Eine Lawine von Parteiaustritten hat die pseudolinke Partei Syriza (Koalition der radikalen Linken) erfasst, seit der bisherige Parteivorsitzende Stefanos Kasselakis am 8. November zurückgetreten ist und angekündigt hat, in Griechenland seine eigene Partei zu gründen.
Fünf Syriza-Abgeordnete traten sofort aus und Kasselakis’ neuer Partei bei. Letzte Woche schrumpfte das Zentralkomitee von Syriza um ein Drittel, nachdem 107 Anhänger von Kasselakis aus dem 300-köpfigen Gremium ausschieden.
In den kommenden Wochen werden vermutlich noch weitere Abgeordnete austreten, wodurch die Partei ihren Status als offizielle Oppositionspartei Griechenlands verlieren wird. Die sozialdemokratische PASOK wird ihren Platz einnehmen. Als dieser Artikel erschien, hatte Syriza noch 31 Abgeordnete, genauso viele wie die einst zusammengebrochene PASOK.
Syrizas Rückhalt in der Bevölkerung ist ebenfalls eingebrochen. In vielen Umfragen liegt sie jetzt auf dem fünften oder sechsten Platz, oder sogar darunter. Nach einer Umfrage von Real Polls von letzter Woche liegt sie mit 3,6 Prozent auf dem achten Platz. Für den Einzug ins Parlament braucht eine Partei mindestens drei Prozent der Stimmen. Auf dem zweiten Platz liegt PASOK mit 16,7 Prozent. Sie profitiert von Syrizas Zusammenbruch und dem Rückgang der Unterstützung für die amtierende rechte Nea Dimokratia (ND), die in den Umfragen bei 29,7 Prozent liegt.
Syriza wurde im Jahr 2015 zum ersten Mal an die Macht gebracht, weil der damalige Parteichef Alexis Tsipras ein Ende des brutalen Sparkurses versprach, welcher der griechischen Arbeiterklasse auf Geheiß der Europäischen Union (EU) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgezwungen worden war.
Dieses Mandat wurde jedoch missachtet. Der Verrat von Syriza gipfelte im Referendum vom Juli 2015, in dem die überwältigende Mehrheit der Arbeiter ein drittes Sparpaket ablehnten. Einen Monat später einigten sich Syriza und ihr Juniorpartner, die rechtsextremen Unabhängigen Griechen, auf ein noch brutaleres Sparpaket mit der EU und dem IWF. In den nächsten vier Jahren setzte Syriza weitreichendere Sparmaßnahmen um als ihre sozialdemokratischen und ND-geführten Vorgängerregierungen.
Deshalb verlor Syriza massiv an Unterstützung unter Arbeitern und Jugendlichen, was die ND stärkte. Sie besiegte Syriza in den Parlamentswahlen 2019 und erneut in den Wahlen im Juni 2023. Bei der letzten Wahl erhielt Syriza nur noch 47 Sitze – etwas mehr als die Hälfte ihrer Sitze im vorherigen Parlament.
Nach Tsipras’ Rücktritt im letzten Jahr wurde Stefanos Kasselakis im September mit 57 Prozent der Mitgliederstimmen zum Vorsitzenden gewählt. Davor war er in Griechenland unbekannt und hatte keine Verbindungen zu Syriza. Seit seinem 14. Lebensjahr lebte er in den USA, wo er nicht nur eine Reederei leitete und für Goldman Sachs arbeitete, sondern sich auch 2008 als Freiwilliger für Joe Bidens Vorwahlkampf engagierte und für die Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) arbeitete.
Den gehobenen Mittelschichten, in denen Syriza ihre Basis hat, hatte er versprochen, er werde Syriza zu einer „Sammelpartei“ nach dem Vorbild der Demokraten in den USA aufbauen. Letzten Juli schrieb Kasselakis in einer Kolumne in der konservativen Zeitung Kathimerini: „Wenn Syriza wieder an die Macht kommen will, sollte sie die US-Formel so schnell wie möglich kopieren. Man muss unmissverständlich die politische Mitte miteinbeziehen, deutlich machen, dass besonnenes Finanzmanagement nicht verhandelbar ist, und das Managementtalent des künftigen Kabinetts zur Geltung bringen.“ Die ND begrüßte Kasselakis’ Wahl. Ihr Sprecher Pavlos Marinakis lobte die „ernsthafte und glaubwürdige Opposition, Syriza ist auf einem realistischeren Weg.“
Die World Socialist Web Site schrieb über Kasselakis’ Wahl: „Jetzt, da sich der Rückhalt in der Bevölkerung, den sie vor acht Jahren hatte, in Nichts aufgelöst hat, tritt das politische Wesen der Partei zutage. Syriza hat sich von einer Partei, die den Bankern dient, in eine Partei verwandelt, die direkt von einem Banker geführt wird.“
Die WSWS stellte Kasselakis’ Wahl in den größeren geopolitischen Kontext und wies darauf hin, dass Kasselakis vor dem Hintergrund der beiden Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten mit aktiver Intervention Washingtons in die griechische Politik katapultiert wurde, um sicherzugehen, dass Athen auf der Seite der Nato bleibt.
Das erste Ergebnis von Kasselakis’ Führung war Syrizas Erklärung in Reaktion auf den Aufstand der Palästinenser in Gaza am 7. Oktober 2023, den sie verurteilte. Gleichzeitig bekundete sie ihre „Solidarität mit dem israelischen Volk“. Wenige Tage später erklärte Kasselakis bei einer Rede vor dem griechischen Industrieverband (SEV), Syriza beschreite „die nächste Etappe ihres historischen Wegs, nämlich die einer modernen Linken, die das Wort ,Kapital‘ nicht verteufelt, sondern darin ein Werkzeug zur Schaffung von Wohlstand sieht, um die enorme Ungleichheit durch starkes Wachstum zu verringern“.
Doch seine Führung wurde im Oktober 2023, nur einen Monat nach seiner Wahl, erschüttert. Die griechische Tageszeitung I Efimerida Ton Syntakton deckte in einem Recherchebericht auf, welche enorm arbeiterfeindliche Politik Kasselakis früher vertreten hatte. Die Zeitung stützte sich dabei auf Artikel, die Kasselakis zwischen 2007 und 2015 für die rechte griechisch-amerikanische Zeitung National Herald geschrieben hatte.
Er äußerte darin Zustimmung zu der Sparpolitik, die ab dem Jahr 2010 von PASOK-, ND- und Syriza-Regierungen umgesetzt wurde und schrieb: „Griechenland braucht für einige Jahre lang Reagans angebotsorientierte Wirtschaftspolitik.“
Im Februar 2012, auf dem Höhepunkt der Sparmaßnahmen, die von der Regierungskoalition aus ND, PASOK und der rechtsextremen LAOS unter Führung des nicht gewählten Bankers Loukas Papadimos umgesetzt wurde, äußerte sich Kasselakis anerkennend über die Senkung des Mindestlohns. Dies bezeichnete er als „positive Maßnahme“, die das Land „wettbewerbsfähiger macht und gleichzeitig die Kleinunternehmen lebensfähig hält“. Kasselakis beklagte, dass die Regierung nicht weit genug gehe. Über die Entlassung von 15.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Jahr 2012 schrieb er, dass dies „eine sehr geringe Zahl zu sein scheint... Meiner Meinung nach hätten sie schon längst viel mehr Leute entlassen und das Geld in Steuersenkungen investieren sollen.“
In Reaktion auf diese Enthüllungen veröffentlichte eine Fraktion innerhalb der Partei, die sich „Regeschirm“ (ombrela) nennt, eine Erklärung, in der sie „Besorgnis“ über das „kollektive Gefühl“ äußerte, „dass wir an einer Partei beteiligt sind, die zunehmend ihre Beziehung zur Linken im politischen Sinne verliert. Alles, was wir über den Charakter und die sozialen Prioritäten von Syriza wussten, ändert sich gewaltsam und einseitig.“
Die „Regenschirm“-Kräfte waren besorgt, dass Syrizas Rechtsruck sie angesichts der wachsenden Welle der Militanz unter Arbeitern und Jugendlichen zu stark kompromittieren würde. An der Spitze dieser innerparteilichen Fraktion standen politische Gauner wie Nikos Filis, Panos Skourletis und Thodoris Dritsas, die alle zwischen 2015 und 2019 zu unterschiedlichen Zeiten in Syrizas Regierung hohe Ministerposten innehatten und brutale Sparmaßnahmen umsetzten. Ende November letzten Jahres verließen elf Syriza-Abgeordnete, darunter der ehemalige Finanzminister und Führer von Regenschirm, Euklid Tsakalotos, die Partei und gründeten eine neue Partei, die „Nea Aristera“ (Neue Linke).
Bei den diesjährigen Europawahlen im Juni erhielt Syriza nur 14,7 Prozent der Stimmen – sechs Prozent weniger als bei den Parlamentswahlen im Jahr davor – und konnte nicht von der Unbeliebtheit der ND profitieren. Die ND erhielt 28,6 Prozent, verglichen mit den 42 Prozent, die ihr eine zweite Amtszeit beschert hatte.
Daraufhin stellten 100 Mitglieder des Zentralkomitees einen Misstrauensantrag gegen Kasselakis. Darin hieß es: „Wenn wir die Ursachen [der Krise der Partei] nicht direkt und entschlossen angehen, wird sie weiter in Introversion versinken und alle linken und progressiven Bürger enttäuschen.“ Der Antrag wurde angenommen, und letzten Monat wurde Kasselakis vom Zentralkomitee daran gehindert, bei der am 24. November anstehenden Wahl zum Parteivorsitzenden anzutreten. Zeitgleich tauchten neue Enthüllungen über sein Vermögen auf, darunter seine Beteiligung an Offshore-Unternehmen, was griechischen Parteivorsitzenden verboten ist. Der Kandidat für den Parteivorsitz, Pavlos Polakis, erklärte, Kasselakis hat „uns zum Narren gehalten. ... jemand, der Unternehmen auf den Marshallinseln hat, kann nicht Vorsitzender von Syriza sein.“ Das ist jedoch nur heiße Luft von jemandem, der Kasselakis unterstützt hatte.
Syrizas Niedergang ist eine Anklage gegen die pseudolinken Kräfte auf der ganzen Welt, die ihren Aufstieg zur Macht bejubelt und behauptet hatten, dies sei der Weg vorwärts für die Arbeiterklasse.
Jeremy Corbyn twitterte 2012 nach der Rückkehr von einer Griechenland-Reise: „Ein Sieg Syrizas wird den Weg für eine Alternative zum Europa der Banker öffnen. Beeindruckt von ihrer Unterstützung während meines Besuchs. Hoffentlich!“
Drei Jahre später wurde Corbyn Parteichef der britischen Labour Party. Im Januar 2015, nur wenige Monate vor seinem Amtsantritt, unterzeichneten er und 25 Abgeordnete, die überwiegend aus seiner Socialist Campaign Group kamen, sowie der Vorsitzende der Respect Party, George Galloway, anlässlich von Syrizas Machtübernahme einen Antrag im Parlament, in dem es hieß: „Dieses Unterhaus begrüßt die Unterstützung für die Partei Syriza in Griechenland, die sich dafür einsetzt, den jahrelangen Sparkurs und das Leiden des griechischen Volks zu beenden.“ Es bekunde „sein Vertrauen in eine Regierung, die sich dem Druck [der EU und des IWF] widersetzen und die demokratische Entscheidung des griechischen Volks verteidigen wird, und begrüßt Syrizas unmittelbare Prioritäten zur Beendigung des Sparprogramms...“
Als Labour-Parteichef gab Corbyn wiederholt den Angriffen des rechten Blair-Flügels nach, obwohl er bei Themen wie dem Widerstand gegen die Nato und gegen Atomwaffen die Unterstützung der Massen gehabt hätte. Nach dem Vorbild Syrizas wies er Labour-geführte Kommunalverwaltungen an, die von der konservativen Regierung geforderten Kürzungen umzusetzen. Die Folge war seine Niederlage bei den Parlamentswahlen 2019 und schließlich seine Ablösung als Parteivorsitzender durch den jetzigen Premierminister Sir Keir Starmer.
Syrizas Schicksal spiegelt sich im Zusammenbruch all jener pseudolinken Kräfte weltweit wider, die sich damit gerühmt hatten, dem „Modell Syriza“ zu folgen, während sie die Kämpfe der Arbeiter und Jugendlichen zur Verteidigung ihres Lebensstandards und der demokratischen Rechte verrieten. Podemos, das Pendant von Syriza in Spanien, hat im Sommer 2023 wegen ihrer Sparpolitik ein vernichtendes Wahlergebnis eingefahren. Sie verließ im darauffolgenden Dezember die Koalitionsregierung, die sie 2020 mit der Sozialistischen Partei Spaniens (PSOE) gebildet hatte.
Die Artikel des Internationalen Komitees der Vierten Internationale zu Syriza und anderen pseudolinken Tendenzen sind das notwendige theoretische Rüstzeug, das die Arbeiter im Kampf für Sozialismus brauchen.