Am Mittwoch stimmte eine Mehrheit von 332 der 577 Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung für einen Misstrauensantrag gegen Premierminister Michel Barnier, nachdem dieser keine Mehrheit für sein Gesetz zur Finanzierung der Sozialversicherung (PLFSS) gefunden hatte, und brachte damit seine Regierung zu Fall. Die Abgeordneten von Marine Le Pens Rassemblement National (RN) und der Neuen Volksfront (NFP) von Jean-Luc Mélenchon stimmten gegen Barnier. Macron kündigte am Mittwochabend an, er werde in Kürze einen neuen Premierminister benennen.
Für Präsident Emmanuel Macron war es eine verheerende Niederlage. Er hatte Anfang des Jahres die Nationalversammlung aufgelöst und für den 7. Juli 2024 Neuwahlen angesetzt, die jedoch zu unklaren Mehrheitsverhältnissen führten. Obwohl die NFP die meisten Stimmen erhielt, weigerte sich Macron, mit ihr eine Koalition einzugehen. Stattdessen nominierte er eine Minderheitsregierung aus seinen Anhängern unter der Führung von Barnier. Der rechtsextreme Rassemblement National (RN) versprach, Barners Politik in der Nationalversammlung zu unterstützen, doch als die Finanzmärkte der Regierung letzte Woche vorwarfen, die Kürzungspolitik gehe nicht weit genug, änderte der RN seinen Kurs.
Die Neue Volksfront (NFP) hatte Barnier seit Langem mit einem Misstrauensantrag gedroht, da er sich geweigert hatte, sie in seine Regierung aufzunehmen. Aber letztlich war es der RN, der Barnier zu Fall brachte, indem er letzte Woche ankündigte, für den Misstrauensantrag der NFP zu stimmen.
Die Barnier-Regierung ist unter Arbeitern zu Recht verhasst. Die wichtigste Aufgabe der Arbeiter ist es jetzt, nach dem Zusammenbruch der Barnier-Regierung politisch in die Offensive zu gehen. Barnier hatte einen unpopulären Haushaltsplan vorgelegt, der Ausgabenkürzungen von 60 Milliarden Euro vorsieht, die hauptsächlich bei Sozialprogrammen vorgenommen werden sollen. Gleichzeitig sollen die Ausgaben für das Militär und die Polizei erhöht werden. Außerdem drohte die Regierung mit der Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung dies ablehnt. Laut Umfragen befürworteten 52 Prozent der Bevölkerung die Absetzung Barniers, 63 Prozent auch den Rücktritt Macrons.
In der Arbeiterklasse muss eine Bewegung vorbereitet und aufgebaut werden, deren Ziel der Sturz Macron und die Beendigung seiner allgemein verhassten Politik ist. Es geht darum, die die Pläne für eine Eskalation des Nato-Kriegs gegen Russland zu stoppen, die Kürzungspolitik nach dem Muster seiner massiven Rentenkürzungen und auch Polizeigewalt und die Unterstützung für den Völkermord im Gazastreifen zu beenden. Der Kampf gegen Macron darf nicht dem französischen kapitalistischen Establishment überlassen bleiben. Der progressive Weg vorwärts führt über den Aufbau einer Bewegung der Arbeiter von unten auf der Grundlage des Klassenkampfs.
Da alle großen Nato-Mächte die Kriegsdrohungen gegen Russland verschärfen und die Finanzmärkte in ganz Europa Austeritätsmaßnahmen fordern, ist es offensichtlich, dass die Arbeiter nicht vor einem nationalen, sondern vor einem internationalen Kampf stehen. Am deutlichsten wurde dies mit der Wahl des Faschisten Donald Trump zum US-Präsidenten. Er hat Sozialkürzungen im Wert von zwei Billionen Dollar, Massenverhaftungen von Millionen Immigranten und eine Eskalation des Krieges im Nahen Osten angekündigt. Dies erfordert eine massive Ausweitung des Klassenkriegs gegen die Arbeiter.
Die bürgerliche Politik wird seit Trumps Wahlsieg weltweit rapide umgestaltet: In Europa ist erst die deutsche und jetzt die französische Regierung gefallen. In Südkorea versuchte Präsident Yoon am Dienstag das Kriegsrecht zu verhängen.
Nach Barniers Sturz bemüht sich die französische Bourgeoisie immer offener, den neofaschistischen RN ins Spiel zu bringen. So durfte Marine Le Pen am Mittwoch als erste Politikerin zur Hauptsendezeit in den Nachrichten des Fernsehsenders TF1 ein Interview geben; Macron und Mélenchon sollten erst am Donnerstagabend sprechen. Le Pen inszenierte sich als Verteidigerin der französischen Bevölkerung, Gegnerin der Rentenkürzungen und der höheren Zuzahlungen für Arzneimittel, und als Freundin des kleinen Mannes.
Vor den politischen Inszenierungen der Rivalen Macrons in der herrschenden Elite, darunter dem RN und der NFP, muss eindringlich gewarnt werden. Le Pens Kurs wird nicht von ihrer populistischen Demagogie bestimmt, sondern – wie der von Trump – von dem eskalierenden globalen Krieg und wirtschaftlichen Zusammenbruch des Weltkapitalismus. Ohne einen Kampf der Arbeiterklasse gegen Kürzungspolitik und Krieg wird die nächste Regierung Geld zur Begleichung von Frankreichs drei Billionen Euro Schulden und zur Finanzierung des eskalierenden Krieges gegen Russland in der Ukraine und dem Nahen Osten durch massive Austeritätsmaßnahmen zu Lasten der Arbeiter eintreiben.
Le Pen inszenierte sich jedoch als Freundin der Bevölkerung: „Ich glaube, wir mussten eine Wahl treffen, und wir haben uns dafür entschieden, das französische Volk zu schützen. Barnier hat drei Dinge versprochen: Steuergerechtigkeit, aber hat uns einen Haushaltsentwurf mit Steuererhöhungen von 40 Milliarden Euro gegeben. Kontrolle der öffentlichen Ausgaben, doch sein Haushalt hat das Defizit erhöht. Auch sollte der Haushalt gemeinsam mit den Oppositionsparteien ausgearbeitet werden, aber bei dem Entwurf hat er sie ignoriert. Das bedeutet, dass dieser Haushalt toxisch für die französische Bevölkerung war, und die einzige angemessene Lösung bestand darin, dass die gewählten Abgeordneten sie schützen und den Haushaltsplan ablehnen.“
Auf die Frage, ob sie den Präsidenten dazu bringen wolle, nach dem Zusammenbruch von Barniers Regierung seinen Rücktritt einzureichen, antwortete sie: „Ich werde nicht Emmanuel Macrons Rücktritt fordern. Ich sage, wenn die Zeit kommt, wenn er nicht den Weg des Respekts vor Parteien und Wahlen geht, wird der Druck auf den Präsidenten natürlich noch stärker sein. Aber es ist seine Entscheidung.“
In Wirklichkeit ist klar, dass sich in herrschenden Kreisen die Diskussionen über Macrons Absetzung mehren, da seine Unfähigkeit, einen Haushalt zu verabschieden, eine Wirtschaftskrise ausgelöst hat. Die Kosten für Frankreichs Schuldenaufnahme sind mittlerweile höher als diejenigen Griechenlands, weil die Finanzmärkte mit seinen Staatsanleihen spekulieren. Es wird zunehmend befürchtet, dass die Finanzierung des Gesundheits- und Rentensystems und der öffentliche Dienst nächstes Jahr zum Erliegen kommen werden, wenn kein Haushaltsplan verabschiedet wird.
Die Haushaltsverhandlungen werden in angespannter Atmosphäre stattfinden, da es in der Nationalversammlung keine klare Mehrheit gibt und sie nach der Auflösung im Juni laut Gesetz für ein Jahr nicht erneut aufgelöst werden darf. Der Haushaltsplan wird ohne klare Mehrheitsverhältnisse ausgehandelt werden, sodass es bei den Abstimmungen erneut zu Pattsituationen kommen könnte.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Auf die Frage von Le Monde, ob sie Macron in einem solchen Szenario zum Rücktritt drängen würde, um die Pattsituation zu beenden, antwortete Le Pen: „Wir werden uns an die normalen Abläufe der Institutionen halten. Aber wenn eine Regierung stürzt, dann die nächste, und dann die übernächste, werden wir uns der Frage stellen.“
Derweil führt der RN bereits eine Pressekampagne, die Macrons Kopf fordert. Der stellvertretende Parteivorsitzende Sébastien Chenu erklärte: „Ich denke, Emmanuel Macron würde seinem Land einen Gefallen tun, wenn er sein Amt niederlegen und eine politische Linie für Frankreich aufbauen könnte.“
Le Pens Berater, der RN-Europaabgeordnete Philippe Olivier, erklärte: „Macron ist ein diskreditierter republikanischer Monarch, der mit offenem Hemd und Schlinge um den Hals herumläuft. ... Wir werden nicht übereifrig werden. Wir werden das diskutieren, sobald die Forderung nach einem Rücktritt, die in unseren Reihen und darüber hinaus zu wachsen beginnt, massiv wird. Bis dahin muss Macron die heiße Kartoffel in die Hand nehmen und die Probleme angehen.“
Die Arbeiterklasse muss aktiv werden und selbst gegen Macron kämpfen. Der Widerstand gegen ihn darf nicht in den Händen der Reaktionäre vom RN oder der NFP bleiben, deren Programm für die Wahlen am 7. Juli reaktionäre Forderungen nach Bodentruppen in der Ukraine und mehr Mitteln für die Polizei und die Geheimdienste umfasste.
Weder NFP-Funktionäre noch die mit ihnen verbündeten Gewerkschaftsbürokratien rufen zur Mobilmachung im Kampf gegen Macron und die Neofaschisten auf. Am Mittwochabend griff die Fraktionsvorsitzende von Mélenchons Partei, Mathilde Panot, Macron kurz nach der Verabschiedung des NFP-Misstrauensantrags in vagen populistischen Worten an. Sie erklärte: „In einer Republik ist die Bevölkerung der einzige Souverän“ und verurteilte den „ehrlosen“ Versuch der Regierung, mit dem RN Deals auszuhandeln: „Die Regierung hat sich letztlich Zensur und Schande eingehandelt.“
Allerdings kann die Arbeiterklasse die Kriegs- und Austeritätspolitik und die Angriffe auf demokratische Rechte, durch die Macron und Barnier so unpopulär geworden sind, nicht beenden, solange ihre Kämpfe unter Kontrolle von Leuten wie Panot und Mélenchon bleiben. Die entscheidende Aufgabe ist der Aufbau einer sozialistischen Bewegung gegen imperialistischen Krieg und rechtsextreme Reaktion in Frankreich und überall auf der Welt.