differenzen sie haben, setzen sie alle den Stalinismus mit dem Bolschewismus gleich und sehen Stalin als logischen Nachfolger Lenin und als Führer des "Kommunismus".

Wenn Stalinismus dasselbe wie Bolschewismus wäre, hätte es keinen Grund für das stalinistische Regime gegeben, alle alten Bolschewiken zu vernichten - selbst diejenigen, die schon lange keine Opposition mehr äußerten. Diese historische Tatsache ist eine Schlüsselfrage für ein Verständnis von Schostakowitschs künstlerischen Leben. Schließlich gehörte der Komponist zur selben Generation, die soviel gelitten und deren frühere Zukunftserwartungen von der Stalinschen Bürokratie derart zerschlagen worden waren. Die besondere Bedeutung der Musik Schostakowitschs resultiert gerade aus dieser Desillusionierung und der Art und Weise, wie der Komponist jene widersprüchliche Stimmungen und Gefühle seiner Zeit auszudrücken in der Lage war.

Wenn man liest, was in letzter Zeit über Schostakowitsch geschrieben wurde, kann man kaum erahnen, welch enorme und positive Auswirkung die russische Revolution auf die Kunst, einschließlich die Musik hatte. So wurden Experimente gefördert, die die Musik den Massen näher bringen sollten. Eintrittskarten für die Oper, für Symphonie- und Kammerkonzerte wurden kostenlos oder zu einem minimalen Preis an Arbeiter, Studenten und Soldaten verteilt, die das frühere elitäre Publikum der vorrevolutionären Zeit ersetzten.1922 bildete sich in Moskau ein Orchester ohne Dirigenten (ein Vorläufer des heutigen berühmten Orpheus Kammerorchester). Ein künstlerischer Spielerrat ersetzte den Dirigenten, und Fragen der Interpretation und Technik wurden durch die Proben gelöst.

Nach dem erfolgreichen Ende des Bürgerkriegs wurden die Kontakte zu progressiven Tendenzen im Westen wieder aufgenommen. Zu den Komponisten, die die Sowjetunion in ihren frühen Jahren besuchten, gehörten Paul Hindemith, Alban Berg und Darius Milhaud. Bergs Wozzeck und Ernst Kreneks Jonny spielt auf wurden in der UdSSR Ende der 20er Jahre aufgeführt. Auch der Jazz blühte auf.

Dies war die Atmosphäre, in der Schostakowitsch als Musiker heranwuchs. Er wurde mit seiner ersten Symphonie auf einen Schlag berühmt, die er als Examensarbeit am Leningrader Konservatorium im Alter vom 19 Jahren komponiert hatte. Schostakowitsch assimilierte die jüngsten Tendenzen der musikalischen Entwicklung und arbeitete mit modernen Techniken ebenso wie mit traditionellen. Auch arbeitete er mit anderen künstlerischen Persönlichkeiten zusammen wie dem bekannten Dramatiker Wsewolod Meyerhold, für den er die Musik zu einer Produktion des Majakowski-Stücks Die Wanze von 1930 komponierte.

Der Komponist wurde erst in seinen späten fünfziger Jahren Mitglied der Kommunistischen Partei. An den erbitterten politischen Kämpfen zwischen den Stalinisten und der Opposition innerhalb der Bolschewistischen Partei war er nicht beteiligt. Er war sicherlich niemals Trotzkist. Als die Revolution stattfand, war er elf Jahre alt. Er wuchs in einer liberalen und progressiven Familie auf, die religiösen Aberglauben ablehnte und die Werte der Aufklärung hochschätzte. Der junge Komponist wurde zweifellos von den großen Hoffnungen, die die Revolution auslöste, beeinflusst. Es ist nicht überraschend, wenn er 50 Jahre später in den Gesprächen mit Volkow nicht mehr viel über diese Hoffnungen sprach, aber es gibt dennoch genügend Hinweise in den Memoiren auf die Auswirkung dieser frühen Jahre. Zum Beispiel spricht Schostakowitsch lobend von Aleksandr Woronski, dem revolutionären Kunstkritiker und Unterstützer der trotzkistischen Linken Opposition. Marschall Tuchatschewski, einer der Führer der Roten Armee, der in den Säuberungen von 1937 sein Leben verlor, war Schostakowitsch bis zum Zeitpunkt seiner Hinrichtung sehr nahe gestanden. Viele von Schostakowitschs Kollegen, so wie Meyerhold, arbeiteten während der 20er Jahre mit Trotzki zusammen.

Die Bedeutung der Denunziation von Lady Macbeth des Mzensker Kreises kann man nur auf diesem Hintergrund ermessen. Die Hohlheit mancher heutigen Kritiken wird offensichtlich, wenn man die damaligen Umstände - sowohl die berufliche Karriere Schostakowitschs bis zu diesem Zeitpunkt, als auch die politischen Zusammenhänge - betrachtet, in denen diese Oper angegriffen wurde.

Januar 1936 waren die bolschewistischen Führer Kamenew und Sinowjew, die Männer, auf die sich Stalin während Lenins letzter Krankheit gestützt hatte, um Trotzki zu isolieren und seine Macht zu befestigen, bereits im Gefängnis. Sechs Monate später wurden sie im ersten der Moskauer Schauprozesse vorgeführt, wo sie falsche Geständnisse abgaben und auf Stalins Befehl erschossen wurden. Im folgenden Jahr erreichte der Stalinsche Terror seinen Höhepunkt und alle führenden Persönlichkeiten, die die Revolution geführt hatten, wurden verhaftet oder hingerichtet.

Lady Macbeth war in der UdSSR zwei Jahre lang ein großer Erfolg gewesen, bevor die Oper plötzlich denunziert wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bürokratie ihre Kritik an experimentellen und avantgardistischen Techniken, wie sie auch in der Oper verwendet wurden, verschärft. Aber es war mehr als Stalins musikalische Einschätzung beinhaltet. Wahrscheinlich hatte Stalin auch die Thematisierung der Polizeirepression durch die Oper als höchst unpassend für diese Zeit empfunden, in der er gerade die Moskauer Prozesse vorbereitete.

Schostakowitsch kam mit dem Leben davon. Unzweifelhaft hat ihm sein musikalischer Ruhm geholfen. Doch gleichzeitig hatte ihn diese Erfahrung erschüttert, und er versuchte den Rest seines Lebens, sich aus politischen Turbulenzen herauszuhalten und auf das Komponieren zu konzentrieren.

Er mag sich politisch an den Status quo angepasst haben, aber es wäre sehr falsch zu schlussfolgern, er hätte sich der Doktrin des sozialistischen Realismus unterworfen. Dieses Dogma war Teil der Reaktion gegen die Ideale und Prinzipien der russischen Revolution. Die Bürokratie diktierte den Künstlern, sie dürften nur "optimistische Themen" entwickeln, und benutzte dies als Waffe gegen jeden unabhängigen Gedanken und jede künstlerische Kreativität. Vor allem verlangt der sozialistische Realismus Unehrlichkeit anstelle von kreativer Integrität und forderte vom Künstler, völlig unaufrichtige Arbeiten ohne eigenen und unabhängigen Ausdruck hervorzubringen. Von diesem Standpunkt war der sozialistische Realismus genauso eine Parodie und Antithese des Marxismus und stand in Opposition zu den Idealen der russischen Revolution, wie die in sich widersprüchliche Forderung nach "Sozialismus in einem Land".

Schostakowitsch fand einen Weg, Musik zu schaffen, die in keiner Weise auf sozialistischen Realismus reduziert oder damit gleichgesetzt werden kann. Er kämpfte darum, seine Unabhängigkeit als kreativer Künstler zu bewahren. Vor allem bestand er auf der Authentizität des Gefühls und lehnte Nachahmung ab. Das bedeutete nicht, dass Schostakowitsch aufgab, für breitere Schichten zu komponieren. Der sowjetische Komponist fand sein Publikum jedoch nicht, indem er das Niveau seiner Musik senkte, sondern durch eine Musik großer Leidenschaft, Komplexität und emotionaler Tiefe. Andere schrieben banale Stücke für die unmittelbaren Bedürfnisse des Regimes. Er nicht.

Unter den vielen, die über Schostakowitsch geschrieben haben, kommt der Musikwissenschaftler Joseph Horowitz einem Verständnis des Charakters seiner Kunst vielleicht am nächsten. Er schreibt: "Die sowjetische Repressionsmaschine zerstörte Schostakowitschs Nerven und verkürzte mit Sicherheit sein Leben. Aber man kann auch sagen, der Stalinismus hat sein kreatives Talent eher entfacht als unterdrückt. Seine traurige Strenge, seine wilde Wut, seine programmatisch wiederkehrenden Schlüsselthemen - mit dieser Musik fällt der Komponist sein eigenes Urteil: gegen die staatliche Tyrannei, die Verfolgung der Juden und die Unterdrückung des menschlichen Geistes. Er litt und tat dies kund.

Wie Beethovens Lobgesang auf die Freiheit hat Schostakowitsch mit seiner Musik gegeißelt und sich zum moralischen Bollwerk gemacht." Tatsächlich gibt es Parallelen zwischen Beethovens Begeisterung für die Französische Revolution und Schostakowitsch Beziehung zur Russischen Revolution, sowie ihrer späteren Desillusionierung mit Napoleon bzw. Stalin.

Schostakowitsch als "moralisches Bollwerk" zu bezeichnen, wie Horowitz dies tut, ist vielleicht übertrieben. Doch seine Musik drückt mehr aus als lediglich den individuellen Charakter des Komponisten. Sie hat eine moralische Bedeutung.

Horowitz schreibt, Schostakowitsch habe "einen Pakt mit einem breiten Publikum geschlossen". Die Grundlage dieses Pakts war eine gemeinsame Erfahrung: die frühen Hoffnungen in die Revolution, die unter einem Regime, das viel Ähnlichkeiten mit dem Hitler-Regime hatte, schnell dahinschwanden, gleichzeitig die Entschlossenheit, das Land und das, was von den Errungenschaften der Revolution übriggeblieben war, gegen die Nazi-Invasoren zu verteidigen. Trotz seiner Demoralisierung war Schostakowitsch in der Lage, in seiner Siebten und Achten Symphonie die Gefühle breiter Teile der Bevölkerung auszudrücken, die gegen Hitler kämpften, ohne Stalin zu lieben.

Auch etwas anderes machte es möglich, dass Schostakowitsch solch ein breites Publikum fand. Zusätzlich zu den ohnehin langen russischen Traditionen in der Musik hatte die Oktoberrevolution einen kulturellen Aufschwung der Massen hervorgerufen. Das kulturelle Leben erwachte und inspirierte die Kunst. Dies war widergespiegelt in einem breiten Interesse für klassische Musik ebenso wie für Lyrik und andere Formen der Kunst. Der kulturelle Aufschwung entsprach den ökonomischen Errungenschaften der Revolution, die der Stalinismus an diesem Punkt noch nicht zerstört hatte.

Die Fünfte und die Siebte Symphonie stellen monumentale Werke dar. Der programmatische Charakter der Siebten Symphonie ruft Bilder von Kampf, Leiden und Triumph hervor. Die Sechste und Neunte Symphonie sind etwas sanfter, aber nicht weniger schön und bewundernswert. Sie stießen in den offiziellen sowjetischen Kreisen auf Enttäuschung, weil sie nicht dem "heroischen" Bild entsprachen, das zu diesem Zeitpunkt dem Komponisten automatisch angeheftet wurde.

Es ist erstaunlich, dass Schostakowitsch in der Lage war, in den tragischen Jahren zwischen seiner ersten Verleumdung 1936 und der zweiten 1948 fünf Symphonien sowie zusätzlich fünf Streichquartette zu produzieren. Dies war nur möglich, weil er auf seine Art, die einzige, die er kannte, kämpfte. Dies verleiht seinem Werk ein "oppositionelles" Element.

Zwischen 1948 und Stalins Tod im Jahr 1953 setzte Schostakowitsch trotz ständigen offiziellen Drucks seine Arbeit als Komponist fort. Einige seiner größten Arbeiten datieren aus dieser Periode, obwohl er ihre Aufführung in vielen Fällen aus Angst vor der offiziellen Reaktion zurückhielt. Das Vierte und Fünfte Streichquartett wurden in den späten vierziger Jahren komponiert, aber erst nach Stalins Tod öffentlich aufgeführt. Dasselbe trifft auf das berühmte Erste Violinkonzert zu. Die Zehnte Symphonie, eine der hervorragendsten Kompositionen Schostakowitschs, wurde erst in den Monaten nach Stalins Tod vollendet. Ihr Ursprung datiert wahrscheinlich schon von 1951, dem Jahr, in dem er seine 24 Präludien und Fugen für Klavier schrieb.

Sicherlich war nicht alles, was Schostakowitsch schrieb, ein Meisterwerk. Es gab auch einige, wenn auch nicht viele Auftragsarbeiten für die Bürokratie, wie das Lied von den Wäldern(op. 81, 1949). Es gehört zu den wenigen Kompositionen, die man zu recht als konform mit dem sozialistischen Realismus bezeichnen könnte. Die Elfte und Zwölfte Symphonie, programmatische Arbeiten mit den Titeln "Das Jahr 1905" und "Das Jahr 1917" aus den Jahren 1957 bzw. 1960 zeigen zwar immer noch das enorme Talent des Komponisten, dennoch mangelt es ihnen im Unterschied zu den anderen Kompositionen an Tiefe. Schostakowitsch selbst scheint mit diesen Werken nicht so viele Emotionen verbunden zu haben.

Im letzten Jahrzehnt seines Lebens komponierte Schostakowitsch, von Zweifeln und Depressionen heimgesucht, seine letzten drei Symphonien und seine letzten Quartette. Sie sind sämtlich Meisterwerke. Die Dreizehnte Symphonie mit dem Titel "Babi Yar" stützt sich auf die Gedichte von Jewgeni Jewtuschenko, die den Antisemitismus verurteilen. Die Vierzehnte Symphonie, die ebenfalls für Vokalsolisten geschrieben wurde, ist dem britischen Komponisten Benjamin Britten gewidmet und stützt sich auf Gedichte von Federico Garcia Lorca, Guillaume Apollinaire und Rainer Maria Rilke zum Thema des verfrühten Todes. Die Fünfzehnte und letzte Symphonie gehört zu den bewegendsten und zugleich mystischsten Kompositionen Schostakowitschs. Sie beinhaltet nicht nur musikalische Zitate von Giaccomo Rossini und Richard Wagner, sondern auch autobiographische Gesten, so zum Beispiel das Motto DSCH (in Form der Noten D-E-H-B entsprechend der Abkürzung des Namen des Komponisten).

Die 50 Jahre kompositorischer Arbeit zwischen der Ersten Symphonie und seinen letzten Arbeiten, darunter das Fünfzehnte Streichquartett (1974) und die Violinsonate (1975) sind, was Umfang und Qualität der Arbeit angeht, unvergleichbar mit dem Werk aller anderen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Schostakowitsch, die Person, duckte sich vor dem Stalinismus. Ohne politische Perspektive war dies nicht verwunderlich. Aber er kapitulierte weder vor der Doktrin des sozialistischen Realismus, noch ließ er sich durch Verzweiflung von seinem Publikum abwenden. Er drückte die enormen Widersprüche seiner Zeit aus und schrieb Musik, die unvergänglich bleiben wird

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