Abschiebedrohungen und Hetze gegen syrische Geflüchtete in Deutschland und Europa

Kaum hatten die islamistischen Milizen Damaskus erreicht und das Assad-Regime gestürzt, begann bereits das Trommelfeuer gegen syrische Geflüchtete. Politiker und Journalisten fordern ihre schnelle Abschiebung ins kriegszerrüttete Syrien und verherrlichen die Islamisten der HTS-Miliz, die jetzt die Macht übernommen haben.

Ein syrischer Flüchtling bei der Arbeit in einem syrischen Restaurant in Berlin am 10. Dezember 2024 [AP Photo/Ebrahim Noroozi]

Behörden in Deutschland und zahlreichen anderen europäischen Ländern stoppten bis auf Weiteres die Verfahren syrischer Asylbewerber – darunter Österreich, Großbritannien, Italien, Norwegen, Schweden, Dänemark, Kroatien, Griechenland, Finnland, Polen, die Niederlande und die Schweiz.

Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011, der mit Unterstützung der Nato-Mächte angezettelt worden war, sind Hunderttausende Menschen geflohen, um Schutz in Europa zu suchen. Aber nur wer die gefährlichen Fluchtrouten überlebte und nicht in illegalen „Pushbacks“ zurückdeportiert wurde, schaffte es überhaupt in die Europäische Union (EU).

Heute leben in Deutschland fast eine Million syrische Geflüchtete – die größte syrische Diaspora in der EU. Über 47.000 Asylanträge wurden nun ausgesetzt. Das bedeutet, dass ihr Schutzstatus aufgehoben werden könnte und sie in akuter Gefahr sind, abgeschoben oder zur „freiwilligen“ Rückkehr gezwungen zu werden.

Viele Syrerinnen und Syrer leben bereits seit Jahren hier, haben Familien gegründet, die Sprache gelernt und arbeiten in allen Bereichen der Gesellschaft, ob Produktion, Gesundheitswesen oder Gastronomie.

Laut einer aktuellen Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts vom 12. Dezember bildeten syrische Geflüchtete im Jahr 2023 nach den Ukrainern die zweitgrößte Gruppe aller Schutzsuchenden. Im Schnitt leben syrische Migranten schon seit acht Jahren in Deutschland; die meisten kamen mit der Fluchtwelle von 2015.

Würden syrische Menschen im großen Stil abgeschoben oder durch rechtsextreme Hetze aus Deutschland vertrieben, wäre das ein großer Schlag für viele gesellschaftliche Bereiche, allen voran für das Gesundheitswesen. Fast 6000 von ihnen sind Ärzte und damit laut der Süddeutschen Zeitung die größte migrantische Gruppe unter den Medizinern. Gerade Kliniken auf dem Land sind auf zugewanderte Ärzte und Pflegekräfte angewiesen. Der Leiter der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, warnte bereits vor spürbaren Folgen für die Personaldecke.

Vor einer Abschiebung wären auch Kinder nicht sicher, die in Deutschland geboren wurden. Während in den USA für alle Menschen unabhängig von der Herkunft ihrer Eltern das Geburtsrecht auf Staatsbürgerschaft gilt, das Donald Trump jetzt abschaffen will, herrscht in Deutschland nur ein eingeschränktes Geburtsortsprinzip. Nach den offiziellen Vorgaben „muss mindestens ein Elternteil seit fünf Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben und zum Zeitpunkt der Geburt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzen“.

Ein großer Teil der syrischen Einwanderer erfüllt diese Kriterien nicht. Rund 624.000 erhielten in Deutschland zwar einen anerkannten Schutzstatus, der aber in 90 Prozent der Fälle nur befristet ist. Laut dem Statistischen Bundesamt sind 12 Prozent der syrischen Schutzsuchenden in Deutschland geboren. Als „Schutzsuchende“ sind sie dennoch Ausländer, auch wenn viele von ihnen wahrscheinlich nie syrischen Boden betreten haben.

Österreich hat nicht nur die Asylverfahren auf Eis gelegt, sondern auch ein „Rückführungs- und Abschiebe-Programm nach Syrien“ angekündigt. Bundeskanzler Karl Nehammer behauptete im ARD-Interview, der eigentliche Fluchtgrund sei jetzt beendet worden. Rund 7300 Asylsuchende sind nun von einer Abschiebung bedroht; auch der Familiennachzug wurde vorerst gestoppt. Insgesamt leben rund 100.000 Syrer in Österreich.

In Frankreich, wo 45.000 syrische Flüchtlinge leben, hat das Innenministerium bisher erklärt, es arbeite an einer Aussetzung der Asylverfahren. Frankreich ist für viele Flüchtlinge auch ein Durchreiseland nach Großbritannien. Laut einem Bericht der Tagesschau sind in diesem Jahr zwischen Januar und September fast 2900 Syrer auf kleinen Booten über den Ärmelkanal geflohen. Über 30.000 Menschen aus Syrien haben hier zwischen 2011 und 2021 Asyl erhalten.

Doch Großbritannien hat die Bearbeitung von Asylanträgen bereits gestoppt. Gegenüber der BBC erklärten Asylbewerber, die seit mehr als einem Jahr auf eine Entscheidung warten, sie seien „deprimiert“ und „entsetzt“, dass ihre Verfahren ausgesetzt wurden. Einer von ihnen ist der 36-jährige Familienvater Hussam Kassas, der in Greater Manchester lebt. Er war 2016 aufgrund von politischer Verfolgung aus Syrien nach Jordanien geflohen und von dort in die Türkei, wo er 2023 ein Studienvisum für Großbritannien erhielt. Doch das läuft im nächsten Monat aus, so dass er danach weder arbeiten noch eine Wohnung mieten kann. Die Lage seiner Familie sei ungewiss.

Auch viele syrische Menschen in Deutschland wollen nicht zurück nach Syrien ziehen, weil sie dort Unsicherheit und Gewalt befürchten. „Niemand weiß, wer als Nächstes an die Macht kommt. Niemand weiß, was jetzt noch kommen wird“, so der kurdische Syrer Jihad Omar gegenüber der FAZ. Er war mit seiner Frau Zahida und zwei kleinen Kindern 2015 zu Fuß, per Bus und Bahn über die Türkei nach Deutschland geflüchtet. Sechs Monate harrten sie in Flüchtlingslagern aus. Jetzt sind beide berufstätig, haben Deutsch gelernt, die Kinder gehen zur Schule und in Sportvereine. Trotzdem gehört die Familie noch nicht zu den 143.000 Syrern, die in den Jahren 2021 bis 2023 in Deutschland eingebürgert wurden.

Der 31-jährige Khaled Homsi, der 2013 nach Deutschland floh und Mitglied im Deutsch-Arabischen Kulturhaus Daruna ist, sorgt sich um rechtsextreme Strömungen. Er habe in der deutschen Bevölkerung viel Unterstützung erhalten, aber die politische Lage in Deutschland gehe in die „falsche Richtung“.

Die Bundestagsparteien machen jetzt Wahlkampf auf dem Rücken der Geflüchteten. Syrer und andere Migranten sollen als Sündenbock für gesellschaftliche Probleme herhalten, die in Wirklichkeit durch Sozialkürzungen und die Erhöhung der Militärausgaben geschaffen werden.

Die menschenverachtende und zynische Kampagne für Abschiebungen syrischer Geflüchteter geht Hand in Hand mit der Militarisierung und Aufrüstung. Die Propaganda für Kriegspolitik und die Hetze gegen ihre Opfer sind zwei Seiten derselben Medaille.

Zuletzt haben Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im Boulevard-Blatt Bild am Sonntag angekündigt, sie würden „Assad-Unterstützer“, die aus Syrien fliehen, juristisch verfolgen lassen. Das ist eine klare Drohung: Jeder, der in Zukunft vor den islamistischen Machthabern und der andauernden Kriegsgewalt in Syrien flieht, soll als „Assad-Unterstützer“ gebrandmarkt, vor Gericht gestellt und abgeschoben werden.

Alle europäischen Regierungen stimmen in den ausländerfeindlichen Chor ein und haben ähnliche Angriffe auf syrische Flüchtlinge umgesetzt wie Deutschland. Auch Italien und Griechenland, die beiden Mittelmeerländer, über die die meisten Menschen nach Europa fliehen, haben die Asylverfahren für Syrer auf Eis gelegt.

In Griechenland betrifft das fast 10.000 Anträge. Pavlos Marinakis, der Sprecher der Regierung unter der rechten Nea Dimokratia (ND), sagte, der Machtwechsel in Syrien müsse zum „Ende des Flüchtlingsstroms aus diesem Land“ führen.

Tatsächlich werden die Gewalt der Islamisten und die Kriegsoffensive des israelischen Regimes mithilfe der Nato-Mächte noch mehr Menschen im Nahen Osten in die Flucht treiben. Wenn Marinakis vom „Ende des Flüchtlingsstroms“ spricht, dann geht es seiner Regierung und den anderen EU-Staaten darum, diese Menschen mit allen Mitteln an einer Flucht nach Europa zu hindern.

Deswegen treiben sie den Ausbau der Festung Europa voran, sperren Flüchtlinge in abgeschottete Konzentrationslager und kriminalisieren die Seenotrettung und andere Tätigkeiten von Hilfsorganisationen. Die italienische Regierung unter der Faschistin Giorgia Meloni hat die Gesetzgebung gegen Seenotretter drastisch verschärft, so dass sich „Ärzte ohne Grenzen“ nun gezwungen sieht, ihr großes Rettungsschiff „Geo Barents“ aus Italien abzuziehen.

Das Mittelmeer hat sich in den letzten 10 Jahren in einen gigantischen Friedhof verwandelt. Im Sommer 2023 sind bei der Schiffskatastrophe von Pylos, verursacht durch einen „Pushback“-Versuch der griechischen Küstenwache, mehr als 600 Menschen ertrunken. In diesem Jahr sind Zahlen der UN zufolge bereits 1536 Menschen im Mittelmeer gestorben oder werden vermisst.

Allein in den letzten drei Wochen sind vor griechischen Inseln fünf Boote in Seenot geraten und Dutzende Flüchtlinge ertrunken. Erst am Samstag ereigneten sich drei Bootsunglücke vor der kleinen Insel Gavdos südlich von Kreta. Beim größten Schiffsbruch eines überfüllten Holzboots wurden fünf Tote geborgen und 39 Menschen, vorwiegend pakistanische Männer, gerettet. Berichten zufolge, auf die Euronews verweist, könnten 80 Flüchtlinge an Bord gewesen sein, womit die Opferzahl bei über 40 liegen würde.

Die anderen beiden Boote kamen wie das erste aus Libyen. Auf dem einen wurden 47, auf dem anderen 88 Menschen gerettet. Unter den Überlebenden sind Flüchtlinge aus Ägypten, Syrien, Sudan und Bangladesch.

Bereits am 25. November starben bei einem Schiffsunglück vor der Insel Samos sechs Minderjährige und zwei Frauen, 39 wurden gerettet. Wenige Tage später, am 28. November, kenterte vor Samos erneut ein Boot. Unter den vier Toten waren zwei Kinder; 16 Menschen konnten gerettet werden.

Vor der italienischen Küste spielen sich ebenso tragische Szenen ab. Am Mittwoch vergangener Woche wurde ein elfjähriges Mädchen aus Sierra Leone im Mittelmeer gefunden. Drei Tage klammerte sie sich auf hoher See an zwei LKW-Schläuche, bis sie zehn Seemeilen vor Lampedusa zufällig gesichtet und geborgen wurde. Sie ist die einzige Überlebende des gekenterten Flüchtlingsboots, ihr Bruder hat es nicht geschafft.

„Wir sind vor drei Tagen von Sfax in Tunesien losgefahren. Wir waren 45 Leute auf dem eisernen Boot, mein Bruder war auch dabei. Mitten auf dem Meer gerieten wir in einen Sturm mit hohem Wellengang. Das Boot füllte sich mit Wasser und ging unter“, erzählte sie den Freiwilligen der Nichtregierungsorganisation CompassCollective. Die alten LKW-Schläuche seien als behelfsmäßige Rettungsringe an Bord gewesen.

„Eine Zeit lang waren wir zu dritt. Wir trieben dicht beieinander im Meer und klammerten uns an den aufgeblasenen Schläuchen fest. Wir haben gebetet und versucht, einander Mut zu geben, aber plötzlich habe ich sie nicht mehr gesehen. Ab diesem Zeitpunkt war ich allein“, so das Mädchen weiter. Ihr Vater, der in der tunesischen Küstenstadt Sfax zurückblieb, habe ihr und ihrem Bruder die Überfahrt bezahlt, damit sie eine bessere Zukunft hätten.

30.000 Tote und Vermisste im Mittelmeer in den letzten zehn Jahren – das ist die offizielle Opferzahl der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Die Eskalation von Krieg und Völkermord im Nahen Osten und die Abschottung der Festung Europa wird die Zahl der Geflüchteten, die sich auf eine tödliche Fluchtroute nach Europa begeben, weiter in die Höhe treiben.

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