Die radikale Linke in Frankreich

Teil 5 - Die Pablisten und die Regierung Lula

Die Rolle, welche die brasilianische Schwesterorganisation der LCR beim Zustandekommen der Regierung von Luiz Inácio "Lula" da Silva gespielt hat und bei ihrer Verteidigung weiterhin spielt, ist ein Lehrstück über die Konsequenzen pablistischer Politik. Democracia Socialista, wie sich die brasilianische Sektion des Vereinigten Sekretariats nennt, arbeitet als Tendenz innerhalb der Arbeiterpartei (PT), die das 175-Millionen-Land in einer Koalition mit bürgerlichen Parteien regiert, seit Lula im Oktober 2002 die Präsidentenwahl gewann.

Die brasilianischen Pablisten hatten sich der PT bereits 1980, zum Zeitpunkt ihrer Gründung angeschlossen. Das Vereinigte Sekretariat betonte damals ausdrücklich, dass es sich dabei nicht um eine Form des Entrismus handle. Es sei die Aufgabe seiner brasilianischen Mitglieder, "sich uneingeschränkt der PT anzuschließen, um sie aufzubauen und nicht um Entrismus zu betreiben, wie in einer reformistischen Partei, um im Feuer der Praxis an der Ausarbeitung ihres Programms mitzuarbeiten und nicht, um sie gewaltsam zu zwingen, ein vorfabriziertes Programm hinunterzuschlucken", schrieb das französischsprachige Organ des Vereinigten Sekretariats im Dezember 1980. (1)

Unter Entrismus verstehen Marxisten die Arbeit innerhalb einer anderen Organisation, ohne dass sie deshalb ihr eigenes Programm oder ihre Organisationsstruktur aufgeben. So hatte Trotzki 1934 seinen Gesinnungsgenossen in Frankreich vorgeschlagen, in die SFIO, die französische Sektion der Zweiten Internationale einzutreten, in der sich ein linker Flügel herausbildete. Er hegte keinerlei Illusionen über den politischen Charakter der Sozialdemokratie, sondern es ging ihm darum, den politischen Gärungsprozess innerhalb der Partei zu beeinflussen und zur Stärkung der eigenen Kräfte zu nutzen. Als sich die Führung der Partei ein Jahr später scharf nach rechts wandte und gegen den linken Flügel vorging, zögerte er nicht, der Sozialdemokratie wieder den Rücken zu kehren.

Die PT war in der Folge massiver Arbeitskämpfe entstanden, die Ende der siebziger Jahre Brasilien erschütterten, nachdem die Arbeiterklasse aufgrund ausländischer Investitionen unter der 1964 errichteten Militärdiktatur stark angewachsen war. Ihr charismatischer Führer Lula hatte an der Spitze des Gewerkschaftsbundes CUT gestanden. Die politische Orientierung der PT war eindeutig reformistisch. Ihr Ziel war nicht der Sturz des brasilianischen Kapitalismus, was angesichts seiner engen Verflechtung mit der Weltwirtschaft eine internationale sozialistische Perspektive erfordert hätte, sondern die Lockerung seiner Abhängigkeit vom US-Imperialismus, verbunden mit Reformmaßnahmen im nationalen Rahmen. Diese Perspektive musste zwangsläufig mit der zunehmenden Globalisierung der Weltwirtschaft in Konflikt geraten.

Angesichts der Entstehungsgeschichte der PT sprach vieles dafür, in ihren Reihen eine entristische Arbeit zu entwickeln. Die Aufgabe von Marxisten hätte darin bestanden, die revolutionären Elemente zu sammeln und all jenen den politischen Kampf anzusagen, die die PT benutzen wollten, um die Arbeiterklasse mit den bürgerlichen Institutionen zu versöhnen - was dann tatsächlich ihre Rolle sein sollte. Das Vereinigte Sekretariat dagegen erklärte in typisch pablistischer Manier, der Ursprung der PT selbst biete die Garantie dafür, dass sie sich in eine revolutionäre Richtung entwickeln werde. Die PT sei der "direkte Ausdruck der Mobilisierung für eine unabhängige Klassenorganisation", schrieb es, und behauptete: "Unabhängig davon, was die anfängliche Orientierung einer derartigen Arbeitermassenpartei ist, schafft schon ihre bloße Existenz eine Dynamik, die sich schwer auf eine Klassenkollaboration beschränken lässt." (2)

In den folgenden beiden Jahrzehnten arbeiteten die Pablisten als loyale Mitglieder der PT und stiegen nicht nur innerhalb der Partei, sondern auch im Staatsapparat in hohe Ämter auf. Raul Pont und João Verle wurden nacheinander Bürgermeister von Porto Alegre, Walter Pinheiro stellvertretender Vorsitzender der PT-Fraktion im Bundesparlament und Miguel Rossetto Minister für Agrarreform in der Regierung Lula. Das bekannteste DS-Mitglied, Heloísa Helena, war Sprecherin der PT-Fraktion im Senat und Mitglied des Parteirats und Parteivorstands der PT. 1992 war sie zur stellvertretenden Bürgermeisterin von Macéio und anschließend zur Landtagsabgeordneten in Alagoas gewählt worden. 1998 zog sie mit einem Ergebnis von 56 Prozent für das Bundesland Alagoas in den Senat ein. Sie wurde im Dezember 2003 aus der PT ausgeschlossen (wir werden darauf zurückkommen).

Die Regierungstätigkeit der PT auf kommunaler und regionaler Ebene bot der herrschenden Elite Brasiliens ausreichend Gelegenheit, sich zu vergewissern, dass von dieser Partei keine revolutionäre Gefahr drohte.

Die PT an der Regierung

Am 27. Oktober 2002 wurde Lula schließlich im dritten Anlauf mit 61 Prozent der abgegebenen Stimmen zum Präsidenten gewählt. Er wurde dabei von Teilen der herrschenden Elite unterstützt, nachdem er mit der rechten Liberalen Partei und einem Flügel der Demokratischen Partei (PMBD) ein Wahlbündnis geschlossen hatte. Lulas Vizepräsidentschaftskandidat war José Alencar, ein Textilmagnat und Führer der Liberalen, was den Anspruch der PT, sie stehe für einen Bruch mit dem Neoliberalismus, ad absurdum führte.

Lula besetzte die wirtschaftspolitischen Schlüsselstellen umgehend mit Vertrauensleuten des Kapitals. Zum Chef der Zentralbank ernannte er Henrique Meirelles, einen Parteigänger seines verhassten Vorgängers Henrique Cardoso. Das Finanzressort übernahm Antonio Palocci, der sich als Bürgermeister von Riberao Prato durch die Privatisierung öffentlicher Dienste und als überzeugter Marktliberaler einen Namen gemacht hatte. Seine Koalitionsregierung verpflichtete sich, alle Vorgaben des Internationalen Währungsfonds zu erfüllen.

Die DS feierte den Wahlerfolg der PT dennoch als "Sieg des Volkes und schwere Niederlage für den Neoliberalismus", wobei sie einräumen musste, dass der Sieg "durch die Bündnisse mit Teilen der Rechten und die Verpflichtung zur Kontinuität in wesentlichen Fragen der Wirtschaftspolitik" eingeschränkt sei. Das hinderte sie aber nicht daran, volle Verantwortung für die Regierung zu übernehmen und sich selbst daran zu beteiligen. Sie verkündete: "Die demokratische Volksbewegung geht in eine von jedem Gesichtspunkt offene und entscheidende Erfahrung für unsere Zukunft. Die demokratisch sozialistische Tendenz der PT betrachtet sich als integraler Bestandteil dieses Prozesses und teilt alle Herausforderungen, die sich der PT und der brasilianischen Linken stellen". (3) Die DS willigte ein, dass ihr Mitglied Miguel Rossetto in der Koalitionsregierung das Ministerium für Landreform übernahm.

International Viewpoint, das englischsprachige Organ des Vereinigten Sekretariats, rechtfertigte dies damit, dass die DS eine bedeutsame Strömung innerhalb der Partei darstelle und beim letzten Kongress 17,5 Prozent der Stimmen für ihren Präsidentschaftskandidaten Raul Pont erhalten habe. "Angesichts dieser Umstände und der inklusiven Traditionen der PT sah sich Lula verpflichtet, ihre Regierungsbeteiligung vorzuschlagen. Hätte sie sich geweigert, wäre dies in der Partei und besonders unter den Millionen Wählern als Ausweichen vor der Verantwortung in der Hoffnung auf eine wirkliche Veränderung gesehen worden. Sie war daher der Ansicht - eine Entscheidung, die besonders unter der Linken außerhalb Brasiliens viel Diskussionen ausgelöst hat -, dass DS-Mitglied Miguel Rossetto als Minister für Agrarreform versuchen solle, eine Agrarreform durchzuführen - eine brennende Frage in einem Land mit besonders ungleichmäßiger Landverteilung - und dass dies zur Selbstorganisation der Landarbeiter beitragen könne." (4)

Mit anderen Worten, nachdem die Pablisten die PT zwanzig Jahre lang kritiklos unterstützt und unter den Wählern die illusionäre "Hoffnung auf eine wirkliche Veränderung" geschürt hatten, sahen sie sich jetzt verpflichtet, mit ihr die bürgerlichen Regierungsgeschäfte zu führen - obwohl an der tatsächlichen politischen Orientierung der Koalitionsregierung kaum mehr Zweifel bestehen konnten. Alles andere hätte die Millionen Wähler, die von der DS getäuscht worden waren, irritiert.

Die Zeit, in der die PT ihren bürgerlichen Charakter hinter linken Phrasen verstecken konnte, war mit der Übernahme der nationalen Regierungsverantwortung endgültig vorbei. Es dauerte nicht lange, und ihr rechter Kurs trat offen zutage. Ein Parteifreund von Miguel Rossetto hat dies anschaulich geschildert. Ernesto Herrera, ein Führungsmitglied der pablistischen Internationale aus Uruguay, zog acht Monate nach Lulas Regierungsübernahme folgende verheerende Bilanz:

"Am 1. Januar versprach Präsident Lula ‘die Einlösung der Jahrhunderte alten sozialen Schuld dieses Landes' und damit anzufangen das ‘verfluchte Erbe', das von Fernando Enrique Cardóso und seinen neoliberalen Nachfolgern in der Regierung hinterlassen worden war, zu überwinden. Davon ist kein Schimmer zu sehen. Im Gegenteil, der Wechsel machte der um so unverhohleneren Kontinuität Platz. Die Regierung Lula akzeptierte schließlich die Spielregeln des transnationalen Kapitals. Sie einigte sich mit den Gremien des IWF, der Bankiers und der Hauptaktionäre der privatisierten staatlichen Einrichtungen. Sie führte die ‘Reform' der Renten (Sozialversicherung) durch, zugunsten der privaten Pensionsversicherungen und sie bringt die andere ‘Reform' auf den Weg, die von Washington gefordert wird: die der Steuern.

Dem neoliberalen Fahrplan folgend, bereitet sie die Flexibilisierung der Arbeitsgesetzgebung vor (gefordert von den Arbeitgebern und vom IWF), vergrößert den öffentlichen Schuldenberg im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt und lässt die ‘Autonomie' einer Zentralbank zu, die in Wahrheit die Zweigstelle der Nordamerikanischen FED ist. Alles bleibt gleich... oder wird schlechter. Die Arbeitslosigkeit liegt in den Großstädten bei 20%. In den letzten 12 Monaten fiel das durchschnittliche Familieneinkommen um 16%, seit Januar verloren die Gehälter fast 10% an Kaufkraft und mehr als 50% der Beschäftigten haben keine soziale Absicherung. [...] Das Budget für 2004, das dem Parlament vorgelegt wurde, reduziert alle Haushaltsansätze für die Sozialpolitik - nur der für die Schuldenzahlung bleibt unberührt." (5)

Herrera gelangte zum Schluss: "Die herrschende Fraktion der PT verwandelte sich in eine Stütze der bürgerlichen Ordnung".

Die Rolle seiner Genossen von der DS unterschied sich allerdings kaum von derjenigen der "herrschenden Fraktion". Bereits im Juni hatte die DS bei den Funktionärswahlen im Gewerkschaftsverband CUT die offizielle Liste Lulas gegen eine oppositionelle linke Liste unterstützt. Als das Parlament dann am 5. August unter heftigen Demonstrationen und Protesten eine Rentenreform verabschiedete, stimmte die Mehrheit der DS-Abgeordneten dafür. Lediglich zwei, darunter Heloísa Helena, votierten mit Nein.

Die Arbeit des pablistischen Ministers für Agrarreform entsprach dem allgemeinen Kurs der Regierung. Bei seinem Amtsantritt hatte Miguel Rossetto noch erklärt, dass schätzungsweise vier Millionen Menschen Land bräuchten, und versprochen, im ersten Amtsjahr Land an 60.000 Bauern Land zu verteilen. Er konnte sich dabei auf eine Reglung stützen, die bereits 1988 in der Verfassung verankert worden war und die es ermöglichte, nicht genutztes Privatland (laut Schätzung der Kirche rund ein Viertel des kultivierbaren Landes) zu enteignen und an landlose Bauern zu verteilen. Nach einem Jahr hatten nur 10.000 Bauern Land erhalten; das waren weniger als im letzten Amtsjahr der konservativen Vorgängerregierung.

Während die Landvergabe unter Rossetto zurückging, verdoppelte sich die Zahl der "illegalen" Landbesetzungen und ebenso die Zahl der Landarbeiter, die im Auftrag der Großgrundbesitzer durch gedungene Mörder umgebracht wurden. Nach Angaben der Landkommission waren es 60 gegenüber 30 im Vorjahr. In diesem Klassenkrieg auf dem Lande nahm Rossetto die Pose des neutralen Schiedsrichters ein. In einem Interview mit der Zeitung O Estado erklärte er im vergangenen Sommer: "Wir dulden keine gewaltsame Demonstration oder Aktion, von welcher Seite auch immer - ob von den landlosen Bauern oder den bewaffneten Milizen der Großgrundbesitzer." Gleichzeitig willigte er unter dem Druck der Landbesitzer ein, den Chef der Regierungsagentur für Landreform Marcelo Resende abzusetzen, weil dieser den landlosen Bauern zu nahe gestanden hatte.

Auch in den Städten formierte sich der Widerstand gegen den rechten Kurs der Regierung, wie Ernesto Herrera in dem bereits zitierten Artikel darlegt: "Zehntausende der Kämpfer in den sozialen Auseinandersetzungen und von den oppositionellen Mitgliedern weigern sich, sich zum Komplizen machen zu lassen. Sie zeigen ihren Unwillen und sie rebellieren gegen das, was sie für die bedingungslose Kapitulation der Regierung Lula und der PT halten. Flugblätter und Plakate, Massenkundgebungen, Gewerkschaftsversammlungen, Studentenkongresse, Seminare und öffentliche Diskussionen in verschiedenen Städten werfen der Regierung bereits ‚Verrat' vor. [...] Der Honigmond der bewusstesten und politisiertesten Teile der Volksbewegung mit der Regierung neigt sich seinem Ende zu. Es beginnt eine Phase der Instabilität, der schnell zunehmenden Erfahrungen und der Konfrontation mit dem herrschenden politischen System."

All das beeinträchtigte die Nibelungentreue nicht, mit der die brasilianischen Pablisten der DS die PT unterstützten.

Der Ausschluss von Heloísa Helena

Schließlich ergriff die Führung der PT die Offensive und ging gegen den linken Flügel der Partei vor. Am 14. Dezember 2003 schloss der Parteirat vier führende Vertreter linker Strömungen wegen wiederholten "Disziplinbruchs" aus - den Abgeordneten João Batista Olivera de Araújo, genannt Babá, von der Sozialistische Arbeiterströmung (CST), den Abgeordneten Luciano Genro von der Linkssozialistischen Bewegung (MES), den Abgeordneten João Fontes, der keiner Tendenz angehört, aber zusammen mit Babá und Genro zum Widerstand gegen die Regierungspolitik aufgerufen hatte, und die Senatorin Heloísa Helena von der DS, der ihr Votum gegen das Rentengesetz zum Verhängnis wurde.

Die DS reagierte empört. In einer offiziellen Verlautbarung erklärte sie: "Diese Ausschlüsse sind ein harter Schlag gegen das, was die PT als sozialistische und demokratische Partei repräsentiert. Sie haben eine enorme Schwächung und Zerrüttung der Beziehungen der PT zu linken AktivistInnen in aller Welt zur Folge." Doch im folgenden Satz bestätigte sie ihre Loyalität gegenüber der PT: "Die DS bekräftigt gemäß den Beschlüssen ihrer letzten Konferenz die zentrale Wichtigkeit des Kampfes innerhalb der PT um die Rückgewinnung einer sozialistischen und demokratischen Orientierung." (6) Miguel Rossetto verharrte in seinem Ministeramt.

Das Verhalten der DS fand weltweit Zustimmung in der pablistischen Presse. In Deutschland kommentierte Hermann Dierkes, der für die offene Liste der PDS im Duisburger Rathaus sitzt: "Die Strömung DS und weitere Parteilinke halten es dagegen für verfrüht, die PT insgesamt aufzugeben. Sie orientieren statt dessen auf eine grundlegende Auseinandersetzung innerhalb der bisher weitgehend demokratischen und pluralistischen Linkspartei, in der immer noch Zehntausende engagierte Menschen aktiv sind und auf ein besseres, sozialistisches Brasilien hoffen." (7)

Im englischsprachigen Organ der Pablisten, International Viewpoint, hatte ein führender Vertreter der DS, der Universitätslehrer für Wirtschaft João Machado, bereits vor dem Ausschluss Helenas ausführlich begründet, weshalb die DS entschlossen sei, unter allen Umständen an der PT festzuhalten. Der Artikel ist ein klassisches Beispiel pablistischer Augenwischerei. Mit vielen "einerseits, andererseits" und Adjektiven wie "widersprüchlich" und "dialektisch" rechtfertigt er das Abgleiten in immer krassere Formen des Opportunismus. (8)

Nach neun Monaten im Amt habe die Regierung Lula "ihren widersprüchlichen und in vieler Hinsicht überraschenden Charakter bestätigt", schreibt der Autor und bezeichnet es als "größte Überraschung", dass die Wirtschaftspolitik "große Kontinuität zu derjenigen der Vorgängerregierung aufweist". "Andererseits", fährt er fort, "hat die Regierung Lula auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen, der Agrarreform und anderer Sektoren Übereinstimmung mit dem historischen Programm der PT gewahrt." "Die großen bestehenden Widersprüche", folgert er, "machen es schwer, eine endgültige Bilanz zu ziehen".

In diesem Stil geht es weiter. Machado bezeichnet den Wahlerfolg Lulas einerseits als "Wahlniederlage des Neoliberalismus" und als "Sieg für die Gewerkschafts- und Volksbewegung", deren "Möglichkeiten zur Organisation und Mobilisierung" der Wahlsieg erneuert habe. "Andererseits hat er zum Weiterbestehen und zur Vertiefung widriger sozialer und wirtschaftlicher Bedingungen für die Bewegung geführt, insbesondere der Arbeitslosigkeit."

"Eine Phase der Erwartungen in die Regierung", schreibt er dann, gehe nun in eine Phase der Kritik über. Sie habe "Vereinigungs- und Mobilisierungsprozesse zum Inhalt, die das Ziel verfolgen, die Regierung unter Druck zu setzen und ihren Entscheidungen entgegenzutreten". Es sei "eine wichtige Politisierung der sozialen Bewegungen im Gange, die die Neudefinierung ihrer Rolle in bezug auf die Regierung zur Achse hat". Die "wichtigste Aufgabe der brasilianischen Linken" bestehe darin, "diesen Prozess dahingehend zu entwickeln, dass die sozialen Bewegungen grundlegende Subjekte im Orientierungskonflikt von Gesellschaft und Regierung werden".

Doch wer nun gedacht hätte, Machdao trete für eine Offensive gegen die Regierung und eine unabhängige politische Orientierung ein, sieht sich getäuscht. Nach mehreren Seiten weiteren "einerseits - andererseits" wendet er sich vehement gegen einen Bruch mit der PT. Er begründet dies mit den "tiefen Wurzeln" der Partei.

"Die Regierung erschöpft die Möglichkeiten der Partei nicht", schreibt er. "Die Wurzeln der Bewegung, welche die PT über 23 Jahre hinweg aufgebaut hat, sind tief und sie liegen in der Arbeiterklasse und im Volk. Die Geschichte des Aufbaus der PT ist eine Geschichte des sozialen, politischen und kulturellen Kampfs in der brasilianischen Gesellschaft, und auch eine Geschichte interner Auseinandersetzungen. Es gibt starke Argumente dafür, sich für eine Fortsetzung dieses Prozesses zu entscheiden." Es sei falsch, "ausgehend von der Orientierung der Regierung während der ersten neun Monate zu folgern, das Spiel sei aus, als ob der eingeschlagene Weg auf homogene Weise die gesamte Bewegung zum Ausdruck brächte und ihre gesamte Zukunft erkennen ließe; als ob es keine Widersprüche und keine Kräfte gäbe, die sich ihnen entsprechend bewegen."

Schließlich verurteilt er ausdrücklich diejenigen, die die PT verlassen: "Der hastige Austritt kleiner Splitter der PT, die sich der PSTU [einer morenistschen Gruppe, die außerhalb der PT steht] anschließen, würde keine Alternative darstellen - diese Möglichkeit entspräche der historischen Bedeutung der PT seit ihrer Gründung nicht im geringsten. [...] Der Kampf für die PT als sozialistische und demokratische Partei ist nicht entschieden."

Marchados Verweis auf die Widersprüche und historischen Wurzeln der PT blendet die entscheidende Frage aus - die Frage nach ihrem Programm und ihrer gesellschaftlichen Funktion. Mit demselben Hinweis könnte man das Festklammern an jeder, noch so bankrotten reformistischen Organisation - zum Beispiel der deutschen SPD oder der französischen PCF - rechtfertigen, die auch über tiefe historische Wurzeln und innere Widersprüche verfügen. Maßgeblich für ihren Kurs sind aber nicht die historischen Wurzeln, sondern die politische und soziale Orientierung.

Machado ignoriert einfach, dass die PT an der Regierung ein Programm verwirklicht, das die volle Unterstützung des IWF und maßgeblicher Teile der brasilianischen Bourgeoisie besitzt. Gerade die "historischen Wurzeln" der PT - d.h. die Tatsache, dass sie das Vertrauen von Teilen der Arbeiterklasse genießt - macht sie für die Bourgeoisie so wertvoll. Die PT kann Maßnahmen durchführen, die die Bourgeoisie in einer offenen Konfrontation mit der Arbeiterklasse gegenwärtig nicht durchsetzen könnte. Die Auseinandersetzung um die Rentenreform vom vergangenen Sommer hat das exemplarisch gezeigt. Nahezu identische Reformvorschläge waren unter konservativen Regierungen immer wieder am Widerstand der Bevölkerung gescheitert.

Was die von Machado beschworenen inneren "Widersprüche" der PT betrifft, so hat die Parteiführung unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass sie unter keinen Umständen dem Druck der Basis nachgeben wird. Mit dem Ausschluss von Heloísa Helena und der anderen Linken hat sie ein Exempel statuiert. Sie trennt sich lieber von populären Mitgliedern, als auf den wachsenden Druck von unten zu reagieren. Die Logik ihres bürgerlichen Programms treibt sie immer tiefer in die Arme der Reaktion, ungeachtet der Unzufriedenheit in den eigenen Reihen. Wenige Monate Regierungstätigkeit haben genügt, um ihren wirklichen Charakter bloß zu stellen.

Während sich Wähler und Mitglieder enttäuscht abwenden, sind Machado und die DS entschlossen, mit der PT bis zum bitteren Ende gehen. Ihre Beschwörung der "tiefen Wurzeln" und inneren "Widersprüche" dient dazu, den Arbeitern Sand in die Augen zu streuen und sie vom notwendigen Bruch mit einer Partei abzuhalten, die sich als politische Falle entpuppt hat. Dabei handeln sie nicht frei von Eigeninteresse, schließlich wäre ein Bruch mit der PT mit dem Verlust einträglicher und prestigeträchtiger Posten im Partei- und Staatsapparat verbunden.

Das Beispiel Brasiliens zeigt anschaulich, wohin die pablistische Politik führt. In über zwanzig Jahren intensiver Arbeit haben sich die Pablisten in Brasilien am Aufbau eines Frankenstein-Monsters beteiligt, das der Arbeiterklasse nun in den Rücken fällt. Die "antikapitalistische Linke", welche die LCR aufbauen will, würde in Frankreich eine ähnliche Rolle spielen.

----------

Anmerkungen

1) Daniel Jebrac, « Les portes étroites de la ‘libéralisation' et la construction du PT », Inprecor, n° 91, 15 décembre 1980

2) « XIe Congrès mondial de la IVe Internationale - novembre 1979 », Inprecor, numéro spécial

3) "Brazil: A popular victory", Resolution of the National Coordination of the Socialist Democracy tendency of the PT, International Viewpoint 346, December 2002/January 2003 (http://www.3bh.org.uk/IV/Issues/2002/IV346/IV346%2006.htm)

4) "Brazil: another economic model is possible", International Viewpoint 349, May 2003 (http://www.3bh.org.uk/IV/Issues/2003/IV349/IV349%2005.htm)

5) Ernesto Herrera, "Dilemma in der PT-Linken...", Inprekorr Nr. 384/385 (http://www.inprekorr.de/384-bras.htm)

6) "Erklärung der Tendenz ‚Sozialistische Demokratie' in der PT", 15. Dezember 2003, (http://www.die-welt-ist-keine-ware.de/isl/ds_heloisa.htm)

7) Antonio Andrioli, Hermann Dierkes, "Nach den Ausschlüssen der ParlamentarierInnen. Regierung Lula und PT vor entscheidendem Jahr" (http://www.die-welt-ist-keine-ware.de/isl/brasiliennachrichten.htm)

8) João Machado, "Brazil: nine months of Lula's government", International Viewpoint November 2003 (http://www.3bh.org.uk/IV/Issues/2003/IV354/IV354%2008.htm)

Siehe auch:
Teil 1 - Das Wahlbündnis von LO und LCR
(6. April 2004)
Teil 2 - Die Sammlung der "antikapitalistischen Linken" durch die LCR
( 7. April 2004)
Teil 3 - Der 15. Weltkongress der pablistischen Internationale
( 8. April 2004)
Teil 4 - Die Wurzeln des Pablismus, ein historischer Rückblick
( 11. April 2004)
Loading